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Annette von Droste-Hülshoff an Levin Schücking

Meersburg, den 5. Mai 1842.

Guten Morgen, Levin! Ich habe schon zwei Stunden wachend gelegen und in einem fort an Dich gedacht; ach, ich denke immer an Dich, immer. Doch Punktum davon, ich darf und will Dich nicht weich stimmen, muß mir auch selbst Courage machen und fühle wohl, daß ich mit dem ewigen Tränenweidensäuseln sowohl meine Bestimmung verfehlen als auch Deine Teilnahme am Ende verlieren würde; denn Du bist ein hochmütiges Tier und hast einen doch nur lieb, wenn man was Tüchtiges ist und leistet. Schreib mir nur oft, mein Talent steigt und stirbt mit Deiner Liebe; was ich werde, werde ich durch Dich und um Deinetwillen; sonst wäre es mir viel lieber und bequemer, mir innerlich allein etwas vorzudichten. Sobald ich diesen Brief geschlossen, geht's con furore ans Werk; ich bin wieder in der fruchtbaren Stimmung, wo die Gedanken und Bilder mir ordentlich gegen den Hirnschädel pochen und mit Gewalt ans Licht wollen, und denke, Dir die Beiträge sehr bald schicken zu können, obwohl gewiß der Psalm wieder um zwei Drittel zu lang werden wird, die Du dann mit wahrer Chirurgenkälte amputierst. Mich dünkt, könnte ich Dich alle Tage nur zwei Minuten sehen, – o Gott, nur einen Augenblick! – dann würde ich jetzt singen, daß die Lachse aus dem Bodensee sprängen und die Möwen sich mir auf die Schulter setzten! Wir haben doch ein Götterleben hier geführt, trotz Deiner periodischen Brummigkeit! Ob ich Dir bös bin? Ach Du gut Kind, was habe ich schon für bittere Tränen darüber geweint, daß ich Dir noch zuletzt so harte Dinge gesagt hatte! Und doch war vieles Wahres darin. Aber mich vergißt Du doch nicht, was die Zeit auch daran ändern mag; wenn der eine Haken bricht, so hält der andere; Dein Mütterchen bleibe ich doch, und wenn ich auch noch vierzig Jahre lebe; nicht wahr, mein Junge? mein Schulte, mein kleines Pferdchen – was hängen alles für Erinnerungen, die nie verlöschen können, an diesen Titeln! Schreib mir, daß Du mich lieb hast; ich habe es so lange nicht ordentlich gehört und bin so hungrig darauf, Du dummes, nichtswürdiges kleines Pferd! ...

Meersburg, den 25. Mai 1842.

Gottlob, daß ich die literarische Prosa dieses Briefes hinter mir habe und von etwas anderem reden kann. Also krank bist Du gewesen, mein armes, gutes Herz, und so verlassen und gelangweilt dazu! Es ist jetzt vorüber, aber ich werde die Angst, daß Du wieder krank werden könntest, nicht los werden, besonders wenn ich noch zweihundert Stunden weiter fort bin. Gott, was ist das Getrenntsein doch für eine harte Sache! Wäre ich da gewesen, niemand hätte mich von Deinem Bette fortgebracht, und Dir wäre auch wohler gewesen, wenn Du Dein Mütterchen gesehen hättest. O, ich kann wohl Kranke pflegen und bin dann gar nicht hilflos, sondern, ich darf es wohl sagen, recht entschlossen und ausdauernd, wie überhaupt in allen Fällen, wo es not tut; Du hast mich nur noch in keinem solchen gesehen. Und Deine schöne Wiener Reise ist Dir mit der Gelegenheit auch so lumpig verhunzt worden! Jenny und Laßberg, bei denen Du Dich durch Deinen schönen langen Brief wieder ganz weiß gewaschen hast, sind auch ganz betrübt darüber und trösten sich nur damit, daß Du die Tour wohl bald mal wieder unter besseren Umständen machen würdest. Beide haben Dich herzlich lieb, und Laßberg ergreift jede Gelegenheit, von Dir zu sprechen, wäre es auch nur, um mich auf eine harmlose Weise ein wenig mit meinem »Seelenfreunde« zu necken.

Von meiner Abreise habe ich weiter nichts gehört, da die Wintgens gegenwärtig in Frankreich sind, zweifle aber nicht, daß sie, bei ihrer großen Pünktlichkeit, am festgesetzten Tage – den 15. Juni – wirklich wie Steine vom Himmel fallen und mich mit sich fortkollern werden. Dann bin ich wieder in Rüschhaus, und für die jetzigen Erinnerungen treten die alten ein, wo Du mein Schulte warst; – denkst Du noch an mein Kanapee mit den Harfen, – meine Bank unter den Eichen? von der ich so schwer Abschied genommen habe, als ob es mich geahndet hätte, daß ich Dir dort nie wieder mit meinem Fernrohr auflauern würde, wenn Du durch den Schlagbaum trabtest, Deinen Rock auf dem Stocke. Das Vergehen und nie so Wiederkommen ist etwas Schreckliches! Wenn Du wieder nach Rüschhaus kommst, bin ich ein altes Madämchen, und auch Dir sind derweil hundert Dinge durch den Kopf gegangen, und meine dicke Milch und zusammengespartes Obst werden Dir nicht halb so gut mehr schmecken.

Ich schreibe Dir unter Kanonendonner, unter Pauken- und Trompetenschall. Die Bürgermiliz hat sich vor der Pfarrkirche aufgepflanzt und läßt ihr Geschütz, wirklich ordentliche Kanonen, seit vier Uhr morgens, sechs Messen lang, so unbarmherzig zu Gottes Ehre knallen, daß fast in jedem Hause ein Kind schreit; und wir auf dieser Seite haben alle Fenster aufsperren müssen, damit sie nicht springen. In den Schwaben ist doch mehr Lust und Leben, wie in unsern guten Pumpernickeln! Stiele hat sich in eine Uniform gezwängt, die aus allen Nähten bersten möchte, und malträtiert die große Trommel mordmäßig. Als ich aus der Kirche kam, salutierte er höchst militärisch und sagte dabei höchst bürgerlich: »Guten Morgen, gnädiges Fräulein!« Da höre ich soeben die Prozession kommen ...

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