Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dryden

Als dieser halb rhetorischen Frage ein nachdenkliches Schweigen folgte, warf ich ein:

»Erlauben Sie mir noch einmal zu den geprügelten Dichtern zurückzukehren, von denen wir uns vorhin unterhielten. Georg Brandes erwähnte gestern auch den berühmten englischen Dichter Dryden, den Verfasser des »Alexander-Festes«, als ein Opfer junkerlichen Übermutes; ein Graf von Rochester habe ihn von seinem Neger durchprügeln lassen. Als Deutschem ist es mir, wie Sie begreifen werden, lieber, wenn die Diener des Geistes auch in anderen Ländern mißhandelt worden sind, als annehmen zu müssen, daß diese geistesfeindliche Aufmerksamkeit hauptsächlich in Deutschland zu Hause sei.«

Manfred: »Wenn Ihnen die Weltherrschaft und Internationalität der Geistesfeinde Trost bringt, brauchen Sie nur an die öffentliche Mißhandlung zu denken, mit der die vornehme Partei der Nationalisten Zola noch vor kurzem in Paris zu demütigen versuchte. Aber den Grafen von Rochester oder den Herzog von Buckingham, der ebenfalls den Dichter Dryden geprügelt haben soll, würden Sie wirklich beleidigen, wenn Sie diese beiden etwa vergleichen wollten mit Friedrich II. oder seinen Vertretern; pfui, Prügelknechten, die »Minna von Barnhelm« zu verbieten suchten, die den geistreichen Verfasser der »Matinees du roi de Prusse« lebenslänglich ins Gefängnis steckten (vgl. Oeuvres, Table chronologique S. 154) oder preußenfeindliche Zeitungsschreiber in Köln und Erlangen auf königliches Geheiß prügelten. Auch den Herzog von Württemberg, der J.J. Moser und Schubart mißhandelte, würden die beiden Lords wahrscheinlich in der Redeweise der normannischen Barone Walter Scotts ein »sächsisches Schwein« genannt und den Vergleich mit ihm sich ebenso verbeten haben, wie sich der Reichsfreiherr von Stein verbat, daß man ihn mit Vertretern des brandenburgischen oder hinterpommerschen Adels vergliche. Auch dürfen die Gläubigen des deutschen Fortschrittes nicht vergessen, daß die schlechte Aufführung des Württembergers sich fast hundert Jahre nach Drydens Unfall ereignete. Die Erzählung, der Herzog von Buckingham habe Dryden »für seine Unverschämtheit« geprügelt und ihm dann »für seinen Geist« einen Beutel Goldes gegeben, ist als unwahr nachgewiesen. Wahr ist aber, daß Buckingham, der selbst ein Dichter und ein Mann von Geist war, Dryden mit seinen eigenen Waffen bekämpft und eine gute Spottschrift gegen ihn geschrieben hat. Dryden, der große Meister der englischen Sprache, war von geistiger Einseitigkeit ungewöhnlich frei und war so unfähig, in wichtigen geistigen Entscheidungen ausschließlich eine Partei der Kämpfenden mit der Übermacht seines Wortes zu unterstützen, daß ihm vielfach geistige Würdelosigkeit vorgeworfen wird. Er gehörte nicht zu jenen Dummköpfen, vor denen Emerson warnt, weil sie nie etwas hinzulernen und deshalb alle Tage dieselbe Meinung haben. Sein Gemüt war unendlich empfänglich; vielleicht nicht nur sein Gemüt. Er verstand es so sehr wie ein guter Rechtsanwalt, die schwierigsten und widersprechendsten Streitsachen zu verteidigen, daß man vielleicht von seiner Verletzung der »Konvenienz« sprechen muß. Für die gewaltigen Entscheidungen des englischen Glaubens und der englischen Staatsverfassung wurde schon zu seiner Zeit viel weniger mit dem Krückstock als mit den Waffen des Geistes gekämpft, und Dryden fand sich, in heute geradezu für unschicklich geltender Weise, bald auf dieser, bald auf jener Seite der Kämpfenden. Einmal schrieb er für Cromwell, dann schrieb er für den König; erst war er protestantisch, dann – cujus regio, eius religio – wurde er freiwillig katholisch; er strebte mit Macht nach den Gipfeln geistigen Lebens, und es gelang diesem Nachfolger und Nachdichter Shakespeares die geistvollste Anlehnung an die Erhabenheit französischer Vorbilder; aber dieser königliche Hofdichter hat auch das Volk von London mit Stücken ergötzt, die – weit anstößiger als die von Friedrich II. verachteten »Plattheiten« Shakespeares und Goethes – bereits die Schlüpfrigkeiten der von Friedrich II. bewunderten »Pucelle« vorwegnehmen und als Kaviar vor das Volk werfen, also zu einer Zeit, wo man in Preußen derartiges Zeug noch ausschließlich für den König und seine nächste Umgebung vorbehielt, um sich desto lauter über die Corruption des englischen Volkes entrüsten zu können.

»Dryden führte eine scharfe Feder und ließ sich bald vom Grafen Rochester beschützen, bald vom Herzoge von Buckingham; in dem ziemlich romantischen Kriege, den die beiden Lords gegeneinander führten, scheint Dryden wirklich einmal von einem Haufen der Rochesterleute durchgeprügelt worden zu sein. Jedenfalls findet sich in Graf Rochesters Nachahmung einer Satire des Juvenal die Frage:

Who'd be a wit in Dryden's cudgelled skin?
(Wen juckt es noch, Witzbold zu sein in Drydens
verprügeltem Fell?)

»Wenn das ein dreistes Schuldgeständnis des dichtenden Grafen war, dann hat er mit seinem Tode, der gleich darauf erfolgt ist, gebüßt. Er starb dreiunddreißigjährig als ein seelisch und körperlich vernichteter Mann, und was immer seine Schuld in dem Zwischenfalle mit Dryden gewesen sein mag, das Leben dieses Earls von Rochester hat genug Tragisches, Glänzendes, ja Herzgewinnendes, um fast wünschen zu machen, jedes Land, auch Deutschland, hätte manchmal solche Edelleute. In erstaunlicher Frühreife vollendete er seine Hochschulstudien fast als Kind, reiste drei Jahre lang in Frankreich und Italien und zeichnete sich 1655 als Achtzehnjähriger durch seine Tapferkeit in einer Seeschlacht gegen die Holländer aus. Dann wurde der Jugendliche königlicher Vertrauter am glänzenden Hofe Karls II., wo ihm seine Spottgedichte auf den König und auf die Geliebten des Königs fast jährlich einmal die königliche Ungnade eintrugen. Gerade das Vergehen, das Schubart zehn Jahre lang in den Kerker brachte, war die Lieblingsbeschäftigung dieses geistreichen Höflings. Er hat auch sehr gute Liebesgedichte gemacht. Einmal überfiel er den Wagen eines reiches Edelfräuleins, das ihm einen Korb gegeben hatte, und versuchte eine verwegene Entführung; der König sandte ihn in den Tower; das Edelfräulein besann sich und heiratete den Verwegenen. Aber besser noch als seine Liebesgedichte sind seine Spottgedichte auf seinen Freund, den König, auf die Schwäche und Undankbarkeit des Königs und auf den übergroßen Einfluß der königlichen Geliebten. Die Nachsicht, mit welcher der König diese Angriffe duldete, erregte den ernstlichen Unwillen der Royalisten; aber der König wollte den Freund nicht auf die Dauer entbehren und seine Ungnade fand stets ein rasches Ende. Doch das Leben eines Höflings befriedigte den geistreichen Grafen nicht, selbst nicht am geistreichen Hofe Karls II. Es steckt etwas von Bolingbroke und Byron in manchem dieser englischen Lords. In Deutschland scheint diese Rasse ausgestorben zu sein; vielleicht hat Ulrich von Hutten dazu gehört. Schubarts Herzog von Württemberg gehörte nicht zu ihr, und in Preußen war auch kein Platz für sie. Hätte es in Preußen ein öffentliches Leben gegeben, das strebsame Revolutionäre in Zucht nehmen konnte, dann hätte sich aus Friedrich II. vielleicht ein brauchbarer Lord ziehen lassen. Als einem nobeln Rebellen hätte ihm mancher dann vielleicht sogar das Durchprügeln eines wankelmütigen Schriftstellers verzeihen können. Bei einem Könige, und gar einem »aufgeklärten«, ist das unverzeihlich. Aber zum »Könige«, einem Geschäfte, für das er meines Erachtens keine Begabung hatte, wurde Friedrich nun einmal durch die Mängel der deutschen Staatsverfassung aufgebauscht. Mancher englische Lord, der sich seinem Staate weniger störend eingliederte, macht allzu bescheiden heute Anspruch auf Ebenbürtigkeit mit den »Königen« der Provinzen oder Kleinstaaten Deutschlands.


 << zurück weiter >>