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Thomas Mann: »Ich denke mit Kummer an Goethes Prophezeiung: »es können noch ein paar Jahrhunderte hingehen, ehe bei unseren Landsleuten so viel Geist und höhere Cultur eindringen und allgemein werden, daß man von ihnen wird sagen können, es sei lange her, daß sie Barbaren gewesen«.«
Manfred: »Die Dankesschuld an Deutschland, zu der ich mich durch meine Abstammung mütterlicherseits und noch mehr durch Goethes Werke verbunden fühle, ist so groß, daß ich mit nicht geringerem Kummer und gleichzeitig mit teilnehmender Sorge an das Wort denke, das Nietzsche an die von Ihnen angeführten Worte Goethes geknüpft hat: »Man lebt in dem Glauben, eine echte Cultur zu haben …; Mit dieser Art von ›Cultur‹, die doch nur eine phlegmatische Gefühllosigkeit für die Cultur ist, kann man aber keine Feinde bezwingen, am wenigsten solche, die, wie die Franzosen, eine wirkliche produktive Cultur, gleichviel von welchem Werte, haben, und denen wir bisher alles, meistens noch dazu ohne Geschick, nachgeahmt haben«.«
Hierauf versuchte Thomas Mann Friedrichs II. Teilnahmlosigkeit für Lessing auf eine geheimnisvolle Weise zu erklären; zurückkehrend zu einer Anregung, die er zu Anfang des Gespräches gegeben hatte (S. 297), sagte er: »Es gibt eine spezifisch deutsche Antithese von Macht und Geist: historisch gesehen verfehlen diese beiden, Geist und Macht, einander in Deutschland mit einem Schein von Gesetzmäßigkeit; Staatsblüte und Kulturblüte scheinen einander in Deutschland auszuschließen, – wodurch sich bei Künstlern und Gläubigen der Kultur die Uberzeugung befestigen konnte und mußte, ein staatlich mächtiges Deutschland sei notwendig geist- und kulturwidrig. Wenn Goethe Kultur als »die Vergeistigung des Politischen und Militarischen« bestimmte, so rechnete er dabei ins Große, hielt sich an eine allgemeinere Norm und blickte über deutsche Verhältnisse und Wirklichkeiten souverän hinweg. Dennoch berechtigt die höhere Gültigkeit seiner Bestimmung des Kulturbegriffs zu der Vermutung oder Hoffnung, daß der deutsche Unglaube an die Möglichkeit einer Synthese von Macht und Geist ein vorurteilsvoller Unglaube ist. Vielleicht steht es nirgends geschrieben, daß es immer so sein müsse, wie es meistens war; daß Deutschland die Macht nicht wollen dürfe, wenn es den Geist wolle. Und doch! einem Volke ist die oder jene Staats- und Gesellschaftsform gemäß, oder sie ist ihm nicht gemäß. Es ist geschaffen dafür, oder es ist nicht dafür geschaffen. »Reif« wird es niemals dafür.«
Manfred antwortete auf seine verbindliche Art, der man schwer etwas übelnehmen konnte: »Sie sprechen von » Kulturblüte«. Bitte nehmen Sie mir nicht übel, wenn ich Sie mit Friedrich dem Großen vergleiche, der zwar die preußische Kultur in den schwärzesten Farben malte, und der in seiner »Sklavenherrschaft« und seinen vier Bürgerkriegen wohl kaum eine » Kulturblüte« gesehen, der aber dem französischen General Bouillé verschiedentlich versichert hat, »die Franzosen seien nicht reif für freie Regierung«, und der dasselbe von seinen Preußen gesagt hat. Aus solcher Unreife folgte in Frankreich die grauenhafte Notwendigkeit der Revolution. Und wenn in Deutschland jemand aus dieser Unreife die Pflicht ableiten wollte, das, was Sie »Geist- und Kulturwidrigkeit« nennen, als bleibende deutsche Staats-und Gesellschaftsform anerkennen und erhalten helfen zu müssen, dem könnte man mit dem konservativen Grillparzer antworten: »Besser der furchtbarste Demokratismus, als der Geist unterliegt und die edelsten Bedürfnisse des Menschen werden einem scheußlichen Stabilitätssystem zum Opfer gebracht.« Sie sagten zu Anfang dieser Unterhaltung: »Das Dasein Friedrichs II. bildete einen lastenden entwürdigenden Druck für alle Welt«. Vielleicht sollte man fragen: war es im Grunde viel anderes als dieser »lastende, entwürdigende Druck«, der Krückstock und die Prügelstrafe, mit denen die Brandenburgischen Herren und ihre kaum geistvolleren fürstlichen Nachahmer im Reich dem deutschen Volke die Staatsform der »Geist- und Kulturwidrigkeit« aufgezwungen haben, die Sie andeuten? Ob es sich für die Prügelknaben heute noch lohnt und ob sie noch die Kraft haben, ihre Prügelherren jemals los zu werden, das ist eine Frage aus dem Gebiete der Haupt- und Staats- Actionen, deren Lösung nur in München eine Lola Montez entscheidet.«