Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Ludwigs XV. Überlegenheit über Friedrich den Großen

»Nichts könnte fesselnder sein als ein Vergleich zwischen Friedrich II., der mit Voltaires Hilfe den Gipfel des königlichen Ruhmes zu erklimmen vermochte, und Ludwig XV., der vom Gipfel königlichen Glanzes und geistiger Machtvollkommenheit hinabsteigen mußte und, zum Teil wenigstens, deshalb hinabsteigen mußte, weil er nicht vermochte, mit den geistigen Führern seines Volkes, also vor allem mit Voltaire, den Bund zu schließen, ohne den großes nationales Königtum nicht denkbar ist. Auf Ludwig XV. lag der Glanz der heiligen Majestät des Sonnenkönigs; sein Volk vergötterte ihn lange Zeit als den »Vielgeliebten«, und sein Hof war noch die abgöttisch verehrte Quelle großer Überlieferungen und des lebenden »guten Tons«, aus der ganz Europa schöpfen wollte. Aus dieser Quelle durften nur die vom Könige und vom Glück Ausgezeichneten schöpfen; aber das Labsal aus dieser Quelle wurde den durstenden Massen der weniger Beglückten von allerlei Berufenen und Unberufenen weitergereicht: daß Voltaire, der Prophet Ludwigs XIV., verstanden hatte, sich als einen der Berufensten hinzustellen, war eines der Geheimnisse seines Erfolges bei den Vasallen. Aber Friedrich II. irrte, als er in seiner »Eloge de Voltaire« aufzeichnete, was ihm der Meister erzählt hatte: »le brillant d'une grande cour n'offusqua pas ses yeux au point de lui faire préférer la splendedeur Versailles à la retraite de Cirey«. Im Gegenteil war Voltaire Weltmann, Franzose und Patriot genug, sich geradezu leidenschaftlich in den Dienst seines Königs zu sehnen, so daß er Frau von Chatelets Landsitz nur wählte, als er sich in Versailles ungeschickt bewiesen hatte. Im Gegenteil sehnte er sich keineswegs nach dem Hofe Friedrichs II., dessen »Größe« und dessen stürmische Einladungen ihn erst dann anzogen, als ihn der Tod der Frau von Chatelet heimatlos gemacht, also zehn Jahre, nachdem der König in Preußen beschlossen hatte, »seine Hauptstadt zum Tempel der großen Männer zu machen«. Friedrich sagte selbst, daß der Berliner Aufenthalt für Voltaire nur eine äußerste Verlegenheitsmaßnahme – »pis aller« – darstellte.

»Daß es Voltaire trotz ernsten Bemühens nicht gelungen war, in Versailles festen Fuß zu fassen, ist bei seiner vielgerühmten Gewandtheit um so erstaunlicher, als er in Versailles die einflußreichsten Freunde hatte; nicht nur der Weltmann Richelieu und der große politische Erneuerungspläne wälzende Minister Argenson und viele andere waren dem Dichterphilosophen in Wesen und Absichten eng verwandt, sondern auch Frau von Pompadour tat alles Erdenkliche, um ihren Freund – Voltaire gehörte damals noch zu der Schar von Künstlern, welche sie feierten – dem Könige annehmbar zu machen. Über Voltaires Mißerfolg ist viel geschrieben worden, aber es scheint kein Zweifel möglich, daß Ludwig XV. den Abgott Friedrichs II. unausstehlich fand.«

Von den mancherlei Einwänden, die im Laufe des Gespräches gegen Manfreds Ausführungen erhoben wurden, möge nur der Hinweis erwähnt werden, den an dieser Stelle Thomas Mann machte.

Thomas Mann: »Wenn ich mich recht entsinne, sagt Goethe da, wo er von den »Vasallen Voltaires« spricht: »Daß Joseph II. sich von Voltaire abhielt, gereichte diesem Fürsten kaum zum Ruhme; denn es hätte ihm und seinen Unternehmungen nicht geschadet, wenn er, bei so schönem Verstande, bei so herrlichen Gesinnungen, etwas geistreicher, ein besserer Schätzer des Geistes gewesen wäre«.«

Manfred: »Hierüber ließe sich mancherlei sagen. Um so mehr als Friedrich II. am 16. September 1770 seine Bewunderung für Joseph II., den er damals kennen gelernt hatte, ausgedrückt und besonders erwähnt hat, daß Joseph »Voltaires Werke zu lesen und zu schätzen verstand«; um so mehr auch, als Josephs verhängnisvollster Fehler vielleicht seine Bewunderung für Voltaireschen Geist in friderizianischer Ausprägung war; um so mehr schließlich, als Maria Theresia (24. IX. 1766) noch ihren bereits fünfundzwanzigjährigen Sohn »eine Kokette des Geistes« nannte.«

Thomas Mann: »Aber gesetzt, Goethe irre nicht, wenn er dem »Geiste« das Wort redet, sollte seine Bemerkung nicht erst recht auf Ludwig XV. zutreffen?«

Manfred: »Der Vergleich zwischen Ludwig und Joseph ist sicher auch insofern zutreffend, als auch der Sohn Maria Theresias, einer deutschen Kaiserin im erhabenen Sinne des Wortes, keiner von denen war, die sich Macht und Würde anzumaßen brauchten wie Friedrich II. und die anderen »Vasallen Voltaires«. Wenn Joseph, der mit dem Burgtheater den Deutschen ihre vorzüglichste Bühne gab, und der auf Reisen das Wertherkostüm trug, etwas mehr von dem Geiste besessen hätte, den Goethe trotzdem an ihm vermißt, dann hätte diesem Kaiser eine herrliche Schar deutscher Geisteshelden zur Verfügung gestanden.

»Diese Großen, die Friedrich II. von sich gestoßen hatte, um – wie Klopstock spottet – »Ausländertöne nachzustammeln«, hofften mit Herder: Kaiser Joseph II. werde ihnen »ein deutsches Vaterland und ein Gesetz und eine schöne Sprache und redliche Religion« geben. Eine deutsche Nation im edlen Sinne des Wortes hätte sich damals noch schaffen und bilden lassen. Mit Klopstock und Herder – auch Lessing und später Goethe wären gerne nach Wien gekommen – und den anderen Vorkämpfern selbständigen deutschen Geisteslebens hätte also Joseph II. ganz gut ohne den »Geist« in Voltairescher Prägung auskommen können. Wenn es dagegen Ludwig XV. zum Verhängnis wurde, daß er ohne Voltaire auszukommen versuchte, hat die Schuld nicht am Könige allein gelegen, sondern zum großen Teil auch an Voltaire und daran, daß Ton und Takt Voltaires, die in Sanssouci entzückten, doch für Versailles nicht gut genug waren. Gewiß, ein Bewunderer Voltairescher Geistigkeit – als der ich übrigens auch gerne gelten möchte, wenn ich auch Friedrichs II. Versuch, sie zur alleinherrschenden und in Deutschland herrschenden Geistigkeit zu machen, für einen Beweis einsichtsloser, oder, wenn Sie wollen, bemitleidenswürdiger, zukunftsfremder Geistesarmut halte – ein Bewunderer Voltairescher Geistigkeit mag sagen, es sei geistige Armut gewesen, die Ludwigs XV. Behagen störte, wenn Frau von Pompadour die Besten aus ihrem geistreichen Kreise auch immer wieder in die Nähe des Königs brachte, ihre Freunde, Voltaire, Crébillon, Montesquieu, Marmontel – sie beschütze auch Rousseau und andere, ganz zu schweigen von dem Heere geistvoller Maler, Bildhauer und Baumeister, das sie um sich scharte und mit zartem Verständnis behandelte, während Friedrich II. seine Schriftsteller »brouillierte« und seine Baumeister unter die Erde oder ins Gefängnis brachte. Aber es war doch nicht nur geistige Armut, was Ludwigs XV. Behagen störte; ich glaube, es war – so lächerlich es auch klingen mag – in gewissem Sinne auch geistige Überlegenheit; ja, ich gehe noch weiter auf der Bahn verwegenen Widerspruchs: es war, in einem gewissen Sinne, sittliche Überlegenheit.«

»Ludwigs XV.?« – »Jawohl!« – »Über wen?«

»Nun, wenn Sie wollen, über Voltaire und besonders über Friedrich den Großen!«

Nachdem Manfreds Einfall, Ludwig XV. könne sittlich höhergestanden haben als Voltaire und Friedrich II., gebührend belacht worden war, verteidigte sich Manfred mit viel Laune etwa wie folgt: »Der Begriff königlicher »Größe«, nachdem man ihn einmal mit Friedrich II. zu verbinden gelernt hat, ist nicht derart, daß ich Ludwig XV. damit belästigen möchte. Ludwig XV. ist nicht wie Friedrich II. aus seiner ersten Schlacht in heilloser Aufregung geflohen, sondern seine königliche Festigkeit hat die ins Wanken gekommene Entscheidungsschlacht von Fontenoy zum Stehen gebracht. Ludwig XV. hat sich nicht seines Verhaltens in dieser Schlacht gerühmt, wie Friedrich II. sich dem französischen Gesandten gegenüber seiner Leistungen in der Schlacht von Mollwitz zu rühmen die Albernheit hatte. Ludwig XV. war nicht der Pedant, der glaubte, weil er eine Schlacht gewonnen habe, müsse er Blutvergießen zum Lebensberuf machen. Ludwig XV. hat nie urteilslos über Dinge geschwatzt, von denen er nichts verstand, wie das eine Lieblingsbeschäftigung Friedrichs II. gewesen ist. Ludwig XV. hat keine Freude daran empfunden, über Dinge zu spotten, die anderen heilig sind, wie das für Friedrich II. bis ins hohe Alter ein Bedürfnis auch dann blieb, nachdem er von Männern wie Zieten dessenthalben verwiesen worden war. Ludwig XV. gefiel sich nicht in der dreisten Sicherheit, mit der Friedrich II. den Menschen und Dingen gerecht werden zu können glaubte; Ludwig XV. wurde vielmehr wie der große Ludwig, und wie auch Goethe, bis in das reife Mannesalter oft von der fast knabenhaften Scheu beherrscht, welche manchmal Männern eigen ist, deren Blick die Oberfläche der scheinbar einfachen Dinge durchdringt; von der Scheu, die einem Einsichtigen besonders dann sich aufdrängen muß, wenn ihn das Schicksal, sei es durch Geburt oder Begabung, in die allerhöchste Verantwortung oder gar in die abenteuerliche Anmaßung unumschränkter Herrschaft gedrängt hat. Ludwig XV. erscheint nicht in dem Sinne, in dem Friedrich II. es war, als ein zügelloser, ja roher Mensch. Ludwig XV. war nicht so blindlings und zweifelarm der kindischen Bewunderung Ludwigs XIV. und seines Despotismus verfallen wie Friedrich II. Ludwig XV., dessen scharfen Verstand neuere Geschichtschreiber entdeckt haben, sah die furchtbaren Schwierigkeiten, die dieser Despotismus in einem Lande hochentwickelter Geistigkeit heraufbeschworen hatte. Während Friedrich II. urteilslos diese Gefahren ins Land der gern geprügelten Preußen verpflanzte, machte Ludwig XV. zwar sein Leben lang sehr beachtenswerte Anstrengungen, den zugrunde gerichteten oder in falsche Bahnen gedrängten französischen Parlamentarismus neu zu beleben, besaß aber auch gleichzeitig genug Einsicht, zu verstehen, daß sich einem Totgeschlagenen kaum mehr wieder Leben einblasen läßt, und genug Geist, sich über das Hoffnungslose und Anmaßende der Stellung, in die er geboren wurde, von Grund auf zu langweilen. Nachdem jetzt die alten Geheimarchive geöffnet sind, weiß man, daß Ludwig XV. einen erstaunlichen politischen Nachrichtendienst unterhielt und manchmal die durch sein Vertrauen gewürdigten Minister auch da gewähren ließ, wo sie ihm widersprachen, und wo man heute feststellen kann, daß der König besser unterrichtet war als seine Minister; Ludwig XV. verstand zu schweigen und zu zweifeln, was Friedrich II. nicht gelernt hat. Ludwig XV., dessen Leben sich dem aufmerksamen Forscher als ein langer Kampf gegen die Jesuiten und als ein Kampf für die Belebung und gegen die Übergriffe der Parlamente darstellt, ist durch Jesuiten und Revolution als Popanz aufgeputzt worden, dessen falsche Lächerlichkeit höchstens von der Legende überboten wird, die Friedrich II. heiligsprechen möchte. Ludwig XV. war, nebenbei, der schönste Mann und der vollendetste Edelmann Frankreichs; es ist kein unhöfliches Wort von ihm berichtet; er ist von vielen Frauen geliebt worden; unter ihnen waren viele, die Königinnen genannt zu werden verdienen. Ludwig XV. war nicht impotent. Die rechtmäßige Königin von Frankreich, die sieben Jahre älter war als Ludwig XV., hat ihm zehn Kinder geboren. Als er auch danach noch Jugendkraft bewahrte, als die fünf Gräfinnen Nesle gestorben und als sich seine Beziehungen zu Frau von Pompadour zu einer so edlen Freundschaft verklärt hatten, daß sie Frau von Stein beglückt hätte, und als er den Pflichten der Könige und Philosophen gegen » amor feminarum plerumque officiosus« (wie Goethe es nannte) Gerechtigkeit widerfahren ließ, wurde mit einem seiner Lustschlösser ein Wöchnerinnenheim verbunden. Kurz, dieser Ludwig XV., wenn er auch noch über die Weisheit und Tatkraft Bismarcks verfügt hätte, würde alle Tugenden Kaiser Wilhelms I. besessen haben, und er scheint mir deswegen zu stichhaltigem Anspruch auf königliche Größe, glücklicherweise jedoch nicht friderizianischer Art, berechtigt. Wenn er noch nicht »groß« gesprochen wurde, so ist er eben ein Opfer, ein Opfer des Despotismus, den er nicht geschaffen hat, aber für dessen gefährliche Anmaßungen und hoffnungslose Selbstvernichtung an diesem unschuldigen Opfer Rache genommen wird! Ich brauche wohl nicht besonders zu erwähnen, daß Friedrich II. selbst den toten Ludwig XV. »gut« und »honnête« genannt und geschrieben hat, daß »Ludwigs XV. Beiname, der Vielgeliebte, mehr wert ist als der Beiname der Heilige und der Große, welche nur die Schmeichelei und selten die Wahrheit den Königen verleiht.« Ebenso treffend sagte Friedrich II. ( Oeuv. posth. V, 119 und IX, 221), daß Ludwig XV. »nur einen Fehler hatte, nämlich König zu sein«, wohl ganz im Geiste Fichtes.« (Vgl. oben S. 9.)

Manfred blickte uns fragend und freundlich lächelnd an. Thomas Mann schien nachdenklich; schließlich überbot er Manfreds Heiterkeit mit folgender Schalkheit: »Ich möchte einen meiner Aussprüche über Friedrich II. frei abwandelnd auf Ludwig XV. anwenden und fragen: »Konnte nun dieser Ludwig XV. die Frauen so gut leiden, weil er ein so guter Mann war, oder war er ein so guter Mann, weil er die Frauen so gut leiden konnte? Das ist nicht zu entwickeln. Die Geheimnisse des Geschlechtes sind tief und werden nie völlig erhellt werden.«« (Vgl. oben S. 254.)

Manfred: »Gut, lassen wir diese Geheimnisse. Ich freue mich, daß Sie meine Ehrenrettung Ludwigs XV. gelten lassen, und ich möchte zur Erklärung des Zerrbildes, das man auch in Deutschland von diesem großen Könige verbreitet und neben das bengalisch beleuchtete Idealbild Friedrichs II. gestellt hat, auf die eigentümliche Unfähigkeit der deutschen Geschichtschreiber und auf das von Hans Delbrück treffend als schwindelhaft Erkannte der sogenannten »historischen Methode« hinweisen. Sehr richtig sagte der scharfblickende Hans Delbrück: » Wer kann behaupten, daß von der wirklichen Natur politischer und diplomatischer, kirchlicher, höfischer, wirtschaftlicher, militärischer, administrativer, commercieller Vorgänge die große Mehrzahl der heute in der Historie arbeitenden Gelehrten eine für zuverlässige Sachkritik ausreichende Kenntnis habe?« Auf diese Frage Delbrücks antwortete mir einmal ein scherzlustiger Anthropologe, der Berlin als »Austausch-Professor« kennen gelernt hatte, folgendermaßen: »Niemand kann das behaupten, der erfahren hat, daß preußische Gelehrte auch im zwanzigsten Jahrhundert von der Verfeinerung der Sitten so wenig wissen, daß sie aus patriotischer Leidenschaft gar nicht selten noch die stundenlangen Abfütterungen nachahmen, – sie nennen es »Gesellschaften geben« – mit denen Friedrich der Große sich den Magen zu verderben pflegte, und die ich sonst nur noch bei gewissen entarteten Stämmen der äthiopischen Rasse gefunden habe.« So sprach mein Freund, der Anthropologe. – Aber Scherz beiseite. Erinnern Sie sich, bitte, an den Nachweis der sozialpolitischen Denkunfähigkeit von Treitschkes, den Gustav Schmoller in seinem »Offenen Sendschreiben an Herrn Professor Dr. Heinrich von Treitschke« so unwiderleglich erbracht hat; Ausführlicheres über den denkwürdigen Streit der beiden Berliner Gelehrten findet sich in dem 1911 erschienenen Buche: Der Städtebau nach den Ergebnissen der Städtebau-Ausstellung usw. von W. Hegemann; S. 71 ff. bedenken Sie, daß dieser von Treitschke, mit seiner von Schmoller gegeißelten sozialpolitischen Weisheit einer Kaffeeschwester, es ist, der jahrzehntelang unter dem Beifallschmunzeln halbgebildeter Berliner Gelehrter der deutschen Jugend die geistige Überlegenheit Friedrichs II. versicherte und dazu behauptete: »Noch mehr als in Friedrichs Tagen gilt heute das Wort, daß die Freiheit des Menschengeschlechts hinter unseren Fahnen ihre Zuflucht findet.««

Hegemann: »In Ihrem verklärten Bilde vom großen Ludwig XV. sagen Sie kein Wort von der verbrecherischen Verschwendung, mit der dieser französische König so unvorteilhaft von der spartanischen Sparsamkeit des großen Preußenkönigs abstechen soll.«

Manfred: »Man würde Ludwig XV. nicht gerecht, wenn man seine sogenannte Verschwendung mit der sogenannten Sparsamkeit Friedrichs II. vergleichen wollte. Ludwigs Aufwendungen waren Kulturausgaben im höchsten Sinne des Wortes und von höchster internationaler Bedeutung; Friedrichs Aufwand dagegen – ja, was soll man sagen, ohne sich zu beschmutzen? Hören Sie den großen Friedrich selbst. Er hat es (Lucchesini gegenüber) eine » fanfaronnade«, zu deutsch also: eine Prahlerei, Protzerei, genannt, daß er, sofort nach Schluß des Siebenjährigen Krieges, sein »Neues Palais« baute, das heißt also: aus seinem – durch wessen Schuld? – verwüsteten Lande ungezählte Millionen herauspreßte, um einen riesigen Palast zu errichten, den er niemals mit geistreicher Prachtentfaltung im Stile des bewunderten Sonnenkönigs füllen konnte, einen Palast also, dessen kein Mensch bedurfte – außer dem Berliner Schloß waren bereits das gerade aufs kostspieligste umgebaute Potsdamer Stadtschloß und das seit 1747 vollendete Sanssouci vorhanden. Nach Mangers Baugeschichte von Potsdam finden sich für das Neue Palais ohne Inneneinrichtung Baurechnungen im Betrage von 2 880 443 Talern. Nach einer von Preuß (II, 387) wiedergegebenen Schätzung betrugen die Gesamtkosten »11 Millionen Thaler und ebensoviel zu möblieren«. Wenn man nach heutigem Geldwert und in Mark rechnet, wird man von 50-100 Millionen sprechen müssen. Der Exerzierplatz hinter dem »Neuen Palais« mit den »Communs« ist sehr hübsch, eine der schönsten und kostspieligsten Operndekorationen, die je in festen Baustoffen ausgeführt wurden. Aber das Schloß selbst ist außen und innen mit Geschmacklosigkeiten so überladen, daß sein etwaiges Verschwinden kaum ein großes Unheil zu nennen, ja zu Ehren Friedrichs II. beinahe zu wünschen wäre. Die »zu groß geratenen stark grimassierenden Engelsköpfe« (wie Professor Pniower sie nennt), mit denen das oberste Geschoß überladen ist, hat sich Goethe ebenso wie den »übergroben Kastellan« (den auch Manger 1787 erwähnt) in sein nur etwa zweihundert Worte umfassendes Berliner Tagebuch notiert.

»Die Erbauung dieses ungeheuren Palastes aus den Mitteln des aufs äußerste erschöpften Landes erscheint heute wie ein Verbrechen, namentlich wenn man bedenkt, wie es in Preußen am Notwendigsten fehlte. Der König hat sich wiederholt beklagt, kein Geld zu haben für Invalidenversorgung oder für Findelhäuser. Um Invaliden zu versorgen stellte er Leute, die weder lesen noch schreiben konnten, als Volksschullehrer an. Preuß (II, 376) berichtet sogar, daß »invalide Wachtmeister, Feldwebel und Unteroffiziere, ohne viel Rücksicht auf Fähigkeit, als Bürgermeister, Kämmerer, Ratsherren und dergleichen in die Magisträte eingeschoben wurden«. Das nennt Schmoller: »großartige geistige Kulturpflege« (vgl. oben S. 104).

»Die furchtbaren Folgen der eigentümlichen friderizianischen Sparsamkeit zeigen sich aus zwei Angaben, die Friedrich II. Lucchesini gegenüber gemacht hat. Am 31. März 1781 berichtet Lucchesini von der königlichen Mittagstafel: »Der König hat in Preußen (Ostpreußen) 200 Lehrer angestellt, die ihn jährlich 22 000 Thaler und das Brennholz kosten«. Und gelegentlich der fünfeinhalbstündigen Mittagstafel vom 4. Oktober 1780 klagte der König: »über die große Masse von Kindesmorden. Preußen (Ostpreußen) allein mit seiner Bevölkerung von 850000 Seelen liefert deren fast fünfzig jährlich«. Danach kämen auf jeden Lehrer mit 110 Talern Jahresgehalt über 4000 Seelen und wieviel Kindesmorde? Aber Friedrich dem Großen scheint die » fanfaronnade« des »Neuen Palais« Freude gemacht zu haben; es muß ihm gefallen haben, daß fremde Besucher, wie zum Beispiel 1772 der Gast des Lords Marishal Keith, der gerade aus Spanien angekommene Harris, das »Neue Palais« für großartiger als die berüchtigten Bauten des Escorial erklärte. In Wahrheit mißt die Schauseite des Escorial, mit Palast, Kloster und Kirche, im ganzen 206 Meter; diese gewaltige Leistung durfte sich Philipp II., der mit den Schätzen der Neuen Welt baute, vielleicht erlauben. Aber die Schauseite des »Neuen Palais« Friedrichs II. ist 213 Meter lang; und sein Erbauer schöpfte aus der Armut des tödlich getroffenen Preußen und erntete dafür den Ruf spartanischer Sparsamkeit.«

Hegemann: »An Friedrichs Millionenausgaben für seinen großen neuen Palast nehme ich keinen Anstoß, weil ich weiß, daß er gleichzeitig in großartiger Weise für sein verwüstetes Land gesorgt hat.«

Manfred: »Wissen Sie das? Wissen Sie, wie dieses Land nach dem Siebenjährigen Kriege aussah? Erlauben Sie mir, daß ich Ihnen aus Friedrichs eigener Schilderung vorlese ( Oeuv. posth. V, 130): »Man muß sich vorstellen, daß ganze Landschaften verwüstet waren, wo man kaum noch die Spuren der alten Wohnungen entdeckte, Städte, in denen kein Stein mehr auf dem andern lag, andere zur Hälfte vom Feuer verzehrt, 13 000 Häuser, von denen keine Spuren übrigblieben, die Äcker ohne Saat, die Bewohner ohne Brotgetreide, ein Verlust von 60 000 Pferden bei den Landwirten und gegen 1757 eine Verminderung der Bevölkefung um 500 000 Seelen, was viel ist bei einer Bevölkerung von 4 500 000 Seelen usw. usw.«

»In diesem verwüsteten Lande setzte die »großartige Kulturpflege« des großen Königs ein. Hier eine Probe, die uns Preuß (III, 3 und 442) mitteilt. Der Finanzrat Roden, ein heißer Verehrer Friedrichs II., erzählt uns in seiner Autobiographie, wie der große König am 6. Juni 1763 morgens 11 Uhr in Wesel ankam und erklärte: »Hört, durch den Krieg sind viele Häuser ruiniert; Ich will haben, daß sie wieder in den Stand gesetzet werden, wozu ich denenjenigen, die sich nicht selbst helfen können, besonders Soest, Hamm, Lünen und Wesel zum Theil, als welche Örter am mehresten gelitten, die Gelder geben will. Ihr sollt mir von denen Städten eine exacte Liste davon machen... In Zeit von 6 Tagen müsset ihr fertig sein.« Finanzrat Roden ließ durch Estafetten Nachrichten aus den beschädigten Städten einfordern und überreichte nach sechs Tagen einen Bericht. Roden erzählt weiter: »S. K. M. examinierten alles genau. Sie bezeugten mir die Zufriedenheit, resolvierten zum Wiederaufbau 25 000 Thaler zu geben.« Das war für vier Städte. Also 6000 Thaler für jede der Städte, die »am mehresten gelitten.« Und Roden wurde unverzüglich zum »Geheimen« Finanzrat ernannt. Sind Sie ganz sicher, daß die eine oder andere Million vom »Neuen Palais« nicht volkswirtschaftlich wirkungsvoller hätte verwandt werden können?«

Hegemann: »Sie sagten vorhin selbst, Friedrich habe in den westlichen Provinzen wenig Unterstützungsgeld gezahlt, weil er sie abstoßen wollte. Sie müssen die östlichen Provinzen betrachten.«

Manfred: »Betrachten Sie meinetwegen ganz Preußen. Nur mit staunender Ehrfurcht konnte 1788 Oberkonsistorialrat Büsching {Verw. auf Anmerkung} die Berechnungen nennen, welche damals von Friedrichs Mitarbeiter und Verherrlicher Grafen Herzberg veröffentlicht wurden. Danach hätte Friedrich II. in der Zeit von 1763 – 1786 »den durch den Siebenjährigen Krieg geschädigten Provinzen« und allen »andern Provinzen« zusammen 24,39 Millionen Taler, im ganzen also wenig mehr als eine Million im Jahr gegeben: für das gesamte Königreich, aus dem er gleichzeitig viele Millionen für seinen neuen Escorial preßte. Sparsamkeit? Oder blöde Verschwendung?

Oder soll man annehmen, daß die Errichtung des »Neuen Palais« irgendwie größere Bedeutung für die Entwicklung der Kunst in Europa oder in der preußischen nation hatte, als zum Beispiel die Leidenschaft Friedrichs II. für »eine allzu reiche Besetzung mit Brillanten«, dank welcher er 300 »mit großen Steinen übersäte Tabacksdosen« und ähnliche »mit Brillanten besetzte Sachen« im Werte von 1 750 000 Talern hinterließ. Der Fürst von Ligne, der sich bemühte, über Friedrich Höfliches zu sagen (vgl. oben S. 125 ff.), der aber die großen Höfe kannte, verfällt ins Spotten, wenn er erzählt, »wie der König manchmal den König spielte und wie er sich sehr großartig vorkam, wenn er einen Stock und eine Dose mit häßlichen Diamanten in die Hand nahm«. Ein häufiges, echt friderizianisches Schauspiel berichtet der wahrheitseifernde, friedrichbegeisterte Nicolai: »Wenn der König nach Berlin zum Karneval reisete, wo er nach dem Siebenjährigen Kriege …; den größten Teil seiner Zeit in seinen Zimmern zubrachte, nahm Er eine ziemliche Anzahl dieser Dosen in zwey Kasten mit, welche gewöhnlich ein arabisches Kamel oder Dromedar nach Berlin trug.« {Verw. auf Anmerkung} Friedrichs diamantenbesetzte Schnupftabaksdosen tragendes Trampeltier – eine stolze Erinnerung an die Tage der Freundschaft mit dem großen Zar Peter III. – das ist ein unvergängliches Sinnbild höchster preußischer Königswürde!

In diese Geistes weit gehört Friedrichs II. Wahnvorstellung, er könne die Seidenraupe in Preußen wie in Italien und Südfrankreich heimisch machen (von den mit großen Geldopfern und durch jahrzehntelanges Quälen der Potsdamer Waisenknaben gehegten und gepflegten 20 000 Maulbeerbäumen Potsdams künden heute noch einige knorrige Überreste); oder Friedrichs II. Vorstellung, er erweise dem Gewerbefleiß seines Landes einen Dienst damit, daß er die 230 Mädchen des Militärwaisenhauses für neun Jahre an die aus Frankreich eingeführte Spitzenindustrie »verpachtete« (ein in Amerika Sklaverei genanntes und seit langem gesetzwidriges Verfahren). – Es wirkt scherzhaft, wenn man diese preußischen Leistungen mit den französischen vergleichen wollte, wie es unbesonnene Lobredner Friedrichs II. manchmal unternehmen. In Frankreich findet man das siegreiche Überquellen der Luxusindustrien aus dem lange für unerschöpflich gehaltenen Reichtume des vor feindlichen Einfällen beschützten Landes und unter der Leitung der gebildetsten Menschen eines künstlerisch hochstehenden Zeitalters. Ob Friedrichs II. »Neues Palais« gebaut wurde oder nicht gebaut wurde, war, soweit ich es ermessen kann, völlig belanglos im Gange der künstlerischen Geschichte Europas. Aber daß die kleinen Schlösser der Frau von Pompadour gebaut, daß die großen Wettbewerbe, die zur Erbauung des Platzes Louis XV (heute Platz de la Concorde) führten, abgehalten wurden, das war von höchster Bedeutung für die Entwicklung des künstlerischen Geschmackes der Welt. Wenn das »Neue Palais« in Potsdam verschwände, wäre wenig verloren; daß die kleinen Lustschlösser, die Frau von Pompadour als geistvolle Leiterin eines Heeres von geistvollen Künstlern für Ludwig XV. (nicht für sich) gebaut hat, in der Revolution zerstört wurden, das ist ein schwerer, nie wieder einzubringender Verlust. Aber wenn sie gleich verschwanden, diese geistsprühenden Werke der Königin des Vorklassizismus, so leben sie dennoch in tausend Nachahmungen und in einem Strome befruchtenden Lebens, der allem künstlerischen Leben Europas zugute kam; aus dem zum Beispiel die Anregungen für das, was gut ist an der Inneneinrichtung der friderizianischen Schlösser, stammt und aus dem noch Friedrichs des Großen teutschtümelnder Nachfolger schöpfte, der (wie Malmesbury berichtet) beständig einen Kammerdiener auf der Reise nach Paris hatte. Wie soll man sich das ganze Goethesche Rokoko, die Kleidung und Umgebung der Lotten, vorstellen, ohne die künstlerische Anregung aus Paris?

»Lächerlicherweise finde ich bei einem Vergleiche der Summen, die Pierre de Nolhac {Verw. auf Anmerkung} für die Ausgaben der Frau von Pompadour aus den besten Quellen errechnet hat, mit den Ausgaben Friedrichs des Großen, daß Frau von Pompadour in zwanzig Jahren für ihre zahlreichen kleinen baulichen Schöpfungen sechseinhalb bis siebeneinhalb Millionen Franken, das heißt also beträchtlich weniger aufgewendet hat als Friedrich II. für sein »Neues Palais« allein. Manger errechnet 10 573 000 Taler als Friedrichs II. nachweisbaren Aufwand für die Rohbauten in Potsdam, wovon das meiste auf Schlösser und Gärten fällt. Erst nachdem die Schlösser fertig waren, wandte sich Friedrich dem Bauen von Bürger- und Kolonistenhäusern zu, wofür Manger 3 180 000 Taler nachweist. Ich finde ferner, daß der in persönlichen Ausgaben sparsame Ludwig XV. der Frau von Pompadour etwa ebensoviel Taschengeld anwies (monatlich 3000 Franken während des Krieges, 4000 im Frieden), als Friedrich II. seiner Barberina Gehalt zahlen mußte. Sie erhielt 25 000 Franken im Jahr. Voltaire schrieb – 17.III.49 an Thiérot – gar von 32 000 Franken. Aber amtlich wurden der Barberina nur 7000 Taler ausgezahlt fürs Jahr {Verw. auf Anmerkung} wovon sie nicht nur fünf Monate Ferien hatte, sondern auch erfolgreicheren Anbetern, als Friedrich II. es war, reichlich Zeit geben konnte.

»Es ist ein Märchen der Revolution, Ludwig XV. habe Frankreich durch seine Verschwendung zugrunde gerichtet. Frankreich ist im großen Kampfe gegen England unterlegen, und der Reichtum der Welt, der damals erforderlich war, um in künstlerischen Dingen der Lehrmeister der Welt zu sein und künstlerische Pracht großartigsten Stiles zu entfalten, floß künftighin nach England, das guten Gebrauch davon zu machen verstand und seinerseits der Lehrmeister der Welt in Fragen des Geschmackes geworden ist.

Hegemann: »Sie werden zugestehen, daß Sanssouci eine sehr geschmackvolle und für einen König geradezu bescheidene Junggesellenwohnung war?«

Manfred: »Ich hörte einmal Cornelius Gurlitt, der ja wohl als Entdecker und einer der besten Kenner der »barocken« Baukunst gilt, sehr geringschätzig von Sanssouci sprechen. Er nannte es »eine Dilettantenleistung«, die erträglich werden möchte, wenn man das Schloß auf ein Gerüst stellen, etwas hochkurbeln oder dem Terrassenrande näher schieben könnte. Er nannte den friderizianischen Barock »unverzeihlich ledern für jeden, der einmal süddeutschen Barock kosten gelernt hat«. Wie recht scheint mir Gurlitt da zu haben! Und sein Urteil über Sanssouci entspricht doch ganz dem, was der unglückliche Baumeister des Schlosses, v. Knobelsdorff, darüber dachte. Sein Herz ist darüber gebrochen, daß der eigensinnige König ihm seinen Plan für Sanssouci verdarb und ihm nicht gestattete, das Schloß näher an den Vorderrand der Terrasse heranzurücken und um einige Stufen zu erhöhen. Heute ragt die Südseite wie ein im Nilschlamm versunkener Pharaonentempel aus dem Sande.

»Aber nicht nur der geniale Knobelsdorff ging unter den königlichen Mißhandlungen zugrunde. Nach Knobelsdorffs Niederlage wurde Friedrich II. dreister und begegnete künftig fast überall mit der anmaßenden Überheblichkeit seines Vaters seinen Künstlern und Bausachverständigen, die er in seinen Schreiben unablässig mit Beleidigungen und Drohungen belästigt, wie »Ertz-Schäckers«, »Diebereien«, »so impertinent als gottloß«, »alle wegjagen«, »nicht klug« und so weiter. Der Baumeister Manger, der eine Sammlung friderizianischer Erlasse in Bausachen veröffentlichte, hat nicht nur selbst wegen friderizianischer Verdächtigungen im Gefängnis gesessen, bis er von Friedrichs Nachfolger in ehrenvoller Weise herausgeholt wurde, sondern er berichtet auch, wie die Baumeister Büring, Hildebrandt und der ausgezeichnete Gontard – der letztere dreiundvierzig Tage – wegen königlicher Verdächtigungen sitzen mußten. In nichts läßt sich das mit dem fast unübertrefflichen Feinsinn vergleichen, mit dem Frau von Pompadour beinahe jeden aus ihrem Heere von Künstlern würdigte; ganz zu schweigen von Ludwig XIV.

»Auch war es nicht nur der Plan für Sanssouci, den die caprice des Königs verdorben hat. Noch verhängnisvoller ist Friedrichs II. Eigensinn mit dem Berliner Opernplatz umgesprungen, dessen Entwurf auch von v. Knobelsdorff stammt. Auf dem großen Schmettauschen Stadtplane kann man im Randbilde sehen, wie ruhig sich Knobelsdorff den Platz im Westen durch eine lange niedrige Baumasse abgeschlossen dachte. Aber Friedrich II. setzte auch da seine bizarre Laune aufs schädlichste durch und erschlug noch als ganz alter Mann die klassische Schöpfung des verstorbenen v. Knobelsdorff durch eins seiner geistesarmen, barocken Kopier-Gebäude, von denen auch in Potsdam viele stehen. Am Opernplatz errichtete er den barocken, hohen Bau, der vom Berliner Volkswitz »Bücherkommode« getauft wurde. Friedrich selbst nannte sie » Nutrimentum Spiritus«, wohl um öffentlich darzutun, daß sein Latein nicht klassischer sei als sein Architekturverständnis.«

Unter den Teilnehmern am Gespräch, die verschiedentlich wechselten, befand sich in jenem Augenblicke der Berliner Kunstgelehrte Professor Walter Weißbach. Er warf ein: »Aber erlauben Sie, die Schauseite der alten Bibliothek ist nach einem Entwurfe des großen Wiener Barockkünstlers Fischer von Erlach gebaut. Dieser alte Entwurf für die Kaiserliche Hofburg war in Wien unausgeführt geblieben, und Friedrich II. erwarb sich ein großes Verdienst um die deutsche Kunst, indem er diesen Schatz der Vergessenheit entriß und in Berlin zu Ehren brachte. Gerade Sie, Mr. Ellis, den viele Bande an Wien knüpfen, müßten hier unserem großen Könige in Ehrfurcht danken für seine wahrhaft weitsichtige Sorge um große deutsche Kunst.«

Manfred Ellis antwortete lächelnd: »Mir wird fast schwül! – Es war kurz vor seinem Tode, als der Alte Fritz in einer klassizistisch gewordenen Welt plötzlich wieder »barock« (und gar Wiener Barock!) zu bauen anfing. Im selben Geiste schrieb er damals auch sein Lehrbuch »über die deutsche Literatur«, zu dem August von Gotha bemerkte: »Das königliche Gespenst ist wieder erschienen« (vgl. oben S. 131). Ich zweifle nicht, daß sich Friedrich II. sehr schlau vorkam, als er auch dem Nachfolger v. Knobelsdorffs in der landesüblichen Weise vor den Kopf stieß und das vergessene baukünstlerische Staatspferd des sparsameren Kaisers aus der Wiener Hofburg holte und vor die königlich-preußische Staatskarosse spannte (er fuhr ja auch auf seine alten Tage in Berlin noch gerne sechsspännig). Aber dürfen Sie es wirklich »große deutsche Kunst zu Ehren bringen« nennen, daß Friedrich II. einen für ganz andere räumliche Verhältnisse und in einer ganz anderen Zeit entworfenen Bau völlig beziehungslos in die Ecke eines klassizistischen Platzes stellte?«

Weißbach: »Ich muß zugeben, die Erfinder derartig konkav eingezogener, nischenartiger Fassaden, Künstler wie Ricchini in Mailand oder Fischer von Erlach in Wien, fingen in ihren riesigen Nischen einen Stoß von der anderen Seite, etwa die Bewegung der gegenüber einlaufenden Straße auf. Am Berliner Opernplatz fehlt der Sinn der Nische im »Nutrimentum Spiritus«

Manfred: »Eine sinnlose unverstandene Kopie ist dieser letzte Bau Friedrichs. Der Wiener Entwurf des Fischer von Erlach paßte sinnreich auf den Wiener Platz. Aber in die Ecke des Berliner Opernplatzes, für den er durchaus nicht entworfen war, paßte er nicht. Der Bau ist auch zu kurz für die Baustelle, die er füllen soll, und bei der Aufstellung ist nicht einmal die einfachste Achsenbeziehung zum gegenüberliegenden Opernhause gewahrt. Und selbst wenn sie gewahrt wäre, würde doch noch die großartigere Barockgebärde des Wiener Hofburgentwurfes in die Nähe der niedrigeren und (vor ihrer modernen Verballhornisierung) schon vorschinkelhaft streng wirkenden Oper und der Hedwigskirche (die als Schlußstück in der anderen Ecke keine Nebenbuhlerschaft verträgt) höchstens ebensogut passen wie das in Gold gestickte Gloria in excelsis auf des Pfarrers Hosenboden in der reizenden Erzählung »Die Gloriahose« von Wolzogen.

»Es ist, als hätte Friedrich II. auf seine alten Tage gerade auch in Bausachen noch einmal seine ganze »eigensinnige, voreingenommene, unrektifizierliche Denkungsart«, deren Goethe ihn zieh, zeigen wollen. Worum hatte sich der alte Streit zwischen Friedrich II. und dem darüber verstorbenen von Knobelsdorff denn hauptsächlich gedreht?«

Manfred nahm das offiziöse Buch von Dr. Fritz Arnheim: Der Hof Friedrichs des Großen zur Hand und las vor: »»Mochte der königliche Auftraggeber (Friedrich II.) noch so sehr die Formen des Rokokostils bevorzugen, von Knobelsdorff blieb nach wie vor ein treuer Anhänger der Antike und wollte die herrschende französische Mode höchstens bei der inneren Ausstattung der Schlösser gelten lassen«.

»Würde jemand, der als Dummer August mit gewolltem Ungeschick immer auf der verkehrten Seite zu stehen versucht, den königlichen Schäker Fritz von Preußen überbieten können? Als er Lessing, Winkelmann, Paul Gerhardt oder Goethe der Reihe nach verständnislos, kleinlich und ungebührlich behandelte, wollten seine Verehrer ihn damit entschuldigen, daß er als alter Preuße eben die junge deutsche Sprache nicht so beherrschen konnte wie seine gebildeteren Zeitgenossen aus dem Reich, zum Beispiel wie der von Friedrich II. oft gepriesene ältere Leibniz oder Thomasius oder die bürgerlichen Vorfahren Bismarcks, Männer, die sich vor Friedrich II. um die deutsche Sprache verdient gemacht hatten, aber eben keine Preußen waren. Wie entschuldigen wohl aber die Bewunderer der »feinen Geistesbildung« Friedrichs II., daß er in der Baukunst genau wie in der Musik, in der Sprachenfrage und in der Literatur im Widerspruch zum Rate der Besten auf die verkehrte Mähre zu wetten sich versteifte? Sagen Sie nicht, er sei infolge seiner heimischen Unbildung eben auch da willenlos »den verhängnisvollen französischen Einflüssen« zum Opfer gefallen! Das Lächerliche ist ja gerade, daß auch in der französischen Baukunst, die Friedrich II. mißverstand, das Rokoko nur eine vorübergehende Dekorationslaune gewesen ist, die – soweit die äußere Gestaltung von Bauten in Frage kam – nur von deutschen und anderen baukünstlerisch zurückgebliebenen Völkern jemals ad absurdum ernst genommen, das heißt also mißverstanden wurde.«

Hegemann: »Sie nennen die Deutschen in der Baukunst zurückgeblieben? Ich denke –«

Manfred: »Ja ich weiß, in Deutschland ist man sicher, zu führen. Auch liegt es mir ferne, der englischen und französischen Kritik zu folgen, die den neuen Berliner Dom und das Leipziger Völkerdenkmal verachtet und den Deutschen Begabung für die Baukunst absprechen zu müssen glaubt, weil Deutschland auch in Gotik, Renaissance und achtzehntem Jahrhundert sicher nicht führte. Aber was könnte selbst das begabteste Volk leisten, im achtzehnten Jahrhundert, solange es dem unterworfen ist, was Herr Thomas Mann »den lastenden, entwürdigenden Druck des königlichen Daseins Friedrichs II.« genannt hat?

»Die Deutschen, und Friedrich II. hier voran, gemahnen in Bausachen an vortreffliche Landleute, wie zum Beispiel die Dachauer Bauern, die ihre »Nationaltrachten« schufen und genossen, indem sie sich (oft mehr würde- als geschmackvoll) mit mißverstandenem und abgetanem Kleiderputz aus der Hauptstadt ausstaffierten und treu daran festhielten. Ähnlich wie Friedrich II. in der inneren Politik demütig die mißverstandenen absolutistischen Schnörkel und Irrwege Ludwigs XIV. bewunderte und nachzuirren versuchte, obgleich alle Welt und vor allem Ludwigs Nachfolger auf dem französischen Thron den gefährlichen Irrtum des Absolutismus längst erkannt hatte und zu vermeiden suchte, ähnlich wollte Friedrich bis ans Lebensende bei den mißverstandenen baukünstlerischen Schnörkeln aus der Zeit gleich nach dem Tode Ludwigs XIV. verharren. Seine Begriffsschwelle war zu hoch, als daß neuere Gedanken sie zu überschreiten vermocht hätten. Er konnte daher nicht begreifen, warum die zeitgenössischen Architekten Frankreichs (genau wie von Knobelsdorff und mit Winckelmann die in Deutschland führenden Köpfe es wollten) sich längst der Pflege des reinen Klassizismus zugewandt hatten, und warum schon seit 1750 der Pariser Ehrenplatz Ludwigs XV. (der heutige Platz de la Concorde), die größte Schöpfung des Zeitalters, mit vollendet klassizistischen Bauten umgeben wurde. Friedrich II. wollte wie in seiner politischen Weisheit auch in der Baukunst im Jahre 1715 stehen bleiben. Es ist beachtenswert, daß von Knobelsdorff nicht (wie der gescholtene Goethe) jünger, sondern älter war als der König. Gleichviel ob jünger oder älter, Friedrich war immer klüger. Ersetzte seinen altmodischen Eigensinn gegen Dichter, Baumeister und Musiker durch, und die große, die lebende und die deutsche Kunst blieb aus seiner Nähe verbannt. Wenn dafür wenigstens die französische Kunst an seinem Hofe geblüht hätte! Aber französische Künstler hielten es auch für Geld nicht bei Friedrich II. aus. An seinem Opernplatz ist von dem großen Geist der Louvrekolonnade und des Platzes Vendôme wenig zu merken. Und sein Seydlitz hat zwar den jüngeren Prinzen von Soubise besiegen können, aber das Neue Palais des in allen Künsten dilettierenden Königsphilosophen kann sich an Würde mit dem älteren Hôtel de Soubise in Paris nicht messen.

»Vielleicht nennen Sie Ihren König sogar sparsam, weil er durch die Verwendung des alten Entwurfs von Fischer von Erlach ein Architektenhonorar gespart hat? In diesem Sinne war Frau von Pompadour wahrscheinlich wirklich eine Verschwenderin.«

»Also gut denn, sagen wir meinetwegen, Ludwig XV. habe verschwendet (nach dem Tode der Pompadour war Frau du Barry weniger sparsam als die große Vorgängerin), wie es die Geschichtschreiber behaupten, die Friedrichs II. » Fanfaronnaden« oder sein Hamstern von edlen Metallen und Steinen für Kriegszwecke Sparsamkeit zu nennen belieben. Ließe sich denn nicht selbst die Verschwendung Ludwigs XV. noch eher rechtfertigen als das Finanzgebaren Friedrichs II.? Welches große Kunstzeitalter hat nicht verschwendet? und rechtfertigen die Größe und Sicherheit einer künstlerischen Leistung nicht vielleicht sogar »Verschwendung«; selbst Verschwendung bis zur Selbstvernichtung? Hat sich nicht im Mittelalter jede ehrgeizige Bürgerstadt wirtschaftlich mehr oder weniger zugrunde gerichtet am Bau eines unfaßlich großartig gewollten Münsters? Behauptet man nicht, die Päpste hätten die religiöse Weltherrschaft eingebüßt und mit ihrem Ablaßzettelverkaufe die kunstfeindliche Reformation recht eigentlich angezettelt, um den größten Traum der Renaissance, den ewigen Dom St. Peters, vollenden zu können? Und wenn wirklich die Aufwendungen Ludwigs XV. und nicht die Niederlage im Kampfe gegen England die französische Revolution verursacht hätten, und wenn die Franzosen, oder die Völker der Welt, zu wählen hätten, dürften sie auf die künstlerische Leistung des Zeitalters Louis Quinze verzichten wollen? Der Gedanke ist ebenso unfaßlich wie etwa ein Verzichtenwollen der nordischen Welt auf die französische Gotik.

Hegemann: »Geraten Sie nicht mit sich selbst in Widerspruch und empfehlen Selbstvernichtung und Aufopferung um eines hohen künstlerischen Zieles willen? Predigen Sie nicht geradezu die Philosophie des Seidenwurms?

Verbiete du dem Seidenwurm zu spinnen
Wenn er sich schon dem Tode näherspinnt.
Das köstliche Geweb' entwickelt er
Aus seinem Innersten und läßt nicht ab,
Bis er in seinen Sarg sich eingeschlossen.«

Manfred lachte siegreich und antwortete:

»Wer läse die Einzelheiten des Lebens der Frau von Pompadour, – und so mancher anderer großen Künstlerin des Lebens – ohne überwältigt zu werden von dem Gefühl des patriae inserviendo consumor, unter dem diese zarten Leiber, wie von der Leidenschaft großer Gedanken erschüttert, zusammenbrechen! Erlauben Sie mir darum die Worte Tassos, die Sie anführten, zu vollenden:

O, geb ein guter Gott uns auch dereinst
Das Schicksal des beneidenswerten Wurms,
Im neuen Sonnental die Flügel rasch
Und freudig zu entfalten!

Sind Sie nicht doppelt widerlegt? einmal ist die Kunst Ludwigs XV. nicht gestorben, sondern hat im Louis Seize und im Empire die Flügel rasch und freudig entfaltet; und dann, ich sagte schon, haben die Anglosaxonen die Führung übernommen. Es war keine Weisheit, sondern Ungeschicklichkeit der Franzosen und des europäischen Festlandes, sich zu opfern, sich von den Anglosaxonen schlagen und den Reichtum der Welt abnehmen zu lassen. Und die Anglosaxonen, die sich, weiß Gott, nicht geopfert haben, wurden dafür durch die neue Führerschaft, von der ich eben sprach, belohnt. Auf den Gebieten der Pflege des Leibes, der Kleidung, der Wohnung, des gesellschaftlichen Lebens und vor allem auf dem Gebiete der höchsten Staats- und Verwaltungskunst wurden die Engländer die Lehrmeister der Welt. Wenn heute z.B. Männer wie Otto March, Alfred Lichtwark, Hermann Muthesius und Schultze-Naumburg auf das, was sie die hohe »Wohnkultur« der Anglosaxonen nennen, hinweisen, was bedeutet denn das anderes, als daß heute »der deutsche Geschmack« (und es trifft, wenn auch nicht ganz so schlimm, auf das ganze europäische Festland zu) »auf einen kaum zu unterbietenden Tiefstand gesunken ist« (wie Muthesius und mit ihm jeder fühlende Mensch einmütig versichern), während in England und Amerika Fortschritte in der Verfeinerung des Geschmackes gemacht wurden, welche meist außerhalb des Fassungsvermögens der Berliner Gelehrten liegen, die es unternehmen, die »Kultur«-Leistungen Friedrichs II. und Ludwigs XV. gegeneinander abzuwägen. Kann es etwas Lächerlicheres geben als den Anblick eines zufriedenen und gelehrten Bewohners einer Berliner Mietskaserne (Muthesius nennt sie eine »Summe von Unkultur, wie sie in den Wohnungsverhältnissen der Menschheit noch nicht dagewesen ist«) oder gar den Besitzer dessen, was Muthesius treffend die »Ausgeburt der Lächerlichkeit, eine deutsche Villa« nennt, den Bewohner einer Berliner Grunewald-»Villa«, der mit ernstem Gesichte festzustellen unternimmt, daß die Gelder, die Frau von Pompadour für ihr unsagbar köstliches Bellevue brauchte, verschwendet, daß aber die fünf- bis zehnmal höheren Summen, die Friedrich der Große in die plumpe » Fanfaronnade« des »Neuen Palais« steckte, landesväterlich weise verausgabt wurden?«


 << zurück weiter >>