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»Tartuffe« und Religionsfreiheit

»Schlag folgte auf Schlag, und der Streit entbrannte hauptsächlich um den »Tartuffe«, Molières große Abwehr religiöser Unduldsamkeit; ein Streit, der meiner Begeisterung im Augenblick wichtiger und geschichtlich folgenschwerer erscheint als der Dreißigjährige Krieg. Sicher handelte es sich um eine große politische Frage. Immer wieder ließ sich der König das noch unvollendete Stück vorspielen, immer wieder vermochte die sogenannte Partei der Frommen, die meist eine Partei der Unduldsamen war, den König dazu zu bewegen, die Erlaubnis zur öffentlichen Aufführung zurückzuhalten. Daß der König zögerte, scheint mir nicht Feigheit, sondern sittlicher Ernst in einer furchtbar ernsten Frage. Ludwig XIV. war kein verantwortungsloser Schwätzer, dessen Religionsspöttereien man mit gleichgültiger Geduld anhörte, wie der Fürst von Ligne es als Gast Friedrichs II. tun mußte. Um die Erlaubnis der öffentlichen Aufführung des »Tartuffe« rang der Dichter nach außen, wie er in seinem Innern um einen würdigen, einen möglichen Abschluß seiner furchtbaren Anklageschrift kämpfte. Das Ergebnis des äußeren Kampfes mußte den Ausgang des inneren Ringens beeinflussen: als Molière endlich über die Partei der Unduldsamen gesiegt und die Aufführungserlaubnis erhalten hatte, quoll sein Dankgefühl für den König über, und er gab seinem Stück den Abschluß, den Lessing in der »Minna von Barnhelm« nachgeahmt hat: die Hand eines großen, weisen Königs entscheidet den Kampf um die gute Sache:

Nous vivons sous un prince ennemi de la fraude …;
Il donne aux gens de bien une gloire immortelle
D'un fin discernement sa grande âme pourvue
Sur les choses toujours jette une droite vue …;

»Das klang anders als später Goethes »Ich hab auf dies Kapitel weder Barmherzigkeit, Anteil, noch Hoffnung und Schonung«, und seine Einladung an Knebel: »Befleißige Dich, das Kreuz auch auf Dich zu nehmen.« Das war bei Molière ein Siegesgeschrei, ein Schrei der Genugtuung und des Dankes gegenüber einem Fürsten, der ihn anerkannt, erhoben und gehalten, der der großen Sache des Geistes zum Siege geholfen – und nebenbei dem Dichter wirklich »unsterblichen Ruhm« gesichert hatte. Die Nachahmung dieser frohen Lösung im letzten Aufzuge der »Minna von Barnhelm« dagegen bedeutete eine an Friedrich II. gerichtete Bitte Lessings, deren Unerfülltbleiben den Bittsteller beschämte und aus dem Lande trieb. Zu Lessing sprach kein König wie der Bühnenkönig zu Major von Tellheim: »Ich möchte nicht gern einen Mann von Eurer Bravour und Denkungsart entbehren«; und doch ist nie eine edlere Bitte von einem Edleren edler vorgetragen worden als Lessings Bitte um die Teilnahme des Königs an der Kunst seines Volkes. Nie wäre es einem, an den eine Bitte ergangen, vorteilhafter gewesen, die Bitte zu erfüllen; aber erst Jahre später durfte die »Minna de Barnhelm« in Friedrichs Theater auf dem Gens d'armes-Markt gegeben werden: übersetzt ins Französische!! Hamlet im Gewande eines preußischen Gardeleutnants und Goethes Iphigenie in der Uniform der Heils armee wären nicht geschmackloser.«

Hegemann: »Sie entwerfen sicherlich ein ansprechendes Bild von dem vielgeschmähten Ludwig XIV. Aber vergessen Sie nicht, daß Molières edler Kampf um die Duldsamkeit die Widerrufung des Ediktes von Nantes nicht verhindert hat?«

Manfred: »Es wäre vielleicht nie widerrufen worden, wenn nicht Molière vorher seinen Mühen erlegen, oder wenn ihm ein würdiger Nachfolger erwachsen wäre. Die Last, die ein geistreicher Mann zu tragen hat, ist ungeheuer: Molière brach darunter zusammen, und keiner vermochte ihn zu ersetzen. Ich sagte vorhin schon, daß Molières Kampf einer der folgenschwersten der Weltgeschichte ist, und kein Preuße hat das Recht, die Widerrufung des »Ediktes von Nantes« zu beklagen! Was wäre denn aus Preußen geworden, wenn nicht die aus Frankreich vertriebenen Hugenotten in die geknechtete Masse etwas Würde, Adel, Geist gebracht hätten? Daß diese Franzosen als einzige Lehrmeister des kronprinzlichen Friedrich II. nicht bessere Erfolge hatten, ja, aus dem seelisch Haltlosen für immer einen Franzosennarren machten, das darf man ihnen am Hofe eines Friedrich Wilhelm I. nicht zur Unehre anrechnen.«

Hegemann: »Das deutsche Volk hat sich mit den Opfern eines dreißigjährigen Krieges religiöse Duldsamkeit erkauft, und die deutschen Fürsten, welche die aus Frankreich unduldsam Vertriebenen gastfreundlich aufnahmen, …;

Manfred: »... ahnten nicht, daß die beherbergten Flüchtlinge ihrer stiefmütterlichen französischen Heimat treu bleiben und den kriegerischsten Prinzen Deutschlands zu einem der Ihren machen und ihn lebenslänglich gegen Frankreichs Feind, den deutschen Kaiser kämpfen lassen würden? »Aber auch: Dreißigjähriger Krieg und religiöse Duldsamkeit in Deutschland? Mehr als andere brauchten die Hohenzollern Siedler für ihren Sand. Sie zogen Protestanten vor, wie Ludwig XIV. Katholiken vorzog.

Hegemann: »Sicherlich gab es im Preußen Friedrichs des Großen religiöse Duldsamkeit, während Ludwig XIV. – mit oder ohne Molière – die Hugenotten aus Frankreich vertrieb.«

Manfred: »Ja, Friedrich glaubte, die Jesuiten brächten Geld, deshalb begünstigte er sie, als alle Welt sie verfolgte. Aber Religionsfreiheit? Sein Historiograph Preuß (III, 187 und 239) hält sich für verpflichtet, die »Wahrheit zu sagen«, und stellt fest, »das der große König zu protestantisch, also vielleicht gar zu religiös gewesen; indem er die Staatsämter vorzugsweise mit Evangelischen besetzt und die katholischen Landeskinder ungern im Zivilstaatsdienste gesehen«. Von vielen Staatsämtern und von den akademischen Lehrämtern hat er die Katholiken ausgeschlossen. Juden vertrieb Friedrich nach Gutdünken (Preuß III, 429), aus Westpreußen auf einen Schlag 4000.« (Vgl. oben S. 472.)

»Die verbleibende religiöse »Duldsamkeit« Friedrichs II. ist die Duldsamkeit der französischen Aufklärung und Voltaires, hinter denen die Zweifler der französischen Régence und schließlich Molière und seine Freunde stehen. Aus Paris schrieb Liselotte 1698: »Ich bin woll Ewer Liebden Meinung, daß Ein jeder In seinem sinn son petit religion apart soy hatt«, und 1706 erzählt sie von dem Bekenntnis des Königs von Siam, das sie aus einem Bericht französischer Missionare kennen mochte: »daß man In allen religionen Könte selig werden«. Wenn Friedrich II. später solche Aussprüche zur bewunderten preußischen Staatsweisheit erhob (preußische Phantasten muten diesem phantasielosesten Könige gar zu, er habe so etwas selbst erfunden), so sprach daraus nicht die buddhistische, pantheistische Frömmigkeit des siamesischen Königs, sondern die nackte Menschenverachtung Mazarins. Kardinal Mazarins » Räsonniert, aber gehorcht« wurde von Friedrich II. auf das Gebiet der Religion übertragen und lautete dann etwa: Meine Untertanen sind wehrlos, ihre Religion ist also belanglos. Die religiöse Duldsamkeit des Westfälischen Friedens ist Kardinal Richelieus Vermächtnis an die Deutschen, und der Sinn dieses Danaergeschenkes ist: Religiöse Freiheit ist gut für Deutschland, denn sie macht Deutschland politisch zerrissen und gegen Frankreich wehrlos. Wie viele französische Diplomaten haben seitdem den Deutschen die Verteidigung ihrer »germanischen Freiheiten« als heiligste Pflicht ans Herz gelegt! Und die Kurfürsten von Brandenburg haben es vermocht, als Verteidiger und Vollstrecker Richelieus und des Westfälischen Friedens Mazarins das Deutsche Reich zu zerreißen, damit auf den Trümmern – nach dem Verlust von Elsaß, Lothringen, Flandern, Österreich, Ungarn, Böhmen und von vielem anderen, was zur deutschen Großmachtstellung nötig ist – später Friedrichs Nachfolger »deutsche« Großmacht spielen möchten: »wir äffen die Großmächte nach, ohne eine zu sein«, sagte Friedrich II. {Verw. auf Anmerkung} und spannte seine Preußen strammer in das Prokrustesbett des Militarismus, um den Affenstreich für eine Weile möglich erscheinen zu lassen. Um der friderizianischen Überlieferung treu zu sein, müßte das Deutsche Reich heute ein stehendes Heer von beinahe drei Millionen Mann unterhalten. – Wenn irgend etwas Ludwig XIV. an der Religionsfreiheit irremachen mußte, die vor 1685 in seinem Lande in höherem Maße zu finden war als im Deutschen Reiche des Westfälischen Friedens, dann war es die Rücksichtslosigkeit, mit der die deutschen Kurfürsten unter dem Schutze der von Richelieu erhaltenen »Freiheiten« »der kaiserlichen Macht die Wage hielten, indem sie Schulter an Schulter mit Frankreich kämpften«, so lauten die Worte, mit denen Friedrich II. im Testament von 1752 seinem Nachfolger das französische Bündnis gegen den deutschen Kaiser empfiehlt. Gegen solche Gefahren im eigenen Lande mußte sich ein großer nationaler König wehren; zum Wesen des Staates und, seit Ludwig XIV., auch des neuzeitlichen Staates, gehört Sicherheit vor inneren Feinden.


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