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»Dieses französische Urteil über Ludwig XIV. kommt auch sonst zu allerlei ungünstigen Schlüssen über den großen König, den mit Friedrich dem Großen zusammen auf Plutarchs Wage zu werfen besonders verlockend ist, an dessen »Größe« aber seine Landsleute schon vor seinem Tode zu zweifeln anfingen. Das Urteil Lavisses über Ludwig XIV. schließt mit folgenden Sätzen, von denen einige, aber nicht alle, in überraschender Weise auch auf Ludwigs Nachahmer Friedrich II. zutreffen:
»»Man darf mit Recht glauben, daß Ludwig XIV. unter den ungewöhnlichen Umständen, die sich ihm darboten, sehr viel mehr geleistet hätte, wenn er nicht seine widerspruchsvolle Politik verfolgt hätte, deren Leitgedanke es war, sich durch die Demütigungen anderer Ruhm zu verschaffen; diese Politik war eine Mischung von Weisheit und Prellereien und von Hochmutsanfällen, die in einem Augenblick seine seit langem gesponnenen Ränke zunichte machten; seine Politik, die so sehr alle Welt verletzte, beleidigte oder zum Narren hielt, daß die Bündnisse gegen ihn immer umfassender wurden und schließlich ganz Europa umfaßten; diese Politik beständiger Kriege …; usw. usw. Für lange Zeit hat Frankreich diesen König geliebt, ja beinahe angebetet; in seinen Worten und Taten bewunderte Frankreich seine eigene Größe und seinen Ruhm …; Ludwig XIV. hat seinem Reiche den Despotismus gegeben; nach ihm verstand niemand mehr, mit dieser Regierungsform fertig zu werden, und man verirrte sich in den › Despotismus ohne Despoten‹ …; Voltaire hat aufs neue die Augen auf die Größe Ludwigs XIV. gelenkt, dessen Fehler man vergaß. Trotz der Schärfe, mit der die spätere Geschichtschreibung ihn verurteilte, ist sein großer Ruf ihm geblieben. Dem Verstande, der das eigentlich Zerstörende der Regierung Ludwigs XIV. aufdeckt, widersetzt sich die Einbildungskraft, die sich durch das glänzende Äußere bestechen läßt. Man erinnert sich gern dieses Mannes, der nicht innerlich schlecht war; er besaß Vorzüge, ja Tugenden, Schönheit, Anmut und die Gabe des richtigen Wortes im rechten Augenblick; als Frankreich glänzte, war er es, der Frankreich glänzend darstellte; als Frankreich daniederlag, weigerte er sich, die Niederlage zuzugestehen; er harrte aus in seiner großen Rolle vom glänzenden Vorspiel bis zu den finsteren Auftritten des letzten Aufzuges auf der feenhaft geschmückten Bühne seiner Schlösser und springbrunndurchrauschten Gärten« …; So urteilt das Lavissesche Geschichtswerk.
»Das glänzende Bildnis, das Voltaire von Ludwig XIV. entworfen hat, hielt besonders Friedrich II. gebannt. Aber indem Friedrich diesem Vorbilde leidenschaftlich nacheiferte, hat er von Ludwigs Fehlern nur die religiöse Unduldsamkeit vermieden; und welche von Ludwigs Tugenden hätte er erreicht? Ludwig hat sein Volk geeint, er hat ihm eine große nationale Kunst und Literatur gegeben; er war den Großen seines Volkes innig verbunden als ihr Schüler, Freund und Lehrer und wurde so auch selbst der höchste Meister der französischen Sprache, »des richtigen Wortes im rechten Augenblick«.«
Hegemann: »Sie lassen Ludwig XIV. als den großen Förderer der Künste und Wissenschaften gelten, wie Voltaire ihn geschildert hat; aber dem Worte Goethes, daß durch Friedrich des Großen Taten »der erste wahre und höhere eigentliche Lebensgehalt in die deutsche Poesie gekommen« sei, wollen Sie nur geringe Bedeutung beimessen. Wie erklären Sie denn das außerordentliche Aufblühen der deutschen Literatur im friderizianischen Zeitalter?«
Manfred: »Wenn diese Frage Friedrich II. vorgelegt worden wäre, hätte er mit Recht auf die Schilderung verweisen können, die Voltaire in seinen »Annalen des Reichs« von der großen Umwandlung gemacht hat, die sich im Deutschen Reiche unter der Regierung der Kaiser Leopold, Joseph I. und Karl VI., also gerade vor dem Regierungsantritt Friedrichs II. vollzog. Voltaire sagt, Deutschland habe sich in den letzten sechzig Jahren mehr verändert als früher in den achthundert Jahren seit Otto dem Großen. Voltaire wußte noch nicht, daß diese wunderbare Umwandlung der Sitten später einmal von dienstfertigen preußischen Geschichtschreibern als Verdienst der Kurfürsten von Brandenburg in Anspruch genommen werden würde, und Friedrich II. verlangte nicht von Voltaire, daß er es wisse. Warum sollte ein so begabtes Volk wie die Deutschen – das lernbegierig ist und höher entwickelte Nachbarn hatte –, wenn ihm endlich einmal etwas Ruhe gelassen wurde, nicht fähig sein, »sich selbst den Wert zu erschaffen«, wie Schiller es für möglich hielt, als er feststellte, daß die deutsche Kunst von Friedrich »schutzlos, ungeehrt« blieb? Ich zweifle keinen Augenblick, daß die friderizianischen Kriege die große Entwicklung, die mit Gottsched, Gellert und Klopstock, ganz unabhängig von Friedrich II. einsetzte, nur verzögert haben. Auch der Frieden, in dem sich nach 1763 endlich die Künste gewaltig entwickeln konnten, ist nicht Friedrich II. zu verdanken, sondern der unerschütterlichen Festigkeit, mit der die drei Königinnen, Maria Theresia, Pompadour und Katharina, den enttäuschten Brandenburger mit seinem »es muß weiter gerauft werden« an die Kette legten. In seinem Testament von 1768 machte Friedrich II. eine sehnsüchtige Schilderung der auswärtigen Kriege, die er der deutschen Kaiserin an den Hals wünschte, damit er in einem neuen Bürgerkriege über Österreich herfallen könne: »qu'alors maître de toutes nos forces, nous puissions entamer la maison d' Autriche.« Was ein echter Preuße ist, wird nicht zweifeln dürfen, daß bei diesem neuen Überfall der neunzehnjährige Goethe als Freiwilliger auf seiten des »Alten Fritz« gedichtet, gegen den Kaiser gekämpft und den süßen Ehrentod gefunden haben würde, falls er es nicht etwa dann doch vorgezogen hätte, sich wie der große Romantiker des verspäteten preußischen Nationalgefühls, der Sänger des von Goethe verachteten Nationalhasses, der unselige Heinrich von Kleist, eine Kugel vor den Kopf zu schießen. Welche sklavische Vorstellung müssen die Berliner Herren Professoren von dem Wesen der Künste hegen, daß sie behaupten mögen, »das Edle könne sich gestalten, wo Sklaven knien, Despoten walten«! Wenn diese Kratzfüßler doch verstehen könnten, daß selbst ihr Friedrich der Große schließlich der Herrschaft über solche Sklaven müde zu werden fürchtete!«