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Hegemann: »Tun Sie Friedrich dem Großen nicht Unrecht, wenn Sie ihn in literarischen Dingen mit Ludwig XIV. vergleichen, der fest in der Sprache seines Volkes wurzelte, während Friedrich da doch leider ein Entwurzelter war?«
Manfred: »Gut, wenn Sie dem Preußenkönig diese Wurzellosigkeit – oder sollte man sagen Vaterlandslosigkeit? – zugute halten wollen, lassen Sie mich an Ludwigs XIV. Erlebnis mit dem großen Bernini, dem Baumeister des unvergänglichen St.-Peter-Platzes in Rom, erinnern. Da haben Sie ein würdiges Verhalten zwischen einem großen König und einem weltberühmten ausländischen Künstler, Mit diesem Verhältnis würde man gern Friedrichs II. Beziehungen zu Voltaire vergleichen. Voltaire war achtzehn Jahre älter als Friedrich II., Bernini gar vierzig Jahre älter als Ludwig XIV. Friedrich und Ludwig waren beide etwa siebenundzwanzig Jahre alt, als sie mit den heißbegehrten Ausländern, Voltaire und Bernini, zum erstenmal zusammentrafen; sie waren also damals nicht etwa in der Lage, in der sich Ludwig gegenüber Racine oder, wenigstens bis zu einem gewissen Grade, auch Karl August gegenüber Goethe befanden: die königlichen Verehrer Berninis und Voltaires wählten weniger selbst, als daß sie sich der Wahl der Welt anschlossen. In Paris wie in Preußen waren der große König und der große Künstler wechselseitig voneinander entzückt. Bernini und Voltaire schrieben beide in ihre Heimat Briefe voll Rühmens über ihre königlichen Bewunderer. Aber bald zeigt sich der große Unterschied zwischen dem franzö sischen und dem franzö selnden König. Während Friedrich in seiner Verachtung alles Deutschen nirgends Halt machte, duldete Ludwig, obgleich er doch den großen Italiener über die französischen Baumeister und Bildhauer stellte, keine Verletzung der heimischen Würde. Bernini dachte und sprach über die französische Kunst etwa wie Voltaire über die deutsche Literatur; Friedrich suchte dabei Voltaire zu überbieten, während Ludwig – trotz aller Unterwürfigkeit unter die künstlerischen Entscheidungen des italienischen Meisters – den Franzosen die Genugtuung zuteil werden ließ, vor versammeltem Hofe zu sagen: »Eine halbstündige Unterhaltung mit dem Ritter Bernini hat mich gelehrt, in ihm einen Mann zu erkennen, der entschlossen ist, nichts Französisches gut zu finden.« Ähnlich wie Friedrich II. und Voltaire noch im letzten Viertel des achtzehnten Jahrhunderts in der ganzen deutschen Sprache und Literatur wenig Gutes entdecken konnten und alles nach französischem Muster neu geschaffen wissen wollten (die dissertation ist die ungeschickte Vorschrift dafür), wollte Bernini die ganzen Schloßbauten, welche französische Könige um den Louvre errichtet hatten, vom Erdboden vertilgen, um seine neuen italienischen Pläne ungehemmt durchführen zu können. Diesen Absichten widersetzte sich Ludwig, und Bernini kam zu der Einsicht: »... ich würde hier größeren Ruhm erwerben« (so schrieb er an den Herzog von Modena), »wenn ich ein großes und erhabenes Schloß bauen könnte, ohne etwas einzureißen. Mit großem Genius hat mir König Ludwig gesagt, daß es ihm nicht auf die Unkosten ankäme, aber daß es ihm mißfallen würde, zerstören zu müssen, was seine Vorfahren aufgebaut haben«. Mit dem »was die Vorfahren aufgebaut haben« ließen sich im Falle Friedrichs II. sehr wohl die Bemühungen Luthers und Leibnizens um Sprache und Schriftwesen der Deutschen vergleichen. Als sich dann Bernini den französischen Forderungen angepaßt zu haben schien – längst nicht genug, wie sich später ergab –, wurde sein großer Plan für den neuen Louvre von Ludwig angenommen und die Ausführung begonnen. Bernini kehrte reichbelohnt in den Dienst des Papstes zurück und zog aus dem französischen Erfolge ebensoviel Ruhm wie Voltaire aus seinem Potsdamer Mißerfolge. Aber die Folgen des Berninischen Aufenthaltes in Paris wurden unendlich viel bedeutsamer als die Besuche Voltaires in Berlin, und der Grund für diesen gewaltigen Unterschied liegt darin, daß in Paris die französischen Gegner des Italieners Bernini – an ihrer Spitze der große Perrault – das Ohr Ludwigs XIV. zu gewinnen vermochten, während in Berlin die deutschen Gegner Voltaires – an ihrer Spitze Lessing – von Friedrich II. verächtlich beiseite geschoben wurden. »Ich kann auch ohne Deutsche auskommen!« triumphierte Friedrich II., als er statt des dringend empfohlenen Lessing einen unbedeutenden französischen Geistlichen hatte kommen lassen. In Paris wurde die Ausführung des Berninischen Louvre-Planes bald wieder aufgegeben und statt dessen Perraults große Schauseite errichtet, die Berninis Plan weit zurücklassende Louvre- Colonnade, mit der die edle, ernste, aber nie schwerfällige Anmut der neuen französischen Baukunst ihren Siegeszug beginnt und den Sieg des Klassizismus über den Barock – schon 1667! – feiert; (ein wichtiges Ereignis, das – nebenbei gesagt – Friedrich II. auch nie begriff, ja mit seiner barocken Bibliothek zu leugnen suchte). Friedrich II. blieb »eigensinnig und unrectificierlich« während der verbleibenden dreißig Jahre seines Lebens von der fixen Idee besessen, im Geiste Voltaires das Allheilmittel für die Schwächen des deutschen Geisteslebens sehen zu wollen. Dabei ist die Ähnlichkeit zwischen dem befruchtenden Besuche Berninis in Paris und dem unfruchtbaren Abenteuer Voltaires in Berlin besonders groß deshalb, weil Perrault, der die französische Baukunst zum Siege über die italienische führte, doch im Grunde tief von Bernini beeinflußt ist, und weil die wesentlichen Gedanken der berühmten Schauseite seines französischen Louvre, das einfache Erdgeschoß, die darauf stehende, einheitliche, durch zwei Geschosse gehende Säulenordnung und die Verdeckung des Daches durch Attika, Gesims und Balustrade, im Grunde nur die Weiterentwicklung der Anregungen Berninis darstellen. Ebenso ist Lessing in mancher Hinsicht ein befreiter Schüler Voltaires, wie auch der von Friedrich II. beschimpfte Verfasser des »Götz« zugestand, daß er »einen so großen Teil seiner eigenen Bildung den Franzosen verdankte«. Wenn Lessing von Friedrich II. gefördert worden wäre, hätte sich aus der »Minna von Barnhelm« eine preußisch-deutsche Bühne entwickeln können, auf der alles Gute gelebt hätte, was sich Deutschland von Voltaire und den Franzosen zunutze machen konnte, und Goethes »Wahn, es sei möglich, ein deutsches Theater zu bilden« (Eckermann, 27. März 1825), wäre vielleicht kein Wahn geblieben. Der Dank, der Friedrich dem Großen dafür gebührt hätte, wäre unermeßlich, der Gewinn für die Macht des preußischen Gedankens unschätzbar gewesen. Noch heute ist das deutsche Lustspiel vielfach mit halbverstandenen und deshalb albernen, oder mit wertlosen französischen Anleihen überladen, während die großen Anregungen, die Frankreich aus der italienischen Kunst schöpfte, die Weltstellung der französischen bildenden Kunst immer großartiger gemacht haben. Daran änderte auch die Tatsache nichts, daß der Besuch Berninis die Gründung der bedeutsamen französischen Akademie in Rom beschleunigt und damit den italienischen Einfluß verstärkt hat. Im Gegenteil zog Frankreich aus der Berührung mit Italien, dem Mutterlande unserer Kunst, viel von der Kraft und Überlegenheit, die Goethe um so höher würdigte, je älter er wurde, die man aber im ungoetheschen Deutschland vielfach vorschnell für nachgerade ausgeglichen hält. Ich glaube im Gegenteil, daß dieses Übergewicht bei mancher geistigen Entscheidung der Zukunft noch überraschend in die Wage fallen kann, wie hoffnungslos Frankreich auch »realpolitisch« ins Hintertreffen geraten sein mag.«