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Dienstag, den 18. August 1857.
Verehrte Frau! Nicht wahr, Sie haben keinen einzigen Augenblick geglaubt, daß ich Sie vergessen konnte? Ich hatte für Sie seit der Veröffentlichung ein ausgewähltes Exemplar [der »Blumen des Bösen«] reserviert, und wenn es Ihnen in einem Ihrer so unwürdigen Gewande zukommt, ist dies nicht meine Schuld, sondern die des Buchbinders, bei dem ich etwas viel Eigenartigeres bestellt hatte.
Werden Sie es glauben, daß diese Elenden (ich spreche vom Unterrichtsminister, vom Prokurator etc.) es gewagt haben, unter anderem zwei der Gedichte, die für mein teures Ideal gedichtet waren (» Tout Entière« und » A celle qui est trop gaie«) zu inkriminieren?! Das letztere hält der verehrungswürdige Saint-Beuve für das beste des Bandes.
Es ist das erstemal, daß ich Ihnen mit meiner wahren Schrift schreibe. Wenn ich nicht so sehr mit Geschäften und Briefen überhäuft wäre (übermorgen ist die Verhandlung), würde ich die Gelegenheit benützen, Sie wegen all der Kindereien und Torheiten um Vergebung zu bitten. Aber haben Sie sich nicht andererseits genügend dafür gerächt, besonders durch Ihre kleine Schwester? Ach, dieses kleine Ungeheuer! Ich war ganz starr, als wir einander einmal begegneten und sie mir hellauf ins Gesicht lachte und sprach: » Sind Sie noch immer in meine Schwester verliebt, und schreiben Sie ihr noch immer so herrliche Briefe?« – Da habe ich zunächst begriffen, daß, wenn ich mich habe verbergen wollen, mir dies sehr schlecht gelungen war, dann aber, daß sich unter Ihren entzückenden Zügen sehr wenig Barmherzigkeit und Milde birgt. Gewöhnliches Pack ist verliebt, aber Dichter vergöttern, und Ihre Schwester ist, glaube ich, wenig darnach angetan, ewige Dinge zu begreifen.
Gestatten Sie mir also, selbst auf die Gefahr hin, auch Sie zu belustigen, die Verwahrungen zu wiederholen, die diese kleine Hexe so sehr erheitert haben. Stellen Sie sich eine Mischung von Träumerei, Sympathie und Respekt mit tausend Kindereien voll Ernsthaftigkeit vor, und es ergibt sich ungefähr jenes so innige Etwas, das ich nicht besser zu definieren vermag.
Sie zu vergessen, ist nicht möglich. Man sagt, es hätte Dichter gegeben, die ihr ganzes Leben lang die Blicke auf ein geliebtes Bild geheftet hielten. Ich glaube wirklich (aber ich bin darin zu parteiisch), daß die Treue eines der Merkmale des Genies ist.
Sie sind mehr als ein geträumtes geliebtes Bild, Sie sind mein Aberglaube. Wenn ich irgendeine große Dummheit begehe, sage ich mir: » Mein Gott, wenn sie es wüßte.« Tue ich etwas Gutes, so sage ich mir: » Das ist etwas, was mich ihr näher bringt, – im Geiste.«
Und das letztemal, als ich das Glück hatte (ganz gegen meinen Willen), Ihnen zu begegnen, denn Sie wissen es gar nicht, mit welcher Sorgfalt ich Sie fliehe, sagte ich mir: Es wäre doch zu sonderbar, wenn dieser Wagen sie erwarten sollte, ich täte vielleicht gut, einen anderen Weg einzuschlagen; und dann kam's: » Guten Abend, mein Herr!« mit dieser lieben Stimme, deren Klang entzückt und schmerzt. Ich bin fortgegangen, und den ganzen Weg entlang wiederholte ich: »Guten Abend, mein Herr!« und versuchte, Ihre Stimme nachzuahmen.
Vorigen Donnerstag habe ich meine Richter gesehen. Ich kann nicht behaupten, daß sie schön sind, – sie sind entsetzlich häßlich, und ihre Seele muß ihren Gesichtern gleichen.
Flaubert hatte die Kaiserin für sich. Mir fehlt eine Frau, und vor einigen Tagen hat sich meiner der bizarre Gedanke bemächtigt, daß vielleicht Sie durch Beziehungen oder komplizierte Geheimwege ein vernünftiges Wort an einen dieser Dummköpfe gelangen lassen könnten.
Die Verhandlung ist übermorgen früh, Donnerstag.
Die Ungeheuer heißen:
Präsident ... Dupaty
Staatsanwalt ... Pinard (bedrohlich)
Richter ... Delesvaux
Richter ... De Ponton D'Amécourt
Richter ... Naquart.
Sechste Kammer, Strafpolizeigericht.
Doch will ich all diese Alltäglichkeiten beiseitelassen.
Erinnern Sie sich, daß jemand an Sie denkt, daß sein Denken nie etwas Triviales hat, und daß er Ihnen ein wenig wegen Ihrer boshaften Heiterkeit zürnt.
Ich bitte Sie inständig, von jetzt an alles für sich zu behalten, was ich Ihnen anvertrauen werde.
Sie sind meine stete Gesellschaft und mein Geheimnis. Eben diese Intimität, in der ich mir selbst seit so langem die Antwort gebe, hat mir den Mut zu diesem vertraulichen Ton verliehen.
Adieu, teure Frau, ich küsse verehrungsvoll Ihre Hände.
Alle Verse zwischen Seite 84 und 105 gehören Ihnen.
Den 31. August 1857.
Ich habe all den auf meinem Tische aufgehäuften Wust von Kindereien zerstört. Ich hielt ihn Ihrer, Teure, Vielgeliebte, für unwürdig. Ich nehme Ihre beiden Briefe wieder zur Hand und beantworte sie aufs neue. Ich brauche ein wenig Mut dazu, denn ich habe entsetzliche Nervenschmerzen, Schmerzen zum Schreien, und bin mit dem unaussprechlichen moralischen Unbehagen, das ich gestern von Ihnen mit heimgenommen hatte, erwacht.
»... Völliges Fehlen der Scham.«
Du bist mir deswegen nur noch teurer.
»Es scheint mir, daß ich Dein bin, seit dem ersten Tage, da ich Dich sah. Mache damit, was Du willst, – aber ich bin Dein, Dein mit Leib und Seele und Herz.«
Unglückliche! verbirg diesen Brief! – Weißt Du auch wirklich, was Du sagst? Man steckt Leute ins Gefängnis, die ihre Wechsel nicht zahlen, aber niemand bestraft die Verletzung der Freundschafts- und Liebesgelübde.
Auch hatte ich Dir gestern gesagt: »Sie werden mich vergessen. Sie werden mich verraten. Der, der Sie jetzt unterhält, wird Sie langweilen.« – Und heute füge ich hinzu: » Nur der leidet, der wie ein Tor die Dinge der Seele ernst nimmt.« Sie sehen, Schönste, Geliebte, ich habe häßliche Vorurteile in bezug auf die Frauen. – Mir fehlt der Glaube, das ist es. – Sie haben eine schöne Seele, aber schließlich, es ist eines Weibes Seele.
Sehen Sie doch, wie sehr sich unser Verhältnis in wenigen Tagen verkehrt hat. Zunächst erfüllt uns beide die Angst, einen ehrlichen Menschen zu kränken, der so glücklich ist, unentwegt zu lieben. – Dann fürchten wir den Sturm in uns selbst, denn wir wissen (besonders ich), daß es Knoten gibt, die schwer zu lösen sind.
Und schließlich – vor einigen Tagen warst Du noch eine Gottheit. Das ist so bequem, so schön, so unverletzbar. Nun bist Du Weib. – Und wenn ich zu meinem Unglück das Recht erlangte, eifersüchtig zu sein! ach, welch ein Schauder, nur daran zu denken! Aber bei einem Wesen wie Sie, deren Augen lächeln und Anmut für jedermann bergen, muß man ein Martyrium leiden.
Der zweite Brief trägt den Stempel einer Feierlichkeit, die mir gefiele, wenn ich sicher wäre, daß Sie sie begreifen. Never meet or never part! Das will sagen, daß es vielleicht besser wäre, sich nie gekannt zu haben, daß man aber, wenn man sich gekannt hat, einander nie mehr verlassen darf. Für einen Abschiedsbrief wäre dieses Axiom sehr spaßhaft.
Schließlich geschehe, was da will. Ich bin ein wenig Fatalist. – Aber, was ich völlig weiß, ist, daß ich die Begierde verabscheue, weil ich sie mit allen ihren Erbärmlichkeiten kenne; und siehe da – das so sehr geliebte Bild, das über allen Zufälligkeiten des Lebens stand, wird mir zu verführerisch.
Ich wage nicht recht, diesen Brief zu überlesen; ich wäre vielleicht gezwungen, ihn zu mildern, denn ich fürchte sehr, Sie zu kränken. Es scheint mir, als hätte ich etwas von der häßlichen Seite meines Charakters in diesen Brief dringen lassen.
So dünkt es mich unmöglich. Sie in diese schmutzige Rue J. J. Rousseau gehen zu lassen. Denn ich habe Ihnen ganz anderes zu sagen.
Sie müssen mir deshalb schreiben und mir Mittel und Wege angeben.
Was unser kleines Vorhaben anlangt, – verständigen Sie mich, womöglich, einige Tage vorher. Adieu, Teure, Vielgeliebte. Ich zürne Ihnen ein wenig, weil Sie zu reizend sind. Bedenken Sie doch, wenn ich den Duft Ihrer Haare und Arme mit mir nehme, trage ich ja auch die Sehnsucht mit mir fort, zurückzukehren. Welch unerträgliche Qual!
Entschieden, ich bringe dies selbst nach der Rue J. J. Rousseau, aus Angst, Sie könnten heute hingehen. – Dies wird früher dort sein.
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