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Johann Heinrich Voß an Ernestine Boie

Göttingen, den 16.Juni 1773.

Gut, mein liebes Ernestinchen; wir sind also recht ein paar Leute für einander. Ich gefalle Ihnen mit meinem ehrlichen Gradezu, und Sie sagen einem, so ganz ungesucht, so viel niedliche Dinge, daß einem das Herz dabei klopft. Wie entzückend ist die Stelle, wo Sie mir erlauben, nur immerhin den Namen Ernestinchen zu gebrauchen, wenn ich Ihnen nur gut wäre! Wie fein sagen Sie's mir, daß es Torheit ist, sich nicht zu verlieben! Kleine Sophistin, wer hat Sie den Kunstgriff gelehrt, das Gegenteil von dem zu sagen, was man sagen will? Äußerlich stellen Sie sich, als wenn die Verachtung des schönen Geschlechts gar kein Verbrechen wäre, und doch schäm' ich mich in die Seele hinein, wenn ich Ihren Brief lese. Wie schön zanken Sie nicht mit mir, daß ich meine Sächelchen, ohne zu bestimmen an wen, geschickt habe! Wie vortrefflich – doch ich müßte Ihren ganzen Brief durchgehn, wenn ich alles Vortreffliche Ihnen vorrühmen wollte; und vielleicht liefen Sie mitten im Lobe davon und schimpften mich einen Schmeichler. Also nur kurz und gut. Sie wollen mein liebes Ernestinchen sein, und das sollen Sie bleiben. Stellen Sie sich hiebei jemand vor, der Ihnen recht herzlich Ihre Hand drückt. –

So weit war ich gestern abend, als der jüngste Graf Stolberg kam. Gleich hinterher kam auch Hahn, und wir drei gingen bis Mitternacht in meiner Stube ohne Licht herum und sprachen von Deutschland, Klopstock, Freiheit, großen Taten und von Rache gegen Wieland, der das Gefühl der Unschuld nicht achtet. Es stand eben ein Gewitter am Himmel, und Blitz und Donner machten unser ohnedies schon heftiges Gespräch so wütend und zugleich so feierlich ernsthaft, daß wir in dem Augenblick ich weiß nicht welcher großen Handlung fähig gewesen wären.

Klopstocks Geburtstag ist den 2. Juli. Dann wollen wir dem großen Sänger des »Messias« und Deutschlands ein Jubelfest feiern. O meine lieben deutschen Freundinnen, wollen Sie an diesem Tage auch nicht an den unsterblichen Mann denken, der unsere Anbetung verdiente, wenn wir nicht Christen wären? Ich will und muß ihn sehen und mit Zittern umarmen, und wenn ich auch zu Fuße nach Hamburg gehn sollte. Was braucht's denn viel zu dieser Reise? Es können's ja andere Leute aushalten, nichts wie trocken Brot auf dem Wege zu essen, warum ich nicht? Michaelis oder gewiß Ostern mach' ich mich mit Bruder Hahn auf den Weg und wandere zu ihm.

Kleists Angedenken hab' ich auch diesen Frühling einen schönen Nachmittag gewidmet. Ich ging mit Hölty (denn die andern hatten noch Kollegia) um 3 Uhr nach einem nahen Dorfe, Kleists »Frühling« in der Tasche. Wir aßen erst im Wirtshause eine Schale dicke Milch und wollten uns nun im Garten unter einem blühenden Baum hinlegen. Aber der Garten war nur klein und mit weißer Leinwand bedeckt. »Was machen wir, lieber Hölty?« – »Wir wollen oben in der Stube lesen.« – »Nein, das tu' ich nicht.« – »Was denn?« – »Komm' nur!« – Er folgte mir, ich führte ihn nach dem Pfarrhause. Die Hunde begrüßten uns, und sogleich kuckte etwas aus dem Fenster, das ein Kopfzeug auf hatte und einem Mädchen von etlichen zwanzig Jahren ähnlich sah. Ich ging darauf zu, Hölty blieb stehn. »Sind der Herr Pastor zu Hause?« fragte ich das Etwas und sah dabei so demütig und zugleich so freundlich aus, wie ich bei Ihnen tun würde, wenn ich Sie um einen Kuß bäte. – »Nein,« versetzte das Etwas, »mein Bruder ist ausgegangen.« – »Ich hätte nur eine kleine Bitte an ihn,« sprach ich weiter, »die Sie mir auch gewähren können. Wir wollten ein wenig lesen; wollten Sie uns nicht Ihren Garten dazu erlauben?« – »O ja, ganz gerne, dort ist er.« – Wir neigten uns und gingen in den Garten, setzten uns da in eine Laube, die aus Apfelbaum und Hollunder geflochten war, und Hölty las den »Frühling« vor, indes ich in einer nachlässigen Lage eine Pfeife Tabak rauchte. Rund um uns war alles Frühling. Die Nachtigall sang, die Tauben girrten, die Hühner lockten, von ferne ließ sich eine Schar Knaben auf Weidenflöten hören, und die Apfelblüten regneten so auf uns herab, daß Hölty sie von dem Buche wegblasen mußte. Wie wir fertig waren, lagerten wir uns noch eine Stunde unter einem blühenden Baume und beobachteten die kleinen Würmer, die im fetten Grase herumschwärmten. Hierauf bedankten wir uns gegen das Etwas mit dem Kopfzeuge, aßen ein Butterbrot in der Schenke und gingen nun im Wehn der Abendkühle wieder nach Göttingen.

Ich freue mich, daß Sie den »Messias« lesen. Sie werden gewiß keinen Ausleger nötig haben.

Sie wollen mich gerne sehen? Jetzt kann ich keine Schwierigkeiten mehr finden, ich muß wohl nach Flensburg. Aber sehn Sie mich ja auch recht freundlich an, wenn ich komme. Wenn ich mir nur ein unfreundliches Gesicht von Ihnen in Gedanken vorstelle, so bricht mir schon das Herz.

Nun, liebes Ernestinchen, bleiben Sie mir immer so gut, wie Sie jetzt sind; oder können Sie 's noch etwas mehr werden? desto besser! Schreiben Sie ja recht viel!

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