Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Preußische Einflüsse und Casanova

»Mit Recht sprechen die preußischen Geschichtschreiber von dem großen Einfluß, den Preußen damals schon auf die Gestaltung des deutschen Geisteslebens zu gewinnen anfing. Was dieser Einfluß auf dem Gebiete schriftstellerischer Freiheiten im Verkehr mit dem Hofe und dem »Hofpöbel« bedeutete, hat Lessing aus seiner Berliner Anschauung heraus in einem Briefe an Nicolai, 1769, einmal folgendermaßen geschildert:

»»Sagen Sie mir von Ihrer Berlinischen Freiheit zu denken und zu schreiben ja nichts; sie reduciert sich einzig und allein auf die Freiheit, gegen die Religion soviel Sottisen zu Markt zu bringen, als man will. Und dieser Freiheit muß sich der rechtliche Mann bald zu bedienen schämen.« Friedrich II. schämte sich ihrer nie; aber Lessing fuhr fort: »Lassen Sie es aber doch einmal Einen in Berlin versuchen, über andere Dinge so frei zu schreiben, als Sonnenfels in Wien geschrieben hat; lassen Sie es ihn versuchen, dem vornehmen Hofpöbel so die Wahrheit zu sagen, als dieser sie ihm gesagt hat; lassen Sie Einen in Berlin auftreten, der für die Rechte der Untertanen und gegen die Aussaugung und Despotismus seine Stimme erheben wollte, wie es itzt sogar in Frankreich und Dänemark geschieht, und Sie werden bald die Erfahrung haben, welches Land bis auf den heutigen Tag das sklavischste Land von Europa ist.« (Vgl. oben S. 119, 233-4, 314,486.)

»Man möchte gern glauben, Lessing habe diese preußische Sklaverei übertrieben; aber Friedrich II. hat ja wiederholt ganz ähnlich über preußische Verhältnisse und sein Müdesein, über Sklaven zu herrschen, gesprochen. Maria Theresia durfte darum mit Stolz sagen: »in Preußen ist alles Sklaverei, bei uns dient man aus Anhänglichkeit«. {Verw. auf Anmerkung}

»Der Herzog von Württemberg, Karl Eugen, hatte sich von den deutschen Reichsfürsten vielleicht am meisten des friderizianischen Einflusses zu erfreuen gehabt; er war also geeignet, diesen Einfluß auch nach dem Süden zu leiten. Friedrich II., als väterlicher Freund, hatte ihn drei Jahre lang, bis zur Mündigsprechung, bei sich in Potsdam gehabt. Dann hatte Karl Eugen versucht, die von Lessing gerühmte »Berlinische Freiheit zu denken und zu schreiben« auch in Württemberg einzuführen, und hat den trefflichen staatswissenschaftlichen Schriftsteller Moser und später den genialischen Dichter Schubart ins Gefängnis geworfen und viele Jahre lang darin festgehalten. Karl Eugen hatte auch ganz in friderizianischem Geiste eine » Militärakademie« gegründet, wo aber Schiller, wie er 1784 erklärte, keine Menschen kennen lernte, »denn die vierhundert, die mich umgaben, waren ein einziges Geschöpf, der getreue Abguß eines und eben dieses Modells, von welchem die plastische Natur sich feierlich lossagte«. Deutlicher könnte der landesväterliche Einfluß nicht anerkannt werden. Bei seinem Besuch in Schwaben, 1793, fand Schiller auch die »hellen, aufstrebenden Köpfe« unter seinen früheren Mitschülern »ganz materiell geworden und verbauert«. Und doch waren diese Verhältnisse in Süddeutschland im allgemeinen wahrscheinlich noch günstiger als in Preußen.

»An das Berliner «Kadettenkorps«, das Vorbild der württembergischen » Militärakademie«, lieferte – so erzählt Reinhold Koser – noch 1769 der pommersche Adel Baronensöhne, die weder schreiben noch lesen konnten. Auch die weitere Erziehung dieser Adligen war geeignet, sie ihre Muttersprache kaum besser beherrschen zu lassen, als ihr frommer König mit seinem » Gott bewahre dihr« und seinem »Kutscher«-Deutsch oder seinem » Des Augustes feront des Virgiles« es vermochte. Es ist fast ergreifend, wenn man Reinhold Koser über die weitere Entwicklung des preußischen Erziehungswesens hört: »Der König ist mit dem, was allmählich erreicht wurde, doch unzufrieden geblieben«; doch!: »er äußerte einmal, es werde erst einer völligen Umwandlung der nationalen Art bedürfen, um die Hemmnisse, Oberflächlichkeit, Trägheit und Hang zu Ausschweifungen zu überwinden.«

»Die nationalpreußische Art, von der Friedrich II. hier spricht, und die unter seinem mächtigen Einflusse Deutschlands »nationale Art völlig umzuwandeln« drohte, war die Art, vor der Goethe auf der Hut sein mußte. Das Verzweifeln Friedrichs II. stimmt um so trauriger, wenn man liest, was Koser vorher berichtet hat, daß nämlich der König für den pommerschen Adel noch besonders eine Voranstalt gründete. Koser hätte hinzufügen können, daß der scharfblickende König sogar den berühmten Casanova, der durch seine Eigenschaft als Ausländer wohl für Friedrich aufs beste empfohlen war (vgl. oben S. 179), als Erzieher eigens für pommersche Edelleute berief. Über diese Berufung des durchreisenden Casanova, die Koser – ich weiß nicht warum – verschweigt, berichten Casanovas Denkwürdigkeiten um so ausführlicher; sie erzählen, wie der große Italiener beim ersten Anblick den »armen Tröpfen aus dem reichen Pommernlande« auf Nimmerwiedersehn Lebewohl sagte, nachdem er vorher noch Zeuge geworden war, wie der König durch eigenes Eingreifen sie zur Beobachtung einfachster Reinlichkeit zornig anzuhalten versuchte. Die beiden Zusammentreffen zwischen dem weltgewandten Freibeuter der Liebe Casanova und dem berühmtesten (aber in die Hölle der Kleinlichkeiten verdammten) condottiere des Rokoko – oder könnte man das Wesen Friedrichs II. besser bezeichnen? – sind voll erheiternder Zwischenfälle. Casanovas Schilderung der abenteuerlichen Unterhaltung des Königs entspricht zu genau den verwandten Berichten de Catts und Lucchesinis, um anders als zuverlässig sein zu können; die Zusammenkunft Casanovas und Federics bekommt geradezu weltgeschichtlichen Reiz bei dem Zwischenfall im Kadettenhaus, weil Casanova noch stolz und ungebrochen, während Friedrich II. schon als Büßender erscheint; Casanova lacht; der König grollt; beide hatten sich verwegen den Befriedigungen ihrer Lust und Leidenschaft hingegeben. Aber die kriegerischen Abenteuer des Königs waren weniger glücklich abgelaufen als die Liebesabenteuer Casanovas, dessen strahlende Gesundheit alle Quecksilberkuren lächelnd überwand. Friedrichs II. dreiundzwanzigjährige eifernde Mühen um die Wiedergutmachung seiner »heroischen Schwachheiten«, seiner versäumten »großartigen Kulturpflege« und seiner dreiundzwanzigjährigen kriegerischen Jugendsünden stellen sich sinnbildlich bedeutungsvoll dar in dem Zwischenfall mit dem Nachttopf seiner pommerschen Landeskinder. Casanova selbst hatte wahrscheinlich mehr leibliche Kinder, als der unfruchtbare König pommersche Kadetten sein eigen nannte, aber die Sorge um ihre Nachtgeschirre überließ Casanova andern. Man bedauert den verfrühten Tod der Markgräfin von Bayreuth; diese kleine Erzählung Casanovas hätte sich würdig ihren Denkwürdigkeiten aus dem Elternhause Friedrichs des Großen angereiht.

»Man könnte fragen, ob Goethes »dienerliche Haltung« vor den Sprößlingen des deutschen Adels nicht verfrüht war, solange dieser noch den friderizianischen Einfluß nicht ganz überwunden hatte und deshalb kaum Anspruch hatte, zu den »hohen Personen« gerechnet zu werden. Im Zedlitzschen preußischen Adels lexikon, wenn ich mich nicht irre, findet man die Nachricht über ein pommersches Dorf mit zwölf Adelsfamilien, wo nach dem Siebenjährigen Kriege – es klingt unglaublich – die einzigen nichtadligen Dorfbewohner der Nachtwächter und der Kuhhirt waren, welche sich aber mit adligen Fräuleins verlobt hatten. Auch Friedrich II. spricht gelegentlich von dem vulgaire seines Adels. – Andererseits bleibt zu bedenken, daß gerade die Verbindung mangelhafter Erziehung mit dem Anspruch auf hohe gesellschaftliche Stellung gefährlich war. In den gesammelten Werken Friedrichs II. findet sich der grollende Brief, mit dem er dem Leutnant von Kalckstein (vielleicht ein Nachkomme des von Kalckstein, den der Große Kurfürst foltern ließ) seine Strafversetzung in ein anderes Regiment mitteilte, weil dieser Offizier »in einem Anfall von Zorn einen Trommler getötet« hatte. Vielleicht hat Friedrich der Große später bereut, den jungen Offizier so hart bestraft zu haben, indem dieser vielleicht nur recht eigentlich im Geiste Friedrichs für die Aufrechterhaltung friderizianischer Zucht eingetreten war. Jedenfalls schrieb der König zehn Jahre später in sein geheimes Testament von 1768 (also nach den Erfahrungen der drei friderizianischen Bürgerkriege):

»Quant au soldat …; il faut qu'il craigne plus ses officiers que les périls auxquels on l'expose, ou jamais personne ne pourra le mener à la charge à travers une tempête de trois cent canons qui le foudroient. La bonne volonté n'engager a jamais le vulgaire dans de semblables périls, il faut que ce soit la crainte«

»Die Gefahr bestand, daß die in friderizianischem Geiste erzogenen Adligen, die auf Befehl ihres Königs von ihren Soldaten »mehr gefürchtet wurden als dreihundert Kanonen«, wenn sie erst einmal anfangen würden, Anteil an dem geistigen Leben ihres Volkes zunehmen, nicht nur Trommler, sondern auch etwa die Verfasser mißliebiger Stücke erschlagen oder durchprügeln würden, und daß zum Beispiel der Urheber einer » imitation détestable de ces mauvaises pièces angloises« vor ihrer allzu lebhaften Teilnahme nicht sicher sein würde, namentlich, wenn er es etwa gewagt haben sollte, die fürstliche »Kriegslust« eine »Krätze« zu nennen, wie Goethe das getan hat. Zu Ehren Friedrichs des Großen muß allerdings gesagt werden, daß er schon nach dem »Siebenjährigen« Krieg eine Kabinettsordre erließ, in der den Offizieren »das Prügeln der Bürger« ausdrücklich untersagt wurde. Aber einmal eingewurzelte Sitten lassen sich sogar in Preußen nicht ganz plötzlich ausrotten, nicht einmal, wenn ein so » humaner« König wie Friedrich die Ausrottung befiehlt. Friedrich II. selbst zwar pflegte nachweislich seine Untergebenen, wenigstens eigenhändig, bereits weniger zu prügeln als sein Vater, und höheren Staatsbeamten soll er mit der Krücke nur dann auf die Schulter geschlagen haben, wenn er sie mit Spandau zu bedrohen für nötig fand. Goethe aber wußte, daß auch 1778 im Verkehr mit Offizieren und anderen »hohen Personen«, die preußisch, oder preußisch beeinflußt waren, noch große Vorsicht nötig sei. Nach seinem Besuche in Berlin schrieb er in dem bekannten Briefe an Merck, in dem er die »Lumpenhunde« Friedrichs II. erwähnt: »Mit Menschen habe ich sonst gar nicht zu verkehren gehabt und hab' in preußischen Staaten kein laut Wort hervorgebracht, das sie nicht könnten drucken lassen.« Es klingt, als ob Goethe eindringlich gewarnt worden sei, und was er an Frau von Stein über seine Berliner Eindrücke schrieb: »keine Zote und Eselei der Hanswurstiaden ist so ekelhaft als das Wesen der Großen, Mittleren und Kleinen durcheinander«, läßt vermuten, daß er die Warnungen begründet fand. Sie können auch kaum übertrieben gewesen sein. Man muß sich erinnern, wie ungünstig zum Beispiel der Reichsfreiherr von Stein noch während der letzten Lebensjahre Goethes über die altpreußischen Adeligen geurteilt hat; er nannte sie »Barone und nichts weiter« …; »in Hinterpommern und in den brandenburgischen Sanddünen, die nichts als hinterliche und hinderliche Gedanken und Ansichten haben können«. Der Freiherr von Stein erklärte sich diese eigentümliche preußische Gemütsverfassung folgendermaßen: »Da weht schon zuviel polnische und russische Luft herüber. Das ist kein ritterlicher Reichsadel, kaum ein halbdeutscher Adel zu nennen, es ist ein genus hybridum, in welchem noch ein Stück von einem wilden, längst ausgestorbenen vorsintflutlichen Tier steckt.«


 << zurück weiter >>