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Mirabeau an Sophie von Mounier

Am 20. März 1778.

(Aus dem Gefängnis geschrieben.)

O meine Freundin, ich habe Deinen Brief, Deinen köstlichen Brief erhalten; ich habe tausend- und abertausendmal meine brennenden Lippen daraufgedrückt, während meine Seele dort umherirrte. Liebe Sophie, wie ist doch alles, was Du schreibst, so natürlich und rührend; wie kennst Du doch den Weg zum Herzen Deines zärtlichen Freundes ... Meine einzig Geliebte, dennoch ist Dein Brief, der mein ganzes Glück ausmacht, traurig. Du verstehst wohl, was ich damit sagen will. Ich weiß nur zu wohl, daß Du nicht anders als traurig sein kannst; aber Du scheinst mir unruhig, wenn auch nicht über meine Gefühle, doch über meine Gedanken ... Du mein alles! mein Gut! weißt Du denn nicht, daß ich nie an Deiner Liebe, an Deiner Beständigkeit, der Zartheit Deiner Gesinnungen und Deiner liebevollen Aufmerksamkeit zweifeln kann? Weißt Du nicht, daß ich Dich ebensosehr verehre, als ich Dich anbete? Ach, wenn ich an meiner Sophie zweifelte, könnte ich leben? Teure Freundin, wenn einige Wendungen meines Briefes Dir doppelsinnig scheinen, so war es, weil ich Ursache hatte, zu fürchten, die geringste Unvorsichtigkeit könne Dich seiner berauben; und das Glück, Nachricht von Dir zu erhalten, ward für mich vergiftet durch den Gedanken, Du würdest vielleicht minder glücklich sein. O meine Freundin, ich kann ohne Zweifel, ohne mich dieser Gefahr auszusetzen, Dir wiederholen, was ich in dieser Hinsicht jemandem schrieb, der am wenigsten geeignet war, ihn davon zu unterhalten. Dies Fragment wird Dir in wenig Worten das Glaubensbekenntnis meiner Liebe darbieten, und sei überzeugt, daß die Gefühle, die es kundtut, so lange leben werden, wie Dein Gabriel. »Ich kann nicht glauben,« sagte ich, »daß ich mich entschuldigen müsse, geliebt zu haben, was liebenswürdig war. Welcher Mensch könnte es wagen, sich streng zu zeigen gegen eine Leidenschaft, die, mehr oder minder energisch, allen Sterblichen gemein ist? Ich war sehr unglücklich, und das Unglück verdoppelt die Reizbarkeit. Man zeigt mir Teilnahme, man entwickelt mir alle Reize, die mich stark und lange zu fesseln vermögen, die Reize einer edlen Seele und eines angenehmen Geistes. Ich suchte Trost, und welchen köstlicheren Trost gibt es als die Liebe! Bis dahin hatte ich nur jenes Treiben der Galanterie gekannt, das nichts als die Lüge der Liebe ist. Ach, wie lau war diese Leidenschaft gegen jene, die nun begann, mich zu entstammen! ... Ich fand eine Frau, die, sehr verschieden von mir, alle Tugenden ihres Temperaments und keinen von dessen Fehlern hat. Sie ist sanft und doch nicht kleinlich oder gleichgültig, wie alle sanften Charaktere; sie ist gefühlvoll, und doch nicht schwach; wohltätig, und doch schließt ihre Wohltätigkeit weder Auswahl noch Festigkeit aus. Ach, sie hat alle Tugenden, ich alle Fehler. Ich fand sie, diese verehrungswürdige Frau, voll Liebe, und sie vereinigte alle zerstreuten Strahlen meiner brennenden Reizbarkeit. Ich fand sie, und mein gebieterisch fortgerissenes Herz ward auf immer, auf immer gefesselt. Ich beobachtete sie unter allen Verhältnissen, erforschte sie genau, ich verweilte zu lange bei dieser herrlichen Betrachtung. Ihre Seele lag offen vor mir, diese von den Händen der Natur in einem Augenblick der Großmut geformte Seele. Wenn es ein Verbrechen ist, einer so mächtigen Verführung nicht haben Widerstand leisten zu können, so ist das kein freiwilliges Verbrechen usw.« Ich werde es nicht enden; erkenne, mein Herz, den Griffel Deines Freundes, wenn die Liebe ihn führt; erkenne besonders meine Gefühle und füge zu diesem allen hinzu, was so viele spätere Ereignisse, welche meine tiefste Dankbarkeit und alle Neigungen meiner Seele hätten fesseln müssen, wenn Du sie nicht schon gänzlich besessen hättest, hervorbringen mußten ...

Wie liebenswürdig bist Du, mir gute Nachrichten von meiner kleinen Gabriel-Sophie zu geben! Ach, meine Freundin, wohl ist sie das Kind meines Herzens, wie das meines Blutes. Wenn Du wüßtest, wie oft ein günstiger Traum sie mir reicht, von unsern Armen umschlungen; unsere Lippen berühren sie zusammen; wir hüllen sie in den Hauch unseres Odems, wie sie aus dem unserer Liebe entsprang; sie lächelt zu unseren Liebkosungen ... O meine Freundin, wie hat sich doch meine Zärtlichkeit verhundertfacht, seitdem Du einem andern Du, das auch mein anderes Ich ist, das Dasein gegeben! Törin, mir zu sagen, sie gleiche mir ... ich fürchte mich davor. Aber nein, ich fürchte mich nicht; ich bin sicher, daß sie Dir, ganz Dir gleicht. Wäre ich schön, wie Adonis, so wollte ich doch, daß sie einzig Dir ähnlich wäre ...

Ich würfe Dir Deine Tränen vor? Ich, der sie fließen macht? Ach, Sophie, Du hast meinen letzten Brief gar schlecht gedeutet; vielleicht war er auch zu traurig. Ich litt, ich wurde gedrängt, ich fürchtete, Du habest dieselben Tröstungen erhalten, was mir das Herz zusammenpreßte. Du siehst, es ist weit freier heute. O Du Angebetete, möge das Deine sich freuen, indem Du diese wenigen Zeilen liest, welche die Liebe diktierte, aber die von der Klugheit gefesselte Liebe ...

[Ende 1778.]

An meine Sophie. Der Augenblick einer ewigen Trennung ist gekommen, o meine teure Sophie! Die Täuschungen der Liebe haben uns lange geblendet; aber die Natur verliert ihre Rechte nicht. Das langsame Gift des Schmerzes hat Deinen Freund aufgerieben; er stirbt ... O, zu unglückliche Hälfte meines Daseins, wer wird diesen furchtbaren Schlag für Dich mildern, der hundertmal schrecklicher ist als derjenige, der mich in wenigen Stunden vielleicht treffen wird! Denn ich verlasse Dich, und das ist ein sehr bitterer Schmerz; aber er wird mit meinem Leben enden. Dies Herz, in welchem Du noch herrschest, wird nicht mehr zucken, weder vor Leid noch vor Liebe; und Du, Du wirst noch lange Deinen Gabriel beweinen ... O Sophie, wie beklage ich Dich; ich bin nicht so unglücklich, wie Du, wie es nicht mein Los ist, Dich zu überleben.

Aber glaubst Du, quitt mit mir zu sein? Nein, Sophie, nein; das teure Kind, das Deine Liebe mir schenkte, lebt. Es lebt, um mir meinen Verlust zu mildern, um Dich dafür, soviel es möglich ist, zu entschädigen. Es hat nur noch Dich; Du allein seine Mutter, Du allein sein Vater, mußt ihm die Liebe unserer beider Herzen gewähren. Ach, meine Sophie, wie viele Pflichten bleiben Dir zu erfüllen, und wie manchen Trost wirst Du ernten, indem Du sie erfüllst!

Teure Sophie, meine Vielgeliebte, Auserkorene meines Herzens, hüte Dich wohl, Liebe und Natur durch das Verbrechen der Verzweiflung zu beleidigen. – Oft, im leidenschaftlichen Rausch Deiner Zärtlichkeit, hast Du geschworen, mich nicht zu überleben ... Warst Du damals Mutter, o meine Geliebte? nein, Du warst es nicht; und wenn Du Dich jetzt verpflichtet glaubtest durch diesen verwegenen und strafbaren Schwur, so würdest Du eine ebenso erbärmliche Geliebte als strafbare Mutter sein.

Ja, meine angebetete Sophie, ich vermache meiner Tochter alle jene Rechte, die sie erben kann; ich lasse ihr all Deine Sorgfalt, Deine Zärtlichkeit; und wenn ich dem Mut meiner Geliebten und ihrer Erhörung meiner letzten glühenden Bitten mißtraute, so würde ich voll Verzweiflung sterben, einem Kinde, für das ich nichts zu tun vermag, das Dasein gegeben, und so durch einen und durch denselben Fehler Mutter und Tochter meiner verderblichen Liebe geopfert zu haben. O Sophie, möchtest Du, daß eine so zärtliche, reine und treue Leidenschaft bei meinem Sterben eine Quelle schwerer Reue und nagender Gewissensbisse wäre? Lebe, meine Geliebte; gib mir diesen Beweis der Zärtlichkeit; lebe, um meine Tochter in Deine Arme zu schließen, ihr von ihrem Vater zu erzählen, ihr zu sagen, wie sehr er sie geliebt haben würde ...

– – – Was soll ich noch hinzufügen? Soll ich Deine Seele entnerven, gerade da ich Dich beschwöre, Dich gegen das Unglück zu wappnen? Ich hege Mißtrauen gegen meine eigne Rührung und ende für immerdar. O denke unaufhörlich an ihn, der sterben wird mit Deinem Namen auf den Lippen, der Dich liebt mit der zärtlichsten und treuesten Liebe, der in keinem Augenblicke seines Lebens, selbst nicht in der Idee, den Gefühlen untreu ward, die er Dir geschworen; verlange von Deiner Zärtlichkeit, und wenn er es sagen darf, von Deiner Dankbarkeit, daß Du für Deine Tochter lebest, die meine Tochter ist.

Gabriel.

*


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