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Den 29. April 1834.
Du bist ein Bösewicht, mein kleiner Engel. Am 12. bist Du angekommen und hast mir erst am 19. geschrieben. Ich war in einer tödlichen Unruhe. Wenn ich nur wenigstens zwei Zeilen besessen hätte, die mich von Deiner Ankunft unterrichtet und mich über Deine Gesundheit beruhigt hätten, so hätte ich einen Brief von Dir geduldiger erwartet. Aber da ich kein Lebenszeichen erhielt, litt ich sehr und habe mir die schwärzesten Dinge ausgemalt. Nun endlich hast Du Dich niedergelassen. Du leidest auch, aber Du lebst, aber Du bist stark genug, Zerstreuung zu suchen, wenn auch nicht, sie zu finden. Das ist um vieles besser als alle gräßlichen Vorstellungen, die ich träumte.
Dein Brief ist traurig, mein Engel, aber gut und zärtlich für mich. Oh! wie immer auch Dein Geist gestimmt sein möge, immer werde ich Dein Herz finden, nicht wahr, mein Kleiner? Vor einer Stunde erhielt ich eben Deinen Brief, und trotzdem er mich an mehr als einer Stelle schmerzlich bewegte, fühle ich mich stärker und glücklicher, als ich es in den letzten vierzehn Tagen war. Was mir weh tut, ist der Gedanke, daß Du Deine arme Gesundheit nicht schonst. Oh, auf meinen Knien flehe ich Dich an: noch keinen Wein, noch keine Weiber! Es ist noch zu früh! Denke an Deinen Körper, der weniger Kraft besitzt als Deine Seele, und den ich sterbend in meinen Armen sah. Gib Dich den Freuden erst hin, wenn es die Natur gebieterisch Dir abfordert, aber suche sie nicht als ein Heilmittel gegen Langeweile und gegen Schmerz auf. Das ist das Entsetzlichste von allem. Schone dieses Leben, das vielleicht ich Dir erhielt durch meine Nachtwachen und meine Pflege. Gehört es nicht ein wenig mir aus diesem Grunde? Laß mich bei diesem Glauben, laß mich ein wenig stolz darauf sein, durch einige Mühseligkeiten meines dummen, zwecklosen Daseins das eines Menschen wie Du gerettet zu haben ...
Beunruhige Dich nicht über meine Reisepläne, über meine Schwermut, über meine stranezze. Ich bin in einem merkwürdigen Seelenzustand, zwischen einem Leben, das noch nicht zu Ende ist, und einem andern, das noch nicht begonnen hat. Ich warte, ich gebe mich dem Zufall hin, ich arbeite, ich beschäftige mein Hirn und lasse mein Herz ein wenig ausruhen. Ich war einige Tage krank. Pagello pflegte mich, und nun geht es mir gut. Aber diese Unpäßlichkeit hinderte mich, Venedig zu verlassen, und jetzt zwingt mich Mangel an Geld, so lange zu bleiben, bis mir welches zukommt. Ich hatte kleine Schulden zu bezahlen, die größer waren, als ich dachte; aber nichts ging mir ab. Sei ganz beruhigt. Ich habe noch für vierzehn Tage zu leben ...
Stelle Dir vor, daß ich hier von allem Anfang an in einem Netz romanhafter Abenteuer verstrickt war. Herr Pierre Pagello ist ein gefühlvoller Don Juan, der plötzlich vier Frauen am Halse hatte. Jeden Tag neue Tragödien und Komödien seitens seiner Geliebten und seiner Freundinnen. Das gibt eine heillose Verwirrung ab, und ich werde Dir das alles episch berichten, wenn wir uns im Monat August wiedersehen. Mitten unter dem allen hatte er Zänkereien mit seiner Hausfrau, und so haben wir unsere Interessen vereint und ein Abkommen getroffen. Da ich mein Hauptquartier in Venedig aufschlage, mietete ich den primo piano eines Hauses, das ganz unser sein wird. Pagello und sein Bruder im zweiten Stockwerk und bei mir Giulia P ... – Ah! Wer ist Giulia P.? Sicherlich würde Herr Dumas schöne Dinge darüber sagen. Man sagt im Hause Mezzani, daß sie die Maitresse der beiden Pagellos ist, und daß sie und ich die Geliebten des Doktors sind. Das eine und das andere ist gleich wahr. Giulia ist eine heimliche Schwester, eine nicht anerkannte Tochter ihres Vaters. Sie ist schön wie ein Engel und singt wie eine Nachtigall. Sie besitzt einiges Vermögen, und da sie achtundzwanzig oder dreißig Jahre alt ist, ist sie selbständig. Sie hat eine Herzensangelegenheit in Venedig und wird sich hier in einigen Tagen niederlassen. Sie hatte meine Romane gelesen und bekundete für mich die Schwärmerei eines romantischen Mädchens. Wir lernten einander kennen, und sie gefällt mir außerordentlich. So machten wir denn jenen Plan, gemeinsamen Haushalt zu führen, der mir, soviel ich glaube, angenehm sein wird. Mit meiner ernsten Veranlagung, meinen täglichen fünf bis sechs Arbeitsstunden, meinen einsamen Spaziergängen und meinem Plane häufiger Reisen werde ich nicht von den Hecheleien zu leiden haben, die unter Freunden immer vorkommen.
Den 15. Juni 1834.
Gott bewahre Dich, mein Freund, in Deiner jetzigen Geistes- und Herzensstimmung. Die Liebe ist ein Tempel, den jener, der liebt, einem Gegenstand erbaut, der seines Kultus mehr oder minder würdig ist, und was daran schön ist, ist nicht so sehr der Gott, sondern der Altar. Warum solltest Du fürchten, es von neuem zu versuchen? Ob das Götzenbild lange aufrechtsteht oder bald in Trümmer fällt, Du wirst nichtsdestoweniger einen schönen Tempel errichtet haben. Deine Seele wird ihn bewohnen, ihn mit göttlichem Weihrauch füllen, und eine Seele gleich der Deinen muß große Werke schaffen. Der Gott wird vielleicht wechseln, der Tempel wird dauern, solange wie Du selbst. Er wird ein erhabener Zufluchtsort sein, wo Du Dein Herz an der göttlichen Flamme stählen kannst, und dieses Herz ist so reich und mächtig, die Göttlichkeit neu zu ersetzen, wenn diese ihren Sockel verläßt. Meinst Du denn, daß eine Liebe oder zwei genügen, um eine starke Seele zu erschöpfen oder zu verbrauchen? Ich habe es auch lange geglaubt, aber jetzt weiß ich, daß es gerade das Gegenteil ist. Das ist ein Feuer, das immer das Bestreben hat, aufzusteigen und klarer zu werden. Es ist vielleicht das fürchterliche, herrliche und geduldige Werk eines ganzen Lebens. Es ist eine Dornenkrone, die blüht und mit Rosen sich bedeckt, wenn das Haar zu bleichen anfängt. Vielleicht mißt Gott unsere Schmerzen und Mühen an unserer Tugendkraft, und es kommt eine Zeit, in der wir rasten und an vergangenen Mühseligkeiten uns erfreuen. Welche ist die schönste der beiden Epochen des Seelenlebens: die Tränen der Verzweiflung oder die Hymnen des Glücks? Vielleicht ist es die erste. Ich gehe in die zweite ein, und noch ist es mir wie im Traume; aber die erste ist die, die Gott liebt und beschützt, weil jene, die sie durchmessen, ihn brauchen. Es ist jene, die mit den lebendigsten Empfindungen und der feurigsten Poesie befruchtet. Es ist ein Bergweg, gefahrvoll und mühselig, der jedoch nach herrlichen Höhen führt und immer die niedrige, eintönige Welt beherrscht, wo die kraftlosen Menschen vegetieren.
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