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Brüssel, den 28. November 1818.
Dies ist mein erster Brief an Dich nach London. Du wirst ihn nicht zuerst erhalten, denn ich will Dir noch während Deines Pariser Aufenthalts schreiben; er soll Dich aber gleich nach Deiner Ankunft an den Ort unseres künftigen Zusammentreffens an den Freund erinnern.
Meine Liebe, wer wie ich fühlt, ist allen Nüancen zugänglich. Begreifest Du, daß ich Dir lieber nach London als nach Paris schreibe? Ich sende Dir das anvertraute Gut, ich las alle meine Briefe, und ich weinte, als ich sie las. Welche Macht ist es doch, die Du über mich ausübst? Welche Gewalt hast Du Dir so schnell erworben? Glaubst Du, ich sei leicht zu erobern? Ich ließe mich über etwas täuschen, was doch vor meinen Augen entstanden und geworden ist? Wenn Du dies glaubtest, wäre es ein Irrtum.
Am 22. Oktober unterhielten wir uns das erstemal im Hause des Herrn N. Du bewiesest mir an diesem Tage Deine Aufmerksamkeit für Dinge, die ein Weib, das in meinen Augen noch gewöhnlich sein könnte, wenn auch alle es lange Zeit anders beurteilten, nicht einmal an der Oberfläche berühren können. Am 26. hatten wir das erstemal eine gemeinsame Absicht betreffs eines der gleichgültigsten Dinge. Entsinnst Du Dich, daß ich Dir meinen Reisegefährten vorzog? Du raubtest mir meinen eigenen Wagensitz; es war mir so unangenehm, wie einem ein so leichtes Höflichkeitsopfer werden kann. Wir unterhielten uns; und Du gefielst mir wegen Deiner Güte und Einfachheit. Am 27. sah ich Dich schon mit Vergnügen. Da schlug ich Dir selbst vor, Deinen Wagen zu wechseln, damit ich Deine Gesellschaft nicht einbüßte. Ich gelangte langsam zu der Einsicht, daß jene, die Dich als liebenswerte Frau bezeichneten, im Recht waren; ich fand an diesem Tage die Entfernung kürzer als an dem vorhergehenden ...
Am 28. machte ich bei Dir den ersten Besuch, mit großer Förmlichkeit. Die Stunde, die ich Dir zu Füßen sitzend verbrachte, zeigte mir die Annehmlichkeit der Stelle. Als ich nach Hause zurückkam, erschienst Du mir wie eine seit Jahren Bekannte. Ich beklagte mich nicht über die Unhöflichkeit der beiden in der Stube anwesenden Männer, die ihre Köpfe zusammensteckten; ich fand es sogar recht schön, daß sie an dem großen Rundtische sitzen blieben. Am 29. habe ich Dich nicht gesehen.
Am 30. fand ich, daß der vorhergehende Tag recht kalt und inhaltlos gewesen sei!
Ich weiß nicht, an welchem Tage Du mich in meiner Loge aufsuchtest – Du fiebertest, meine Liebe, Du warst mein eigen! Frage nicht, was ich seitdem gefühlt habe, was ich fühle – wenn Du es nicht wüßtest und nicht vor allem anderen fühltest, wärest Du nicht mein! Meine Liebe, hier hast Du den getreuen Bericht eines Monats! Diese kurzen Augenblicke sind zu meinem und, wie ich glaube, auch zu Deinem Schicksal geworden, wenn anders Entfernung und Zeit nicht vernichten, was Du jetzt fühlst, und was Du noch auf lange Zeit fühlen wirst.
Meine gute Dorothea, fordere sie nicht heraus, die unerbittliche Zeit, die überall so gleichförmig vorgeht und schon dadurch allen Gutes oder Böses zufügt. Allein schätze das soeben Gesagte keinesfalls ernster, als ich es selbst nehme! Willst Du meine Meinung erfahren, so will ich sie Dir sagen:
Binnen einer kurzen Zeit habe ich sehr viel von Dir kennen gelernt, von jenem Dir, das ich über mein Leben liebe. Du hast so viel Geist, als man besitzen kann! Du besitzt ein Gemeinsames mit allen guten, starken und über den Rang der ungeheuern Mehrzahl ihres Geschlechtes erhöhten Frauen: das Bedürfnis nach einem Gefühl, das das Leben auszumachen vermag!
Du fühlst in Dir eine Leere, die Du ausfüllen möchtest. Dein Gatte ist gut, anständig; allein er ist nicht, was ein Gatte sein soll: der Herr über die Schicksale seiner Frau. Du gehörst mir ganz, über dies, die erste Grundlage des Glückes, war ich noch niemals so sehr wie bei Dir beruhigt.
Meine Liebe, ich, der ich fast unüberwindliche Schwierigkeiten darin finde, mich für geliebt zu halten, ich bin Deiner so gewiß wie meiner selbst. Nicht ein einziger Zweifel trübt dieses Gefühl; das Gegenteil ist mir noch gar nicht in den Sinn gekommen. Meine gute Dorothea, Du mußt einen Zauber der Aufrichtigkeit mit Dir tragen, dem ich noch nicht begegnet bin; verstehst Du, daß Du mir lieber sein mußt, als jemals eine andere?
Nun, da nichts meine Beruhigung über diesen für mich wichtigsten Punkt erschüttern kann, glaube nicht, ich fürchtete die kurze Trennung. Ich wiederhole es Dir, ich bin Deiner gewiß. Ich weiß Dich zu sehr von meinem eigenen Gefühl erfüllt, um auch nur die Möglichkeit einzuräumen, daß irgendein Wesen die geringste Stelle in Deinem Herzen einnehmen könnte. Allein die Zeit? Niemals wird Dir ein Mann wieder der Freund sein, der ich für Dich bin. Alles, was Du je noch wirst empfinden können, wird nicht mehr das sein, was Du mir gewährst. Ein Verhältnis wie das unsrige gibt es nur einmal im Leben. Und es kommt häufig genug vor, daß einem dergleichen nicht vergönnt ist, und noch häufiger, daß man einander nicht findet. Meine Freundin, es ist schon nichts Gewöhnliches, wenn man einander so angehört wie wir! Ich muß dafür sorgen, Dir immer vor Augen zu sein. Ja, Dir. An mir liegt es, daß Du mich nicht vergißt. Fürchte nicht, daß das von meiner Seite geschehen könnte; um meine eigenen Angelegenheiten habe ich mich nicht im mindesten gekümmert, aber die unsern, die verteidige ich, und von diesem Augenblick an fühle ich mich stark. Gewöhne Dich nur daran, mir täglich ein Wort zu schreiben, und selbst mehr als ein Wort! Den Freund von heute vergißt man schwerer als den von gestern; ich will dieser Freund von heute sein, heute und alle Tage.
Willst Du mit mir plaudern? Frage Dich, was ich unter irgendwelchen Umständen zu Dir sprechen würde, im verschiedensten Zusammenhang und über alles Mögliche: Du wirst es wissen, wenn Du Dich mit Deinen eigenen Gedanken berätst. Siehst Du, meine Liebe, habe ich nicht wirklich Vertrauen zu Dir? Könnte ich Dir einen größeren Beweis geben, als indem ich Dir versichere: wenn Du Dich von mir entfernst, wirst Du Dir selbst fern sein.
Dieser Brief ist trübe, vielleicht gar zu sehr; mein Gemütszustand hat in ihm seine ausfüllende Spur hinterlassen. Du wirst mich immer so sehen, wie ich bin: meine Gedanken sind (und sollen es immer sein) ganz der einfache Ausdruck meiner augenblicklichen Gefühle. Du sollst immer wissen, was sich an jedem Tag, an dem ich Dir schreibe, in meiner Seele zuträgt, und Du wirst sehen, daß eines in mir immer gleich bleibt: jenes Gefühl, das mein Glück ist, und das zuletzt immer mein ganzes Leben in sich aufsaugt.
Und dabei behaupten die Leute, daß ich nicht lieben könne! Mögen sie glauben, was ihnen gefällt, was liegt mir daran? Ein andermal will ich Dir erzählen, was ich von den Leuten glaube.
Unser Briefwechsel soll umfangreich werden, alles das, was Du in einem Monat nicht erfahren hast, sollst Du aus meinen Briefen erfahren. Zum Schlusse wirst Du mich besser kennen lernen, als mich jemals ein Wesen kennen gelernt hat – ich sage nicht: mich jemals kennen lernen wird. Dieses Wesen, ich habe es gefunden, ich halte es fest, es ist mein eigen. Ich will es gegen nichts eintauschen, was die Welt an Reiz oder an Glück bieten könnte. Jeder Mensch findet nur ein einziges Glück. Mein Glück, das bist Du, Du bist es.
Leb' wohl, Liebe! Ich schließe, weil ich meinen Kurier abfertige. – Die Briefe, die Du in Paris erhalten wirst, werden Dich darüber unterrichten, was ich mit meinem Tage angefangen habe. Seine beste Stunde habe ich soeben zugebracht. Du wirst immer nur der Gegenstand und die Zuflucht jener einzigen Augenblicke sein, die ich als mir gehörig betrachte.
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