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Das vierte Gespräch

Friedrich II. als Romantiker
Vater der deutschen Literatur
Feldherr und Staatsmann und
sein Opfer der deutschen Großmachtstellung

 

Pour moi, menacé du naufrage,
Je dois, en affrontant l'orage
Penser, vivre et mourir en roi.

Federic. 9 Octobre 1757

Preußen darf nicht erlauben, daß man den Franzosen Elsaß oder Lothringen wegnimmt …; Die französische Politik hat von alters her Machtzuwachs und Herrschaft der deutschen Kaiser bekämpft.

Preußen verfolgt dieselben Ziele.
Friedrich II. »Testament« von 1752

 

Den Franzosen können wir nimmermehr Lothringen aus den Händen bringen, wenn wir nicht vorher Preußen ecrasieret haben.

(Aus dem Vortrage des deutschen Staatskanzlers Kaunitz vor der
deutschen Kaiserin. 28. August 1755.)

 

Adieu. Je vais écrire au Roi de France, composer un solo, faire
des vers à Voltaire, changer les réglemens de l'armée, de faire
encore cent autres choses de cette espèce.

Schluß eines typischen Briefes von Friedrich dem Großen an Jordan

 

Ich bin ein »dilettante« in jeder Beziehung.
Friedrich an Voltaire, den 1. Mai 1760

 *

Als ich am nächsten Morgen das Bücherzimmer betrat, fand ich dort Thomas Mann und Manfred im Gespräch über Friedrich den Großen. Thomas Mann hörte ich etwa folgendes sagen: »Friedrich war ein Opfer. Er mußte unrecht tun und ein Leben gegen den Gedanken führen, er durfte nicht Philosoph, sondern mußte König sein, damit eines großen Volkes Erdensendung sich erfülle.«

Manfred rief mir zu: »Sie haben viel versäumt. Herr Thomas Mann hat eben die fesselndste Schilderung Friedrichs II. gegeben, die ich je gehört habe. Er stellte ihn dar als ein Königsopfer von solcher Größe, daß König Oedipus und König Kodros fast erbleichen müssen.«

Wieder zu Thomas Mann gewendet, fuhr Manfred fort: »Meine Teilnahme an der Frage: Friedrich II. ist grenzenlos; dieser König ist mein Leidensgenosse in Apoll; er hat ebensowenig wie ich der Versuchung widerstehen können, eine Iphigenie zu schreiben, – seine ist ein Operntext, geschrieben im Jahre 1748. Wenn aber je die Götter ihn und mich für diese Anmaßung strafen wollen, werde ich zu meinen Gunsten anführen, daß ich ein anspruchsloser Privatmann bin, und daß ich wenigstens nicht Iphigeniens rechtmäßigen und von Gottes Gnaden berufenen Dichter bei seiner Iphigenie gestört habe, wie Friedrich es tat, als er 1779 Goethe zwang, seine Arbeiten an Iphigenie zu unterbrechen, um Rekruten für einen friderizianischen »Kartoffelkrieg« auszuheben. Friedrich II. war die Ursache, daß Goethe fast »das Ei, halb angebrütet, verfaulen« lassen mußte. Erst nachdem er die Rekruten für Friedrich »nach der Physiognomik des rheinischen Strichmaßes klassifiziert hatte«, durfte er »in seine alte Burg der Poesie steigen und an seinem Töchterchen kochen«.« {Verw. auf Anmerkung}

Ich fragte, zu Thomas Mann gewandt: »Was meinen Sie mit dem Gegensatz zwischen König und Philosoph? Ist es nicht gerade das Wesen Friedrichs II., daß er der gekrönte Philosoph war, ganz im Sinne Platos, welcher nur dann Heil für die Welt sieht, wenn die Philosophen herrschen?«

Thomas Mann: »Das Foppende im Wesen Friedrichs beruht auf dem Dualismus, den Rousseau auf die Formel brachte: »Il pense en philosophe et se conduit en roi.« Das ist eine große Antithese, die viele lebendige Gegensätze umschließt: den Gegensatz, zum Beispiel, von Recht und Macht, von Gedanke und Tat, Freiheit und Schicksal, Vernunft und Dämon, bürgerlicher Sittigung und heroischer Pflicht.«

Manfred: »Rousseau war vielleicht weniger tiefsinnig, sicher weniger unparteiisch als Sie. Ich fürchte, mit seinem berühmten Verse auf Friedrich II. wollte er sagen: Friedrich redet wie ein guter Weiser, aber er handelt wie ein Schuft. Es war ein eigenartiger Brief, mit dem der verfolgte Rousseau Friedrichs II. Schutz anflehte, und der mit dem Satze begann: »Sire, ich habe viel Übles von Ihnen geredet, ich werde es vielleicht noch ferner tun.« Aber wie lächerlich Rousseau auch wirkt, wenn er dann die königlichen Wohltaten ausschlägt und dadurch seine Therese zwingt, das Gewährte hinter seinem Rücken anzunehmen, so hat er doch eigentümlichen Scharfblick für die politischen Beweggründe Friedrichs II. bewiesen. Rousseaus Vers:

Il pense en philosophe et se conduit en roi.
La gloire, l'interêt, voilà son dieu, sa loi.

hätte nicht treffender geschrieben werden können, wenn der Dichter die von Voltaire berichtete erste Fassung des Satzes in l'Histoire de mon temps gekannt hätte, in dem Friedrich zur Begründung seines Losbrechens gegen Maria Theresia sagte: »l'ambition, l'interêt, le désir de faire parier de moi, l'emportèrent; et la guerre fut resolue.«

Hegemann: »Ist Voltaire denn da zuverlässig?«

Manfred: »Vielleicht nicht; in der ersten Veröffentlichung der l'Histoire lautet die Stelle: »ajoutez à ces raisons une armée toute prête à agir, des fonds tout trouvés, et peut-être l'envie de se faire un nom; tout cela fut cause de la guerre …;« Zugeständnisse, die Bismarck nicht gefielen, als er sagte: »Seinen Aufbruch nach Schlesien gleich nach dem Regierungsantritt bezeichnet Friedrich II. selbst als das Ergebnis seines Verlangens nach Ruhm.« Was immer Sie in diesem Zusammenhang von der Zuverlässigkeit Voltaires halten mögen, mir scheint, er berichtet zum mindesten ebenso zuverlässig wie Bismarck.«

Hegemann: »Schön war aber doch die Güte, mit der Friedrich den verfolgten Rousseau aufnahm.«

Manfred: »Um so mehr, als Friedrich, auch hier Voltaires Beispiel getreulich folgend, den unseligen Rousseau verabscheute und als eine Schande der Literatur bezeichnete.«

Hegemann: »Wie können Sie, Herr Thomas Mann, angesichts solcher Beispiele friderizianischer Herzensgüte sagen: »Friedrich mußte Unrecht tun und ein Leben gegen den Gedanken führen?««

Manfred: »Um so mehr, als doch Friedrich II. in Rousseau den Franzosen selbst dann noch achtete, nachdem er zum preußischen Untertan geworden war.«

Thomas Mann überhörte diesen Spott; er sah meinen guten Willen und antwortete mir mit Geduld: »Friedrich, der übermenschlich gekämpft und gelitten hatte, sah in allem Menschenvolk um ihn her nur Pack und kinderzeugendes Gesindel. Es bleibt unverständlich, warum er, bis an den Hals voll Verachtung, für dieses Gesindel so ungeheuerlich zu arbeiten fortfuhr, rastlos sich der Aufgabe unterzog, das Unglück, das er verursacht hatte, wieder gutzumachen, dem Ackerbau, den Finanzen seines Landes zur Genesung half, ganze Industrien hervorrief, eine weitere Provinz hinzuerwarb und sie durch großartige Kolonisation aus ihrem vernachlässigten Zustande erhob, – wenn man sein Pflichtgefühl nicht als eine Art Besessenheit und ihn selbst nicht als Opfer und Werkzeug höheren Willens begreift. Sein Fleiß war kalte und glücklose Passion. Ausgebrannt, öde und bös, liebte er niemanden, und niemand liebte ihn, sondern sein königliches Dasein bildete einen lastenden, entwürdigenden Druck für alle Welt. Zuweilen möchte man glauben, er sei ein Kobold gewesen, der aller Welt Haß und Abscheu machte und alle Welt hineinlegte, ein ungeschlechtlicher, boshafter Troll, den umzubringen hundert Millionen Menschen sich vergebens ermatteten, da er entstanden und gesandt war, um große, notwendige Erdendinge in die Wege zu leiten. Er selber ironisierte den Kampf der sieben Jahre mit dem Worte: »heroische Schwachheiten«. Aber er setzte auch Schwarz auf Weiß: Wenn er eine Provinz recht hart strafen wollte, so würde er sie von Literaten regieren lassen …;«

Manfred: »So sagte er und vergaß dabei, daß ganz Preußen derart hart gestraft wurde während der sechsundvierzig Jahre, in denen es von diesem König regiert wurde, der in Kriegs- und Friedenszeiten stets sehr viel mehr Zeit {Verw. auf Anmerkung} für seine nichtigen literarischen Liebhabereien als für seine königlichen Pflichten gehabt hat.«

Thomas Mann: »Seine Aufklärung war so oberflächlich, daß er sieh für kugelfest hielt; und wenn er ausdrücken will, was ihn eigentlich bewogen habe, die süße Ruhe eines der Literatur gewidmeten Lebens gegen die furchtbaren Anstrengungen und blutigen Schrecken des Krieges einzutauschen, so spricht er zusammenfassend von einem »geheimen Instinkt«. Was er so nennt, war stärker in ihm als die Literatur, es leitet sein Handeln, bestimmte sein Leben, und es ist durchaus eine deutsche Denkbarkeit, daß dieser geheime Instinkt, dies Element des Dämonischen in ihm überpersönlicher Art war: der Drang des Schicksals, der Geist der Geschichte.«

Manfred: »Was mich in Ihren Ausführungen besonders in Erstaunen setzt, ist die Überzeugung, die Sie mit preußischen Historikern zu teilen scheinen, daß Friedrichs reichsfeindliche ›heroische Schwachheiten‹ und daß der ›lastende, entwürdigende Druck, den sein königliches Dasein für alle Welt bildete‹ einen Segen für das deutsche Volk bedeuten könne. Sie rühmen Friedrich II. nach, er habe in den zweiten dreiundzwanzig Jahren seiner Regierung gut gemacht, was er in den ersten dreiundzwanzig Jahren gesündigt hatte, und der Anblick dieses angeblich wiedergutmachenden, gleichsam büßenden Königs hat viele seiner unzufriedensten Beurteiler milde gestimmt. Mir scheint aber, man müßte fragen, ob er nicht gerade in der zweiten Hälfte seiner Regierung mit dem ›entwürdigenden Druck‹, von dem Sie sprechen, noch mehr Schaden angerichtet hat als mit seinen blutigen Bürgerkriegen, die trotz ihrer Fruchtlosigkeit doch wenigstens manchem gloire-durstigen Deutschen das seit Prinz Eugens Tode erschlaffte Selbstvertrauen auffrischten. König und gemeiner Mann sind auch in Deutschland wie die menschlichen Schatten der Unterwelt des Odysseus: sie nähren sich vom Blut.

»Wenn Sie aber Friedrich II. als Opfer auffassen und es ›eine deutsche Denkbarkeit‹ nennen: ›Friedrich mußte Unrecht tun, …; damit eines großen Volkes Erdensendung sich erfülle‹, so wird das den Rembrandt-als-Erzieher- und den H. S. Chamberlain-Germanen wahrscheinlich gefallen, und gewisse Mystiker werden ganz humorlos als weitere ›durchaus deutsche Denkbarkeit‹ entdecken, das Endziel der ›Erdensendung‹ dieses großen Volkes sei der Opfertod – wahrscheinlich im Dienste einer höheren Kultur. In einem ähnlichen, mir ebenfalls sehr widerstrebenden Sinne ist die nicht belanglose deutsche Einwanderung nach Amerika manchmal als Kulturdünger bezeichnet worden. Wer, wie ich, auch deutsches Blut in den Adern hat, kommt da wirklich beinahe in Gefahr, den Humor zu verlieren.«


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