Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

»Des Wirrkopfes Carlyle Prostration vor dem ›Heros‹«

(Nietzsche)

Thomas Mann wollte nichts von Humorlosigkeit wissen. Er meinte im Gegenteil, »ich wüßte wahrhaftig nicht, in welchem Geiste man besser Weltgeschichte erzählte als im Geiste heroischen Humors.«

Wir versuchten uns über die Bedeutung des Wortes Humor in der geschichtlichen Betrachtung zu einigen, und Thomas Mann erklärte, daß er heroischen Humor recht eigentlich bei Thomas Carlyle und in dessen Heldengeschichte Friedrichs von Preußen finde. Manfred schien erstaunt und aufmerksam nachzudenken; schließlich sagte er: »Daß Sie bei Carlyle Humor finden, überrascht mich. Ich verstehe Sie doch recht: Sie wollen nicht sagen, daß er lächerlich ist, sondern daß seine Äußerungen Humor haben; Sie lächeln mit ihm, nicht über ihn?«

Thomas Mann bestätigte, Manfred habe ihn recht verstanden.

Manfred: »Wissen Sie, daß Carlyle Schotte ist?«

Thomas Mann bejahte. Manfred dachte wieder nach; schließlich sagte er: »Das bedeutet für Sie nicht dasselbe wie für mich. In meiner Heimat sagt man manchmal: A scotchman never sees a joke. Der namentlich in Amerika gefeierte englische Dichter Barrie (der alle seine Stücke der großen Maud Adams auf den Leib zu schreiben scheint) hat viel über die Humorlosigkeit der Schotten gescherzt. Den Vorwurf der Humorlosigkeit haben sich viele, die von Schotten abstammen, zu Herzen genommen, und ihre Versuche, Humor zu zeigen, haben oft etwas so eigentümlich Dünnlippiges, Tantenhaftes – ja, es wirkt manchmal drollig; aber wenn Ihnen hier diese Schnurrpfeifer vom Schlage Carlyles so oft in die Quere liefen wie uns in Neuengland, ich glaube, Sie würden sich langweilen, statt zu lachen.«

Manfred stand plötzlich auf, ging zu einem Bücherschrank und rief: »Aber ich glaube, ich kann Sie überzeugen. Hier stehen die sechs Wälzer von je siebenhundert Seiten, die dieser humorvolle Schotte über Friedrich II. geschrieben hat. Mir ist, als ob fast jede Seite die gelehrte alte Jungfer verriete, die gern mittun möchte, ohne ein weites Herz zu haben.«

Manfred öffnete einen der dicken Bände. »Man mag aufschlagen, wo man will,« fuhr er fort, »hier gibt Carlyle den Bericht Wilhelmines, von dem Sie gestern sprachen, über die angeblichen Liebesabenteuer ihres sechzehnjährigen Bruders. Die Markgräfin erzählt leichthin, wie mit einem spöttischen Lächeln; Sie entsinnen sich, wie Bismarck einmal, nebenbei und von oben herab, von den jugendlichen Prahlereien Friedrichs II. auf geschlechtlichem Gebiete spricht. Aber hören Sie, was Carlyle dazu zu sagen hat; sein humorwollendes Lächeln verzerrt sich zur seitenlangen frömmelnden Strafpredigt. Hier, sehe ich, wird zwei-, drei-, fünf-, nein sechsmal auf einer Seite der König von Sachsen, weil er den jungen Friedrich verkuppelt haben soll, »Beelzebub« genannt. Carlyle ruft: »Heavens, human language is unequal to the history of such things«, »unspeakable«. Die Prinzessin fand Worte, aber Carlyle findet keine Worte; trotzdem redet er weiter: »Poor young Fritz!«; »poor brother!«; » poor Fritz!« und immer noch mal »armer Fritz!« Wirklich, arm genug! Hier auf der nächsten Seite wird der arme Junge ein »Rhinozeros im Dreckbad« genannt; hier noch mal; viermal Rhinozeros auf einer halben Seite; hier ein »Rhinozeros, das sich im Dreckbad wälzt; nur die Schnauze ist sichtbar, und dreckiges Gurgeln ist alles, was man hört«.«

Manfred schien höchlichst erheitert. »Nicht wahr, da sieht man doch, daß hier Carlyle und nicht der »arme Fritz« das Rhinozeros ist! Im Dreckbad wälzen? Wilhelmine versichert, die Formera sei schön gewesen »wie Venus und die Gracien‹; und die Orzelska? Hier steht Pöllnitz' Urteil: › of fine figure, had something grand in her air and carriage, and the prettiest humour in the world. She often appeared in men's clothes, which hecame her very well. People said she was extremely openhanded.‹ Wenn nicht der ganze Bericht über des ›armen Fritz‹ Erfolge bei diesen Damen wahrscheinlich Aufschneiderei wäre, oder wenn wirklich die Orzelska zum Tagesdienst beim preußischen Kronprinzen befohlen wurde, dann war sie vielleicht dieselbe, an die Friedrich noch 1771 so dankbar zurückdachte (vgl. oben S. 247), vielleicht die einzige Frau aus größerer Welt, die jemals ein nachsichtiges Wort für den ›armen‹ Friedrich II. gefunden hat. In so liebenswürdigen Geschöpfen ein Dreckbad sehen zu wollen, dazu gehört ein eigentümlicher Humor! Wirklich: ›armer Fritz‹, der bis zu seinem Lebensende den ›ausgezeichneten Ton‹ Voltaires lobte; er ahnte nicht, daß der Ordre pour le mérite an Carlyle zum Lohne dafür verliehen werden würde, daß er ein Rhinozeros im Stifter des Ordens entdeckte. – Aber nicht genug mit dieser Rhinozerospredigt Carlyles, nein, doppelt genäht hält besser; es folgt über denselben Gegenstand eine zweite Predigt von › Sauerteig‹, das ist einer der witzelnden Decknamen Carlyles im Stile seines Professors Teufelsdrökh aus dem Sartor Resartus, also unverfälschte Flegeljahre frei nach dem von Carlyle so verehrten Jean Paul. Das erinnert mich an eine besonders schmähliche Selbstentlarvung, die sich Carlyle beschert hat.«

Manfred öffnete den sechsten Band und fuhr fort: »Carlyle schildert hier, wie Friedrich die Wartequartiere seines Kartoffelkrieges von 1778 mit dem Abfassen der › Eloge de Voltaire‹ ausfüllte. Carlyle geht nicht weiter ein auf den Inhalt dieser Ruhmrede Friedrichs auf seinen verstorbenen Lehrer Voltaire, sondern deutet kurz an: ihre Logik ist für uns veraltet; der Leser möge mir gestatten, statt dieser alten eine ganz neue ›Ruhmrede‹ einzufügen: und dann wartet Carlyle wieder mit einer seiner teufelsdröhkischen Jean-Pauliaden auf, in der er sein Bedauern ausspricht, daß es für Voltaire keinen Friedrich Wilhelm I. gegeben habe, der ihn im Tabakskollegium hätte mißhandeln lassen können, wie dieser König dort seine deutschen Hofnarren und Akademiepräsidenten prügeln und mit Pech begießen ließ. Wenn es nach Carlyles Wunsch ginge, dürfte man sagen: Grattez le Russe Frédéric II et vous trouverez le cosaque Frédéric-Guillaume I. Vielleicht hat nichts so sehr zu der grenzenlosen Verachtung Friedrichs II. für deutsches Wesen beigetragen als die widerliche Gemütlichkeit des Tabakskollegiums, dem beizuwohnen sein Vater ihn oft zwang. Diese heimischen Roheiten, die Friedrich im Verkehr mit gebildeten Franzosen und vor allem mit Voltaire zu vergessen suchte, wünschte der humorvoll frömmelnde Schotte für Voltaire in dem Augenblicke, in dem Friedrich seinen Lehrmeister ehren wollte. Dabei erklärt Carlyle, sein Liebling Friedrich II. sei im Grunde nichts weiter als »verwirklichter Voltaire«.«

Manfred griff nach einem anderen Bande. »Oder was sagen Sie zu Carlyles Behandlung der preußischen Rechtsansprüche auf Schlesien, über die Friedrich selbst sich gelegentlich lustig machte (vgl. oben S. 134), und die Sie heute morgen doch, wenn ich recht verstand, auch lächelnd beiseite schoben? Hier spricht Carlyle mit Feierlichkeit von dem Verschulden des Kaisers, diese Ansprüche – es war zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges – an sich gebracht zu haben, und versichert geheimnisvoll: »eine derartige Schuld muß schließlich auf diese oder jene Weise mit Zins und Zinseszinsen heimgezahlt werden«. Diese göttliche Gerechtigkeit führt Carlyle dann dazu, den ersten Schlesischen Krieg damit endigen zu lassen, daß er »Österreich gestohlenes Gut ausliefern« läßt. Wenn es Carlyle später darauf ankommt, Friedrichs gesetzwidriges Verhalten in der Streitsache des Müllers Arnold zu rechtfertigen, stellt er sich auf den entgegengesetzten Standpunkt und kann nichts Lächerlicheres, nichts Gemeingefährlicheres entdecken, als an verjährten Rechtsansprüchen festhalten zu wollen.« Manfred blätterte weiter und begann noch einmal: »Hier spricht Carlyle von der ›skandalösen Schmähschrift Voltaires, des Sprechers einer gewissen zahlreichen, unseligen Klasse von Lakaien, die drunten Saturnalien feiern‹. Carlyle hielt sich für den englischen Propheten Goethes; er übersieht oder verschweigt absichtlich, wie sehr Goethe diese ›Schmähschrift‹ in den Briefen an Frau von Stein gerühmt hat (vgl. oben S. 237 f.); diese Briefe sind fünfzehn Jahre vor Carlyles Frederick the Great veröffentlicht worden. Scherzhafterweise gibt Carlyle die Unterhaltungen Friedrichs mit dem Fürsten von Ligne in ihrer ganzen Fülle wieder; nur die homosexuellen Witze des Königs läßt er aus.

»In seiner ganzen Aufmachung erscheint mir Carlyle als kein glücklicher Nachahmer seines verschrobenen deutschen Meisters Jean Paul. Es gibt köstliche Sachen bei Jean Paul, aber ich gestehe, ich habe noch nie einen seiner Romane wirklich ganz durchzulesen vermocht, und Carlyle ist noch langatmiger. Alle Einwände Goethes gegen ›das wunderliche Wesen‹ Jean Pauls, den ›Chinesen in Rom‹, treffen in gesteigertem Maße auf den schottischen Nachahmer der Jean Paulschen Manier zu: ›es ist wirklich schade um den Menschen, er scheint sehr isoliert zu leben‹, sagte Goethe über Jean Paul. Dreizehn Jahre lang hat Carlyle an nichts anderem als seinem sechsbändigen Roman ›Friedrich der Große‹ gearbeitet, und es ist rührend – wenn es nicht lächerlich wäre –, wie er nach vollendeter Arbeit von seinem ›Ringen mit dem häßlichsten Drachen‹ erzählt. ›Nachdem ich meinen Weg mit größter Anstrengung und nach allen nur möglichen Drehungen und Wendungen durch das unentrinnbare Labyrinth und den Sumpf der Verzweiflung hindurchgefunden hatte, unreine Geschöpfe, preußische Schafsköpfigkeit, an meinen Busen drückend, um ihnen ihr Geheimnis abzuschmeicheln‹ …; ja, was dann? ist er dann etwa ›des Himmels Stimme und Gottes Wahrheit‹ über Friedrich II. nähergekommen als vor ihm der auch englisch schreibende Macaulay? Wie sagte doch Goethe, als Jean Paul ihn übertrumpfen wollte? ›Jean Paul hat aus Geist des Widerspruchs »Wahrheit« aus seinem Leben geschrieben. Als ob die Wahrheit aus dem Leben eines solchen Mannes etwas anderes sein könnte, als daß der Autor ein Philister gewesen!‹ Carlyle scheint das schließlich auch begriffen zu haben; nannte er doch bald seine ›Friedrichaffaire‹ ›nichtssagend wie tausend Jahre alter Mist‹ und riet: ›Laßt sie denn jetzt in das Meer der Vergangenheit gesenkt werden!‹ Hier fällt es mir schwer, ihm zu widersprechen. Ich fürchte, Carlyle hat der preußischen Sache mit seinem ›Mist‹ in den englisch sprechenden Ländern einen schlechten Dienst erwiesen.«

Thomas Mann, dem Manfred kaum etwas Neues gesagt zu haben schien, entgegnete, er könne nur »mit ganzer ungebrochener und unzweideutiger Liebe von Carlyles gewaltiger und liebenswerter Geschichte Friedrichs des Großen sprechen. Carlyles heroischer Humor ist der künstlerische Triumph seines schwerblütig-zähen Arbeits ethos, welches fürchterliche Stoffmassen bewältigt und unter sich bringt – nicht, um sich dann über die Dinge lustig zu machen, aber doch, um alle Dinge, auch die seversten und gelehrtesten, bis zu einem gewissen Grade lustig und leicht zu machen. Kurz, ich finde, Carlyles Riesenwerk verdient den Deutschen in ungestutzter Pracht erhalten zu werden. Es ist ein Buch für Militärs und Zivilisten, für Erwachsene und gescheite Knaben, für Widergeistige und Militaristen.«

Manfred: »Dabei fällt mir ein, daß ich einmal Theodore Roosevelt, der manches Gute über Kaiser Wilhelm II. zu sagen hatte, mit besonderer Verachtung über den Historiker Carlyle sprechen hörte. Und was Roosevelt sagte, klang beinahe ganz wie das Wort Nietzsches, das Roosevelt nicht kannte: ›Die Formen der Prostration vor dem »Genie« und dem »Heros« sind von jenem alten, anmaßlichen Wirr- und Murrkopfe, Thomas Carlyle, gefunden worden, der ein langes Leben darauf verwendet hat, die Vernunft seiner Engländer romantisch zu machen: umsonst!‹«

Manfred, wie entzückt von diesem Nietzscheschen Blitz, stieß einen kurzen Wonneschrei aus und fragte dann, fast verlegen über seinen Ausbruch: »Ob Goethe mehr von seines ›Freundes‹ Carlyle ›Friedrich dem Großen‹ gehalten hätte, als Nietzsche es tat?«


 << zurück weiter >>