Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Ich überhörte geflissentlich Manfreds Anspielung auf Roßbach und erzählte: »Der Zufall will es, daß Herr Georg Brandes mir gestern von dem verwandten Unfall Molières eine Darstellung gab, die sogar Ludwig den Vierzehnten in ein sehr pöbelhaftes Licht stellt. Als der Graf de la Feuillade, der sich in Molières »École des Femmes« angegriffen fühlte, den sich verneigenden Dichter um den Hals faßte und das Gesicht des Überraschten an den Metallknöpfen des gräflichen Rockes blutig rieb, soll Ludwig XIV. vorher sozusagen seine Einwilligung zu dieser Züchtigung gegeben haben. Wenigstens sagte Herr Brandes, La Feuillade habe auf die Frage: »Können Euer Majestät Molière entbehren?« von Ludwig XIV., der den Sinn dieser Frage wohl verstand, die wenig königliche Antwort erhalten: »La Feuillade, ich bitte um Gnade für Molière.« Mir liegt etwas daran, über diesen La Feuillade Bescheid zu wissen, weil Paris ihm den einst so schönen Platz des Victoires verdankt, dem ich in einem gerade im Druck befindlichen Buche einen Abschnitt widme.« Vgl. Seite 203 in »Der Städtebau usw.«, Verlag Wasmuth, Berlin 1913.
Manfred: »Die Angriffe auf den Marschall de la Feuillade – der ein Höfling im besten, ja verwegensten Sinne jener großen Zeit gewesen ist – stammen von seinen Neidern und sind nicht sehr zuverlässig. Die oft erzählte Begebenheit zwischen La Feuillade und Molière stammt aus einem Bericht, der mehr als sechzig Jahre nach der Aufführung der École des Femmes geschrieben wurde. Molière war also schon mehr als fünfzig Jahre tot, La Feuillade mehr als dreißig Jahre begraben, als man die Geschichte, die das Andenken der beiden Männer beschmutzt, zum ersten Male aufzeichnete.«
Hegemann: »Aber warum sollte man denn nachträglich den Wunsch verspürt haben, etwas so Häßliches zu erfinden?«
Manfred: »Der Herzog de la Feuillade hat einen anmaßenden Sohn gehabt, dem mancher gern etwas anhängen mochte, und die Verleumdung des Schauspielers Molière und seiner jungen Frau, der berühmten Schauspielerin Armande, hat ja schon vor Molières Tode und erst recht nachher erfolglose Nebenbuhler zu Urhebern so abenteuerlicher Schmähschriften gemacht, daß sie sich verschiedentlich nach Köln und Frankfurt wenden mußten, um Drucker zu finden. Wenn man diese angeblich durch Ludwig XIV. genehmigte Mißhandlung Molières durch den Herzog de la Feuillade glauben wollte, und dann etwa noch das verwandte Hintertreppengerücht hinzufügte, daß Ludwig XIV. den alternden Racine in Ungnade fallen und in Verzweiflung sterben ließ, dann stünde der große Ludwig allerdings häßlich da. Man brauchte sich dann nur noch zu erinnern, daß auch Fénélon in Ungnade starb, daß Pascals unsterbliche Lettres provinciales verbrannt wurden und was es ähnlicher trauriger Tatsachen mehr gibt, und man täte gut, zu fragen: Wenn das die Ergebnisse des vielgerühmten und heißbegehrten Mäzenatentums eines Königs sind, dann ist vielleicht die Ausrede, mit der Friedrich II. im Gespräch mit Mirabeau seine Verständnislosigkeit für deutsche Literatur zu entschuldigen versuchte, gar nicht so schlecht? Friedrich II. sagte: »Welch größeren Dienst hätte ich der deutschen Literatur erweisen können, als mich gar nicht um sie zu kümmern und ihre Bücher nicht zu lesen?« Wie zutreffend und begrüßenswert Friedrichs II. Selbsterkenntnis in diesem Falle auch sicher gewesen ist, in Frankreich lagen die Dinge doch anders. Daß es auch Ludwigs XIV. Pflicht gewesen sei, die Finger wegzulassen vom geistigen Leben seines Volkes, hat auch Friedrich II. nicht entfernt geglaubt.«
Thomas Mann rief zweifelnd: »Warum nicht?« und erinnerte uns an Schillers Verse:
Denn dort, wo Sklaven knien, Despoten walten,
Wo sich die eitle Aftergröße bläht,
Da kann die Kunst das Edle nicht gestalten,
Von keinem Ludwig wird es ausgesät;
Aus eigner Fülle muß es sich entfalten, …;«
Manfred antwortete lachend: »Das ist Schillers verschleierte Schilderung preußischer Verhältnisse. Von Frankreich heißt es dagegen im selben Gedicht:
Nur bei dem Franken war noch Kunst zu finden …;
Die Sprache selbst erhebt sich ihm zum Lied;
Es ist ein Reich des Wohllauts und der Schöne,
In edler Ordnung greifet Glied in Glied,
Zum ernsten Tempel füget sich das Ganze,
Und die Bewegung borget Reiz vom Tanze.
»Ich bin nicht gerade entzückt von dem »Ganzen« Schillers, aber Schiller scheint doch willens gewesen zu sein, die französische Vollendung zu würdigen. Gewiß, ein solches »Reich des Wohllauts und der Schöne« entfaltet sich nicht, »wo Sklaven knien, Despoten walten«. Nein!:
Nur mit der Wahrheit wird es sich vermählen,
Und seine Glut durchflammt nur freie Seelen.
»Aber es ist nicht »der gute Ton«; nicht die »Konvenienz«, die unfrei machen. Sie fragten, warum Friedrich II. nicht vielleicht geglaubt habe, daß Ludwig XIV. am besten auch seine Finger von der französischen Kunst gelassen hätte, wie Friedrich es bei der deutschen Kunst, und zu ihrem Heile, getan zu haben behauptet? Die Antwort scheint mir einfach: Weil Voltaire das nicht glaubte! In seinem »Siècle de Louis XIV«, das größtenteils in Berlin geschrieben wurde, ruft Voltaire bewundernd: »Ludwig XIV. kannte und beschützte alle großen Dichter mit Ausnahme Lafontaines, den eine bis zur Vernachlässigung getriebene Einfachheit dem Hofe ferne bleiben ließ«. (Lafontaine war ein künstlerischer Landstreicher, romantisch unbezähmbarer als ein Eichendorffscher Taugenichts.) Friedrich II. hat – getreu nach Voltairescher Vorschrift – seiner Bewunderung für Ludwigs XIV. Förderung der Künste oft Ausdruck verliehen. Ich glaube 1775 hat der Spötter Voltaire seine Auffassung der literarischen Aufgaben und Möglichkeiten eines Preußenkönigs in einem Briefe an Friedrich II. sehr höflich folgendermaßen geschildert: »Für die deutsche Literatur beginnt die Sonne erst aufzugehen; es würde strahlender Mittag sein, wenn Euer Majestät geruht hätten, deutsche Verse zu machen.« Dem Laster königlichen Versemachens, dem Friedrich zügellos frönte, war Ludwig XIV. nicht zum Opfer gefallen, und Molière, Racine oder seine anderen sprachmeisterlichen Freunde klagten nie, wie Voltaire in Sanssouci, über den Zwang, des Königs schmutzige Verse waschen zu müssen. Ludwig XIV. hat übrigens auch keine gelehrte dissertation über die französische Literatur geschrieben, obgleich er unendlich viel mehr von der französischen Literatur wußte als Friedrich II. von seiner deutschen, über die ausführlich zu schreiben er sich für verpflichtet hielt.
»Das: »alle großen Dichter kennen und beschützen«, das Voltaire an Ludwig XIV. rühmt, war das hohe Vorbild, dem Friedrich II. vergebens nacheiferte, als er schrieb, er wolle Berlin »zum Tempel der großen Männer machen«. Daß Friedrich II. dabei auch an ausländische große Männer dachte, entspricht dem Vorgehen Ludwigs XIV., von dem Voltaire berichtet, daß er geradezu eine internationale Gelehrtenrepublik begründete, indem er sich auch die Geistesgrößen des Auslandes durch Geschenke verband und sogar Professoren der heute kaum mehr berühmten deutschen Hochschulen von Altdorf und Helmstädt Ehrengaben übersandte. Allerdings für das unnachahmliche Geschick Friedrichs II., seinen Canitz zu loben und Paul Gerhardt und unseren Goethe zu verachten, alle Großen: Herder, Winkelmann, Lessing, Voltaire aus dem Lande zu treiben, um sich (wie der zur Bewunderung bereite Fürst von Ligne es entschuldigend ausdrückt), »mit Leuten von schlechtem Geschmack zu umgeben«, und La Mettrie, Pölnitz, La Beaumelle, Abbé de Prades, Lucchesini und andere königliche Geistesgenossen durch Geldzahlungen in seiner stachlichen Nähe festzuhalten, dafür allerdings findet sich kein Vorbild bei Ludwig XIV.; das ist rein friderizianisch! Dagegen findet Friedrichs des Großen Verachtung für Napoleons deutschen Lieblingsdichter – eine Verachtung, die sich bekanntlich auf das damals auch in Berlin gespielte Volksstück Götz von Berlichingen gründete – ein reizendes Gegenstück, kein Seitenstück in Ludwigs XIV. Vorliebe für die Volksstücke Scarrons, von denen dem Sonnenkönige namentlich eines so gefiel, daß er es sich, in seinen jüngeren Jahren, an einem Tage dreimal spielen ließ. Die Stücke Scarrons gehören zu den Volksstücken im Geiste Rabelais'schen Überquellens, den auch – wie man weiß – Molière höchlichst genoß. Diesem Geiste sind die deutschen Hauswurstiaden nahe verwandt, die Friedrichs II. »sächsischer Schwan« Gottsched mit derselben falsch verstandenen Französischtuerei von der deutschen Bühne verbannt hat, mit der Friedrich selbst später gegen den volkstümlichen »Götz von Berlichingen« eiferte und mit der er gegen Goethes »Hanswursts Hochzeit« geeifert hätte, wenn Goethe durch einen teilnehmenden Ludwig XIV. – ohne Wissen Friedrichs II. – zur Vollendung dieser nun leider unvollendet gebliebenen Posse königlich gedrängt worden wäre. Nichts zeigt schärfer den Gegensatz zwischen der Volksfremdheit – oder muß man sagen: der Verstiegenheit? – Friedrichs II., auf der einen Seite und der Bodenständigkeit des, auch bei höchster Sonnennähe, in seinem Volke wurzelnden Geistes Ludwigs XIV., auf der anderen Seite, als das Verhältnis der beiden Fürsten zur Volksbühne.«
Hegemann: »Sie müssen zugeben, Friedrich II. hatte in seiner Jugend nicht entfernt dieselben Möglichkeiten, sich für ein volkstümliches Theater zu erwärmen, wie Ludwig XIV.«
Manfred: »Es gibt irgendwo einen Bericht, in dem man den Kronprinzen Friedrich sich hochnäsig von einer Bühnenvorstellung abwenden sieht, die seinem Vater Spaß machte. Und sicher, in dem preußischen Prügelparadies Friedrich Wilhelms I. war alles aussichtslos. Die Albernheit der preußischen Geschichtschreibung zeigt sich auch gerade in der Art, wie sie die hoffnungslosen preußischen Zustände als bezeichnend für die Verhältnisse im Deutschen Reiche des achtzehnten Jahrhunderts behaupten und damit die Französelei ihres Friedrich entschuldigen möchte.
»Hören Sie dagegen einmal einen Nichtpreußen wie Cornelius Gurlitt (verglichen mit preußischen Geschichtschreibern wirkt er wie ein gebildeter Ausländer) über August den Starken reden. Gewiß, August war gereist und hat anders als die Preußenkönige etwas von der Welt gesehen. Augusts des Starken Beurteilung kultureller Werte war vor allem nicht in Friedrichs II. Provinzlertum befangen, das stets vor Paris auf dem Bauche zu liegen und die Brauchbarkeit der eigenen Beine zu bezweifeln begehrte.«
Hegemann: »Hatte August der Starke etwa keine französischen Schauspieler?«
Manfred: »Die hatte und schätzte er; aber sie verhinderten diesen König nicht, geistig mit seinem Volke zu leben. Er war nicht so grauenhaft phantasiearm, daß er nicht die hohe Bedeutung des Strebens im eigenen Volke begreifen und den Strebenden seine Teilnahme bekunden konnte. Er, der König von Polen, nahm sich der deutschen Komödianten an und ließ ihnen Kleider aus dem Vorrat der königlichen Hofbühne zur Verfügung stellen. Ein königlicher Hofkomödiant war »Prinzipal der hochdeutschen Bande«. Und Augusts verständnisvolle Teilnahme hat bessere Früchte getragen als die verständnislose Vornehmtuerei Friedrichs II. Aus der sächsischen »hochdeutschen Bande«, nicht aus Friedrichs II. französischem Theater am Gendarmenmarkt, entwickelten sich die herzoglichen Sachsen-Merseburgischen und Weimarischen Hofkomödianten. Die Karoline Neuberin und die großen Namen der Folgezeit von Eckhoff bis Iffland gingen alle aus diesem Kreise hervor; ohne die dort gegebenen Anregungen wäre die hamburgische Dramaturgie des Sachsen Lessing unmöglich gewesen. Selbst mittelmäßiger Verstand hätte einen politischen Denkens fähigen König davor bewahrt, das in Sachsen geschliffene Geistesschwert zu verschmähen, als Lessing es einem »wohl affektionierten König« anzubieten drängte. Aber dieser »König« war kein König.
»Wenn Richelieu, Mazarin und Ludwig XIV. solch fremdnärrische snobs gewesen wären wie Friedrich II., hätten sie – mit demselben Rechte wie Friedrich – das Heimische vernachlässigt und hätten das damals höher entwickelte Italienische allein gelten lassen. Bei derartigem Unverstande wäre das französische Theater zu demselben würdelosen und ewigen Tode verdammt gewesen wie das preußische. Preußen behaupten gern, von Friedrich II. dürfe man noch nicht soviel deutschnationale Einsicht verlangen, wie sie die dreißig Jahre jüngere Mutter des Weimarer Carl August schon bewies. Aber wie »euphemistisch« man auch Friedrich II. beurteilen soll, so ist es doch vielleicht keine unbillige Zumutung, wenn man von ihm ebensoviel Verständnis für die unwägbaren aber zukunftsschweren Werte deutschen Volkstums erwartet, als schon vierzig Jahre vorher der König von Polen an den Tag legte.
Hegemann: »Ich fand es immer sehr lustig, ja verdienstvoll, wie Friedrich der Große dem »geistlichen Muckerpack« in Halle, das gegen die deutschen Schauspieler zeterte, auf die Finger geklopft hat.«
Manfred: »Ja, das klang ganz nett. Aber bitte, lassen Sie uns doch einmal näher zusehen. Ich wette, wir finden auch hier nichts als echt friderizianische Ungezogenheit, die mit unfehlbarer Sicherheit das verkehrte Opfer trifft.«
Manfred blätterte in einigen alten Büchern; ich erkannte Preuß, Büsching und J. C. Freier. (Manfred zog meist die älteren Werke über Friedrich den neueren vor, er hielt sie für »ehrlicher«.) Dann fuhr er fort:
»Gewiß, die Universität Halle hat im Jahre 1745, nach großen Studentenprügeleien im Theater, beantragt, »daß wegen vorgefallner Unordnungen keine Komödianten mehr in der Stadt geduldet werden möchten« und Friedrich II. antwortete ganz im Stil seines plumpdreisten Vaters: »Das ist das Geistliche Mukerpack Schuldt daran. sie Solen Spillen und Herr Franke oder wie der Schurke heißt, Sol darbei Seyndt, umb die Studenten wegen seiner Närischen Vohrstelung eine öfentliche Reparation zu tun, und mihr Sol der atest vom Comedianten geschiket werden, das er dargewesen ist.«
»Und »Herr Franke oder wie der Schurke heißt«, der Sohn des Begründers der Frankeschen Stiftungen, mußte zwanzig Thaler Strafe zahlen, obgleich die Universität berichtete, »daß der Professor Franke bey dieser ganzen Sache auf keinerlei Weise concurriret hat««.
»Der König wollte, daß die Hallenser Studenten sich im deutschen Theater bilden? der König hat wohl etwas getan für dieses deutsche Theater? Am 21. Juni 1771 war der weise König von Preußen anders gelaunt und er wetterte gegen das Berliner Theater, das in Halle gespielt hatte, mit folgender Kabinetsordre: »Seine Königliche Majestät in Preußen etc. finden Sich durch die, von der Döbbelinschen Schauspielergesellschaft zu Halle veranlaßte große Unordnungen, in Dero bereits vorhin gefaßten Meinung noch mehr bestärkt, daß öffentliche Schauspiele sich ganz und gar nicht für Städte und Örter schicken, wo junge Leute zum Dienste des Stats gebildet werden sollen. Es geben solche nur vielmehr der Jugend Anlaß, Zeit und Geld unnützerweise zu verschwenden, und die auf diesen Pflanzschulen so unumgängliche nöthige gute Zucht zu stören und zu unterbrechen, und in allem diesen Betracht wollen Höchstgedachte Seine Königliche Majestät aus wahrer landesväterlicher Vorsorge dergleichen weder auf Dero Universitäten, noch in deren Nachbarschaft weiter gestattet wissen.« (Preuß, III, 359 f.) Dieser königliche Bannstrahl traf ausgerechnet die Döbbelinsche Schauspielergesellschaft! die war wohl nicht so gut, wie die 1745 vom Könige gewaltsam beschützte Gesellschaft? Oder waren die preußischen Studenten nach dreißig Jahren »großartiger geistiger Kulturpflege« Friedrichs II. noch größere Rauhbeine geworden? (Vgl. oben S. 41 und 104.) Ach, die von Friedrich II. verfolgte Döbbelinsche Schauspielergesellschaft hatte gerade alle Hindernisse der Königlichen Zensur überwunden und Lessings Minna von Barnhelm – auf deutsch! (vgl. oben S. 314–16) – »mit einem so unerhörten Beifall auf die Berliner Bühne gebracht, daß das Stück in 22 Tagen 19mal gegeben wurde und die Bewohner der Residenz entschieden für den Geschmack an der deutschen Kunst gewann« (Preuß, III, 362). Unerhörtes Verbrechen: zehn Jahre vor Friedrichs dissertation! Friedrich verfügte also gegen diese Schauspieler, »daß öffentliche Schauspiele sich ganz und gar nicht für Städte schicken, wo junge Leute zum Dienste des Stats gebildet werden sollen«. Steigt Ihnen da keine Galle auf? Aber »Herr Franke oder wie der Schurke heißt« wurde vom König zum Consistorialrat ernannt.
»Sie glauben, Friedrich II. habe etwas für die Entwicklung des Theaters in Berlin getan? Hier findet sich bei Preuß gleich anschließend die genaue Schilderung eines typischen königlichen Theaterbesuchs: »Der König trat unter kriegerischen Trompetentönen in das Opernhaus in den Kreis seiner Generale und Offiziere auf dem vorderen Parterre, dessen Hälfte mit denen, aus allen Regimentern kommandirten gemeinen (geprügelten!) Soldaten sich füllte; und pflegte wohl, auf die Scheidewand des Orchesters aufgelehnt, dem dirigirenden Kapellmeister in die Noten zu sehen. Der König klatschte bisweilen, er allein, dem Orchester oder einer Sängerin Beifall zu.«
»Auf mich wirkt das alles barock verschroben oder widerlich. Sagen Sie mir nicht, Friedrich II. sei zu alt gewesen, um an dem mächtig auflebenden deutschen Theaterleben teilnehmen zu können. Die große Neuberin war 15 Jahre älter als Friedrich II. Ihr Schüler Koch, der in Berlin »seine Bühne 1771 in der Behrenstraße sehr glänzend mit Lessings ›Sara Sampson‹ eröffnete«, war 9 Jahre älter als Friedrich II. »Alle diese herrlichen Talente erfreuten die gebildete Berlinerwelt in engen und unscheinbaren Räumen: in Buden, auf dem Rathause, in Hintergebäuden« (Preuß, III, 365), und der König saß in dem riesengroßen Opernhause (einem der größten der Welt) vor kommandierten Soldaten und hörte schlechte italienisierende Musik. Preußisches »Volksleben«! Für Schauspiele war das Gebäude zu groß, so »baute Friedrich II. 1775 für die französischen Komödianten in der Mitte des Gensd'armenmarktes ein Schauspielhaus mit der Aufschrift: ›Ridentur et corriguntur mores‹ (!?), welches 1200 Plätze hatte, aber nur von kurzem Bestande war, weil das Deutsche Theater ihm großen Schaden tat.« Diesem totgeborenen französischen Theater Friedrichs II. versuchte sein »Directeur des Spectacles« Leben einzuhauchen, indem er »Minna de Barnhelm« auf französisch aufführen ließ! Aber trotz dieser echt friderizianischen Querpfeiferei pfiff sein Theater aus dem letzten Loch.
»Ranke möchte in einem verwandten Zusammenhang völlige Ahnungslosigkeit des Königs annehmen und sagt: »... die Akademie zu Berlin fuhr fort französisch zu sprechen; wenn diese bereits in ihrer unmittelbaren Umgebung einen in sich selbst überlegenen Widerspruch fand, so hat der König an seiner Stelle denselben nicht einmal bemerkt.«« (Ranke, »Die deutschen Mächte …;«, II. Aufl. S. 85.)
»Aber Friedrichs Ärger war größer als seine Ahnungslosigkeit. Als sein Schauspieldirektor die Berliner schließlich durch »Pantomimen« in das leerstehende französische Theater ihres großen Königs locken wollte, verfügte Friedrich französisch: »Nein, ich werde die Pantomimen nicht gestatten, es gibt schon zu viele Spectacles in Berlin.« Später benutzte er den »Kartoffelkrieg« als Vorwand, sein französisches Theater eingehen zu lassen. Die Ausrede, mit der er seine Niederlage verdecken wollte: »Die gegenwärtige Zeitlage bereitet ernstere Auftritte vor. Man kann sehr gut ohne Lustspiele auskommen«, wird von sachfremden Beurteilern als das Wort eines königlichen Weisen mißverstanden; gerade als ob dieser höchst schädliche Kartoffelkrieg, der Goethe zum tätigen »Verschwörer« gegen Friedrich II. machte (vgl. oben S. 190-232), für Preußen einen anderen Sinn gehabt hätte, als vielen Tausenden von Friedrichs mißhandelten Soldaten trotz des Dienstes in der Oper Gelegenheit zum Durchbrennen zu geben »in lichten Haufen« und »unter den Augen des Königs«.« (Preuß IV, 334.)
Hegemann: »Ihnen scheint alles Verständnis dafür zu fehlen, daß der Geist des kriegerischen Preußen nichts mit Komödie zu tun hat.«
Manfred: »Friedrich hat verschiedentlich während des Kriegs Oper spielen, er hat sogar während des Siebenjährigen Krieges Arbeiten in den Gärten von Sanssouci ausführen lassen und dabei mehr Geld verausgabt als Maria Theresia, die auch mitten im Siebenjährigen Krieg mehr Verständnis für die theatralischen Bedürfnisse einer Großstadt hatte als Friedrich II. ein Jahr vor Beginn seines schimpflichen Kartoffelkrieges. »Es giebt schon zuviele Spectacles in Berlin«, sagte Friedrich II. 1777. Als dagegen in Wien 1759 die beiden deutschen Bühnen unter Geldschwierigkeiten litten, schrieb die weitsichtige Maria Theresia (auf deutsch): » Spectacles müssen sein, ohne dem kann man nicht hier in einer solchen großen Residenz bleiben. Beede Komödien müssen bleiben und destiniere ich hiezu 150 000 Gulden.« {Verw. auf Anmerkung} Auf diesen beiden Bühnen wurden die ganz oder halb extemporierte »Kunstkomödie« und das ernste deutsche Schauspiel im Geschmack Gottscheds gespielt. Da pulsierte das Leben, aus dem das deutsche Theater erwachsen ist und das Hofmannsthal zu der Behauptung berechtigt, daß Wien in den letzten hundertfünfzig Jahren neben Paris die erste Theaterstadt der Welt gewesen ist. War das nicht mehr wert als die »Siege« von Leuthen oder Hochkirch?«
Ein Teilnehmer am Gespräch warf ein: »Wie Sie die Bedeutung dieser Dinge überschätzen!«
Manfred: »Es war Friedrich der Große, der glaubhaft zu machen versuchte, er möchte weit lieber ein gutes Theaterstück, die für Ludwig XIV. geschriebene Athalie, gedichtet, als die Siege des Siebenjährigen Krieges erfochten haben. Übrigens wollte ich ja nur nachweisen, daß die preußischen »Historiker«, die ihrem Friedrich »dem Großen« zu Ehren überlegene Fürsten wie August den Starken, Maria Theresia oder Ludwig XIV. verächtlich machen möchten, in lächerliche Widersprüche geraten.«
Hegemann: »Sollte denn der Begriff hochfahrender, volksfeindlicher Prachtliebe, den man im deutschen Geschichtsunterricht meist mit Ludwig XIV. verbindet, gar keine Berechtigung haben?«
Manfred: »Ich höre den sittlich überlegenen Treitschke mit seinem: »Ludwigs XIV. Königtum der höfischen Pracht und Selbstvergötterung«. Von Friedrichs II. »Neuem Palais« und von Friedrichs eitelem: »Haben meine Verse nicht etwas von der Leichtflüssigkeit Racines?« schweigt Treitschke.«
Hegemann: »Paßt nicht vielleicht zu Treitschkes Auffassung die schmachvolle Behandlung, die Molière, Racine und andere Geisteshelden von Ludwig XIV. erlitten haben sollen, ganz gut? War nicht vielleicht Ludwigs Geschmack in Wirklichkeit auf die Derbheiten und Schlüpfrigkeiten Scarrons eingestellt und er nahm Molière und Racine nur zufällig und vorübergehend mit in den Kauf?«
Manfred: »Man müßte wirklich wünschen, das niederträchtige Gerücht von der Mißhandlung Molières, die Ludwig genehmigt haben soll, wäre wahr! Welche romantische Erzählung von der aufrichtigen Reue und Buße Ludwigs XIV. ließe sich daran anknüpfen! Lassen Sie die Ereignisse einmal im Geiste an sich vorüberziehen. Stellen Sie sich den jugendlichen Ludwig vor, verliebt in die Bühne des Volkes und die wilden Burlesken Scarrons; dann freundet er sich mit Molière an; der nicht mehr verachtete Komödiant verdrängt den Hofnarren, den Ludwig in seiner Frühzeit, wie ein mittelalterlicher Fürst, wie der Kaiser im Faust II, noch gehabt hat; Ludwig ist entzückt von den Lustspielen Molières und machte ihn auf lächerliche Höflinge aufmerksam, die Molière auf Ludwigs Wunsch in seinen Schimpf- und Scherzspielen verewigt; Ludwig zeigt aller Welt seine Bewunderung für Molière; er läßt den einst verachteten Spaßmacher an seinem Tisch sitzen und ruft den staunenden Höflingen zu: »Ich bin dabei, Molière zu bedienen, dessen Gesellschaft euch nicht gut genug war«; die Höflinge wehren sich mit den tausend Waffen der Gehässigkeit und höfischen Ränke gegen den unerschöpflichen und unerbittlichen Spott Molières; der Prinz von Conti, einst Schulkamerad und dann Beschützer Molières, schreibt scharf gegen Molières »Schule der Ehemänner«; ein geistiger Zweikampf entbrennt, wie er vielleicht nie leidenschaftlicher, sicher nie auf stolzerer Bühne und von stolzeren Kämpen gefochten worden ist; Boileau kommt seinem Freunde Molière mit einem berühmten Gedicht zu Hilfe; Molière selbst bringt seine »Kritik der Schule der Frauen« auf die Bühne, in der er die Höflinge und – wie es die spätere Überlieferung wahr haben will – besonders den verwegenen Grafen de la Feuillade aufs neue und noch schärfer angreift; dann soll die berühmte Mißhandlung Molières erfolgt sein durch La Feuillade oder durch einen Prinzen (vielleicht Conti), wie ein anderer Bericht andeutet, nachdem – angeblich – der Dichter vom Könige vorher preisgegeben worden war. (Andere Berichte scheinen im Gegenteil zu beweisen, daß La Feuillades Streiche, verwegen wie sie manchmal waren, eher die Mächtigen als die Schwachen getroffen haben. Oder sah er in Molière bereits einen Mächtigen?!) Und was dann? Niemand ist vor den Streichen dieser tollen Junker sicher, das mag sein; es bleibt die Frage: Verüben sie ihre Streiche unbestraft? War der Dichter, wie Brandes es will, rechtlos und wehrlos? Nein! Denn nie hat sich jemand ausgiebiger gerächt als Molière an den »Marquis«, die ihm hochfahrend begegnet waren, welche Form ihr Übelwollen auch angenommen haben mag. Nicht Molière war wehrlos, sondern im Gegenteil, jedermann – gleichviel, ob hoch oder niedrig – war wehrlos, wenn der geistvollste Sittenprediger aller Zeiten ihn zu züchtigen für gut fand. Molière muß des Rückhaltes beim König ganz sicher gewesen sein, anders hätte er seine Rache an den mächtigen Marquis nicht wagen dürfen. Er brachte unverzüglich sein »Impromptu de Versailles« auf die Bühne: bei keiner anderen Gelegenheit hat er ganz so geradezu anzüglich, unverhüllt, niederschmetternd geschrieben. Hatte Molière vorher die Herren »Marquis« lächerlich gemacht, so wies er jetzt nach, daß es nichts Lächerlicheres gäbe als einen Marquis. – Marquis? Ja, was in aller Welt sollte denn aus dem Lustspiel heute werden, fragte der Dichter, wenn es keine Marquis gäbe, die wie dazu geboren sind, als Narren die übrige Menschheit lachen zu machen? Und das wurde nicht etwa nur auf einer Pariser Bühne, sondern zuerst vor dem König in Versailles gespielt. Man denke sich die adligen Herren, die es nach damaliger Sitte als ihr Vorrecht betrachteten, rechts und links auf der Bühne zu sitzen: die Schauspieler konnten ihnen so den Hohn recht eigentlich ins Gesicht sagen und unter dem Gelächter der Zuschauer mit dem Finger zeigen, wer jedesmal der Verspottete und was die Lächerlichkeiten seines Anzugs und Gebarens waren. Etwas Ähnliches hat es seit Aristophanes nicht mehr gegeben. Und Ludwig XIV. lachte und schützte den Dichter gegen offene Angriffe. Die Flut von heimtückischen Verleumdungen, die gegen Molière losbrach, war beispiellos; daß er die Zielscheibe beleidigender Bühnenstücke wurde, ist selbstverständlich; daß er der Vater seiner jungen Frau genannt wurde, ist vielleicht weniger schlimm, als es damals klang; denn es ist ja vielleicht wahr: Armande ist vielleicht eine Antigone. Aber man suchte Molière auch zu packen, wo er vielleicht verwundbarer war, und verschrie seine junge Frau als öffentliche Dirne, und man überbrachte dem König eine vernichtende Anklageschrift gegen Molière. Der König und seine Schwägerin (die Vorgängerin Liselottes von der Pfalz) antworteten mit der Übernahme der Patenschaft für den gerade geborenen Sohn Molières. Der Zweikampf zwischen Dichter und Welt tobte weiter und nahm immer wildere und weltgeschichtlich bedeutsamere Formen an. Denn Molière war nicht bereit, den Hof nur friedlich zu erheitern, etwa mit tragikomischen Balletten wie »Psyche«, wo er mit Corneille, Quinault und Lulli zusammenarbeitete – keine schlechte Gesellschaft! –, sondern er war der große Moralist des Zeitalters – vielleicht sollte ich sagen: unserer Zeit. Jedenfalls wurden damals Waffen des Witzes geschmiedet, die Friedrich II. sein Leben lang vergebens zu schwingen versuchte.
»Wenn ich Molière so hochstelle, muß ich allerdings gestehen, daß ich mich mit den Werken Ayrenhoffs noch nicht vertraut gemacht habe.«
Hegemann: »Ayrenhoff?«
Manfred: »Sie als Deutscher müßten diesen großen Wiener Nebenbuhler Molières eigentlich kennen.«
Hegemann: »Ich bin im Wiener Lokalpatriotismus nicht bewandert.«
Manfred: »Dieser Undank trifft nicht nur den großen Ayrenhoff, sondern auch den großen Friedrich, der in seinem tiefschürfenden Werke – Schmähschrift nennen es andere – über die deutsche Literatur den Wiener Ayrenhoff als von Molière unübertrefflich entdeckte, um sich dann, genau wie die aufmerksam lauschenden Deutschen, nicht mehr um seine große Entdeckung zu kümmern.
»So bleiben wir denn bei Molière, dessen weltgeschichtlicher Kampf um Religionsfreiheit in Paris mehr Leidenschaft aufregte als der unsterbliche Ruhm, den Friedrich der Große seinem Verfasser des »Postzuges« sichern konnte, je bei den gleichgültigen Deutschen aufgewirbelt hat. Also zu Molières Kampf: