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»Aber nicht nur die »hohen Personen« Deutschlands sind ungezogener oder haben vielleicht dickeres Blut als die normannisch-französischen Barone, sondern auch die deutschen Dichter scheinen durch etwas wie Bequemlichkeit gehemmt gewesen zu sein, die Fürsten und den Adel, den Gott ihnen gab, völlig zu würdigen. Schiller gab offen zu, vor der »Riesenarbeit der Idealisierung Friedrichs II.« zurückzuschrecken. Selbst Heines Dichterkraft versagte vor diesen »wahren Meisterstücken des lieben Gottes«, wie er sie nannte, und er vermochte nur andächtig zu versichern: »Diese Fürsten macht dem deutschen Volke keiner nach, kein Shakespeare und kein Raupach: da sehen wir den Finger Gottes.« So haben die Deutschen noch nicht einmal eine hinreichende dichterische Würdigung ihres großen Friedrich. Es sei denn, daß man Schubarts »Hymnus« für hinreichend hielte.
»Im Großen gesehen scheint mir Schubarts Los wie ein Sinnbild für die Haltung und das Geschick der deutschen Dichter. Schubart machte sich zwar schuldig, durch seine Schriften gekrönte Häupter »auf das Freventlichste angetastet« zu haben, wie es in seinem Haftbefehl lautete, aber nachdem er ohne Rechtsverfahren in den Kerker geworfen war, durfte er, nach nur einem Jahre engster Haft, Besucher empfangen, wie z.B. Schiller, der stark von Schubart beeinflußt ist. Auch durfte Schubart im Gefängnis für die Hofbühne seines Herzogs Karl Eugen dichten. Die Fürbitte von Fürsten und angesehenen Schriftstellern befreite zwar Schubart aus der Kerkerhaft ebensowenig wie die Verwendung der Heidelberger Universität; aber als Schubart seinen unvergänglichen »Hymnus« auf den Tod Friedrichs des Großen geschrieben hatte, wurde ihm auf Bitte des preußischen Staates die Befreiungzugesagt. Fünf Monate später wurde ihm diese Zusage aus dem Munde derselben morganatischen Herzogin, unter deren Augen er zehn Jahre vorher eingekerkert worden war, auch bestätigt. Es dauerte dann nur noch eine Woche und der Überglückliche wurde wirklich frei; er kehrte zur Residenz seines Peinigers zurück und beräucherte ihn, als Hofdichter, für den Rest seines Lebens mit dichterischem Weihrauch. Mit Recht! wenn's aufs »Durchhalten« ankäme, dann hätte dieser Herzog Karl Eugen sogar Friedrich den Großen überboten. Er hat nämlich nicht nur 46, sondern 56 Jahre lang geherrscht. Welch patriarchalischer Segen! welche Erleuchtung des Volkes! Seine Ausschweifungen, unendlich viel harmloser als die des kriegerischen Friedrich II., haben Schiller und viele andere Dichter mit schäumendem Tyrannenhasse erfüllt. Der von diesem Herzoge mißhandelte Schubart, der ihn dichterisch feierte, war nebenbei einer der angesehensten und leidenschaftlichsten Vorkämpfer deutscher Größe.«
Hegemann: »Spotten Sie etwa? Sie dürfen aber wirklich nicht andeuten, Friedrich der Große, mag er auch der Vormund des Herzogs Karl Eugen gewesen sein, könne ohne weiteres für Schubarts zehnjähriges Gefängnis verantwortlich gehalten werden.«
Manfred: »Friedrich II. hatte vorher mit der achtzehnjährigen Einkerkerung des angeblichen Liebhabers seiner Schwester das Beispiel für jede beliebige Willkür gegeben. Die Einzelheiten dieses friderizianischen Gefängnisses sind so widerlich, daß ich es immer für selbstverständlich ansah, es müsse sich hier um böswilligen Hintertreppenschwindel handeln, bis ich vor kurzem entdeckte, daß Bismarck unter den »Übertreibungen des Selbstvertrauens«, die man dem »Geist und Mut« Friedrichs II. zugute halten müsse, auch diese »Mißhandlung Trencks« aufzuzählen für nötig befindet.« {Verw. auf Anmerkung}
Hegemann: »Ich habe noch nie etwas davon gehört.«
Manfred: »Vielleicht hat Bismarck da unbesonnen und unstaatsmännisch geplaudert? Vielleicht handelt es sich nur darum, die Wahrheit zu verschweigen, und auch Friedrich II. wird schließlich, von allem Irdischen und Unterirdischen gereinigt, als »Großer« am preußischen Himmel leuchten können. Dann wird Mephistopheles wieder aus dem Souffleurloche auftauchen und wird dem Verfasser der dissertation sur la littérature allemande folgende Verse aus Schubarts »Hymnus: Friedrich der Große« einblasen:
Liebt euer Vaterland!
Sprecht eure Heldensprache stark und rein!
Macht durchs Geäffe weicher Auslandssitte
Erzne Knochen nicht zu Marzipan!
Diesen Befehl erteilt den gefügigen Berlinern ihr großer König, weil er selbst vorzog, »Ausländertöne nachzustammeln« (wie Klopstock es bezeichnete) und weil er nach eigenem Geständnis Deutsch »wie ein Kutscher« sprach; er erteilt diesen Befehl in Schubarts zuverlässigem Hymnus, und dieser Hymnus ist so zuverlässig, daß er von Koser selbst oder von jedem preußischen »Historiker« gedichtet sein könnte. Und weil dieser Hymnus zuverlässig ist, trifft auch zu, was darin Schubart der Herrschaft Friedrichs des Großen nachsagt:
Die Musen sonnten sich wieder in Friedrichs Strahl.
Er selber war noch immer ihr Liebling.
Wie aus der Urnacht Tiefe
Von Gott gerufen, Sonnen flockten;
So stiegen Weise und Künstler empor,
Und der Städte Fürstin ward Berlin.
»Es droht keinerlei Gefahr von dem Kammerherrn Goethe mit seinem Schlüssel; er mied und meidet Berlin. Es wird nicht wieder heißen: » Explosion. Faust liegt am Boden. Die Geister gehen in Dunst auf.«
»Nein, Schubart hat die Wahrheit genau getroffen, denn schon am 3. Oktober 1752 machte die »Lieblingsschwester« Wilhelmine als Augenzeugin eine ganz ähnliche Schilderung wie Schubart in seinem Gefängnis. Sie schrieb an ihren großen Bruder:
»»Du erholst Dich jetzt von den Mühen des Mars in den Armen der Musen, lauter Geliebten, die Dir ihre Gunst schenken und um die Deine buhlen. Du führst den Vorsitz unter ihnen wie der Sultan im Serail. Kaum ist das Taschentuch geworfen, so begeistern sie Dich mit ihrem himmlischen Feuer. Jede kommt der Reihe nach daran, Philosophie, Poesie, Musik. Die letztere wird Dir neue Opern eingeben. Warum schenken uns die andern nicht die Fortsetzung der ›Werke des Philosophen von Sanssouci‹, die den Vorzug vor allen Opern der Welt verdienen?«« (Deutsch von F. v. Oppeln-Bronikowski.)
Hegemann: »Sie dürfen nicht glauben, unser großer König werde dadurch lächerlich, daß Sie ihn für die Geschmacklosigkeiten seiner Schwester verantwortlich machen.«
Manfred: »Erschrecken Sie nicht, es handelt sich bei Wilhelminens Schilderung nicht um ein Bordell. Friedrich tat diesen »Geliebten« ebensowenig zuleide wie irgendwelchen anderen. Er schrieb, aus dem Lager von Kuttenberg am 10. Juni 1742, mit rührender Bescheidenheit:
J'étois né pour les arts, nourrisson des neuf sœurs.
Aber in weniger schwachen Stunden hat Friedrich der Große das »Sultan im Serail«-Gemälde seiner Schwester eigenhändigst noch überboten. An seinen Freund Jordan schrieb er aus dem Feldzuge:
»Ich bin im Begriff«, an den König von Frankreich zu schreiben, ein Solo zu komponieren, Verse an Voltaire zu dichten, die Reglements der Armee zu ändern und hundert andere Dinge dieser Art.« Die hier gegebene, im Schlußsätze fehlerhafte Übersetzung (vgl. das französische Original, oben S. 296) wurde gewählt, weil sie dem volkstümlichen und im Kupfertiefdruck verbreiteten Buche: »Friedrich der Große – Potsdam« von »Prof. Dr. Hans Kania« 1923 in besonders großem Druck motto-artig beigegeben ist. Sie ist dort durchaus nicht als Spott auf den großen König aufzufassen. Im Gegenteil ist sie ergänzt durch ein Bild der Flöte des Königs und durch die Sätze: »Friedrichs Kompositionen bestehen aus vier Flötenkonzerten und 121 Flötensonaten«, und »»Ich bin ein ›Dilettante‹ in jeder Beziehung« Friedrich an Voltaire den 1. Mai 1760.« Er hatte nicht nur neun, sondern hundert Musen im Stall, denen er sein »Taschentuch warf« und den reichlich genossenen Schnupftaback in die Augen streute.
»Können Sie da noch zweifeln, daß auch Friedrich der Große ein Herr war, »dem Nix und Nöck sich beugt«?