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Pfarrer Dietrich: »Friedrich den Großen behandeln wie Wallenstein! Was machen Sie sich für hochverräterische Gedanken!«
Hegemann: »Dieser tolle Einfall macht mich lachen. Die Nürnberger hängen keinen, sie haben ihn denn.«
Manfred: »Friedrichs Vorleser de Catt erzählt, wie 1760 ein österreichischer Anschlag, den König aufzuheben, beinahe glückte. Im Jahre 1770 hatten ihn die Österreicher zu Besuch in ihrem Lager von Neustadt in Mähren. Cäsar hat ähnliche Gelegenheiten kühl ausgenutzt und viel Ruhm geerntet. Der Österreicher, der 1760 den Plan verriet, und Kaiser Joseph der Zweite, 1770, waren gutmütiger als Cäsar; sie verdienen Ehrenplätze im Preußenhimmel. Der Große Kurfürst war weniger gutmütig, als er den ostpreußischen Edelmann, Herrn von Kalckstein, auf polnischem Gebiete aufheben, nach Preußen schaffen, foltern und köpfen ließ, weil Kalckstein dem früheren, dem polnischen Lehnsherrn, treu bleiben wollte. Ob Friedrich II., als er die Folter abschaffte, etwa an seine eigene, nahe bevorstehende Auflehnung gegen den Kaiser dachte, die schwerer entschuldbar war als die Unbotmäßigkeit des Herrn von Kalckstein?
Solch eine Flucht und Felonie, Herr Fürst,
Ist ohne Beispiel in der Welt Geschichten.
Da brachte ein Radler Schlegels »Geschichte der alten und neuen Literatur« (vgl. oben S. 616), die – wenn ich mich recht erinnere – aus der unerschöpflichen Bücherei des hilfsbereiten Gelehrten Benedetto Croces beschafft worden war. Manfred blätterte begierig und rief nach wenigen Augenblicken: »Hier macht Schlegel einen höchst beachtenswerten Vergleich zwischen der »ausländischen Bildungsbarbarei« in Preußen auf der einen und – Ungarn auf der anderen Seite: »Matthias Corvin wollte seine Ungarn mit einem Male ganz lateinisch und italienisch umwandeln, worüber denn die Landessprache, wie natürlich, vernachlässigt ward …; So ging es den Ungarn im fünfzehnten Jahrhundert, wie es auch wohl uns Deutschen im achtzehnten ergangen sein würde, wenn ein großer König dieser Zeit, der wie Matthias Corvin nur ausländische Geistesbildung ehrte und kannte, ebenso unumschränkt über das gesamte Deutschland geherrscht hätte wie Corvin in Ungarn.« So hätte also Deutschland das Schicksal Ungarns gehabt, wenn Friedrich II. so mächtig geworden wäre wie Corvin in Ungarn? Und Friedrich II. müßte in Preußen, viel mehr als Gustav Adolf in Deutschland, ein Vorkämpfer fremder Geistesmacht, ja ein fremdländischer Eroberer genannt werden?
»Aber hier finde ich die gesuchte Stelle von der Einsamkeit des hohen Klopstockschen Nationalgefühls. Bitte hören Sie sie in ihrem Zusammenhang.« Manfred las folgende Sätze von Friedrich von Schlegel vor:
»»Es fehlte an einem vereinenden Mittelpunkte, den man allgemein aber vergeblich von Friedrich II. erwartete. Man pflegt in den neuesten Zeiten diesen König von Preußen wohl damit zu entschuldigen, daß man sagt, die deutsche Sprache und Gelehrsamkeit seien, wie er auf den Thron kam, in einem solchen Zustande gewesen, daß man sich nicht verwundern dürfe, wenn ein so geistvoller Monarch sich mit Ekel und Geringschätzung davon weggewandt habe. Im allgemeinen aber ist dies nicht gegründet; wie viel hätte ein König vermocht für deutsche Sprache und Geistesbildung zu tun, zu dessen Zeit Klopstock, Winckelmann, Kant, Lessing und neben diesen Geistern von erster Größe, so manche andere verdienstvolle Männer, zum Teil in seinen eignen Staaten geboren, der Wissenschaft und der Kunst lebten! Wo möchte wohl je eine Regierung mehrere Männer von solcher Größe auf einmal finden, um einen Gelehrtenverein zu bilden; und was waren es denn für Ausländer, denen der König den Vorzug gab, den einzigen Voltaire ausgenommen? Ein Maupertuis, ein La Metrie, gewiß eben nicht die auserlesensten der französischen Literatur. Man darf es daher Klopstocken nicht verargen, wenn er mit einem Selbstgefühl, das ihm wohl erlaubt war, durch jene Vernachlässigung deutscher Kunst und Sprache sich selbst sozusagen, persönlich beleidigt fand. Er hat dies bitter empfunden und oft geahndet, indem er, freilich sehr zu des Königs Nachteil, denselben in dieser Beziehung mit Cäsar zusammenstellt. Zu dessen Zeit ward auch in Rom mehr Griechisch, schlecht oder gut geredet und geschrieben, als nur irgend Französisch im achtzehnten Jahrhundert in Deutschland. Klassische Geisteswerke hatte die römische Sprache, einige wenig bekannte Altertümer ausgenommen, damals auch ebensowenig, oder doch nicht besser aufzuweisen, als die neuere deutsche Literatur vor 1750. Gleichwohl hielt Cäsar es der Mühe wert, seiner Sprache die sorgfältigste Aufmerksamkeit zu widmen, ja selbst Forscher und Sprachlehrer in ihr zu sein. Dadurch ward er der erste Redner seiner Zeit und einer der ersten Schriftsteller in seiner Sprache, was in einer fremden in dem Maß zu sein noch niemandem gelungen ist …; Der ganze Standpunkt aber, von welchem jene Entschuldigung Friedrichs II. ausgeht, ist nicht der rechte. Wenn die Könige mit der Begünstigung der Wissenschaften überall warten wollen, bis es Schriftsteller in Menge gibt, bis diese durch sich selbst hinlänglich berühmt, und vielleicht schon in ihrer Kraft erschöpft und abgelegt sind; so bleibt ihnen freilich nichts übrig, als die erprobtesten unter den Schriftstellern, die unschädlichsten und invalidesten in einer Art von Verpflegungsanstalt, unter dem Namen einer Akademie der Wissenschaften zusammenzutun. Wollte man aber den Geist einer Nation wahrhaft bilden und leiten, so müßte man grade der noch jugendlichen und nicht ganz entwickelten Talente sich bemeistern, ihnen freien Spielraum gönnen und reichliche Hilfsmittel der Entwickelung, dagegen aber auch die wahre Richtung auf das geben, was in einem nationalen und großen Sinn allgemein nützlich zu heißen verdient. Klopstocken ist für seine Person jenes Gefühl um so eher zu verzeihen, da er unstreitig fähig gewesen wäre, nicht bloß in der Dichtkunst, sondern in allen Teilen und in dem ganzen Gebiete der Literatur einen neuen Geist und einen wohltätigen Einfluß zu verbreiten. Soviel Böses Voltaire in Frankreich, ebensovieles und mannigfaltiges Gutes hätte Klopstock nach seinem umfassenden Geiste in Deutschland wirken mögen, wenn ihm Raum und Gelegenheit, Macht und Hilfsmittel dazu gegeben worden wären. Klopstock stand ganz einsam und fast allein damals in der deutschen Welt mit seinem hohen Nationalgefühl, welches nur von wenigen mitempfunden, von niemandem verstanden ward. Es blieb ihm also nur übrig, es in seiner Poesie niederzulegen. Mit der Messiade beginnt eigentlich der höhere Aufschwung der neuern deutschen Literatur; so außerordentlich und folgenreich ist das Verdienst derselben …;««
Pfarrer Dietrich äußerte seine Befriedigung darüber, richtig zitiert zu haben, während Manfred meinte: »Mir scheint, es handelt sich bei Schlegel um das Gefecht eines geistigen Vorkämpfers der »Freiheits«-Kriege gegen Goethe, der den Krieg gegen Frankreich für verfehlt hielt und deshalb gern verklausulierte Entschuldigungen für seinen einstigen Gegner, den Franzosenfreund Friedrich II. vorbrachte. (Vgl. oben S. 310.) Die preußischen »Historiker« verdammen Goethes Ablehnung der Freiheitskriege als »Verirrung«, aber sie führen die aus dieser Ablehnung entsprossenen Goetheschen Entschuldigungsworte für Friedrich II. stolz im Schilde. Dabei war die Vaterlandsliebe, die Schlegel zu einem der ersten Rufer gegen Napoleon machte, aber durchaus nicht friderizianisch-preußisch, sondern – im Gegenteil – es war der Reichspatriotismus, dessen Vorhandensein preußische »Historiker« leugnen und den unser verehrter Professor Karl Stählin als »Verirrung« bezeichnet.«