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München, den 30. September 1836.
Nach einer 18tägigen Reise, liebe Elise, bin ich am gestrigen Tage frisch und gesund an Leib und Seel' in München eingetroffen und eile jetzt, obwohl ich von den Eindrücken der Reise und dieser für Kunst und Leben hochbedeutenden Stadt noch nicht einmal mir, geschweige denn Dir, Rechenschaft ablegen kann, Dir ein Lebenszeichen zu geben.
Ich bin über Straßburg nach Stuttgart und dann über Tübingen, Reutlingen und Ulm nach München gereist, habe also eine höchst bedeutende Strecke, von mehr als 70 Meilen, zurückgelegt und doch nicht mehr Geld gebraucht, als wenn ich mich in Heidelberg auf den Postwagen gesetzt und diese Pökeltonne in München, ohne mich irgendwo aufzuhalten und etwas zu sehen, erst wieder verlassen hätte. Dies kommt daher, daß ich die ganze Tour, mit meinem Ränzel aufm Rücken, zu Fuß gemacht habe ...
In Straßburg habe ich den Münster gesehen und natürlich erstiegen. Ein außerordentliches Werk, über welches Rechenschaft zu geben fast eben so schwer ist, als es nachzumachen. In Stuttgart ist es mir sehr gut gegangen. Ich besuchte zuerst den Doktor Herrmann Hauff, Bruder von Wilhelm Hauff, ersten Redakteur des »Morgenblatts«, sagte ihm, daß ich nach München ginge, und fragte ihn, ob das »Morgenblatt« Korrespondenzartikel aus München brauchen könne. Er antwortete mir, daß eine Korrespondenz aus München sowohl ihm als Herrn von Cotta äußerst willkommen sein würde ...
Von Hauff ging ich zu Gustav Schwab. Ein herzlicher Mann, der mir mit großer Freundlichkeit entgegenkam und mir einige Zeilen nach Tübingen an Uhland mitgab. Er machte mir Komplimente über meine Gedichte, die ich übrigens nur für Komplimente ansehen durfte, was mir gleichgültig ist, da ich hinsichtlich meiner Gedichte keiner äußeren Probiersteine bedarf. Tags darauf ging's nach Tübingen und nachmittags um 2 Uhr zu Uhland. Man erwartet, ein bedeutender Mann soll wie eine Voltaische Säule sein und elektrische Stöße geben, wo man ihn nur berührt. Ich werde nie wieder eine menschliche Persönlichkeit zu einem Fokus ihrer geistigen Hervorbringungen machen und – dies ist ein sehr großer Gewinn! – nie wieder vor irgendeinen Menschen mit Befangenheit hintreten. Von all jener Schüchternheit, jenem Schwanken, die mir bisher so sehr im Wege standen, hat der Besuch bei Uhland mich befreit; ich habe hier in München mehrere Besuche zu machen, vor denen ich mich noch in Heidelberg scheute, z. B. bei Hofrat Thiersch, bei dem berühmten Schelling, bei dem großen Maler Cornelius usw.; jetzt sehne ich mich darnach und kann die Ankunft meines Koffers mit dem Leibrock, den ich hier nicht entbehren kann, kaum erwarten. In Uhlands Wesen liegt eine Schlichtheit und Einfachheit, die – ich möchte sagen – unangenehm berührt. Auch in der ganzen Unterhaltung keine einzige Wendung, die an den Verfasser des »Glücks von Edenhall« erinnerte. Ich machte sehr geringe Ansprüche, da ich zu meinem Erstaunen auf meine Frage von ihm erfuhr, daß ein Brief, den ich von Heidelberg aus mit der Post an ihn geschickt hatte, nicht angekommen sei; ich mußte daraus sogleich den Schluß ziehen, daß ich ihm, jener vier im »Morgenblatt« mitgeteilten Gedichte ungeachtet, völlig unbekannt sein müsse, da er gewiß so wenig Zeit als Lust hat, Journale zu lesen. Dennoch aber war er mir fast zu simpel; wer sein Gold zu Rate hält, pflegt sich doch auf Scheidemünze zu halten, aber er führte über die unbedeutendsten Dinge die Konversation mit einer unbegreiflichen Schwierigkeit. Desungeachtet freut es mich, daß ich ihn gesehen habe; auch will ich aus diesem einen Besuch nicht das geringste folgern, ich schildere ihn (den Besuch nämlich) bloß, wie er auf mich gewirkt hat, und da kann man ein inneres Mißbehagen nicht unterdrücken, wenn man ein Verehrtes und Hochgeschätztes so ganz und gar anders findet, als man es erwartete. Ich wollte gedrückt, ja erdrückt sein, und eben dies, daß Uhland mich nicht drückte, war mir zuwider. Der Mensch ist ein Narr; läßt der Jupiter seine Donnerkeile zurück, so mag er sehen, wie er zum Weihrauch kommt.
Gustav Schwab sprach manches mit mir über Dithmarschen und forderte mich auf, dithmarsische Geschichte zu bearbeiten, wie er und Uhland schwäbische bearbeitet haben. Dir ist bekannt, daß dies ohnehin zu meinen liebsten Plänen für die Zukunft gehört; vielleicht mach' ich mich in meinen besten Stunden während des nächsten Winters daran, wenigstens an einzelnes. Ein Einleitungsgedicht hab' ich schon auf der Reise gemacht, die überhaupt an poetischen Produktionen, ganz oder teilweise ausgeführt, reich gewesen ist. Ein Vers heißt:
»Mein Tun soll sich erstrecken,
So weit es darf und kann;
Ich will die
Toten wecken,
Die klopfen weiter an;
Ich steig' in die alten Grüfte
Und poch' an jeden Sarg;
Ob ich den Deckel lüfte,
Der großes Leben barg ...«
München, den 30. März 1836.
Nun habe ich Deine teuren Blätter gelesen, sie haben mich im Innersten erquickt und erfreut: wie soll ich Dir so viel Teilnahme danken? Möchtest Du, liebe Elise, Dich doch davon überzeugen, daß das Herz eine tausendfältige Sprache hat. Du malst unser Wiedersehen aus und meinst, Du würdest erstarren, wenn ich Dir ruhig gegenüberträte. Eine solche Strafe hätte ich verdient, wenn ich mich als Stein finden ließe, aber gewiß nicht, wenn ich, der Natur und der Würde des Mannes gemäß, mich in einem Augenblick, der den Menschen im Tiefsten aufrüttelt und erschüttert, zu beherrschen suchte. Es mag dem Weibe angemessen und notwendig sein, sein Gefühl ufer- und schrankenlos dahinbrausen zu lassen, denn das Weib wirkt nur durch die Liebe. Der Mann muß sich vor Überschwemmungen des Herzens hüten; er wurzelt wohl in der Liebe, aber seine Wirkung ist anderer Art. Du tust mir gewiß unrecht, wenn Du glaubst, ich wollte Dich anders, als Du bist; einer so großen Ungerechtigkeit bin ich nicht fähig, ich wünsche nichts von Dir, als auch mein Recht, so sein zu dürfen, wie ich bin, anerkannt zu sehen. Du scheinst es mir vorzuwerfen, daß ich in meinen Briefen nicht mancher freundlichen Augenblicke aus unserem früheren Beisammenleben gedenke; erwähne ich (diese Frage ist wohl die beste Antwort auf diesen Vorwurf) jemals dessen, was mir in München Liebes und Angenehmes widerfährt? Ich habe zu viel mit meiner inneren Entwicklung zu tun und bin zu unruhig und unklar, als daß ich mein äußeres Leben zum Gegenstand meiner Betrachtungen machen könnte; das wird später geschehen, und ich selbst sehne diese Zeit herbei, denn dann wird's unendlich viel besser um mich stehen ...
Berlin, Sonnabend den 26. Oktober 1861.
Mein allerteuerster kleiner Pinscher! Ich danke Dir von Herzen für Deinen wunderschönen Brief; jawohl, so wollen wir's halten, immer herunterschauen, nie hinauf, und nichts wünschen als Gesundheit und Lebenskraft. Aber habe ich Dir je die Geschichte meines ersten kleinen Pinschers erzählt, weißt Du, warum ich Dir gerade in den Stunden des Überfließens in innigster Liebe und Verehrung seinen Namen beilege? Denke Dir das zierlichste, zarteste aller Hündchen, das mitten im Winter, weil ich es in München nicht zurücklassen wollte, den weiten Weg von München nach Hamburg mit mir machen mußte, und zwar zu Fuß. Es würde das rührendste Idyll geben, wenn ich Dir den Kampf zwischen der angeborenen Reinlichkeitsliebe des Tierchens und seinem Abscheu vor dem Schmutz der Straßen, zwischen seinem in so rauher Zeit wahrlich doppelt gerechtfertigten Bequemlichkeitstrieb und seiner Anhänglichkeit an seinen Herrn schildern wollte! Besonders ein Moment ist mir unvergeßlich. Ich war zu Mittag eingekehrt, hatte selbst ein Glas Bier getrunken und dem kleinen Pinscher eine Suppe geben lassen und brach wieder auf. Es hatte mittlerweile stark zu schneien angefangen, und das Tierchen wollte nicht fort, es schmeichelte, es trotzte, es verließ das Wirtshaus zwar am Ende, aber es rannte spornstreichs wieder dahin zurück und bellte mir nach. Als es jedoch sah, daß ich mich nicht daran kehrte, sondern weiterging, schied es auch seinerseits von der warmen gastlichen Stelle und humpelte hinter mir her, aber höchst verdrießlich und für die Liebkosungen, mit denen ich es überhäufte, völlig unempfindlich. Wir kamen auf eine Chaussee, eine Menge Steine lag an der Seite und bildete einen fortlaufenden Damm, der das kaum fußhohe Hündchen vor dem Ungestüm des Wetters schützen konnte, auch trennte es sich von mir und setzte seine Reise hinter dem Damm fort. Aber jeden Augenblick guckte es mit seinem gelben Köpfchen ängstlich herüber und spähte, ob ich auch noch da sei, und das rührte mich so tief, daß dieser kleine Pinscher von dem Moment an das Symbol der Treue für mich wurde, und daß ich das Höchste und Herrlichste, so wunderlich es für den, der die Geschichte nicht kennt, auch klingen mag, mit seinem Namen nenne!
Also einen Geniestreich hast Du ausgeführt? Nun, ich habe nichts dagegen, denn ich war der Gerüche aus der Gasthausküche unter meinen Zimmerfenstern, sowie der Zänkereien zwischen Oberkellner und Köchin herzlich müde, auch werde ich die dicke Tonne im Hof, die Hausmeisterin, keineswegs vermissen. Aber die Anstrengung muß ja eine fürchterliche gewesen sein, da wir selbst das Holz schon im Keller hatten, und ich zittere vor den Folgen. Ein paar praktische Fragen: ist mein Tokayer nicht vergessen, und werden mir keine Briefe verloren gehen? Das letztere hängt davon ab, ob ihr von dem Gesindel unten in Frieden geschieden seid.
Jetzt wird mir trotz des schönen Wetters schon recht öde zumut'. Der Großherzog hat nichts weiter von sich hören lassen, und der König von Preußen hat auf mein Gedicht sehr gut geantwortet; er hat in seiner Krönungsrede so wenig Deutschlands als der Verfassung gedacht. Unter solchen Umständen habe ich am Berliner Hof nichts zu tun; es wäre im gegenwärtigen Trubel aber auch schwer, wo nicht unmöglich, an die Königin zu gelangen, selbst Puttlitz, ihr Kammerherr, hat keine Zeit. Übrigens kräht nach dem Gedicht weder Hund noch Hahn; mir gleich, ich wollte meine Pflicht tun, und das ist geschehen. Dem Baron Hülsen machte ich meinen Höflichkeitsbesuch, er fragte nach den Nibelungen und erklärte, er möchte sie noch einmal lesen; seit gestern morgen sind alle drei Teile in seinen Händen; Puttlitz rät auch von Weimar ab, Cosima von Bülow, die Dich herzlich grüßen läßt, sagte über Dingelstedt sehr gut, es ärgere ihn, daß es einen Punkt gäbe, wo die Konkurrenz aufhöre, nämlich den moralischen Charakter. Sonntag abend bin ich dort, Montag will ich fort, adressiere also Dein Nächstes nach Dresden.
Euer altes Nux.
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