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»Expédiens frivoles« Vor und nach Roßbach

Manfred fuhr fort: »In seiner l'Histoire de mon temps spottet Friedrich weidlich über den Kurfürsten von Hannover, der die Franzosen 1743 hei Dettingen besiegte und sich nach der Schlacht nicht dagegen wehrte, als man ihm einen Lorbeerkranz an den Hut steckte. Friedrich II. hatte guten Grund, einen Sieg über die Franzosen zu verspotten; über diese selbe Schlacht von Dettingen grollte Rousseau in der Neuen Heloise: »Der französische Soldat ist so leichten Kaufs zu übermeistern, wenn er von Hofschranzen befehligt wird, die er verachtet, und das kommt so oft vor, daß man nur der Hofränke und der Gelegenheit warten darf, um das tapferste Volk des Festlandes zuverlässig zu besiegen«. Die Unfähigkeit der französischen »generaux timides et sans nerf« war oft die Zielscheibe friderizianischen Spottes. Immerhin war es nicht der Kurfürst von Hannover gewesen, der die Franzosen ins Land geholt hatte; warum ist also der Ruhm als Vorkämpfer der Deutschen, den Friedrich II. bei Roßbach durch das anderthalbstündige Gefecht gegen anerkannt unfähige Generale erwarb, besser als die von Friedrich verspotteten Lorbeeren des Kurfürsten von Hannover? Weil die »zahme Schlacht« bei Roßbach (so nannte sie Friedrich selbst) die Überlegenheit einheitlicher Heeresführung über die Zerfahrenheit zankender Generale, weil sie die Überlegenheit des preußischen Prügeldrills über die alte, mehr landsknechtmäßige Fechtweise in so lächerlicher Deutlichkeit vor Augen führte? Es war gar lustig, die Berichte anzuhören, wie die verblüfften Haufen der Reichsarmee und der Franzosen davongelaufen waren.

»Wie der Sieg von Roßbach zu verstehen ist, darüber hat uns Friedrichs II. »Lieblingsschwester« Wilhelmine in ihrem Briefe vom 11. September 1757, also schon kurz vor der Schlacht eindeutigen Aufschluß gegeben. Sie schilderte den Anmarsch der Reichsarmee (die dem neuen preußischen Prügel exercitium noch ebensowenig gewachsen war wie die Franzosen vor 1792) folgendermaßen:

»»Die zweite Kolonne der Reichsarmee hat uns ein recht lächerliches Schauspiel gewährt. Sie befand sich letzten Donnerstag (8. September) in den Defileen nach Koburg zu, als ein jüdischer Heereslieferant mit verhängten Zügeln angesprengt kommt und schreit: ›Die Preußen sind da! Die Preußen sind da!‹ Sofort schneiden die Bauern die Stränge der Pferde durch, spannen die Ochsen aus und retten sich auf die Berghöhen. Ein Teil der Truppen nimmt Reißaus, ein anderer zieht sich heulend auf eine Anhöhe zurück. Die Protestanten rotten sich zusammen und rufen: ›Es lebe der König von Preußen, unser Erlöser!‹ Schließlich hat man die Bauern mit Peitschenhieben gezwungen, die Wagen aus dem Hohlweg herauszuziehen. Man hat die Truppen wieder versammelt und sie bunt durcheinander wie eine Hammelherde auf Meiningen rücken lassen. Die Württemberger, die gleichfalls im Marsch waren, haben kehrtgemacht.«

»Ein paar Wochen später, bei Roßbach, übernahm dann Friedrich II. die Rolle des von Wilhelmine geschilderten »jüdischen Heereslieferanten«, und alle Welt lachte über den Spaß.«

Hegemann: »Wie ungerecht Sie sind! Die panische Flucht der Feinde war doch nur möglich, weil selbst ein Heereslieferant furchtbar wird, wenn man vor dem Geiste des großen Königs zittert.«

Manfred: »Sie meinen, die Preußen mit oder ohne »Geist des großen Königs« hätten nicht genau so gut verstanden, daß Ausreißen das Vernünftigste in derartig verrückten kabinettspolitischen Kriegen ist? Als Friedrich II. seinem wirklich hochverdienten General von Wobersnow geschrieben hatte, er sei »ein mediocrer General, der betrunken, die Armee nicht toller kommandieren könnte«, und als statt des abgesetzten, die Schlacht widerratenden Wobersnow der von Friedrich eigens ausgewählte »Dictator« von Wedell bei Kay am 23. Juli 1759 von den Russen jämmerlich geschlagen worden war, tröstete sich der »Geist des großen Königs« über seine Urteilslosigkeit mit dem Brief an Wedell: »mihr hat es geahnet, das Ding würde Schüf gehen …; die Leute wahren verblüft …; nur mehr nicht daran gedacht …; es ist Seine Schuldt nicht, das die Schurken So schendlich davon Laufen«. Und wie war es denn bei Kunersdorf oder selbst einem »Siege« wie Zorndorf? »Diese Schlacht haben wir nicht gewonnen, sondern erbettelt. Der Sieg ist unser gewesen, weil die Russen ihn nicht wollten«, sagte Friedrich zu de Catt. Er behielt ein gutes Gedächtnis dafür, daß selbst das geprügelte preußische Heer nicht alle königlichen Fehler mitzumachen fähig war. Als Capitän von Brinken aus dem Regiment Steinwehr um Beförderung bat, verweigerte sie der König mit den Worten: »Sein Regiment ist beständig vohr den Feindt gelaufen, und mus er nothwendig allerwegens mitgelaufen Seindt«. Auch die Invaliden des Regiments Syburg blieben von aller Versorgung ausgeschlossen. Der König entschied: »Bei Zorndorf hat das Regiment gelaufen das ich Sie erst den andern Tag zurücke gekrigt habe und bei Kunersdorf seindt Sie nicht acht Minuten ins Feuer geblieben«. Ähnlich ging es anderen Regimentern. Wenn noch lange nach dem Krieg um Invalidenunterstützung gebettelt wurde, lautete die Antwort des Königs: »Das Regiment hat den gantzen Krig geberenheitert (Bärenhaut!). Solche Leute Krigen nichts«. Daß viele andere auch nichts kriegten, muß »solcher Leute« Trost gewesen sein. Der Kgl. Historiograph Preuß (II, 374) beginnt seinen »Panegyrikus« auf Friedrichs Invalidenfürsorge mit den Worten: »Wir müssen es hier gleich von vorneherein bekennen, daß aus Friedrichs Armee, nach offizieller Angabe, im Jahre 1779 noch 3443 unversorgte Invalide vorhanden waren«. Nach offizieller Angabe und sechzehn Jahre nach Beginn des »Neuen Palais«!

»Wenn also die Preußen trotz dieser guten Behandlung und trotz der ihnen stets drohenden preußischen Spießruten und in unmittelbarster Gegenwart ihres »großen Königs« »nicht acht Minuten ins Feuer zu bleiben« verstanden, war es sicher ein besonderer Spaß für ganz Deutschland, auch die ungeprügelten Franzosen unter einem neuen Verlegenheitsfeldherrn wie Soubise (der »mediocer«, aber nicht »betrunken« war) nach anderthalb Stunden einmal »schendlich davon laufen« zu sehen. Wer aus derartigen Siegen oder Niederlagen Kummer oder Stolz saugt, kommt mir ebenso vernünftig vor wie der Würfelspieler, der sich für ein Genie hält, weil er drei Sechsen geworfen hat. Mir scheint, wer etwas Lachhaftes sucht, kann nichts lächerlicheres finden als die preußische Prügel- Disziplin, die auch den Generalen in die Knochen gefahren ist. Dank dieser Disziplin vermochte bei Maxen der preußische General Fink (»von dem Friedrich gesagt, daß er ein zweyter Turenne werden würde«) dem ihm untergebenen General Wunsch auf Verlangen der Österreicher den Befehl zur Rückkehr in – österreichische Gefangenschaft zu geben. Und der preußische General Wunsch, der sich mit 1800 Reitern ins Freie gerettet hatte, kam pflichtschuldig zurück und streckte die Waffen. Ist das nicht noch lustiger als Roßbach? Aber Roßbach ist bekannter geworden.

»Über Roßbach lachte man besonders in den Straßen von Paris, wo die Partei der Frommen das Volk gegen Ludwig XV. und Frau von Pompadour aufhetzte, und wo Friedrich II. nach der Schlacht von Roßbach als Alexander gefeiert und »der Große« genannt wurde. Man feierte Friedrich erst recht in London als den »Großen«, denn er hatte sich den Engländern wirklich sehr nützlich gemacht. Und Deutschland feierte mit! Man lachte über die Schlacht bei Roßbach, wie man später über den Schuster von Köpenick gelacht hat, und für diesen Scherz waren die in Bedrängnis geduldigen Deutschen auch dann noch zum Dank bereit, als Friedrich II. längst wieder Verbindung mit den Franzosen angeknüpft und sein altes Bündnis gegen Deutschland zu erneuern versucht hatte. Die Deutschen, aber nicht alle, lachten sogar auch dann noch dankbar weiter, als Friedrich, der große Befreier Deutschlands, bereits in gerechter Entrüstung und, wie er sich ausdrückte, »zur Vergeltung der grauenhaften, von den Franzosen verübten Plünderungen« seinem Bruder Henri und Marschall Keith am 22. und 23. Januar 1758 Erlaubnis gegeben hatte, künftig plündern zu lassen, zwar nicht in Frankreich, aber wenigstens in Sachsen. Goethe erzählt in »Dichtung und Wahrheit« von der unfritzischen Gesinnung der Sachsen, und diese unseligen Sachsen hatten Gründe. Der greise Prinz Eugen hatte 1734 Gelegenheit gefunden, sich über die schamlosen Ausschreitungen zu erregen, die sich die preußischen Truppen unter den Augen ihres Kronprinzen in deutschem Freundesland zuschulden kommen ließen. 1758 behandelten die Preußen Sachsen als Feindesland, und kein Prinz Eugen vermochte sie vor den vom Preußenkönige genehmigten Plünderungen zu schützen.«

Hegemann: »Was Goethe nach seinem Leipziger Aufenthalt über das »Erkalten« seiner Verehrung für Friedrich den Großen berichtet, scheint mir sehr bedenklich. Ich glaube man müßte untersuchen, ob er nicht das Opfer übertriebener sächsischer Schilderungen von preußischen Kriegsgreueln geworden ist.«

Manfred: »Berichte über Kriegsgreuel sind immer mit Vorsicht aufzunehmen, vor allem deswegen, weil leider immer etwas Wahres daran ist. Die Wahrscheinlichkeit wächst, wenn die schmählichen Berichte nicht von der mißhandelten, sondern von der mißhandelnden Partei stammen. Wenn gar ein Mitkämpfer wie der preußische Hauptmann von Archenholtz in seiner in Preußen klassischen »Geschichte des Siebenjährigen Krieges« die Leiden der Sachsen schildert und ausdrücklich hinzufügt, daß er Augenzeuge war, dann werden die Verehrer friderizianischer »Humanität« nur schwer glaubhaft machen, es sei zu viel statt zu wenig gesagt worden. Archenholtz berichtet über das Schicksal der Stadt Leipzig während der preußischen Besetzung 1760-61 unter anderem folgendes:

»»Die Stadt Leipzig mußte für ihre Vaterlandsliebe hart büßen. Die Einwohner hatten gewünscht, die Reichs-Truppen als Bundesgenossen ihres Königs in ihren Mauern zu behalten, und diesen Wunsch laut geäußert. Man wollte sie dafür bestrafen …; Ungeheure Geldsummen sollten bezahlt und unermeßliche Lieferungen an Landeserzeugnissen gereicht werden. Der Magistrat …; berief sich auch auf die schriftlichen Versprechungen des Königs, die diesen Lieferungen ein Ziel setzten, welches man jetzt überschreiten wollte. Dies Ziel war eine Geldsteuer von 500 000 Reichsthalern gewesen, die man abgetragen hatte. Die Vorstellungen aber halfen nichts; und da man fortfuhr, sich zu sträuben, wurden gewaltsame Mittel gebraucht …; Die vornehmsten obrigkeitlichen Personen und die reichsten Kaufleute wurden ins Gefängnis geworfen und wie Missethäter behandelt. Man sperrte sie aufeinander gehäuft in Behältnisse ein, wo sie auf dem Stroh lagen. Die gemeinsten Bequemlichkeiten fehlten hier. Keine Betten, keine Stühle, keine warmen Speisen wurden ihnen erlaubt. Anfangs hatten hundert und zwanzig dies Schicksal. Es dauerte aber nur zehn Tage, sodann ließ man sie los, bis auf siebzehn der Vornehmsten, die vier Monat lang im Kerker aushalten mußten …; Sie lebten in gezwungener großer Unreinlichkeit, und hatten lange Bärte wie die Juden. ›Nun, ihr Hunde! wollt ihr bezahlen?‹ war der gewöhnliche Morgengruß des Steuermeisters, der seine besonderen Vorteile bey dieser grausamen Behandlung fand.« Verehrer Friedrichs II., wie Delbrück und Lehmann, schwören darauf, daß ihr großer König Sachsen erobern wollte. Auch die Gelehrten, die das bezweifeln, werden zugeben müssen, daß Friedrich II. in Sachsen wenigstens »moralische Eroberungen« machte. Archenholtz stand bei der Mißhandlung der Leipziger mit seiner sittlichen Entrüstung vielleicht mehr auf Seite der männlichen Preußen als der unmännlichen, mitten im Frieden überfallenen Leipziger. Wenigstens schreibt er weiter:

»»Personen, die des größten Wohlstandes gewohnt waren, mußten sich mit den gröbsten Nahrungsmitteln begnügen, ihre durch die Üppigkeit des Zeitalters verzärtelten Leiben auf der harten Erde herumwälzen, und einen heimlich zugestreckten Suppentopf als eine Beute betrachten.«

»Wenn Archenholtz derart berichtet, wie wenig »die schriftlichen Versprechen des Königs« Friedrich II. wert waren und welche Behandlung seine eigenen Landsleute einer überfallenen neutralen Stadt angedeihen ließen, dann darf man sich nicht wundern, daß auch über das Verhalten der feindlichen Österreicher oder gar Franzosen und Russen grauenhafte Berichte umliefen, an denen sicher nur allzuviel Wahres war. Was ist denn Krieg anders als Erziehung zur Bestialität? Umso überraschender wirkt dann, wenn man bei Archenholtz Zugeständnisse findet wie Folgendes über die Erstürmung des preußischen Schweidnitz (1761) durch den österreichischen General Loudon. Archenholtz schreibt:

»»Loudon hatte in einer förmlichen Anrede seinen Truppen die Plünderung der Stadt untersagt, und ihnen dafür eine Belohnung von 100 000 Gulden versprochen. Die Walonischen Grenadiere erwiderten durch einmütigen Zuruf: ›Führen Sie uns nur an, Ruhm zu erwerben. Wir wollen kein Geld!‹ …; Nach dreistündigem Sturm …; war die Festung erobert …; ohne eine vorhergegangene Belagerung …; Die versprochenen 100 000 Gulden statt der Beute waren Ursache, daß der Unordnung zum Teil gesteuert wurde. Die Plünderung dauerte vier Stunden …; bis die menschenfreundlichen Bemühungen des Fürsten von Lichtenstein und des Grafen von Kinsky, die endlich mit Reiterei in die Stadt drangen, dem Unwesen mit Nachdruck ein Ende machten. An diesen Ausschweifungen nahmen jedoch die russischen Grenadiere keinen Anteil. Diese Krieger gaben hier ein ebenso unerwartetes als ruhmwürdiges Beispiel; sie setzten sich auf den erstiegenen Wällen ruhig nieder, und ein jeder blieb bei seinem Gewehr.« So berichtet Archenholtz. Da der Siebenjährige Krieg aber ein »Ruhmesblatt« in der preußischen, nicht in der russischen Geschichte sein soll, muß man das Verhalten der unter endloser Weiberherrschaft vertierten Russen wohl als Nachahmung »preußischer Manneszucht« bezeichnen?

»Auch von dem Wüten der Franzosen gibt Archenholtz grauenhafte Berichte, die wahrscheinlich nur zu viel Wahres enthalten. Um so überraschender wirkt es dann wieder, wenn er von der französischen Besetzung Bremens durch die Franzosen schreibt: »Der Marquis von Armentières milderte der Stadt durch sein edelmütiges Betragen und gute Manneszucht das Unangenehme ihrer Lage sehr.« Ähnlich berichtet W. L. Manger in seiner »Baugeschichte von Potsdam« (Berlin, 1789; I. 248): »Potsdam ward ebenfalls vom 11. bis 14. Oktober 1760 mit österreichischen Truppen unter Befehl des Generals Esterhazy besetzt; hier aber nichts weder im Schlosse in der Stadt noch zu Sans Souci geplündert oder beschädigt.«

»Man sieht daraus, daß sogar noch in der zweiten Hälfte des furchtbaren Siebenjährigen Krieges Großmut und Manneszucht möglich waren. Umso grauenhafter wirken die Berichte über das Wüten Friedrichs des Großen, der die drei Schlesischen Kriege vom Zaun gebrochen und den seine Bewunderer, im Vertrauen auf seine häufig geäußerten, unverbindlichen Redensarten, als einen Vorkämpfer der »Humanität« feiern möchten. Sie können sich denken, daß die Berichte, die von Nichtpreußen über Friedrichs »Humanität« gemacht wurden, womöglich noch ungünstiger ausfielen, als die ich Ihnen von dem preußischen Major Archenholtz vorlas. Ich werde Ihnen Proben geben.

»1757 wollte der führende englische Staatsmann Pitt ein Bündnis zwischen Sachsen und Preußen vermitteln, aber Friedrich verwarf den Gedanken. Friedrich hat sich die Erlaubnis zum Durchzug durch sächsisches Gebiet vom König von Sachsen erzwungen, und er erklärte, der Freund des Königs von Sachsen und seines Landes zu sein. Der Racheakt am Grafen Brühl, dessen Schloß Friedrich unter seinen Augen plündern und verwüsten ließ, ist bekannt. Als Friedrich 1760 glaubte, Dresden in zwei bis drei Tagen zurückerobern zu können, erreichte er nichts als die Einäscherung eines großen Teils der Stadt. Angesichts dieser furchtbaren Verwüstung entschuldigte er sich, er habe seiner Artillerie ausdrücklichen Befehl gegeben, nur auf die Wälle zu schießen; die Stadt sei durch Nichtbefolgung seiner Befehle in Brand gesteckt worden. Den Turm der Kreuzkirche habe er nur deswegen zusammenschießen lassen, weil die Verteidiger auf ihm Kanonen aufgestellt hatten. Als ihm geantwortet wurde, daß auf dem Turme höchstens so kleine Kanonen hätten Platz finden können, als nicht einmal über die eigenen Verteidigungslinien hinaus wirksam gewesen wären, erklärte Friedrich, der Turm sei zum Abgeben von Signalen benutzt worden. Der französische Graf Maranville gab als Augenzeuge an Marschall Belleisle (den Vorkämpfer für ein französisch-preußisches Bündnis in Paris) folgende Erklärung der furchtbaren Verwüstung Dresdens durch König Friedrich: »22. Juli 1760. Als die Ankunft der kaiserlichen Armee Dresden-Neustadt rettete, beschloß der König von Preußen, die Altstadt zu verbrennen, weil er merkte, daß er keine Hoffnung mehr hatte, sie zu erobern.« Am 21. Juli schrieb Maranville: »Durch glühende Kugeln und Brandgranaten ist die Altstadt beinahe zerstört; gestern hat der König nach der Plünderung der Friedrichstadt auch diese mit Fackeln in Brand stecken lassen. Diese Taten bestätigen, was man schon lange von der schwarzen Seele dieses Fürsten gesagt hat. Derartiges Vorgehen ist unvereinbar mit den Grundsätzen des Krieges oder der Menschlichkeit.« Am 3. August schrieb Maranville: »König von Preußen hat vor seinem Abzug Befehl gegeben, alle Bäume in den Alleen des großen königlichen Gartens abzuhauen und so eine der schönsten Promenaden Europas zu zerstören. Zum Beginn des Krieges war eine Anzahl schöner Marmorbilder von hohem Wert in den Pavillons unter Dach gebracht worden. Sie sind herausgeholt und in Stücke geschlagen worden, ebenso wurden die schönen Spaliere und sogar die Orangerie zerschlagen. Ich würde solche Niederträchtigkeiten nicht geglaubt haben, wenn ich sie nicht mit meinen eigenen Augen gesehen hätte.«

»Friedrichs II. unverantwortliches Verhalten erschreckte schließlich selbst einen so bedingungslosen Verehrer des Königs, wie es der englische Gesandte Mitchell war, dessen Meldungen nach London bedenkliche Zugeständnisse enthalten. Am 3. Januar 1761 schrieb Mitchell nach London: »Privat und höchst geheim: Die sehr harte Art, mit der Sachsen behandelt wird, erfüllt mich mit Grauen, obgleich heute der verhängnisvolle Vorwand der Notwendigkeit für diese Maßregeln gebraucht wird, die schon angewandt wurden, bevor diese Notwendigkeit da war.« Am 7. Januar schrieb Mitchell aus Leipzig: »Ich höre, daß der König von Preußen von der Stadt zwei Millionen Kronen fordert, eine Summe, die ihre Leistungsfähigkeit weit überschreitet, weil viele der reichsten Kaufleute geflohen sind; vorgestern wurden fünfzig oder sechzig Kaufleute verhaftet …; Diese Sache wird großen Lärm in ganz Europa machen, denn die Kaufleute wurden vier Tage nach der Eröffnung der Messe verhaftet, obgleich ihnen eine feierliche Erklärung für ihren Schutz und für die Sicherheit der Messe gegeben worden war.« Am 16. Januar 1761 schrieb Mitchell aus Leipzig: »Die Kontributionen aller Art, die Sachsen von den Preußen auferlegt werden, sind ganz ungeheuerlich und überschreiten weit die Leistungsfähigkeit des Landes; viele sächsische Untertanen sind jetzt das Opfer militärischer Vollstreckungen, ebenso vernichtend für das Land wie für die preußischen Offiziere, die die Vollstreckungen vollziehen, und die aufhören, Soldaten zu sein, sobald sie einmal die Annehmlichkeit des Plünderns genossen haben.« Am 5. Februar 1761 schrieb Mitchell aus Leipzig: »Bei der geplanten und absichtlichen Plünderung des königlich-sächsischen Jagdschlosses Hubertusburg auf Befehl des Königs von Preußen haben sich Dinge von solcher Gemeinheit begeben, daß ich mich wirklich schäme, sie zu erzählen, aber sie sind zu öffentlich, als daß sie verborgen bleiben könnten. Ich überlasse es den Federn der vergewaltigten Sachsen, sie zu schildern. Diejenigen unter Friedrichs Offizieren, die Ehre im Leibe haben, betrauern im geheimen, was geschehen ist und was sich noch begeben kann …; Als ich dem König eine Anspielung auf diese Dinge machte, wurde er zuerst rot, dann ging er auf die Sache ein. Aber es wird keine Wirkung haben, denn Wildheit hat seinen Geist und Grausamkeit sein Herz gepackt.«

»Alle diese Dinge hinderten den König nicht, immer aufs neue seinem Vorleser de Catt gegenüber zwischen dem Vorlesen und Dichten französischer Verse erschüttert Bemerkungen über die Grausamkeit des Krieges zu machen wie: »Ein schöner Ruhm! diese Städte in Asche, verbrannte Dörfer und unglücklich gemachte Einwohner. Reden wir nicht mehr davon. Die Haare stehen mir zu Berge«. Aber diese sittliche Entrüstung des Königs vermochte ihn nicht, auch in seiner nächsten Umgebung den Plünderungen seiner Soldaten Einhalt zu tun. Immer wieder finden sich in dem kurz abgerissenen, immer gleich nach den Ereignissen geschriebenen »Tagebuch« de Catts Bemerkungen wie: »Man plünderte alles; mein Haus wurde ausgeleert; ich rettete es für anderthalb Stunden vor der Plünderung. Ich ließ einen Mann aus dem Obergeschoß werfen; vergebens, das Haus hatte dasselbe Schicksal wie die anderen«; oder am 4. August 1758: »Man plündert; Aufseher und Knecht. Die Offiziere hindern niemand.«

»Finden Sie nicht, daß eine eigentümliche Übereinstimmung besteht zwischen den vier Berichten, des preußischen Majors Archenholtz, des Großdeutschen Goethe, des Engländers Mitchell und des Franzosen Es ist begreiflich, daß während des Weltkrieges diese alten französischen und englischen Berichte über die Menschlichkeit des beliebtesten deutschen Königs in Frankreich und England als angebliche Beweise für die Berechtigung schwerster Beschuldigungen deutscher Ehre hervorgeholt wurden. Näheres findet sich zum Beispiel in De Frédéric II à Guillaume II. von A. Chuquet (Paris, 1915,) und (zusammenfassend!) in The Life of Frederick the Great von Norwood Young (London 1919). Jede Nation, so hieß es, hat ihre Wüteriche; den Deutschen bleibt es vorbehalten, die »Humanität« eines derartigen Helden zu feiern. Nachdem die Tage der Kriegspropaganda glücklicherweise vorüber sind, ist es jetzt vielleicht an der Zeit, diese ausländischen Behauptungen in Ruhe zu prüfen.. Wollen Sie auch noch einen Sachsen hören? Sind Ihnen die Briefe bekannt, die der geistreiche Rabener über das In-Brand-Schießen Dresdens an Gellert und andere schrieb? einer wurde damals bekannt und erregte in ganz Deutschland Aufsehen?

»Rabener hatte in Vorahnung der Brandschatzung seine Habe und seine Manuskripte in zwei getrennt liegenden Häusern untergebracht. Beide wurden verbrannt. An Gellert schrieb Rabener am 9. August 1760: »Auf die Wälle ist wenig geschossen worden, und wer sagt, daß das Feuer eine solche Verwüstung in der Residenz angerichtet und daß auf die Kreuzkirche um deswillen Bomben geworfen worden, weil von dasigem Thurme auf die Belagerer wäre geschossen worden, der spottet noch unseres Elends auf eine grausame Art.« Einem anderen Freund gab Rabener eine eingehende Schilderung der Brandschatzung, die ihm und vielen anderen alles geraubt hat, die aber von vielen mit Würde getragen wurde: »In einem Winkel saßen einige politische Kannengießer und machten für Daunen einen Operationsplan, wurden aber sehr uneinig, weil sie sich über den kleinen Nebenumstand nicht vergleichen konnten, ob sie den König von Preußen mit seiner Armee wollten zu Kriegsgefangenen machen, oder nicht lieber alles über die Klinge springen lassen. Ich war fürs letztere, aber ich ward überstimmt. Eine Priesterwittwe kriegte mich immer auf die Seite und zischelte mir ins Ohr: ›Wir sollten Gott danken! nur der lieben Religion wegen schösse uns der König von Preußen todt und unsre Häuser in Grund –‹ Aber zum Henker, Madame, was haben meine Perucken mit der Religion zu tun? (denn kurz vorher hatte ich erfahren, daß eine dreyßigpfündige Granade meinen ganzen Apparatum von Perucken zerschmettert habe.) ›Lassen Sie es gut sein,‹ antwortete sie mir, ›es wird sich schon geben, danken Sie Gott dafür! –‹ Die verwünschte fromme Frau hat mich grausam gepeinigt.«

»Sie verstehen, was ich Ihnen da vorlese, ist keine Übersetzung, wie es alles erträgliche Deutsch ist, das einem von Friedrich II. unter die Augen kommt. Nein, Sie haben hier grammatisch und orthographisch gutes Deutsch von einem Mann, der nur zwei Jahre jünger war als Friedrich II. Aber diese Schlingel von preußischen »Historikern« behaupten, der »literarisch hochgebildete« Friedrich war nicht jung oder klug genug, um seine Muttersprache zu erlernen.

»Als Rabener vom Marquis d'Argens mitgeteilt bekam, Friedrich wolle ihn kennenlernen, antwortete Rabener in einem ganz reizenden französischen Brief und stellte die Bedingung, daß es ein Deutscher sein müsse, der ihn dem Könige vorstelle und daß die Unterhaltung in deutscher Sprache geführt werden müsse. »Muß es denn eben ein Franzose seyn, der mitten in Deutschland einen deutschen Autor mit einem deutschen Könige bekannt macht?«, so schrieb Rabener an Gellert. Warum konnte der preußische Friedrich II. nicht ebensoviel Sinn für Würde haben wie der gleichaltrige Sachse Rabener?

»Während die Deutschen Friedrich als Retter von den Franzosen feierten, hatte der große König keinen sehnlicheren Wunsch, als in das französische Bündnis zurückkehren zu dürfen. Gleich nach seinem sogenannten »Siege« von Lobositz hatte er heimlich wieder mit den Franzosen anzuknüpfen versucht und hatte zur Zeit der Schlacht von Roßbach drei oder vier »Eisen im Feuer«, so nannte er selbst die Friedens- und Bündnisvorschläge, die er hinter dem Rücken seiner englischen Bundesgenossen den Franzosen machte. Und er glaubte sich des Erfolges dabei so gewiß! Hatte er doch sechs Wochen vor Roßbach dem französischen Oberbefehlshaber Richelieu den schmeichelhaften Brief geschrieben, in dem er sich auf die »sechzehnjährige Bundesgenossenschaft zwischen Preußen und Frankreich« berief und versicherte: »ich vertraue meine Interessen dem Könige, Ihrem Herren, lieber als irgend einem anderen an«. Dem Könige von Frankreich »lieber als irgend einem anderen«, so steht in der Reinschrift; im heute noch vorhandenen Entwurfe des Briefes schrieb Friedrich: lieber als den Mächten »qui sont ennemies de la Prusse par état«, was eine andere Form ist, das zu sagen, was Friedrich II. sein Leben lang wiederholt hat, daß nämlich Frankreich und jeder andere Reichsfeind im Kampfe gegen Deutschland auf die preußische Bundesgenossenschaft zählen kann und auf die preußische Bundesgenossenschaft angewiesen ist, und daß deshalb Preußen immer auf Bundesgenossen, immer auf Wiedergeburt, immer auf Größe sicher wird rechnen können. Sicher wenigstens so lange, als Deutschland noch so mächtig ist, daß es sich für seine Feinde lohnt, es durch die Bestechung treuloser Deutscher und des treulosesten Preußen in Schach zu halten. Unter »ennemie de la Prusse par état«, also »berufsmäßigen Feinden Preußens«, versteht Friedrich recht eigentlich jeden, der für deutsche Einheit und Macht zu kämpfen wagt. Diesen Abgrund preußischer Staatsweisheit hat Friedrich II. mit besonders behaglicher Ausführlichkeit in seinem Testament von 1752 abgeleuchtet.

»Es gibt allerdings Bewunderer Friedrichs II., die im Friedensangebot an Richelieu einen Geniestreich friderizianischer Staats- und Kriegskunst sehen wollen, weil der so zur Friedensverhandlung aufgeforderte Richelieu hingehalten und verhindert wurde, rechtzeitig zu Soubise zu stoßen, und weil so der Sieg von Roßbach möglich wurde. Das mag sein: aber damit wäre dann ja erwiesen, daß Friedrichs II. grenzenloses Vertrauen auf seine Unentbehrlichkeit als Bundesgenosse der Franzosen berechtigt war, daß die Franzosen ebensowenig bereit waren wie später die Russen nach der Schlacht von Kunersdorf, diesen stets zum Kampf gegen das Deutsche Reich bereiten König von Preußen zu opfern, und daß in der Tat alles das, was Friedrich selbst seine »expédiens frivoles« vor der Schlacht von Roßbach nennt, und was die meisten Bewunderer Friedrichs zu gerührter Teilnahme bewegt, in der Tat sehr »frivol« war. Wenn Sie Humor in der Weltgeschichte suchen: kann es etwas Lächerlicheres geben als Friedrichs nur zu berechtigtes, heldenhaftes Vertrauen auf den französischen König?, etwas Lächerlicheres als Friedrichs »expédiens frivoles« vor der Schlacht von Roßbach?«

Weder Herr Thomas Mann noch ich konnten sich im Augenblick entsinnen, worum es sich bei diesen »expédiens frivoles« handele. Manfred gab uns nähere Auskunft:

» »Expédiens frivoles« ist das Wort, mit dem Friedrichs Histoire de mon temps seine Machenschaften – darf ich so sagen, oder klänge es deutscher, das heißt also höflicher, wenn ich von intrigues spräche? – vor seinem einzigen Siege über die Franzosen abtun möchte. Dies Wort gehört zu den Witzen, die Schillers Urteil über dieses Buch Friedrichs II. berechtigt erscheinen lassen. »Die Voltairesche Manier …; mit einem witzigen Einfall über erhebliche Details hinwegzuglitschen, ist nicht das Nachahmungswürdigste im historischen Stil …; Die Kaprizen, die den großen Friedrich in seinem handelnden Leben regiert haben, haben auch seine Feder redlich geleitet«; so schrieb Schiller 1788 an Körner. Ich glaube, Schiller beeinträchtigt unnötigerweise die Ursprünglichkeit des großen Preußenkönigs, wenn er seine glitschende Manier voltaireisch nennt; Voltaire, der wenig in der ausübenden Politik gestanden hatte, durfte als Geschichtsschreiber mit seinen Witzen eher unterstreichen statt wie Friedrich II. drüberweg zu glitschen. Aber weit mehr als Schiller mißverstehen die preußischen Geschichtsschreiber ihren Helden, wenn sie die friderizianischen expédiens frivoles tragisch auffassen und mit Ergriffenheit statt mit einem witzigen Einfall darüber ›hinwegglitschen‹ möchten.«

Hegemann: »Der trockene Witz des Königs wird doch oft gerühmt«.

Manfred: »Aber seine feuchteren Reineke-Possen werden vielfach noch mit falscher Würde, mit Pathos ausstaffiert. Nehmen Sie hier den allwissenden Lieb-Koser (II, 120), wie er die › expédiens frivoles‹ Friedrichs verzerrt.«

Manfred griff nach Kosers »König Friedrich der Große«; er hatte wie gewöhnlich die gesuchte Stelle zur Hand und las vor: »›Tief erregt durch das schmerzvolle Schwelgen in seinen dunklen Phantasien ließ Friedrich eines Abends – es war am 22. September – noch in später Stunde seinen Vorleser, den Abbé de Prades, rufen: »Ich will Ihnen meine neuesten Verse zeigen, vielleicht die letzten, die ich in meinem Leben gemacht habe«. Der Abbé las, bald entriß ihm der Verfasser das Gedicht, trug es mit Leidenschaft vor und netzte das Blatt mit seinen Tränen‹. Hätte man einen eiteln Winkelschreiber, der seine Verse an den Mann bringen muß, treffender schildern können, als Koser hier seinen großen König schildert? Koser fährt ergriffen fort: ›Zu keiner Zeit hat Friedrich so viel Verse auf das Papier geworfen wie in diesen schweren Sommer- und Herbstmonden von 1757‹.«

Ich war etwas ungehalten, als ich Manfred entgegnete: »Ich kann Ihnen nicht folgen, wenn Sie die Qual des Königs in seiner höchsten Not lächerlich finden. Koser spricht von der Zeit gleich nach Friedrichs Verlusten von Kollin, Hastenbeck und Mays, nach der Einnahme Berlins und der Niederlage von Großjägerndorf und nach dem Vertrag von Kloster Zeven, durch den er den mächtigen englischen Bundesgenossen zu verlieren fürchtete.«

Manfred: »Ich weiß, ich weiß; es ist die Zeit vor den Siegen von Roßbach, Leuthen und Zorndorf; und bei Hochkirch, Kunersdorf, Maxen und Landshut verlor er dann wieder. Die Preußen haben,trotz ihres seltsam überlegenen, neuen Exercitiums, unter Friedrich II. etwa ebenso viele Schlachten verloren, als sie gewannen; es ist eine alte und meist eingehaltene Übereinkunft, daß bei Schlachten immer einer der beiden Gegner gewinnt; der wird dann Sieger genannt. Gerade bei Friedrich II. ist es scherzhaft, wie er verschiedentlich das Schlachtfeld verließ, um sich in Sicherheit zu bringen und um erst nachträglich zu erfahren, daß er die Schlacht ›gewonnen‹ habe. In dieser Hinsicht wenigstens unterscheiden sich Feldschlachten vom Würfel- oder Börsenspiel; auch kenne ich persönlich Herren, die dabei mehr als 50 vom Hundert Siege zu verzeichnen gewohnt sind, und die nicht weinen und von Selbstmord reden, wenn sie weniger erzielen; und doch sind ihre Einsätze oft größer als der wirtschaftliche Wert des friderizianischen Preußens. Auch Voltaire, dessen geschäftliche Fähigkeiten Friedrich II. in der Einleitung zur Henriade rühmt, wäre kein so reicher Mann geworden, wenn er im Börsenspiel so unaufmerksam gearbeitet hätte wie Friedrich II. in seinen blutigen Unternehmungen.«

Dieser Vergleich großer nationaler Kämpfe mit Glücks- oder Börsenspiel schien mir unschicklich. Manfred antwortete mir: »Ich würde diesen Vergleich auch vermeiden, wenn nicht Friedrich II. selbst ihn öfters gewählt hätte. Beim Ausmarsch in den Ersten Schlesischen Krieg sagte er zum französischen Gesandten: ›Melden Sie Ihrem Herrn, daß ich sein Spiel spielen und, wenn ich gute Karten kriege, den Gewinn mit ihm teilen werde‹. Nach seinem Siege von Friedberg schrieb er an Ludwig XV.: ›Ich habe den Wechselbrief eingelöst, den Sie bei Fontenoy auf mich gezogen haben‹. Sie sehen, Friedrich II. schreckt vor dem Spiel und der Sprache der Börse nicht zurück. Wenn er nicht öfter gewann in seinen unvorsichtigen Spekulationen – ja, was soll man erwarten von einem Feldherrn, der manchmal auch für die wichtigsten Angelegenheiten nicht gestört werden durfte, weil er täglich – wenn seine Flöte nicht durchs preußische Feldlager hallte – stundenlang Verse machen und vorlesen mußte. Es war wie eine Kolik bei ihm. Erinnern Sie sich der Einzelheiten darüber im Tagebuch seines Vorlesers de Catt?, oder kennen Sie die Notiz, die die Zarin Katherina in ihre Ausgabe von Deninas Essai über Friedrich den Großen schrieb, an der Stelle, wo Denina von den ›Elegieen‹ spricht, die der König während des Krieges gedichtet hat?

»Die Zarin hatte vorher den Besuch des Prince Henri empfangen, mit dem Friedrich II. den Einfluß des deutschen Kaisers in St. Petersburg zu bekämpfen versuchte. Die Zarin schrieb dann folgende Anmerkung in ihren Denina: › Prince Henri behauptete, daß sein Königlicher Bruder immer solche Verse vorbereitete und in schwierigen Lagen aus der Tasche zog, damit man darüber erstaunen möge, wie er sich doch immer noch genug Geistesgegenwart bewahrt habe, ergötzliche Dichtungen zu verfassen‹. Ähnlich sagte Bismarck, dem Derartiges wenig behagte: ›Friedrich II. versandte Gedichte aus dem Felde mit der Unterschrift: » Pas trop mal pour la veille d'une grande bataille«.‹ Die Mitteilung Prinz Henris, die Auffassung Bismarcks und Friedrichs Briefwechsel zum Beispiel mit Jordan bestätigen überraschend die abenteuerlichen Schilderungen, die sich in de Catts Kriegstagebuch über die Beschäftigung Friedrichs II. zwischen zwei Schlachten finden.

»Reizend ist die Art, wie Voltaire die Selbstmorddrohungen aufnimmt, die Friedrich in Versen und Prosa an Argens und an Schwester Wilhelmine, mit Bitte um Weitergabe an Voltaire, gesandt hatte. Das Verhältnis zwischen Voltaire und ›seinem Vasallen Friedrich II.‹ – ich benutze den Goetheschen Ausdruck, um den Gedanken etwas zuzuspitzen – war ja damals nach der Frankfurter Mißhandlung Voltaires noch sehr getrübt. Aber Voltaire mochte dem ›beifallsbedürftigen‹ König – so hat Bismarck Friedrich den Großen genannt – sogar die Verwirklichung der schönen Selbstmordgebärde zutrauen. Voltaire sagte: › l'anecdote est curieuse‹ – aber er scheint doch verstanden zu haben, daß die friderizianische Selbstmorddrohung vor allem für die französische Galerie gedacht war, und er gab sie treulich weiter an Richelieu, Tencin, Argental, Choiseul und andere, für die sie bestimmt war. Der französische Oberbefehlshaber Richelieu hat den Brief Voltaires mit dem Bericht von der friderizianischen Selbstmorddrohung etwa gleichzeitig mit dem Friedensunterhändler Friedrichs II. empfangen. Dieses Zusammentreffen hat wahrscheinlich der Berechnung Friedrichs II. entsprochen. Friedrich wußte wohl, daß Richelieu zu der Partei des französischen Kriegsminister Belle-Isle gehörte, welcher Frau von Pompadours französisch-österreichisches Bündnis gegen Preußen nicht billigte, sondern den Preußenkönig als wertvolle Hemmung deutscher Größe stützen wollte. Richelieu tat denn auch sein Möglichstes, um Friedrichs erschlaffende Lebenslust zu stärken und so Frankreich vor einem unersetzlichen Verluste zu bewahren. Das war vielleicht ein gutes Stück von dem, was Friedrich mit seiner Selbstmorddrohung zu erreichen gehofft hatte.

»Voltaire erfüllte ferner vor allem auch die Bitte Friedrichs II. und seiner Schwester Wilhelmine um Anbahnung weiterer geheimer Friedensverhandlungen zwischen Preußen und Frankreich. Die freundliche Haltung Voltaires gegenüber Friedrichs Friedenssehnsucht läßt sich zusammenfassend in zwei Sätzen ausdrücken, die sich in jenen Jahren in Voltaires Briefen über ›Luc‹ finden. ›Luc‹ ist Voltaires Kosenamen für Friedrich II. (Es gibt Freunde Friedrichs, die behaupten, das Wort Luc müsse umgekehrt gelesen werden und stelle dann Voltaires französische Anspielung auf Friedrichs hinterliche Gedanken dar, wie sie zum Beispiel in Friedrichs Siegeslied nach Roßbach niedergelegt sind).« (Vgl. unten S. 364.)

»›Luc‹, schreibt Voltaire 1759, ›bleibt immer Luc; bringt nach wie vor sich und andere in Verlegenheiten, setzt Europa in Erstaunen und überschwemmt es mit Blut, macht es arm und macht Verse dazu.‹ Aber, so schreibt überredend Voltaire im selben Jahre an einen anderen einflußreichen Pariser Freund, ›Luc möchte gern Frieden. Wäre es denn ein so großes Unglück, ihm den zu gewähren und so ein Gegengewicht gegen Deutschland zu bewahren? Luc ist ein Taugenichts, ich weiß es; aber lohnt es, sich zugrunde zu richten, um einen Taugenichts zu beseitigen, dessen existence notwendig ist?‹ (Voltaire kannte das Geheimnis der ›Größe‹ Preußens.)

»Ja, der sechzigjährige Voltaire ist bereit, nach England zu reisen, wo er einflußreiche Freunde hat, um für den Frieden zu arbeiten, den er nicht nur als Menschenfreund und französischer Patriot, sondern nicht zuletzt auch als Großgrundbesitzer, Steuerzahler und Kapitalist innig wünscht. Aber nachdem er so seiner Pflicht genügt hat, macht er sich den Spaß, Friedrich zu trösten. ›Ich habe die Rache genossen, einen König zu trösten, der mich mißhandelt hat‹; und er tröstete mit Humor! Er tat, als nehme er Friedrichs Selbstmorddrohung ganz ernst, und seine Trostbriefe gehören zum Drolligsten, was er geschrieben hat.«

(Aus dieser Andeutung Manfreds sollte sich am folgenden Tage die Unterhaltung über die geprügelten Dichter entwickeln.)

Ich konnte Manfreds leichte Art, von dem beinahe zu Tode gehetzten Könige zu sprechen, nicht länger ertragen, und ich unterbrach fast ungeduldig: »Was berechtigt Sie, an der Todessehnsucht Friedrichs zu zweifeln und ihn hinzustellen, als habe er sich benommen wie ein ungezogener Knabe, der seinen französischen Erziehern droht, sich ein Leides anzutun?«

Manfred: »Im Tagebuch des leidenden Grillparzer finden sich die Worte (er war sechsunddreißig Jahre alt, als er sie schrieb): ›Es hat fast den Anschein, als wollte es zu Ende gehen. Ich will aber sterben mit den Waffen in der Hand. Nur nicht den Gedanken aufgeben, das jederzeit Herr sein seiner selbst. Niemandem sich vertraut! Niemandem geklagt! Ich will sterben mit den Waffen in der Hand.‹ Während Friedrich II. seinem Bruder oder auch seinem Vorleser – kein Publikum ist dem Dichterling zu schlecht; dieser Abbé de Prades wurde bald darauf von Friedrich ins Gefängnis gesteckt (der Grund ist unbekannt) – weinend seine todesseligen Verse vorlas, hat er vielleicht selbst seine Tränen manchmal ernst genommen. Aber die Eilfertigkeit, mit der er seine Selbstmorddrohungen überall verbreiten läßt, und die Art, wie er es tut, lassen mir keinen Zweifel, daß ihm gleich zu Anfang der köstliche Einfall gekommen sein muß, aus seiner Wertherstimmung Kapital zu schlagen und damit Voltaire und – durch die weitverzweigten Verbindungen Voltaires – die auf Preußens Reichsfeindschaft rechnenden französischen Staatsmänner zu erschrecken: › j'ose prédire, qu'il ne leur sera pas facile de réparer ma perte,‹ schrieb Friedrich Anfang September 1757 an Wilhelmine (der Brief war zur Weitergabe an Voltaire geeignet) und dies Vertrauen, den Franzosen unentbehrlich zu sein, ist die Weise, für die er in seinen Briefen immer neue Worte findet.

»Auch daß Friedrich seine Giftpillen seinem Vorleser zeigte, läßt vermuten, daß ihm die Sache mehr Behagen als Kummer machte. Friedrich hatte drei Jahre mit Selbstmord gedroht und Demütigungen wie Hochkirch, Kunersdorf und Maxen überlebt, als er – so will es die Legende – beim Wachtfeuer von Torgau gar die Giftpillen aus der Tasche rollen ließ und sie seinen mitfühlenden Grenadieren zeigte – jemand, der das las, sagte zu mir, er müsse an einen schwärmerischen Jüngling denken, dem in tugendhafter Damengesellschaft unerwartet allerlei wenig ostensible Gummiutensilien aus der Tasche fielen, und der dann die Keckheit hatte, damit zu prahlen. Ob es die Neckerei der Weltgeschichte gewollt hat, daß sich unter den Grenadieren, die sich so durch Friedrichs Selbstmordutensilien rühren lassen sollten, auch derjenige befand, über dessen Selbstmordversuch der König einmal gescherzt hat: in Lucchesinis Tagebuch erzählt Friedrich II.: ›Ein Soldat war wegen eines Selbstmordversuchs zu drei Jahren Galeerenstrafe verurteilt worden; der König verwandelte die Strafe wie folgt: »Man lasse ihn einmal zur Ader, reibe ihn zweimal mit einem Schwamme ab und schicke ihn zu seiner Kompagnie zurück; denn er hat einen Anfall von Wahnsinn gehabt«.‹ Aber auch wenn dieser Grenadier die Beweise des königlichen Selbstmörder-›Wahnsinns‹ zu sehen bekommen hätte, er hätte wohl geschwiegen, denn Friedrich II. verlangte und setzte es durch, daß seine Soldaten ihre Vorgesetzten mehr als den Tod fürchteten.

»Es scheint, als ob Friedrichs II. Schwester Wilhelmine den Selbstmörder-›Wahnsinn‹ weniger spöttisch beurteilt hätte als der König; es ist möglich, daß diese sonst so spöttische Memoirenschreiberin die brüderlichen Drohungen ernst genommen hat. Jedenfalls erklärte sie gleich, auch sterben zu wollen; – eine Art Selbstmörderklub bildete sich, was gewiß Eindruck auf ihren väterlichen Freund Voltaire machte, dem alles ausführlich mitgeteilt wurde. Die Wehklagen der Schwester waren so laut, daß Friedrich II. es vorzog, zu bremsen. (Sie ist ja wirklich bald darauf gestorben, was Friedrich Gelegenheit gab, seine zärtliche Ode auf ihren Tod bekanntzumachen; auch Voltaire wurde von Friedrich II. aufgefordert, die Verstorbene zu besingen, und das gelieferte Gedicht zu ›verbreiten in den vier Weltteilen‹. Wer die beiden Gedichte las, durfte nicht länger zweifeln, daß Wilhelmine das Opfer eines ungerechterweise gegen Preußen wütenden Krieges war, und daß ihr zärtlicher Bruder nur die reinsten und friedfertigsten Absichten habe.) Um Wilhelmines erschütterte Nerven, solange sie noch lebte, zu schonen, schickte ihr Friedrich künftig zweierlei Briefe, von denen der eine in chiffrierter Geheimschrift ihr Mut zusprach und zum Weiterarbeiten an den Friedensverhandlungen mit Frankreich drängte – sie hat zwei oder drei »Eisen im Feuer« –, während gleichzeitig Friedrichs ostensibler Brief, geeignet zur Weitergabe an Voltaire und andere, sich jedesmal in rührenden und mutigen Schilderungen des friderizianischen Durstes nach Selbstmord und Freiheit erging, die einen zärtlichen Roman jener Zeit zieren könnten.

»Die sogenannte »Politische Korrespondenz Friedrichs des Großen«, die beim ersten Lesen so verblüfft, wirkt besonders erheiternd in dem Bande, der den Monaten vor der Schlacht bei Roßbach gewidmet ist; aber die Heiterkeit wäre noch vollkommener, wenn einmal jemand die sogenannten politischen Briefe ergänzen und alles zusammenstellen wollte, was Friedrich II. an Politischem und Unpolitischem Tag für Tag geschrieben, gedichtet, diktiert, verhandelt und getan hat. Nur eine solche Zusammenstellung könnte den ganzen Umfang der komischen Vielgeschäftigkeit des Leyer und Schwert schwingenden Königs dartun.«

Manfred nahm einen Band in die Hand und fuhr fort: »Dieser Band hier enthält nur die »politischen« Briefe von 1757, aber er enthält des unterhaltsamen Durcheinanders genug. Erlauben Sie mir, Ihnen einige Proben aufs Geratewohl herauszugreifen:

»Die englische Regierung hatte erfahren, daß ihr Bundesgenosse Friedrich II. heimlich mit den Franzosen verhandelt, und am 6. Mai wird der englische Gesandte angewiesen, den König zu vermahnen. Hier finde ich die Antwort des treuherzigen Gesandten; er schreibt seiner Regierung nach London, er könne Friedrich nicht durch solche Zweifel beleidigen. Was gab es doch damals noch für dumme Engländer! Am 19. Mai schreibt Friedrich II. zur Verwendung in England: › Comment peut-on croire que j'agirais d'une manière aussi infâme envers le roi d' Angleterre‹, aber er sendet weiter seine Angebote nach Paris, denn er glaubte, die Franzosen seien ihm sicher.

»Die Verehrer Friedrichs II. möchten diese neue Vertragsflucht ihres Helden mit der englischen Niederlage bei Hastenbeck und der darauf folgenden Konvention von Kloster Zeven entschuldigen. Aber diese Konvention wurde erst am 8. September 1757 geschlossen (und übrigens von der englischen Regierung nie anerkannt), während Friedrichs Versuche zur Fahnenflucht fast ein Jahr früher (gleich nach Lobositz) begannen.«

Manfred blätterte weiter und fuhr fort: »Mitte August 1757 beginnt Friedrichs II. Selbstmordkorrespondenz mit Voltaire und die Versendung von Friedrichs gereimter Verteidigung des Selbstmordes.

»Am 14. August geht Balbi als neuer preußischer, diesmal mit Vollmacht ausgerüsteter Friedensunterhändler nach Paris. Am 29. August erzählt Friedrich dem englischen Gesandten von seiner Hoffnung auf einen Türkeneinfall und von dem preußischen Unterhändler, der mit 50 000 Pfund Sterling der Kriegslust in Konstantinopel nachhilft; gleichzeitig verlangt Friedrich 670 000 Pfund von den Engländern, die ihm dann auch jährlich gezahlt wurden. Der englische Gesandte bemerkt: › This subsidy is larger than England had ever given to any foreign power whatever‹.

»Am 5. und 6. September kündigt Friedrich seinen Schwestern in Schweden und Berlin seinen bevorstehenden Tod an.

»Am 6. September läßt Friedrich an den – bei Großjägerndorf geschlagenen – General Lehwaldt in Ostpreußen schreiben; auf deutsch, der ungebildete General kann kein Französisch: er und seine Truppen sollen ›die Köpfe nicht hängen lassen‹. Am selben Tage schreibt Friedrich auch an den französischen Feldmarschall Richelieu und bittet – um Frieden. Im Briefe des preußischen Königs an den französischen Oberbefehlshaber heißt es: › Il s'agit d'une bagatelle, Monsieur; de faire la paix, si on le veut bien …; je ne puis me persuader qu'une liaison, qui a duré seize années, n'ait pas laissé quelque trace dans les esprits; peut-être que je juge des autres par moi-même. Quoi qu'il en soit enfin, je préfère de confier mes intérêts au roi votre maître plutôt qu' à tout autre‹.

»Am 9. September, während Friedrich auf den Bescheid des französischen Feldherrn wartet, benachrichtigt er seine Schwester Wilhelmine – in einem nicht chiffrierten, das heißt für Voltaire ostensiblen Briefe – wieder von seinem Entschlusse, zu sterben und ruft mit Festigkeit und königlicher Entsagung: › Je ne suis touché que de l'infortune d'un peuple que je devais rendre heureux‹.

»Am 10. September schreibt Friedrich derselben Schwester chiffriert in zuversichtlichem Tone: › Je n'abandonnerai pas l'espérance‹; was die Herausgeber der Briefe auf die Friedensverhandlungen in Paris beziehen.

»Auch am 15. September spricht Friedrich der Schwester Mut zu: › nous approchons à grands pas l' hiver et celui-là mettra fin à toutes nos querelles‹. In der guten alten Zeit hörten die Feldzüge meist gegen Ende jedes Jahres auf. Friedrich, den später die Schlacht von Roßbach fast mehr als den Feind überraschte, betrachtete schon im September den Feldzug des Jahres gegen die Franzosen als beendet.

»Am 16. September antwortet Friedrich II. seinem Staatsminister Finckenstein (der aus Berlin den Rat gegeben hatte, doch wieder mit Frankreich Frieden zu schließen): › j'ai mis les fers au feu‹, was sich auf seine Friedensunterhandlungen in Paris (durch Balbi und andere) und bei Richelieu, dem französischen Oberbefehlshaber in Deutschland (durch Eickstedt) bezieht.

»Am 17. September schreibt Friedrich zwei Briefe an Schwester Wilhelmine. Der erste, ganz kurz und in Geheimschrift, rät der Schwester, nicht zu verzweifeln, denn »c'est dans ces circonstances oû il faut avoir de la fermeté, ou elle serait inutile«. Der zweite Brief, zum Weitergeben an Voltaire, ist nicht chiffriert und – eins, zwei, drei, vier kleingedruckte Seiten lang. In diesem Briefe findet man vielleicht Friedrichs beste Zusammenstellung seiner Lesefrüchte aus Voltaires Trauerspielen »Brutus« und »La mort de César«. Friedrich spielt unermüdlich mit den Ausdrücken: »esclave, liberté, patriciens de Rome, Brutus, Caton, liberté de ma patrie, tyrannie de la maison d'Autriche«. Dann nimmt Friedrich feierlich den Vorschlag an, den ihm die Schwester gemacht hat, gemeinsam in den freiwilligen Tod zu gehen »Quant à vous, mon incomparable sœur, je n'ai pas le sœur de vous détourner de vos résolutions. Si vous prenez la résolution que j'ai prise, nous finissons ensemble nos malheurs et notre infortune«. Es bleibe Friedrichs Verehrern überlassen, ob er wirklich seine »Lieblingsschwester« in den frühen Tod treiben oder ob er nur Voltaire und die Franzosen zum besten haben wollte.

»Am 18. September folgt ein chiffrierter Geheimbrief, in dem Friedrich seiner Schwester andeutet, daß er, um sich zu retten, bereit ist, auch die schmachvollsten Bedingungen, die von den Franzosen gestellt werden könnten, anzunehmen: »Je prévois que les meilleurs conditions qu'on pourra obtenir de ces gens-là, seront hummiliantes et affreuses; mais on se tue de me dire que le salut de l'Etat l'exige, et je suis oblitgé d'en passer par là«. Der Gegensatz zwischen diesem »on se tue« und den früheren Selbstmorddrohungen wird die Schwester beruhigt und vielleicht die spöttische Memoirenschreiberin erheitert haben.

»Am 18. September läßt Friedrich auf deutsch an Moritz von Dessau melden, daß »eine große Uneinigkeit zwischen dem Prinzen von Soubise und dem von Hildburghausen sein soll«.

»Am 20. September gibt Friedrich frisch und so deutsch, wie er konnte, folgende Einschätzung der französischen Streitmacht: »Hier würde ich leichte fertig werden mit das Krop, das vor mir ist; aber die Menge der Feinde macht, daß, wenn auch Prinz Eugen sein Geist auf mir schwebte, ich doch nicht würde allerwegens Fronte machen können«.

»Am 21. September verblüfft Friedrich II. seinen Minister von Finckenstein, in Berlin, mit einer Probe seines Lateins, an dessen Ende Friedrich II. bekanntlich niemals kam: »mais, mon cher, ma devise est à présent: Magnibus in Minibus et minibus in Maximus«, worin vielleicht schon der in preußischer Klassik gebildete Finck von Finckenstein, und jedenfalls neuere Ausleger des literarischen Königs eine geistreiche Anspielung auf das alte »Magnus in minimis et minimus in maximis« erkennen. (Nichts offenbart klarer die diplomatische Überlegenheit des größten Königs der Deutschen als sein Latein. Gewöhnlichen deutschen Knaben wird ihr schlechtes Latein meist als mangelnder Eifer ausgelegt, und sie ernten nichts als Schelte und Prügel dafür. Höchst gewandt vermochte dagegen Friedrich der Große, der auch kein Latein gelernt hat, den Causalnexus der Dinge zu lösen und neu zu knüpfen. Er stellte diplomatisch geschickt die Prügel an den Anfang der Dinge: nur Prügel, so hört man, hinderten den opferfreudigen Übereifer des Kronprinzen, Latein zu lernen, und Prügel und schlechtes Latein gehören bis auf den heutigen Tag zu den unsterblichen Ruhmestiteln des großen Märtyrers. Kein Wunder, daß Friedrich II. auf diesen lateinischen Erfolg stolz war und daß er sich der nicht-erworbenen Sprachkenntnisse stolz bediente,statt wie weniger erfolgreiche Prügelknaben scheu davon zu schweigen. Konnte er sich mit seinem Latein auch nicht, wie Maria Theresia, das Herz ungarischer Edelleute gewinnen, so eignete es sich doch vorzüglich dazu, den anspruchsloseren preußischen Adel zur Bewunderung zu zwingen. In seinen besonders redeseligen Tagen vor Maxen ließ sich Friedrich zu der Enthüllung hinreißen: »Als ich noch jung war, wollte ich nichts tun …; meine Schwester sagte mir: ›Schämst du dich nicht, deine Talente zu vernachlässigen?‹ Da fing ich an zu lesen; ich las Romane«. {Verw. auf Anmerkung} (So bildete sich der kühne Lateiner. Magnibus in Minibus – das ist der echte Friedrich.)

»Am 23. September sendet Friedrich dem Prinzen Ferdinand von Braunschweig »la grande nouvelle que les Russes se sont mis en chemin pour quitter inopinément la Prusse«. So rettete, durch eine verfrühte Nachricht von ihrem Tode, die russische Kaiserin schon 1757 die Preußen im Osten, wie sie 1762 den ganzen Siebenjährigen Krieg zugunsten Friedrichs, »des Lieblings des Glücks« entschieden hat.

»Am 22. September erhält Friedrich den Bericht über das Zusammentreffen seines Friedensunterhändlers Eickstedt mit Marschall Richelieu. Der Marschall hat die ihm in den schmeichelhaftesten Ausdrücken übertragene Aufgabe, dem preußischen Könige bei seiner heimlichen Flucht aus englischem Dienste behilflich zu sein, so scheint es, begrüßt und gleich einen Eilboten nach Versailles gesandt. Richelieus Einwand ist nur gewesen, daß seines Wissens doch der König von Preußen schon andere Unterhändler mit Friedensgesuchen geradewegs nach Paris geschickt habe, wodurch seine, Richelieus, Aufgabe erschwert sei. Eickstedt meldet: »Il ne pouvait se défaire de l'idee que le roi de France ne soit déjà informé, puisque l'Abbé Bernis lui avait écrit: ›Je vous félicite de ce que vous ferez la paix.‹« Die Haltung Richelieus ist nicht ganz aufgeklärt; er gehörte nicht zur Kriegspartei der Frau von Pompadour, mit der er als erster Kammerherr des Königs seine Kräfte zu messen gewagt, bis Ludwig XV. der unbesonnenen Anmaßung ein Ende gemacht hatte mit der kühlen Frage: »Herzog von Richelieu, wie oft sind Sie schon in der Bastille gewesen?« Richelieu hielt das Bündnis zwischen Frankreich und Österreich für einen Fehler und war Anhänger der auch von Friedrich II. vertretenen Politik, daß Preußen als der zuverlässigste Vorkämpfer Frankreichs gegen den sonst übermächtigen deutschen Kaiser geschont werden müsse. Jedenfalls ist Richelieu mit seinem siegreichen Heere stehen geblieben, statt zu Soubise zu stoßen, der ein schlechter General, aber ein Ehrenmann und ein Freund der Frau von Pompadour war; Richelieu war ein erfahrener Feldherr, Soubise war Anfänger. Der Fürst von Hildburghausen, mit dem, als dem Älteren, Soubise den Befehl teilen mußte, war der unfähige Führer der Reichstruppen, den Maria Theresia schon 1749 loszuwerden versuchte, indem sie ihn lachend den Holländern anbot, die damals in Wien um einen General nachsuchten; aber der holländische Gesandte Bentinch antwortete: »Ich danke, von dieser Sorte von Generalen haben wir schon genug und zuviel«. Daraufhin hatte sich Hildburghausen bei dem Heere der Reichskreise eingenistet, das seiner würdig war.

»Am 24. September beginnt Friedrich II. einzusehen, daß er Richelieu die Friedensarbeit erschwert, wenn er gleichzeitig zu zahlreiche preußische Friedensunterhändler in Paris sturmlaufen läßt. Friedrich heißt darum den Friedensunterhändler Balbi, sich für eine Weile »zugeknöpft« zu halten: »que vous vous teniez à présent tout clos et boutonné. Sa Majesté a choisi un autre canal«. Dieser Bescheid Friedrichs ist unterschrieben »Le conseiller connu«. In den Berichten über die Friedensverhandlungen, die gleichzeitig die Schwester Wilhelmine weiterführt, erscheinen auch die geheimnisvollen Bezeichnungen: »celui que vous connaissez« oder »le tout-puissant«; so kommt in jener ernsten Lage den Geschwistern die Übung zugute, die sie sich in den kindlichen Spielen mit Ränken und Rätselnamen erworben hatten, von denen die Kindheitserinnerungen Wilhelmines Heiteres erzählen.

»Am 26. September schreibt Friedrich einen Brief, in dem er seinem Friedensunterhändler Balbi »befiehlt«, der Frau von Pompadour das Fürstentum Neuchâtel als Geschenk anzubieten, »de bonne foi« und »sa vie duraut«. Am 30. September schreibt er ihm nochmal: »comme l'affaire prinzipale pour arriver à mon but est que nous nous rendions favorable Madame de Pompadour par l'offre de la principauté de Neuchâtel et de Valangin, sa vie durant …;« Friedrich II. hatte übrigens schon am 7. Juli, also zwei Monate vor der englischen Niederlage von Hastenbeck und Kloster Zeven, an Schwester Wilhelmine geschrieben: »Da Du das große Friedenswerk auf Dich nehmen willst, bitte ich Dich, Mirabeau nach Frankreich zu schicken. Die Unkosten trage ich (!); er kann der Favoritin bis zu 5oo ooo Franken für den Frieden bieten und in seinen Angeboten noch viel weitergehen, wenn man sie dahin bringt, uns einige Vorteile zu verschaffen. Du begreifst, wie behutsam ich in dieser Sache vorgehen muß …; erführe man in England nur eine Silbe davon, so wäre alles verloren.««

Als Manfreds eigentümliche Vorlesung bei der Erwähnung der Frau von Pompadour und bei Friedrichs Hoffnung, sie zu bestechen, angekommen war, unterbrach Herr Thomas Mann den Vorleser mit folgendem Versuche, den großen König zu rechtfertigen: »Gewiß, die Pompadour war nur eines Fleischers Tochter, Frau eines Zöllners und Kupplers und selber Kupplerin obendrein – eingeräumt und zugegeben, das war sie. Aber erstens: wozu ist man aufgeklärter Despot, wenn man sich über solche Quisquilien nicht hinwegsetzen kann? Und zweitens: sie war mehr als allerliebst mit ihrem kleinen, talentvollen Dirnenkopf …; man merkte ihr von dem Schmutz, aus dem sie kam und der ihr Element blieb, beinahe nichs an …;«

Thomas Mann sprach noch ausführlicher über Frau von Pompadour. Aber Manfred schien so erstaunt über die Auslassungen Thomas Manns, daß dieser schließlich einhielt. Manfred, nach einem Blick, der ihn überzeugen zu sollen schien, ob er recht gehört habe, sagte: »Höre ich den einsichtigen Dichter des »Tod in Venedig« sprechen? Mir scheint, Friedrichs II. Unfähigkeit, Höherstehende zu würdigen und ihre Beweggründe zu beurteilen, hat sich niemals lächerlicher offenbart als in seinem Verhalten gegenüber der Herzogin von Pompadour. Erst verfolgte er sie in seinen Schmähgedichten (mit der Partei der Frommen in Versailles und mit dem Pariser Straßenpöbel um die Wette), und glaubte dann, als er sie brauchte, er könne sie bestechen. Warum? Weil sie bürgerlicher Abkunft war? oder weil er selbst als Kronprinz Bestechungsgelder von Österreich angenommen hatte? – seine um diese Gelder geschriebenen Briefe im Bettelton verkommener Leutnants sind nicht die am wenigsten bezeichnenden Stücke seines umfangreichen Briefwechsels. Daß jemand so erstaunlich uneigennützig sein konnte, wie es Frau von Pompadour wirklich gewesen ist, konnte Friedrich II. augenscheinlich weder fassen noch glauben. Ich kann in Frau von Pompadour keine Kupplerin {Verw. auf Anmerkung} und in ihrem Vater, dem Armeelieferanten, der das Vertrauen der mächtigen Brüder Paris genoß und rechtfertigte, keinen Fleischer sehen. Die Franzosen von Geist, ebenso wie der kluge Fürst Kaunitz, standen auf Seiten der Frau von Pompadour, die trotz oder dank ihrer bürgerlichen Abkunft eine sehr viel bessere Erziehung genossen hatte, als zum Beispiel im Preußen jener Zeit, selbst für Personen fürstlichen Standes, beschafft werden konnte, und die auch als tätige Freundin der besten Künstler ihres Volkes Würdigeres geleistet hat als Friedrich II. oder andere preußische Fürsten. {Verw. auf Anmerkung} Der Grund für Friedrichs II. geärgertes Mißverstehen der Frau von Pompadour liegt sicher nicht darin, daß sie Ludwig XV. nicht rechtmäßig angetraut werden konnte, solange die alte Königin von Frankreich noch lebte und solange es in Frankreich nicht wie in Preußen die Möglichkeit der morganatischen Doppelehe gab. Wer hätte leichter den Mangel priesterlichen Segens übersehen als Friedrich II, der sich gerne Philosoph und Freigeist nannte? Er war ein Bewunderer der Vorgängerin der Frau von Pompadour im Bett Ludwigs XV., der Herzogin von Chateauroux, gewesen; ihr Bildnis schmückt noch heute Sanssouci. Friedrich hatte ihr geschrieben, daß Preußen ihr zum ewigen Dank verpflichtet sei. {Verw. auf Anmerkung} Warum? und warum die verärgerte Abneigung gegen Frau von Pompadour? Die Antwort ist klar, wenn auch eigentümlich und undeutsch: unter der Herzogin von Chateauroux hatte Friedrich II. zweimal für Frankreich kämpfen dürfen. Dagegen hatte Frau von Pompadour ihn fallen lassen, ihn, der sich immer wieder gerühmt hat, der treueste und der unentbehrlichste Bundesgenosse Frankreichs gegen Deutschland zu sein. Sie hatte ihn gezwungen, gegen Frankreich zu kämpfen, ihn, der noch nach der Schlacht von Roßbach versicherte, er könne sich nicht daran gewöhnen, die Franzosen als seine Feinde ansehen zu müssen. Angesichts solcher Unbill, die ihm Frau von Pompadour zugefügt, entdeckte Friedrich mit Genugtuung und Unwillen ihre bürgerliche Abkunft; er hätte ihr verzeihen können, daß sie eine »Hure« war, aber daß sie sich versündigt hatte gegen das alte Vorrecht der adeligen Gefolgschaft des französischen Königs, ihrem Herrscher die Geliebten aus ihrem eigenen Kreise zu liefern, das konnte ihr Friedrich II. um so weniger verzeihen, als er doch – trotz seines teutonischen Vaters – so überzeugende Ansprüche gemacht hatte, in der französischen Gefolgschaft mitgerechnet zu werden.

»Vielleicht habe ich hier scherzend übertrieben; und doch glaube ich, daß meine Erklärung von Friedrichs II. Abneigung gegen Frau von Pompadour den Kern dieser Abneigung trifft; und ich glaube auch, daß dieser Kern vielleicht sogar etwas Gutes im Wesen Friedrichs II. darstellt. Voltaire hat das christliche Europa seiner Zeit eine Republik von Fürsten genannt, und Friedrich II. hat – gleich darauf – auch diese Bemerkung seines Lehrers wiederholt – in seinem Testament von 1752. – Ludwig XIV. war die große, über alles erhabene Erscheinung in der Geschichte dieser Republik, und Friedrich II. grollte ehrlich über die Beleidigung der sonnenköniglichen Majestät durch eine roturière im Bette des Urenkels. Friedrich grollte doppelt, als diese Unwürdige den feurigsten Bewunderer des großen Ludwig hinderte, für Frankreich zu kämpfen. »Je ne la connais pas« sagte er und wollte nichts mit ihr zu tun haben.« (Vgl. oben S. 135.)

Leider fehlt in meinen Aufzeichnungen die ausführliche Entgegnung, mit der hierauf Thomas Mann seine Auffassung begründete, daß »Schmutz das Element der Frau von Pompadour blieb«. Ihm antwortete Manfred: »Um so beachtenswerter wäre es also, daß Friedrich II. am 7. Juli und am 26. und am 30. September 1757 Frau von Pompadours Wohlwollen zu gewinnen trachtete, indem er ihr 500 000 Franken und, sa vie durant, sein Fürstentum Neuchâtel anbieten ließ. Das Opfer des schönen Fürstentums scheint Friedrich nahegegangen zu sein, und die Hoffnung, daß es nach dem Tode Frau von Pompadours an ihn zurückfallen möchte, scheint ihm in diesen Tagen beständig vor der Seele gestanden zu haben. Ja, dieses tröstende: »sa vie durant« scheint ihn so sehr beschäftigt zu haben, daß am 28. September, als er wieder an Wilhelmine einen ostensiblen Brief mit Selbstmorddrohungen schreibt, die Worte: »sa vie durant« in neckischster Weise mit einschlüpfen: »je ne demande que la mort …; le parti que doit prendre un komme qui sa vie durant a pensé comme Caton et qui veut mourir tel«. Sa vie durant – er machte sich unnötige Sorgen, da Frau von Pompadour nicht bestechlich war. Der Herzog von Richelieu soll damals ein Geldgeschenk Friedrichs II. angenommen haben, was aber nicht beglaubigt ist und um so zweifelhafter scheint, als Richelieu selbst für sich zu sorgen verstand. Er plünderte so rücksichtslos, in Hannover und anderweitig, daß die Pariser sein damals gebautes Schloß »pavillon d'Hannovre« nannten. Friedrich rächte diese Plünderungen – an den Sachsen«. (Vgl. oben S. 328 ff. und 316.) »Friedrichs Selbstmorddrohung vom 28. September schließt mit dem Verdacht, Argens könnte versäumt haben, Friedrichs gereimte »Verteidigung des Selbstmordes« an Voltaire zu senden, oder Voltaire könne sie aus einem anderen Grunde nicht erhalten haben; der König »fleht« darum die Schwester an, eine Abschrift an Voltaire zu senden, und sagt, daß er selbst auch noch eine an ihn gesandt habe: »P.S. J'ai trouvé moyen de copier l'épître à d'Argens, je vous l'envoie, en vous suppliant d'en envoyer une copie à Voltaire, c'est ce que j'ai fait de même« Das königliche j'ai trouvé moyen ist rührend.

»Am selben Tage, an dem er der Frau von Pompadour Neuchâtel zu schenken sich bereit erklärte, gab Friedrich an Ferdinand von Braunschweig Befehl betreffs der Franzosen, die in Vorpostengefechten gefangengenommen wurden: »Er kann die Offiziers auf Parole relachieren und die Gemeinen muß man gut halten und cajolieren

»Am 27. September, also inmitten seiner Selbstmorddrohungen, sendet Friedrich II. als König, der sich zu helfen weiß, an Graf Finckenstein einen Befehl betreffs gewissen königlichen Silbers, das »den innerlichen Valeur von ungefähr 400 000 Thaler haben wird«, und das »mit solchem Zusatz ausgeprägt werden müsse, damit ich wenigstens das Quantum von 800 000 Thaler in solchen Geldsorten erhalte«. Das ist der Anfang der großen Münzverschlechterungen, die den »Geldsorten« des brandenburgischen Werther den Namen friderizianische »Blechklappen« eintrugen.

»Am 1. Oktober schreibt Friedrich II. an denselben Grafen Finckenstein, vielleicht zur Erklärung der eben befohlenen Münzverschlechterung, diesmal nicht von Gift, sondern männlicher: »Nous sommes abimés, mais je périrai, l'épée à la main«.

»Am 8. Oktober hat Friedrich von Voltaire leise spottende Vermahnungen zu männlichem Ausharren bekommen; er antwortet an Wilhelmine: »J'ai ri des exhortations du patriarche Voltaire; je prend la liberté de vous envoyer la résponse«. Diese Antwort an Voltaire enthält auch die berühmten Zeilen, die in keinem preußischen Geschichtsbuch fehlen dürfen:

Pour moi, menacé du naufrage
Je dois en affrontant l'orage,
Penser, vivre et mourir en Roi.

»Das sind auch die Worte, die Erich Schmidts Friedrich der Große »am Tage von Roßbach schwor«; dieselben, die Heinrich von Treitschke »ein Selbstbekenntnis« nannte, als er bei der kaiserlichen Geburtstagsfeier versicherte: »Solange preußische Herzen schlagen, werden sie dieses Selbstbekenntnis in Ehren halten.« Dabei handelt es sich hier um das Plagiat eines berühmten französischen Gedichtes.

»Am selben Tage, an dem er diese Verse schrieb, antwortete Federic der Schwester auf ihren letzten Bericht über ihre Friedensverhandlungen, der die beruhigenden Mitteilungen enthielt: »J'ai vu l'ami de celui que vous savez«, der Herausgeber der Briefe vermutet Marschall Belle-Isle, das ist der »tout puissant« Vertreter der französisch-preußischen Bündnispolitik in Versailles. Wilhelmine schrieb weiter: »Il m'assure …; qu'on souhaite fort de se racommoder avec vous …;« Diese beruhigenden Nachrichten gibt Friedrichs Sekretär am 16. Oktober nach Berlin an Finckenstein weiter. Belle-Isle war Frankreichs Kriegsminister.

»Am 13. Oktober erfolgt der Bericht des anderen Friedensunterhändlers, das ist Eickstedt, über seine zweite Verhandlung mit Marschall Richelieu. Eickstedt berichtet, wie er, genau den königlichen Anweisungen folgend, den Herzog auf das Unheil hingewiesen habe, das Frankreich seit 1672 jedesmal zugestoßen sei, wenn sich der französische König mit Brandenburg schlecht gestanden habe. Eickstedt erläutert: › Je lui fis voir, en revanche, les grands services que l'électeur de Brandebourg lui a rendus l'an 1681 et 1683‹, das sind die Daten der Verträge zwischen dem ›Großen‹ Kurfürsten und Ludwig XIV. und auch der französischen Wegnahme Straßburgs, die Friedrich also empfehlend in Erinnerung brachte. Dann folgt eine freimütige Verurteilung der undiplomatischen Dichtertätigkeit Friedrichs II. Richelieu sagte: › qu'il ne prétendait jamais critiquer un grand roi, mais que votre Majesté, pendant la paix, avait choqué par picoter sensiblement, ce qui, entre autres, armait l'impératrice de Russie‹, ein Verweis für Friedrich, der unter alten Bundesgenossen gestattet sein muß und mit dem Richelieu sagen zu wollen scheint, daß Friedrich II. sich nicht nur die Feindschaft Rußlands zugezogen, sondern auch durch seine Taktlosigkeiten gegen Frau von Pompadour es den französischen Freunden des preußisch-französischen Bündnisses schwer gemacht habe (worauf ja auch Bismarck einmal ausdrücklich hinwies). Auch was die jetzt von Richelieu zu führenden Friedensverhandlungen betrifft, ist der Herzog mit der überängstlichen Vielgeschäftigkeit des preußischen Königs unzufrieden: › Votre Majesté en a fait parler à trop de gens, au maréchal de Belle-Isle et d'autres‹. Richelieu wußte gut, wie man in Versailles Ränke spinnt, und der friderizianischen Abgesandten Wettlauf um die französische Gunst scheint ihm ungewöhnlich ungeschickte Leitung verraten zu haben. Aber Friedrich hielt sich für gewandt, für › trompeur et demi‹.

»(Dieser Friedensunterhändler Friedrichs, der Freiherr Georg von Eickstedt, ist übrigens ein Mann, der Beachtung verdient. Wenn man seine Berichte verfolgt, bekommt man manchmal den Eindruck, als habe er noch gehofft, die Erziehung seines Königs vervollständigen zu können. Schon zu Anfang des Siebenjährigen Krieges, als Eickstedt von Friedrich II. zu den kleinen deutschen Fürsten gesandt wurde, um sie »gegen Kaiser, Reich und das Wohl des Vaterlandes« – wie Friedrichs Schüler, der Herzog von Württemberg, es ablehnend ausdrückte – aufzuhetzen – also den »Fürstenbund« von 1785 vorwegzunehmen – fand Eickstedt manche Gelegenheit, seinem Herrn klarzumachen, daß man im Reiche vom preußischen König dachte, ›er sei ein großer Mann, aber ein großer Verbrecher‹ und daß er eine ›vorschnelle Zunge‹ habe.)

»Am 17. Oktober schreibt Friedrich wieder an Wilhelmine einen ostensiblen Brief im heroischen Ton, und am selben Tag teilt er ihr in Geheimschrift mit: › Les Français viennent de signer une neutralité avec le pays de Magdebourg et de Halberstadt‹. Damals scheint Friedrich schon gewiß gewesen zu sein, daß es ihm gelungen war, die beiden französischen Armeen unter Soubise und Richelieu auseinanderzuhalten, so daß er also nur mit den veruneinigten Prinzen Soubise und Hildburghausen würde zu tun haben, und er schreibt stolz: › Pour les Français, ils n'entendront pas nommer mon nom et je compte cependant leur parler de telle manière par des actions, qu'ils regretteront, mais trop tard, leur impertinence‹. Das klingt fast männlich; aber unter › impertinence‹ versteht Friedrich die Dreistigkeit der Franzosen, das heißt hier Frau von Pompadours, ohne Preußen als Bundesgenossen auskommen zu wollen!

»Aber noch hofft Friedrich II., daß er Frau von Pompadour erweichen und daß er nicht gezwungen sein werde, ›den Franzosen zu entsagen‹ (so spricht Friedrich noch in seinem Testament von 1782 von dem ihm auch damals noch für Preußens reichsfeindliche Stellung fast unentbehrlich scheinenden Bündnis mit Frankreich), und so kann am 20. Oktober Friedrichs Sekretär dem Grafen Finckenstein schreiben, daß der König einen neuen Friedensunterhändler nach Paris zu schicken beschlossen hat: › je veux bien Lui dire en confidence que c'est sur Haeseler que le Roi, de son propre mouvement, a jeté les yeux pour l'envoyer à Paris y porter les propositions de paix‹.

»Dann kommt endlich der schöne Streich von Roßbach; es gelang dem eigenmächtig handelnden Seydlitz trotz des Widerstrebens Friedrichs (der bei Tisch saß und durchaus nicht an die Notwendigkeit eines Kampfes glauben wollte), die Franzosen und die seit drei Tagen nicht mehr verproviantierte Reichsarmee im Marsche zu überfallen. Die ›verblüften Leute‹ liefen vor dem neuen preußischen Exercitium auseinander, wie etwa die Preußen 1806 vor der neuen französischen Taktik. (Vgl. oben S. 327 f.) Friedrich II. erzählte seinem getreuen Lucchesini am 14. September 1783 ›viel über die Schlacht von Roßbach, die von der Reiterei eröffnet und vom Fußvolke in weniger als zwanzig Minuten beendet wurde‹. Es war einer von jenen fast unglaublich scheinenden Kriegszufällen oder Dummheiten, wie sie ähnlich gegen Friedrich II. bei Hochkirch und bei Maxen verheerend hereinbrachen. Die beiden feindlichen Generäle, Hildburghausen und Soubise, hatten sich bis zum letzten Augenblick nicht einigen können. Hildburghausen wollte kämpfen; Soubise, der vielleicht von Richelieu Weisung besaß, daß Friedrich II. um Frieden gebeten hatte, wollte durchaus nicht kämpfen, sondern nur manövrieren. Sein Heer fand sich schon vor der Schlacht aus noch heute ›unaufgeklärten Gründen‹ in gefährlichstem Durcheinander in einem Engpaß, als plötzlich und unerwartet Seydlitz hereinbrauste.

»Friedrich der Große verlor 165 Mann dabei und wurde plötzlich ein deutscher Held. Er dichtete gleich die mit homosexuellen und schmutzigeren Anspielungen gespickte Verherrlichung der feindlichen Hintern und fuhr fort, auch in der Folgezeit Voltaire zu drängen, er möge den Frieden zwischen Frankreich und Preußen vermitteln. Der französische Mitkämpfer Graf Saint Germain schrieb nach Paris: ›Hätte der Feind uns lebhaft verfolgt, so würde er unsere ganze Armee vernichtet haben. Er hat es ohne Zweifel nicht gewollt; und es ist gewiß, daß der König von Preußen Befehl gegeben, unsere Leute zu schonen und die Deutschen zu zermalmen; seine Husaren haben mehrere von unsern Soldaten zurückgeschickt, nachdem sie dieselben anständig behandelt. Man kann nichts hinzufügen zu dem Edelmute und zu der Feinheit, mit welcher er unseren Gefangenen begegnet ist‹ (Preuß, II, 97).

»Auch unter den gefangenen französischen Offizieren suchte und fand Friedrich II. Friedensunterhändler; er erklärte ihnen: ›Ich kann mich nicht daran gewöhnen, Sie als meine Feinde zu betrachten.‹ ›Er äußerte auch, daß er keine Freudenfeste über den Sieg anstellen wolle, daß derselbe sein Herz betrübe, daß übrigens die Franzosen schlecht geführt worden.‹ Und ähnliches mehr!

»Die Art, wie Friedrich nach der Schlacht die französischen Gefangenen ›cajolieren‹ ließ, würde ihn menschlich erscheinen lassen, wenn es nicht leider auf Kosten der deutschen Gefangenen geschehen wäre, die annehmbare Quartiere an die Franzosen abgeben mußten. Voltaire, den Friedrich unermüdlich zur Friedensarbeit antrieb, erhielt Nachricht von dieser Bevorzugung der Franzosen und gab sie weiter. So ist es denn nicht erstaunlich, daß Voltaire gelegentlich von Friedrich auch erfuhr, wie ein verwundeter französischer Offizier auf dem Schlachtfelde von Roßbach laut nach einem Klistier verlangte, und daß Friedrich versicherte: › cent personnes officieuses se sont empressées pour le lui procurer‹. Bei dem franzosenfreundlichen Eifer Friedrichs II. muß man beinahe fragen, ob er das Klistier nicht etwa selbst verabreicht und da vielleicht die Anregung zu seinem königlichen Siegesliede von Roßbach gefunden hat:

Ah, quel spectacle a plus de charmes
Que le cul dodu des héros?

»Auf alle Fälle haben Friedrich und sein Bruder Henri Gelegenheit gefunden, die französischen Gefangenen ›auf das gracieuseste zu accueilliren‹ und ›an vielen Blessierten von ihnen viel gracieuses zu tun‹, wie Friedrichs Sekretär an Graf Podewils vermeldet.«

Thomas Mann, den Manfred keineswegs überzeugt hatte, beharrte auf seiner würdigeren Beurteilung des großen Königs und sagte: »Friedrich der Große war ein Opfer. Er mußte Unrecht tun und ein Leben gegen den Gedanken führen, er durfte nicht Philosoph, sondern mußte König sein, damit eines großen Volkes Erdensendung sich erfülle. Gegen diese Erdensendung der Nation hat er nicht gesündigt, und es bereitet mir große Freude, Ihre Zweifel durch Stellen aus den Briefen dieses sich opfernden Königs zu widerlegen. So schrieb er zum Beispiel an Voltaire: ›Ich werde den Frieden nicht anders unterzeichnen als auf Bedingungen, die sich mit der Ehre meiner Nation vertragen‹. Oder an d'Argens: ›Nie werde ich den Augenblick überleben, der mich nötigt, einen nachteiligen Frieden zu schließen; kein Beweggrund, keine Beredsamkeit wird imstande sein, mich dahin zu bringen, daß ich meine Schande unterschreibe …; Ich habe es Ihnen gesagt und wiederhole es: Nie wird meine Hand einen schimpflichen Frieden unterzeichnen. Ich bin fest entschlossen, in diesem Feldzug alles zu wagen und die verzweifeltsten Dinge zu unternehmen, um zu siegen oder ein ehrenvolles Ende zu finden‹.«

Manfred: »Diese Äußerungen Friedrichs an d'Argens waren zur Weitergabe an Voltaire bestimmt, und Voltaire sollte sie als die Wünsche Friedrichs betrachten, die er seinen Friedensbemühungen zugrunde legen könne. Daß Friedrich, wenn es zum Abschluß des Geschäftes käme, bereit sein würde, mit seinen Bedingungen herunterzugehen, beweist das Schreiben in Geheimschrift vom 18. September 1757, in dem Friedrich II., ohne Maske, der vertrautesten Wilhelmine mitteilte, er sei ›verpflichtet‹, auch die schmählichsten Bedingungen, die die Franzosen stellen könnten, anzunehmen.‹ Ein preußischer König tut immer seine Pflicht!

Hegemann: »Damit wollte Friedrich der Große vielleicht nur seine Schwester beruhigen, die sich in Sorgen um sein Leben verzehrte. In Wirklichkeit wäre er doch wohl einem unehrenhaften Frieden mit dem Schwert in der Hand oder, wenn nötig, durch Selbstmord ausgewichen?«

Manfred: »Auch auf diese Weise läßt sich den in Preußen beliebten Worten Friedrichs: › Mourir en roi‹ ein anderer als literarischer Wert kaum schaffen. Friedrich hat 1759, nachdem es ihm kriegerisch noch viel schlechter gegangen war als 1757, nicht nur nach Voltaireschem Muster weitergedichtet und auf seine eigene Art weitergelebt, sondern er hat auch selbst die Bedingungen eines Friedensvorschlages aufgestellt, die ehrenvoll zu nennen wohl nur der vermag, der etwa im Frieden von Tilsit die Höhe preußischen Ruhmes erblickt. In diesem, von Reinhold Koser mit allen französischen Schnitzern des Königs veröffentlichten Friedensentwurf vom Oktober 1759 erklärte sich Friedrich II. bereit, seine westlichen und östlichen Besitzungen abzutreten. Der erste König in Preußen, der Großvater Friedrichs II., hatte seinen ältesten Enkel, das heißt also den älteren, dann verstorbenen Bruder Friedrichs II., feierlich ›Prinz von Oranien‹ taufen lassen, vielleicht um damit gleichsam aller Welt anzukündigen, daß der Preußenkönig sich berufen fühle, vom östlichen Preußen bis in die westlichen Vorwerke deutscher Ansprüche ein Wächter zu sein. Die preußisch-kleindeutschen ›Historiker‹ haben ihrer ›Nation‹ den Wahn aufgeredet, als wäre Preußen fähig, das von der Maas bis an die Mündung der Donau ausgestreckte Reich Karls des Großen wieder zu beleben, obgleich doch nur die Habsburger durch ihre Erwerbung von Burgund, den Niederlanden und Ungarn diesen großen mitteleuropäischen Gedanken je der Verwirklichung nahezubringen vermochten. Das war unter Friedrich III.: dieser schlafmützigste aller Kaiser hat mehr für die Mehrung des Deutsches Reiches getan als der hysterisch poetisierende Preußenkönig Friedrich II., von dem die »Historiker« Preußens so anmaßend sprechen, der aber das Selbstverständliche nicht begriff. »Wir haben seit Jahrhunderten mit Östreich-Ungarn zu demselben Reich gehört« sagte Bismarck (10. VII. 1892); »es ist das ein historisches Vermächtnis der Vergangenheit, aber auch ein Bedürfniß der modernen Politik«. Dies Bedürfnis war nie stärker als zur Zeit Friedrichs II. Als Folge der Verkennung dieses »Bedürfnisses« machte Friedrich II. sein demütiges Friedensangebot von 1759. Sein mourir en roi hatte er vergessen.

»Eines der Eingangskapitel von Kosers erstem Bande über »Friedrich den Großen« heißt: »Zur Memel und zur Maas.« »Das derart vorgetäuschte deutsche Grenzwächteramt ist eine wichtige Anmaßung der preußischen Legende. Friedrichs II. Friedensvorschlag von 1759 trat die »Wacht am Rhein« an die Franzosen und das Ostpreußen des deutschen Ritterordens an die Russen ab. Für diese Opfer schmeichelte sich Friedrich entschädigt zu werden, sei es durch »La Saxse«, »soit enfein quel pais lon voudra pourvu quil ait de l'ongand pour la brulure«; und als ihm Finckenstein und der preußische Gesandte in London diese duftende Hoffnung auf die »Salbe für den Gebrannten« ausgeredet hatten, rief Friedrich: »Kann ich denn keinen Tauschhandel machen ( n'y aurait-il point de troc à faire) und das Herzogtum Cleve, das preußische Geldern und das Fürstentum Mörs gegen Mecklenburg eintauschen?« Der Gedanke, sich an den Schwachen schadlos zu halten, an Mecklenburg und den geistlichen Besitztümern, gefiel Friedrich, und dieser Gründer des »Fürstenbundes« empfahl damals schon, Rußland möge sich durch ein Stück von Polen für den Krieg bezahlt machen.

»Aber diese Hoffnungen, die Wehrlosen zahlen zu lassen, sah Friedrich schnell verrauchen. Er war damals beschäftigt mit dem Dichten einer »Parodie auf den Prediger Salomonis, in Anlehnung an Voltaire« und versuchte auf das ernsthafteste, in dieser Dichtung den Hiatus und andere Härten mit Hilfe seines neuen, braven Vorlesers de Catt zu vermeiden. Bei dieser Arbeit unterbrach er sich, wie de Catt eingehend schildert, um gegen den Rat aller Generale ein Heer unter Finckenstein auf das leichtsinnigste zu opfern – selbst die scharfsinnigsten Theologen Friedrichs des Großen haben noch keine Entschuldigung dafür ersinnen können. Neun (9) Generale, 35 Schwadronen, 18 Bataillone, 66 Kanonen und ungezählte Fahnen gingen verloren. Der Feind verlor nichts, da er nur höflich die tapferen Preußen gebeten hatte, von den Pferden zu steigen. Niemand wagte es, den König beim Dichten der »Parodie auf den Prediger Salomonis in Anlehnung an Voltaire« zu unterbrechen, um ihn zu benachrichtigen, daß das Ereignis wirklich eingetreten sei, wie es die Generale, der Ansicht des Königs widersprechend, vorausgesagt hatten; er hatte Widerspruch nicht gern. Als die Nachricht endlich zum König durchsickerte, wurde es ihm blitzartig klar, daß der verhängnisvolle Augenblick gekommen, daß die Ehre und, wie er so oft angekündigt – Erich Schmidt sagt: »geschworen« – hatte, damit die Berechtigung, weiterzuleben, verloren war. Verzweifelt rief er seinem Vorleser zu: »Die Ehre, mein Lieber, die Ehre ist ein Verlust, der sich nicht messen und sich nicht wieder gutmachen läßt. Dazu sind Jahrhunderte nötig, um diesen Verlust und diesen Schandfleck auszulöschen«; so rief Friedrich und zitierte einige tragisch-schöne Verse Racines. Aber da er vermutete, daß seine Preußen in puncto Ehre nachsichtiger sein würden als ihr vielleicht zu anspruchsvoller König, blieben die Giftpillen wieder unbenutzt. Statt Gift zu nehmen, machte Friedrich am folgenden Tage eine lebendige Schilderung, wie er sich zufrieden und behaglich als Privatmann zurückziehen wolle; er sagte nicht wohin, aber bei seiner freien religiösen Schmählust hat er damals vielleicht schon, wie 1738 sein frömmerer Vater (vgl. oben S. 10), an das duldsame Holland gedacht, wenn ihm nicht etwa sein »freies« England oder eine englische Insel vorschwebten, oder ihm gar die Hoffnung geblieben war, man werde ihn als Marquis de Brandebourg irgendwo im Reiche belassen. »England ist wie gemacht«, so hatte er kurz vorher (23. VII. 59) zu de Catt gesagt, »um dort in Frieden zu leben und nicht um dort Eroberungen zu machen. Das ist übrigens kein Schaden«. Über die Pläne, die Friedrich der Große 1759, zur Zeit der schwersten Niederlagen, anstatt des ursprünglich ins Auge gefaßten Selbstmordes erwog, berichtet de Catts Tagebuch folgendes (24. XI. 59, also vier Tage nach Maxen):

»»Der König unterhielt mich während der wenigen Augenblicke meiner Anwesenheit nur von seinem Plane, sich von der Regierung zurückzuziehen. Er hatte von diesem Plane schon mehrfach gesprochen, aber nie so eingehend wie dieses Mal. Der König sagte: ›Wenn ich eines Tages aus diesem entsetzlichen Gewirre herauskommen kann, mein Freund, dann wüßte ich wohl, wie ich den mir vom Geschick zugemessenen Rest meiner Tage verbringen möchte. Ich würde mir eine Provinz vorbehalten, deren jährliche Einkünfte sich auf 100 000 Taler belaufen müßten. Ich würde mir einige Freunde auserwählen, ehrenhafte, aufgeklärte Leute von verbindlichen Formen, aber keine Schmeichler. Alles, was in meinen Kräften steht, sollte geschehen, um Ehrgeizige und Intriganten fernzuhalten; auch würde ich die Nähe einer Stadt nicht aufsuchen, wo Königtum und steife Ehrerbietung sich nie ganz abstreifen lassen. Ich würde als unverbrüchliches Gesetz aufstellen, daß jeder sich frei bewegen und in Wort und Umgang sich lediglich als mein Freund betrachten soll. Und sicherlich würde ich selbst ihm ein herzlicher, entgegenkommender und treuer Freund sein. Jeder Fremde, das heißt jede gesellige Natur von Geist und Herz und von einigem Rufe, sollte mit offenen Armen empfangen werden; aber alle die, welche nur die nackte und blöde Neugier anlockt, würde ich geflissentlich fernhalten. Meine Mahlzeit würde sehr einfach sein. Zwölftausend Taler jährlich sollten für meinen Tisch genügen, zwanzigtausend würde ich auf Lieblingslaunen verwenden, und der Rest bliebe für meine Gefährten, die auch nach meinem Tode etwas bekommen sollten, um sich bisweilen meiner zu erinnern. So, mein Freund, würde ich die kurze Strecke Weg, die vor mir liegt, mit Blumen bestreuen.‹ – Dabei zitierte er mir ein paar Verse aus Chaulieu. Er zeigte mir den Riß eines Wohnhauses für sich und sechs Freunde, den er am Morgen entworfen hatte. Ein angebauter kleiner Flügel sollte ausgezeichnete Gäste aufnehmen, wenn sie sich einige Tage bei ihm aufzuhalten wünschten. Der König schloß mit den Worten: ›Adieu, mein Lieber, ich will mich zu Bette legen. Denken Sie an mich und meinen hübschen Abdankungsplan. Gute Nacht!‹«

»Friedrichs verwegene Selbstmordpläne waren vergessen oder tauchten nur gelegentlich als kleine Koketterie noch in den Briefen auf. Echt Friderizianisches kann de Catt vom folgenden Tage berichten (25. XI. 59): »Er las mir wieder seinen Salomon vor. ›Glauben Sie, man kann meine Verse neben die Voltaires stellen?‹ Die kleine Mücke, die noch schnaufen kann, ist besser als ein toter Löwe; das ist der Vers, der ihm am besten gefällt.« Der König sah wohl vor allem deshalb keinen Grund, seine Opiumpillen zu mißbrauchen, weil ihm ja noch eine andere und, mir scheint, viel angemessenere Hoffnung blieb, als nur eine »kleine Mücke« sein zu müssen. 1760 hatte er im Irrenhaus von Liegnitz Quartier genommen; und er schrieb an de Catt ( Oeuvres XXIV, 3): »Ich sehe voraus, wenn das so weiter geht, wird man mich am Ende des Feldzuges in das Irrenhaus von Liegnitz einsperren, wo Sie mich wohnen sahen.«

Entweder gefiel es ihm im Irrenhaus oder er wollte sein königliches Opfer- und Duldertum ausharrend auch da bewähren?«

Manfred lächelte einen Augenblick und fuhr darauf sehr ernst fort:


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