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Croisset, Donnerstag nacht, 1 Uhr [1851].
Ja, ich wollte, Du liebtest mich nicht, und Du hättest mich nie gekannt, und damit glaube ich einen Wunsch auszusprechen, der Dein Glück angeht. So wie ich wollte, meine Mutter liebte mich nicht, ich liebte weder sie noch irgend jemand in der Welt; ich wollte, nichts ginge aus meinem Herzen heraus, um zu anderen zu gehen, und nichts käme aus dem Herzen der anderen zu meinem; je mehr man lebt, um so mehr leidet man. Hat man nicht, um dem Dasein zu helfen, seit die Welt steht, imaginäre Welten erfunden, und das Opium und den Tabak und die starken Getränke und den Äther? Gesegnet der, der das Chloroform gefunden hat! die Ärzte wenden ein, man könne daran sterben; gerade darum handelt es sich! aber Du hast nicht genug Haß auf das Leben und auf alles, was daran hängt; Du würdest mich besser verstehen, wenn Du in meiner Haut stecktest, und anstatt einer willkürlichen Härte sähest Du dann ein gerührtes Erbarmen, etwas Zärtliches und Großherziges, scheint mir. Du hältst mich für boshaft oder wenigstens für egoistisch, für jemanden, der nur an sich denkt, der nur sich liebt. Nicht mehr als die anderen, ja, weniger vielleicht, wenn es erlaubt wäre, sich selber zu loben. Du wirst mir immerhin das Verdienst zugestehen, daß ich wahr bin. Ich fühle vielleicht mehr, als ich sage; denn ich habe jede Emphase aus meinem Stil verbannt.
Jeder kann nur nach seinem Maße tun; nicht einen Mann, der wie ich in allen Exzessen der Einsamkeit gealtert ist, nervös zum Ohnmächtigwerden, von unterdrückten Leidenschaften gequält, voller Zweifel am Innen und Außen, nicht den mußte man lieben. Ich liebe Dich, wie ich kann, schlecht, nicht genug, ich weiß, ich weiß, mein Gott! wessen die Schuld? des Zufalls? jenes alten ironischen Schicksals, das die Dinge stets zur größeren Harmonie des Gesamtbildes paart und zur größten Dissonanz der Teile? man trifft sich nur, indem man sich stößt, und jeder klagt, wenn er seine zerrissenen Eingeweide in den Händen trägt, den andern an, der seine zusammenrafft.
Nimm das Leben von höher, steige auf einen Turm (wenn auch die Fundamente krachen, halte ihn für fest), dann wirst Du nur noch den blauen Äther rings um Dich sehen. Wenn es kein Blau ist, wird es Nebel sein; was tut es, wenn alles in einem ruhigen Dunst ertränkt scheint. Man muß eine Frau achten, um ihr solche Dinge zu schreiben.
Ich peinige mich, ich kratze mich; mein Roman kommt nur schlecht in Gang. Ich habe Anfälle von Stil, und die Phrase juckt mich unaufhörlich. Was für ein schweres Ruder die Feder ist, und ein wie zäher Strom die Idee ist, wenn man sie damit durchfurchen muß! Ich bin so trostlos darüber, daß es mich sehr amüsiert. Ich habe heute bei offenem Fenster einen guten Tag verbracht: mit der Sonne auf dem Fluß und in der vollkommensten Heiterkeit der Welt; ich habe eine Seite geschrieben, habe drei weitere skizziert, ich hoffe, in vierzehn Tagen werde ich in Wut sein, aber die Farbe, in die ich tauche, ist für mich derartig neu, daß ich die Augen weit aufreiße.
Meine Erkältung ist dem Abnehmen nahe, das geht gut. Mitte nächsten Monats komme ich auf zwei bis drei Tage nach Paris. Arbeite, denke an mich, nicht zu schwarz, und wenn Dir mein Bild zurückkommt, so bringe es Dir lustige Erinnerungen. Man muß trotz allem lachen. Es lebe die Freude!
Croisset, Nacht auf Freitag, 2 Uhr [Dezember 1853].
Ich muß Dich lieben, um Dir heut abend zu schreiben, denn ich bin erschöpft, ich trage einen eisernen Helm auf dem Schädel; seit 2 Uhr nachmittags (abgesehn von beinahe fünfundzwanzig Minuten zum Essen) schreibe ich an der »Bovary«, ich bin bei ihrem Spazierritt, mitten drin; man schwitzt und hat eine trockene Kehle. Dies ist einer der seltenen Tage meines Lebens, die ich völlig in der Illusion verbracht habe, von einem Ende bis zum andern. Vorhin, um sechs, als ich das Wort Nervenanfall schrieb, schrie ich so laut und fühlte so tief, was meine Kleine empfand, daß ich selber fürchtete, einen zu bekommen; ich bin vom Tisch aufgestanden und habe das Fenster aufgemacht, um mich zu beruhigen; mir dreht sich der Kopf; jetzt habe ich starke Schmerzen in den Knien, im Rücken und im Kopf, eine Art Müdigkeit, voller Kraftlosigkeit, und da ich bei der Liebe bin, ist es nur gerecht, daß ich nicht einschlafe, ohne Dir ihre Liebkosung zu schicken, einen Kuß und alle Gedanken, die mir bleiben. Wird es gut werden? ich weiß es nicht (ich beeile mich ein wenig, um Bouilhet ein Ganzes zeigen zu können, wenn er kommt); sicher ist, es hat seit einigen Tagen lebhaften Gang. Möge es so weitergehen! denn ich bin meiner Langsamkeit müde; aber ich fürchte das Erwachen, die Enttäuschungen, die abgeschriebenen Seiten! Einerlei, wohl oder übel, es ist etwas Köstliches zu schreiben, nicht mehr man selbst zu sein, sondern in der ganzen Schöpfung zu kreisen, von der man redet. Heute zum Beispiel bin ich zugleich als Mann und Frau, als Liebhaber und Geliebter an einem Herbstnachmittag, unter gelben Blättern, in einem Walde spazierengeritten, und ich war die Pferde, die Blätter, der Wind, die Worte, die man sprach, und die rote Sonne, die ihre liebesdurchtränkten Augenlider halb schloß. Ist es Stolz oder Mitleid, ist es das kindische Überströmen einer übertriebenen Selbstzufriedenheit? oder eine unbestimmte und edle religiöse Empfindung? Aber wenn ich diese Genüsse gekostet habe und sie wiederkäue, so wäre ich versucht, dem guten Gott ein Dankgebet emporzusenden, wenn ich wüßte, daß er mich hören kann. Er sei also gesegnet, daß er mich nicht hat als Baumwollenhändler geboren werden lassen, als Vaudevillist, als Mann von Geist etc.! Singen wir Apollo wie in den ersten Tagen, ziehen wir mit vollen Lungen die freie, kalte Luft des Parnasses ein, schlagen wir auf unsere Gitarren und unsere Zimbeln, und drehen wir uns wie Derwische im ewigen Getöse der Formen und Ideen:
Was tut's dem Stolz, wenn mich ein eitel Volk verklagt ...
Das muß ein Vers von M. de Voltaire sein, irgendwo, ich weiß nicht wo, aber das muß man sich sagen. O ja! höre, arme Muse, Du hast ganz recht: wenn ich reich wäre, würden Dir all diese Leute die Schuhe küssen, und nicht nur die Schuhe, sondern die Spur, den Schatten! So ist der Lauf der Dinge. Um als Frau Literatur zu machen, muß man ins Wasser des Styx getaucht sein.
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