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Herzog Karl August und Reichsfreiherr vom Stein

Hegemann: »Ein Glück, daß Goethe in Herzog Karl August einen Herrn fand, dem zu dienen leicht war.«

Manfred: »Wie Goethe sich seinen Herzog wünschte, hat er im Tasso gesagt. Wie der Herzog wirklich aussah, wer weiß es? Vielleicht wird da die Bedeutung des Einflusses von Sanssouci unterschätzt; man hat sich so an die euphemistische Schönfärbung dieses Einflusses gewöhnt, daß man seine wirkliche Farbe zu vergessen bereit ist und Warnungen, wie die Lessings vor dem »schlechten Beispiel des Cynikers auf dem Thron«, überhören möchte, als kämen sie von einem belanglosen Frömmler. Und doch liegt die Vermutung nahe, daß der »große Friedrich« seinen Neffen, Herzog Karl August, nicht nur zu militärischer Bewunderung zwang. Nachdem alle Versuche Goethes, seinem Herrn die »militärischen Maccaronis«« (vgl. oben S. 196) »auszureden, gescheitert und schließlich sogar die Hoffnungen auf den preußischen Generalmajorsrang in Erfüllung gegangen waren, wäre es begreiflich, wenn der große Oheim dem nacheifernden Neffen unvermerkt auch als Mensch zum Vorbild geworden wäre. Das würde vielleicht die etwas peinliche Geschichte erklären, die Ernst Moritz Arndt vom Herzog Karl August erzählt hat. Arndt, der »Was ist des Deutschen Vaterland« und das »Seid stark in Liebe, werdet schwach im Hassen« gedichtet hat, scheint mir kein verächtlicher Zeuge.«

Als wir gerne Näheres über diese von Arndt erzählte Geschichte wissen wollten, fand Manfred schnell die »Wanderungen und Wandelungen mit dem Reichsfreiherrn Friedrich von Stein« und las vor:

»»Stein war gesund und von der köstlichsten Laune, der Herzog Karl August nach seiner gewöhnlichen alten sehr soldatischen Weise: der geborene Fürst über jeden Zwang hinaus und immer der helle, frische Mann von Mut und Geist. Er hatte von seiner welfischen Mutter Amalia wohl das Beste in seinem Naturerbteil bekommen; der Eindruck, den er auch den nur oberflächlich Betrachtenden machte und hinterließ, höchst liebenswürdig; er blieb der Herr in der Gesellschaft und machte doch jeden frei. Die beiden hohen Herren gingen höchst ungezwungen miteinander um, fast wie alte Jugendgenossen; der hochgeborene Reichsfreiherr schien dem höhergeborenen Fürsten auch keinen Augenblick unterlegen. Da war aber das Besondere, daß, wo von ernsten Gegenständen gesprochen, ja, wo nur, wie im leichten Gespräch geschieht, darüber hingewinkt oder nur gelächelt ward, Stein immer als der Fürst und der andere oft nicht viel über dem Diener zu stehen schien. Da empfand man klar, dies war ein Gebiet, auf welchem der Herzog sich fremd fühlte, oder vielmehr, wo er sich mit allen Sitten und Gewohnheiten auf sein gemeines Feld verlief und verlor. Hier erschien er nur als der leichtfertige Hohnlächler und Spötter oder als der krittelnde und zweifelnde Noten- und Glossenmacher, als ein Mephistopheles, der vielleicht auch Goethe oft mehr herabgezogen als gehoben hat. Hierbei war auch das wunderlich, daß ihn immer der Kitzel stachelte, Stein zum Zorn zu reizen und sich an seiner Heftigkeit gleichsam zu ergötzen« (er » brouilliert« wie Friedrich der Große), »denn er selbst blieb bei allen geschwindesten Einhieben und Gegenhieben des Freiherrn in fürstlicher Gleichmütigkeit trotz einem Gotte Epikurs«. Dann berichtet Arndt von allerlei politischen Erörterungen zwischen Herzog und Freiherrn und von der katholischen Priesterweihe des Lutherdichters Zacharias Werner, von dem Arndt nicht viel Gutes zu sagen hat. Dann heißt es: »Der Herzog erzählte eine Menge anstößlicher Geschichten von dem Dichter, welcher eine Zeitlang unter seinen Augen in Weimar gelebt hat, alles in seiner leichtfertigen lockeren Weise, so daß dem Freiherrn der Kamm schwoll... Der Herzog schloß mit der Nutzanwendung, daß eigentlich jeder Mann Ähnliches durchgemacht habe, ›und Sie – wendete er sich zu Stein – haben auch wohl nicht immer wie Joseph gelebt‹.« (Ähnlich hat ja einmal Friedrich II. an Voltaire geschrieben; vgl. oben S. 266.) »›Wenn das wäre, erwiderte Stein, so ginge das niemand etwas an, aber immer habe ich Abscheu vor schmutzigen Gesprächen gehabt, und halte es nicht für passend, daß ein deutscher Fürst dergleichen vor jungen Offizieren – es saßen mehrere solche neben älteren Männern da – so ausführe.‹ Der Herzog verstummte, und es folgte eine Totenstille. Nach einigen Minuten fuhr der Herzog mit der Hand über das Gesicht und setzte, als sei nichts vorgefallen, die Unterhaltung fort; den Anwesenden aber war heiß und kalt geworden. Der Oberst von Ende, jüngst noch in herzoglichweimarischen Diensten, jetzt Kommandant der Stadt Köln, gestand beim Nachhausegehen seinem Begleiter, er wolle lieber das Feuer von zwei Batterien als solche Reden lange aushalten; und Graf Solms-Laubach, Oberpräsident der Preußischen Rheinlande, rief doch auch im Gefühl des alten Reichsgrafen und früheren Reichhofratsmitglieds in Wien aus: ›Nein, wie der mit Fürsten umgeht! mir ist noch ganz heiß davon; ich zitterte immer, es würde Szenen geben.‹ Und es hatte, mein' ich, eine ganz bunte muntre Szene gegeben.« So berichtet Ernst Moritz Arndt, und er hätte eine Auseinandersetzung zwischen einem Götz und einem Weislingen nicht lebendiger schildern können. Solche Auftritte waren es, die Goethe auch dann vermied, wenn Erich Schmidts »schwerer Schlag des Löwen« »den hämischen Affen« nicht bedrohte und wenn der »Affe« v. Stein war. Aber das Mittel, mit dem Goethe solche Entlarvungen und Entladungen vermied, die Goethesche » Konvenienz«, gab für Arndt, gelegentlich seines Berichts von der gemeinschaftlichen Reise Goethes und Steins, Anlaß zu folgender grimmigen Schilderung:

»»Es war gewiß die äsopische Reise des steinernen und irdenen Topfes. So gingen sie auch in Köln nebeneinander hin mit einem zarten Noli me tangere. Nimmer habe ich Steins Rede in Gesellschaften stiller tönen gehört. Hier konnte ich mir unseren Heros Goethe ein paar Tage recht ruhig betrachten, mich seines herrlichen Angesichts erfreuen: die stolze breite Stirn und die schönsten braunen Augen, die immer wie in einem Betrachten und Schauen begriffen, offen und sicher feststanden und auf jeden Gegenstehenden und Gegenschauenden trafen …; Goethe war ja Minister und Exzellenz und in Wahrheit eine der excellentesten Excellenzen des Vaterlandes; aber hier in Köln wie? wie? Es kamen von den jungen Officieren, die in Köln standen, einige sich vor ihm zu verneigen, solche, deren Väter oder Vettern er kannte, Thüringer und andere, Ministersöhne, Baronensöhne, unter ihnen Wilhelm Humboldts Erstgeborener, Jungen, vor welchen Stein, ja nicht einmal Unsereiner, nicht die Mütze abgezogen hätte – und Goethe stand vor ihnen in einer Stellung, als sei er der untere. Eine solche Ungefügigkeit des Leibes, eine solche fast dienerliche Haltung einem Altadlichen gegenüber, vielleicht aus Jugendgewohnheit, womit eine gewisse Steifheit verknüpft war, ist dem sonst zwar stolzen, aber sehr großmütigen liebenswürdigen Manne von den Unkundigen wohl oft als Hoffahrt ausgelegt worden.«

»Hoffart! Ist diese Verwertung des Wortes Hoffart nicht ausgezeichnet? Vielleicht meint Arndt: Unterwürfigkeit! Aber ist es nicht der Gipfel hoffärtigen Stolzes und »die Prätension aller Prätensionen«, wenn ein Goethe unterwürfig ist? Erscheint er dann nicht noch furchtbarer, als wie er in einer unbewachten Stunde,1813, einmal dem Doktor Kieser erschien, »wie die goldenen Drachen der chinesischen Kaiser, die nur die Majestät tragen können. Ich sah ihn nie so furchtbar heftig, gewaltig, grollend«. Wenn dieser goldene Drache uns, wie er es zu Kieser tat, »im engsten konfidentiellen Zutrauen seine großen Pläne mitteilen und zur Mitwirkung auffordern« wollte, was würde er wohl über den Verkehr »mit hohen Personen«»im engsten Vertrauen« zu sagen haben? Friedrich II. hat den geistigen Zwingherrn Europas, den »göttlichen« Voltaire, zu seinem Kammerherrn gemacht und hat ihn zum »lustigen Rat« mißbrauchen wollen und hat auch gesagt: »In meinen Staaten gilt ein Leutnant mehr als ein Kammerherr«. Voltaire entfloh, aber er hätte den vergoldeten Kammerherrnschlüssel gerne, mit anderen » Brimborien«, behalten, weil er für »seine großen Pläne« »Vasallen« brauchte.

»Goethe in »dienerlicher Haltung« vor Karl August oder gar den jungen Sprößlingen des deutschen Adels weckt Gedanken von aristophanischer Ausgelassenheit oder von der Wildheit der Auftritte im zweiten Faust, in denen Mephisto als Hofnarr erscheint oder aus dem Souffleurloche auftaucht mit den Worten: »Einbläsereien sind des Teufels Redekunst«; Goethe war ja auch Kammerherr und verteidigte seinen Schlüssel gegen feindliche Übermacht:

Bin ich für nichts an dieser Stelle?
Ist dieser Schlüssel nicht in meiner Hand?
Er führte mich durch Graus und Wog' und Welle
Der Einsamkeiten her zum festen Strand.
Hier fass' ich Fuß! Hier sind es Wirklichkeiten,
Von hier aus darf der Geist mit Geistern streiten,
Das Doppelreich, das große, sich bereiten.
.............................................
Was tust du, Fauste! Fauste!........
..............................................
Den Schlüssel kehrt er nach dem Jüngling zu,
Berührt ihn! – Weh uns, Wehe! –
(Explosion, Faust liegt am Boden.)

»Der Umgang mit hohen Personen ist gefährlich.«

Manfred hatte eine eigentümliche Fähigkeit, deutsche Verse mit fast reiner Aussprache wirkungsvoll vorzutragen, aus dem Stegreif eine geistige Bühne aufzuschlagen, überraschende, ungeheure Gedankenverbindungen anzudeuten und den willigen Zuhörer zu ergreifen und zu erschüttern. Er schien erregt und murmelte noch wiederholend vor sich hin: »»Das Doppelreich, das große, sich bereiten …;««, als ich ihn mit einer alltäglichen Bemerkung zur Erde zurückholte:

»Ich kann diese Erzählung Arndts gar nicht verwinden: Goethe in dienerlicher Haltung vor »Baronensöhnen«? Das ist doch etwas stark!«

Manfred: »Es war nicht nur Friedrich II., der seine »Philosophen vor die Türe setzte «, wie Herr Thomas Mann es eben nannte, oder reichstreue Schriftsteller, getreu seinem Grundsatze: » Gazetten,wenn sie interessant sein sollen, dürfen nicht genieret werden«, durch Handlanger preußischen Geistes verprügeln zu lassen wagte.« (Vgl. oben S. 80 und 136 f.) »Goethe hat im Werther den Auftritt geschildert, wie er von adligem Lumpenpack als Bürgerlicher an die Luft gesetzt wurde; und der Auftritt im »Tasso«, wo Antonio sich »roh und hämisch, wie ein unerzogener, unedler Mensch« beträgt, hat auf mich immer wie ein Prügelgericht gewirkt und – das Blut wallt mir auf, wenn ich nur daran denke. Und dahinter ist doch wahrscheinlich ein Auftritt verborgen, der sich wirklich einmal zwischen Goethe und dem Grafen Goertz, dem späteren Gesandten Friedrichs II., oder einem anderen adligen Herrn abgespielt hat.«


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