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»Dann kam die letzte Phase des »heldenmütigen Durchhaltens« des großen Königs. Er saß in der Falle, und seine allzu männlichen Gegnerinnen verschmähten lange seine demütigen Friedensangebote.«
Hierauf blätterte Manfred wieder in den »Fragmenten des Freiherrn von Zimmermann«, deren dritter Band noch auf dem Tische lag, und rief gleich mit Entdeckerfreude: »Hier berichtet Friedrichs Doktor über die denkwürdigen Tage, welche damals folgten.« Manfred las vor: »Man sagt, der König sey im Winter von 1761 bis 1762 nach Breslau gekommen, um dort sein Ende abzuwarten. Er habe sich da seinem Schmerz ganz überlassen …; Alles sey muthlos gewesen, weil man glaubte, Friedrich sey muthlos. Wirklich habe sich der Monarch niemand mehr gezeigt. Er habe nicht ein einziges Mal weder die Leibgarde gesehen, noch die Parade, und was noch mehr ist, er habe nicht mehr auf der Flöte geblasen …; Sichere Nachrichten schien er jedoch zu haben, daß die Kaiserinn Elisabeth bald sterben würde: denn er hatte Befehl gegeben, daß man am Oderthor aufmerksam seyn möchte, wenn ein Russischer Courier ankäme, und solchen keinen Augenblick aufhalte; man mußte sogar des Nachts die Schlüssel daselbst lassen.«
»Und der russische Kurier kam und brachte die heißersehnte Freudenbotschaft: daß Friedrich II. wirklich ein großer und ein standhafter König sei. Friedrich hat in der Tat, wenn auch unfreiwillig, besser durchgehalten als die weniger männliche Kaiserin von Rußland, die schlapp wurde und starb. Friedrich, der eben noch um Frieden bettelnd in der Falle gesessen hatte, spazierte ruhmvoll wieder heraus.«
Hegemann: »Sie tuen, als ob nur der Tod der russischen Kaiserin den großen König gerettet hätte. Was ihn rettete, war doch die tiefe Bewunderung, welche der neue Zar für den Preußenkönig empfand. Ist es nicht ganz besonders schön für das preußische Volk, zu wissen, daß sein größter König in der höchsten Not nicht durch militärische Übermacht oder einen Zufall des Waffenglücks, sondern durch einen bewunderungswürdigen, moralischen Sieg gerettet wurde? Diesen Triumph des friderizianischen Genies über die Seele des Moskowiters kann nichts verkleinern!«
Manfred: »Nichts, in der Tat. Es sei denn, Sie nehmen Anstoß daran, daß dieser aus Holstein stammende »Moskowiter« halbverrückt und daß deswegen seine Bewunderung für Friedrich II. durchaus nicht schmeichelhaft gewesen zu sein scheint. Der neue russische Peter III. war ja allen Anzeichen nach ein armer Narr, der an Friedrich II. einen Wesensgleichen bewundern zu dürfen glaubte und jedenfalls einen Narren an ihm gefressen hatte. »Friedrich pflegte ihn in seinen Schreiben nur le divin empereur zu nennen.««
Manfred griff im nächsten Bücherregal nach einem schönen Bande aus dem Insel-Verlage und fuhr fort: »Peters Gemahlin, die große Katharina, erzählt in ihren Memoiren: »Seit seiner Kindheit hatte der Großfürst (Peter III.) für den König von Preußen eine besondere Zuneigung …; die später in reinen Wahnsinn ausartete …; Er erfuhr mit Bedauern von dem Siege der russischen Armee (Großjägerndorf) über die preußischen Truppen, die er für unbesiegbar gehalten hatte.« Graf Poniatowski, der spätere König von Polen, scherzte in seinen Memoiren über die preußische Begeisterung Peters III. folgendermaßen: »Man muß wohl annehmen, daß Peters Amme und seine Lehrer dem Könige von Preußen ergeben waren. Denn von Kindheit an hegte er ein so starkes und gleichzeitig so lächerliches Gefühl der Verehrung und Liebe für diesen Fürsten, daß der König von Preußen selbst einmal über diese Leidenschaft (denn es war wirklich eine Leidenschaft) sagte: ›Ich bin seine Dulcinea, er hat mich nie gesehen und hat sich in mich verliebt wie Don Quichotte‹.« Es wirkt peinlich, den König von Preußen so undankbar über Peter III., seinen »göttlichen Kaiser« und den großen Retter Preußens spotten zu hören, denn gesetzt selbst, er sei ein kommißnärrischer Dummkopf gewesen, unterscheidet sich denn die friderizianische Begeisterung der preußischen Gelehrten irgendwie von der Schwärmerei des rettenden Peter III.? Treue Hundeseelen, denen das wahre Wesen ihres vergötterten Herrn unbegreiflich bleibt, die aber entschlossen sind, alles zu tun, um ihn vor der Verachtung der Menschheit zu retten!«
Hegemann: »Übrigens war ja der Siebenjährige Krieg durch den vorübergehenden Übertritt der Russen noch lange nicht ohne weiteres gewonnen. Friedrich der Große mußte vor und nach der Ermordung Peters III. noch bedeutende Proben seines überlegenen Diplomaten- und Feldherrngenies geben, bevor Preußen endgültig als Großmacht anerkannt wurde.«
»»Diplomaten- und Feldherrngenie«! – das wird Ihnen vielleicht scherzhaft klingen, wenn Ihnen die Schilderung der damaligen russischen Vorgänge bekannt wird, wie sie der preußentreue Professor Kurd von Schlözer gegeben hat. Lucchesini hat Ihnen bereits« (oben S. 136 f.) »von dem merkwürdigen Geschick erzählt, mit dem Friedrich der Große den Professor Groß durchprügeln ließ und sich so bei dessen Bruder, dem russischen Gesandten, einschmeichelte. Es darf Sie deshalb nicht wundern, daß Friedrichs Verehrer de Catt am 5. September 1759 seinem Tagebuche folgendes aus der Unterhaltung mit dem diplomatischen Könige anvertrauen konnte: »Groß, der russische Gesandte in Berlin, hat viel zum Bruch beigetragen. Der König konnte ihn nicht leiden. Zu einem Feste lud er alle Minister ein, nur den russischen nicht.« Der verschlagene Friedrich rechnete nämlich besonders auf das Bündnis mit Rußland.« (Vgl. oben S. 124.)
Manfred blätterte in Schlözers »Friedrich der Große und Katharina die Zweite«, wo er sich verschiedenes angestrichen hatte, und fuhr fort:
»Nachdem sich »das fast blinde Vertrauen«, das die vorige russische Kaiserin, Elisabeth, anfangs für Friedrich II. genährt hatte, durch Friedrichs unbegrenzte diplomatische Taktlosigkeit in Haß verwandelt hatte, waren die Überbringer von Friedrichs ungeschickten Friedensgesuchen in Rußland einfach ins Gefängnis gesteckt worden. Umgekehrt weigerte sich plötzlich der neue Czar Peter, die Botschafter der eigenen Verbündeten Österreich und Frankreich zu empfangen. »Dagegen fand jetzt kein Fest bei Hofe statt, kein vertraulicher Cirkel, zu welchem Goltz (Friedrichs neuer Botschafter) nicht regelmäßig eingeladen wurde.« Selbst ein Gesandter Friedrichs kann Erfolg haben. Friedrich II. hatte in der Tat beim Kaiser Peter III. einen Gesandten, mit dem er wirklich zufrieden war, in dem er also nicht nur einen »Briefträger« sah. Der russische Kaiser »sprach von König Friedrich nie anders als: ›der König, mein Herr.‹ Daß dieser ihn zum Hauptmann ernannte, rechnete er sich zur größten Ehre an«. Der Typ des preußischen Reserveoffiziers! Schlözer erzählt:
»»Die Unterhaltung berührte dann vornehmlich die Angelegenheiten des Königs …; ›Es gibt kein Regiment der preußischen Armee, von dem der Kaiser nicht die letzten drei oder vier Kommandeure bei Namen nennen könnte‹, berichtete Goltz an Friedrich. …; Die Erhebung zum preußischen General-Lieutenant erfüllte das Herz des Czaren mit freudiger Rührung, und nicht ohne Groll schreibt der sächsische Gesandte: ›Der König von Preußen ist der Kaiser von Rußland‹.« – »Die Umsicht und das ›Geschick‹ des preußischen Botschafters verschafften dem jungen gewandten Diplomaten die schmeichelhafteste Anerkennung seines Königs.« Kaiser Peter III. ahmte seinen vergötterten Friedrich auf das genaueste nach, nur daß er an Stelle des Französischen, das den Preußenkönig begeisterte, ebenso rückhaltlos das Preußische setzte. Ein Sieg des preußischen Geistes im Osten. Peters »Bevorzugung seiner deutschen Leibwachen vor den russischen Garden, die höhnende Verachtung, die er gegen alles russische Wesen und gegen die Nationalkirche zur Schau trug neben der fast kindischen Nachahmung preußischer Einrichtungen, besonders aber die rohe Behandlung seiner Gemahlin …;« diese von Professor v. Schlözer berichteten Dinge waren alle in Preußen – stets mit Bevorzugung von französischen statt »preußischen Einrichtungen« – durchaus am Platze und wurden von Preußens König genau geübt und gehörten zu seiner »Größe«. Auch Friedrichs schlesische Eroberungskriege wollte Peter III. getreulich nachahmen. Schlözer berichtet weiter: »Nun sollte gar ein abenteuerlicher Feldzug unternommen werden, um alte Ansprüche auf die schleswigschen Besitzungen zur Geltung zu bringen, nach deren Erwerbung kein Mensch auch nur das leiseste Gelüste zeigte. Schon war der Tag zum Aufbruch der Garden bestimmt; Peter selbst wollte die Führung des Krieges leiten.« Und bei dieser russischen Eroberung des deutschen Schleswig-Holstein wollte Friedrich der Große dem russischen Kaiser bekanntlich helfen.« (Vgl. oben S. 148 f.)
»Aber ganz so sklavisch wie die Preußen waren die Russen nicht. Die »roh behandelte Gemahlin« Peters war nicht – wie Friedrich II. es von der seinen behauptete – eine »alte Kuh«. Allerdings hatte der von Friedrich II. so schmeichelhaft gelobte preußische Gesandte seinem König geschrieben: »Ich muß Ihnen, Sire, unter dem Siegel der tiefsten Verschwiegenheit mitteilen, daß die Politik des russischen Hofes mir auferlegt, mich nicht zu sehr um Beziehungen zur Kaiserin zu bemühen.« Der »umsichtige« preußische Gesandte, seinem König an Scharfblick ebenbürtig, hielt sich darum um so enger an die Person des Kaisers und wurde auch zusammen mit dem Kaiser und seinem russenfeindlichen Hofstaat in Oranienbaum – seinem Sanssouci – von der großen Katharina gefangen genommen, nachdem er gemeinsam mit dem Kaiser zu fliehen versucht hatte. Seine Eigenschaft als Gesandter rettete ihm das Leben; aber er bat seinen großen König um Rückberufung, da – so schrieb er selber – »die Entfremdung der Personen, mit denen ich früher verkehrte, es mir unmöglich macht, irgendwelche Beziehungen aufrecht zu erhalten.« Das war wenige Wochen, nachdem seine »Meisterstreiche« von Friedrich II. mit den Worten bewundert wurden: »Vos coups d'essay, mon cher, sont des coups de maître«. Friedrich mußte sich dann nach weniger meisterlichen Gesandten nach Rußland umsehen und geriet im Laufe der Zeit schließlich auf Goethes Gegenspieler, den weimarischen Prinzenerzieher Graf Goertz.« (Vgl. oben S. 126 und 78.)
»Die Russen waren nicht wie die Preußen bereit, sich der dreisten Ausländerei ihres Herrschers zu unterwerfen. Gewiß, auch Katharina, geborene Prinzessin von Anhalt-Zerbst, war Ausländerin. Aber sie war nicht, wie Friedrich II. und sein ebenbürtiger Bewunderer Paul III., blind für die Grundlagen wahrer Macht. Schon im Jahre 1755 schrieb der englische Gesandte Williams über die Erfolge der jungen deutschen Prinzessin in Petersburg: »Seitdem die Großfürstin in dies Land gekommen ist, hat sie sich durch alle ihr zu Gebote stehenden Mittel bemüht, die Liebe der Russen zu gewinnen. Sie lernte sehr fleißig ihre Sprache und spricht sie jetzt, wie Russen mir sagen, vollkommen gut.« Friedrich II. prahlte, er könne Deutsch wie ein Kutscher sprechen. Ein König muß in der Tat den Verstand eines Kutschers haben, um die Sprache seines Volkes nicht besser zu lernen. Oder wollen die preußischen »Historiker« auch da wieder ein Goethewort verzerren und behaupten, die russische Sprache sei »eben schon entwickelter« gewesen als die deutsche, die einem »literarisch so hochgebildeten« Manne wie Friedrich »doch noch nicht« genügen konnte? (Das ganze Werk Kosers ist ein kratzfüßelndes »doch nicht«.) Diese preußischen »Historiker« sind allzu begierig, die Deutschen zu Ehren ihres romantischen Königs zu erniedrigen.
»Katharina war auch Schülerin Voltaires, aber »geistreicher« als Friedrich II. – Sie verstand, daß man ein Volk beherrschen kann, ohne es zu verachten. Als sie ihren preußenschwärmenden Gemahl beseitigte – v. Schlözer wird lyrisch – »sprengte sie auf einem weißgrauen, getigerten Hengste in die Mitte ihrer Garden. Sie trug die Uniform des Regiments Preobraschensk«,« Manfred schnalzte spottend oder bewundernd mit der Zunge, »»nicht die neue Uniform, die ihr Gemahl zum Unwillen der ganzen Armee nach preußischem Muster kürzlich eingeführt, sondern die alte bekannte, wie sie von Peter dem Großen angegeben war. Auf ihrer Brust glänzte der Andreasorden«. Und die preußischen »Historiker« streben nach dem Orden »pour le mérite«, der dem »Wirrkopfe« Carlyle für Verherrlichung des französelnden Königs verliehen wurde. Wirkt Friedrich II. neben Katharina, auch wenn man an seine Commis rats de cave, Jaugeurs, Visitateurs, Controllers und Anticontrebandiers etc. etc. etc. denkt, nicht wie ein anderer Paul III., wie ein geistig Zurückgebliebener?
»Katharina lernte Russisch. Der englische Gesandte schrieb, 1755, weiter über Katharina: »Sie hat ihr Ziel erreicht und wird hier in hohem Grade geliebt und geachtet. Sie besitzt große Kenntnisse von diesem Reiche und macht es zum Gegenstande ihrer eifrigsten Forschung. Der Großfürst (also der spätere Kaiser Peter III.) hat viel Vertrauen zu seiner Gemahlin und sagt oft: er selber verstehe zwar Nichts, seine Frau dagegen verstehe Alles.« Gewiß, Friedrich II. war vielleicht nicht klüger, aber sicher weniger galant als Peter III., und es ist ein Jammer, daß uns die Weltgeschichte den Anblick vorenthielt, den Friedrich II. gewährt hätte, wenn ihn eine große Frau wie Katharina unter den Pantoffel genommen hätte. Als den König von Preußen ließ die russische Kaiserin ihn gelten, weil sie ihn sofort brauchbar für den Kampf gegen das gefährliche Deutsche Reich erkannte. Wenn Katharina Friedrichs Frau gewesen wäre, hätte man etwas Lustigeres erlebt; oder ein Königsopfer?«
Manfred begann lachend das Bild Friedrichs unter dem Pantoffel zu malen. Ich unterbrach ihn: »Peter III. war kein Feldherr wie Friedrich der Große, der nach Peters Tode noch gewaltige Proben seines Feldherrngenies ablegen mußte, bevor er den Siebenjährigen Krieg gewann.«