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Pfarrer Dietrich: »An der Größe Wilhelms II. bin ich der letzte zu zweifeln; aber Ihre Zweifel an der Größe Friedrichs II. haben etwas Unerquickliches. Sie dürfen nicht vergessen, daß der Glaube an die Größe dieses einzigartigen Königs eines der mächtigsten werbenden Guthaben im deutschen Kronschatze darstellt. Warum das nicht verehren und genießen?«
Diese Frage des berühmten Geistlichen beantwortete Manfred mit einer Erzählung, die wohl unter den veränderten Zeitverhältnissen heute noch größeren Reiz gewonnen hat als sie damals, im Frühling des Jahres 1913, schon besaß, als Manfred sie erzählte.
Manfred: »Die preußische Politik ist auf gefährlichen Legenden aufgebaut und ihr Wesen hat einmal Maria Theresia mit den Worten gekennzeichnet: »auf preußische Manier handeln und gleichzeitig den Schein der Ehre retten wollen«. Maria Theresia dachte dabei an die äußere Politik Preußens, aber ihr Wort trifft in noch höherem Maße auf die inneren Verhältnisse Preußens zu, wo man, wie Sie eben andeuteten, mit einem Kronschatz wuchern möchte, den längst die Motten und der Rost gefressen haben. Jeder Eingeweihte weiß heute, wie geisttötend und lebenvernichtend der friderizianische Einfluß gewesen ist; und doch möchte man ihn gerne bewundert wissen und gar die Welt an diesem Unwesen »genesen« lassen. Anknüpfend an den »großen« Friedrich hat sich eine Legende über die Tüchtigkeit der preußisch-deutschen Verwaltung entwickelt, die ihrer gesunden Entwicklung und Verbesserung im Wege steht und deren Zusammenbruch in einem gefährlichen Augenblick einmal großen Schaden anrichten kann. Dabei ist es meines Erachtens nicht das Ausland, das mit dieser Legende zum Besten gehalten wird, sondern umgekehrt, das Ausland hält die Deutschen damit zum Besten.
»Das Ansehen, das die innere Verwaltung Preußens gegenwärtig im Ausland genießt, ist völlig abenteuerlich. In gewissem Sinne hat Deutschland recht eigentlich, was man »eine gute Presse« nennt. Gehen Sie nach Australien oder Frankreich, nach Spanien oder Nordamerika, man wird Ihnen von der Tüchtigkeit und Gründlichkeit der preußischen Verwaltung mit abgöttischer Verehrung sprechen. Als ich vor zwei Jahren in Paris bei dem alten Professor Charles Gide die amtliche Statistik erwähnte, die in Groß-Berlin etwa zweimal so viele Menschen in überfüllten Zimmern feststellte als in Paris, lachte er mich freundlich aus und meinte, sicher müsse mir ein Irrtum unterlaufen sein. Der verdiente Berliner Volkswirt Rudolf Eberstadt, der sich um die Aufdeckung der beispiellosen Wohnungsverhältnisse der deutschen Großstädte bemüht hat, versicherte mir, das bescheidenste Reformverlangen finde bei den deutschen Städten taube Ohren, indem dort stets zufrieden auf die Bewunderung hingewiesen werde, die das Ausland den deutschen Verhältnissen bedingungslos spendet.
»Eine der lächerlichsten Blüten dieser rückhaltlosen Schwärmerei für Deutschland begegnete mir vor einigen Jahren in St. Louis, wo ein amerikanischer Universitäts-Professor eine Rede hielt, die nicht vergessen werden wird. Dieser Professor, Woodrow Wilson, ist nämlich jetzt Präsident der Vereinigten Staaten geworden, so daß infolge der hohen Stellung ihres Urhebers diese Rede von St. Louis bald einen Ehrenplatz unter den Waffen gegen jede weitere Demokratisierung Deutschlands finden wird; wozu denn noch ändern und gar demokratisieren wollen, nachdem der Präsident der Vereinigten Staaten bereits im Jahre 1909 die »Volksregierung«, » popular government«, in Deutschland über die der Vereinigten Staaten gestellt hat? Ich entsinne mich genau, als wäre es gestern: es war gelegentlich eines großen Klubabends; Woodrow Wilson setzte uns auseinander, Diese erstaunliche Rede, gehalten am 9. März 1909, ist auch im Drucke erschienen. wieso und warum der Versuch in Amerika demokratisch zu regieren vollkommen gescheitert sei, und daß man die ernstlichsten Versuche machen müsse, Deutschland nachzuahmen. Er redete glänzend:
»»Sie wissen«, rief Professor Woodrow Wilson, »daß die Regierung in den Vereinigten Staaten nicht in den Händen des Volkes liegt. Seit hundert Jahren hat sie sich weiter und weiter vom Volke entfernt. Ist es nicht der Mühe wert, zu untersuchen, ob man nicht in den Vereinigten Staaten wirkliche Volksregierung genau so gut und genau so wirksam einführen könnte wie in Deutschland und anderen Ländern?«
»Ich versichere Sie, dieser Professor und viele andere Leute, die von deutscher Verwaltung und ihrer Tüchtigkeit schwärmen, haben ebenso viel Ahnung von deutschen Verhältnissen wie Tacitus von Germanien. Sie benutzen ein fremdes Land, um ihre Wünsche zu erläutern, wie wir als Knaben von den Indianern oder wie Montesquieu von den Persern erzählten. Wenn es je dazu käme, daß solche fremden Deutschland-Schwärmer für ihre rühmend vorgetragene Überzeugung eintreten müßten, dann würden sie umfallen und je nach den Umständen auch genau das Gegenteil behaupten. Bei Bedarf würden diese Herren dann plötzlich entdecken, was z. B. Bismarck über diese berühmte deutsche Selbstverwaltung sagt: »Die »Selbstverwaltung« ist Verschärfung der Bürokratie, Vermehrung der Beamten, ihrer Macht und ihrer Einmischung ins Privatleben …; Es muß früher oder später der wunde Punkt eintreten, wo wir von der Last der Schreiberei und besonders der subalternen Bürokratie erdrückt werden.« (Das schlechte Deutsch, das dieser drohende »wunde Punkt« stammelt, läßt fürchten, daß er bereits eingetreten ist und nicht wieder austreten will, sondern sich unter der Last der Bürokratie schnell in den »toten Punkt« – Friede seiner Asche! – verwandeln wird, dessen Bismarck sich aus dem relativ-mathematischen physikalischen Unterricht seiner Knabenzeit erinnert zu haben scheint.)
»Falsche staatspolitische Legenden sind bedenklich, und mir scheint, die friderizianische Legende ist eine der bedenklichsten.
»Solange solche Legenden »fromm« sind, nichts schaden oder etwa gar nützen, – wenn man zugeben sollte, daß die Unwahrheit nützen kann – dann mag man sie dulden. Aber die blutige Legende Friedrichs des Großen, die friderizianische Legende, daß der »lastende, entwürdigende Druck seines königlichen Daseins« dem deutschen Volke Segen gebracht habe, ist eine sehr unfromme, eine sehr schädliche Legende, und die »persönliche Vorliebe« für sie verdient »schonungslos vernichtet« zu werden. Wenn Bismarck sagt, »ich würde mich nicht wundern, wenn die vis major der Gesamtnationalität meine dynastiscbe Mannestreue und persönliche Vorliebe schonungslos vernichtete. Die Aufgabe, mit Anstand zugrunde zu gehen, fällt in der Politik, und nicht bloß in der deutschen, auch andern, und stärker berechtigten Gemütsregungen zu«, dann hat der einsichtige Staatsmann ohne Zweifel gefährliche dynastische oder nationalistische Legenden nicht ausschließen wollen von den Dingen, die »mit Anstand zugrunde zu gehen die Aufgabe« haben. Sonst »muß ein wunder Punkt eintreten«!«