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Heinrich von Kleist an Wilhelmine von Zenge

Würzburg, den 10. Oktober 1800.

... Jetzt, Wilhelmine, werde auch ich Dir mitteilen, was ich mir von dem Glücke einer künftigen Ehe verspreche. Ehemals durfte ich das nicht, aber jetzt – o Gott! Wie froh macht mich das! – Ich werde Dir die Gattin beschreiben, die mich jetzt glücklich machen kann – – – und das ist die große Idee, die ich für Dich im Sinne habe. Das Unternehmen ist groß, aber der Zweck ist es auch. Ich werde jede Stunde, die mir meine künftige Lage übriglassen wird, diesem Geschäfte widmen. Das wird meinem Leben neuen Reiz geben und uns beide schneller durch die Prüfungszeit führen, die uns bevorsteht. In fünf Jahren, hoffe ich, wird das Werk fertig sein. Fürchte nicht, daß die beschriebene Gattin nicht von Erde sein wird, und daß ich sie erst in dem Himmel finden werde. Ich werde sie in fünf Jahren auf dieser Erde finden und mit meinen irdischen Armen umschließen.

Ich werde von der Lilie nicht verlangen, daß sie in die Höhe schießen soll wie die Zeder, und der Taube kein Ziel stecken wie dem Adler. Ich werde aus der Leinwand kein Bild hauen und auf dem Marmor nicht malen.

Ich kenne die Masse, die ich vor mir habe, und weiß, wozu sie taugt. Es ist ein Erz mit gediegenem Golde und bleibt nichts übrig, als das Metall von dem Gestein zu scheiden. Klang und Gewicht und Unverletzbarkeit in der Feuerprobe hat es von der Natur erhalten, die Sonne der Liebe wird ihm Schimmer und Glanz geben, und ich habe nach der metallurgischen Scheidung nichts weiter zu tun, als mich zu erwärmen und zu sonnen in den Strahlen, die seine Spiegelfläche auf mich zurückwirft.

Ich selbst fühle, wie matt diese Bildersprache gegen den Sinn ist, der mich belebt. – – O wenn ich Dir nur einen Strahl von dem Feuer mitteilen könnte, das in mir flammt! Wenn Du es ahntest, wie der Gedanke, aus Dir einst ein vollkommenes Wesen zu bilden, jede Lebenskraft in mir erwärmt, jede Fähigkeit in mir bewegt, jede Kraft in mir in Leben und Tätigkeit setzt! – Du wirst es mir kaum glauben, aber ich sehe oft stundenlang aus dem Fenster und gehe in zehn Kirchen und besehe diese Stadt von allen Seiten, und sehe dort nichts als ein einziges Bild – Dich, Wilhelmine, und zu Deinen Füßen zwei Kinder, und auf Deinem Schoße ein drittes, und höre, wie Du den Kleinsten sprechen, den Mittleren fühlen, den Größten denken lehrst, und wie Du den Eigensinn des einen zu Standhaftigkeit, den Trotz des andern zu Freimütigkeit, die Schüchternheit des dritten zu Bescheidenheit und die Neugier aller zu Wißbegierde umzubilden weißt, sehe, wie Du, ohne viel zu plaudern, durch Beispiele Gutes lehrst und Du ihnen in Deinem eignen Bilde zeigst, was Tugend ist, und wie liebenswürdig sie ist.

Ist es ein Wunder, Wilhelmine, wenn ich für diese Empfindungen die Sprache nicht finden kann?

O, lege den Gedanken wie einen diamantenen Schild um Deine Brust: ich bin zu einer Mutter geboren! Jeder andere Gedanke, jeder andere Wunsch fahre zurück von diesem undurchdringlichen Harnisch. Was könnte Dir sonst die Erde für ein Ziel bieten, das nicht verachtungswürdig wäre? Sie hat nichts, was Dir einen Wert geben kann, wenn es nicht die Bildung edler Menschen ist. Dahin richte Dein heiligstes Bestreben! Das ist das einzige, was Dir die Erde einst verdanken kann. Gehe nicht von ihr, wenn sie sich schämen müßte, Dich nutzlos durch ein Menschenalter getragen zu haben!

Verachte alle die niederen Zwecke des Lebens! Dieser einzige wird Dich über alle erheben. In ihm wirst Du Dein wahres Glück finden, alle anderen können Dich nur auf Augenblicke vergnügen. Es wird Dir Achtung für Dich selbst einflößen, alles andere kann nur Deine Eitelkeit kitzeln; und wenn Du einst an seinem Ziele stehst, so wirst Du mit Selbstzufriedenheit auf Deine Jugend zurückblicken und nicht wie tausend andere unglückliche Geschöpfe Deines Geschlechts das versäumte Glück in bitterer Stunde der Einsamkeit beweinen.

Liebe Wilhelmine, ich will nicht, daß Du aufhören sollst, Dich zu putzen oder in frohe Gesellschaften zu gehen oder zu tanzen; aber ich möchte Deiner Seele nur den Gedanken recht aneignen, daß es höhere Freuden gibt, als die uns aus dem Spiegel oder aus dem Tanzsaale entgegenlächeln.

Das Gefühl, im Innern schön zu sein, und das Bild, das uns der Spiegel des Bewußtseins in der Stunde der Einsamkeit zurückwirft, das sind Genüsse, die allein unsere heiße Sehnsucht nach Glück ganz stillen können. Dieser Gedanke möge Dich auf alle Deine Schritte begleiten; vor den Spiegel, in Gesellschaften, in den Tanzsaal. Bringe der Mode oder vielmehr dem Geschmack die kleinen Opfer, die er nicht ganz mit Unrecht von jungen Mädchen fordert, arbeite an Deinem Putze, frage den Spiegel, ob Dir die Arbeit gelungen ist – aber eile mit dem allen und kehre so schnell als möglich zu Deinem höchsten Zwecke zurück. Besuche den Tanzsaal – aber sei froh, wenn Du von einem Vergnügen zurückkehrst, wobei nur die Füße ihre Rechnung fanden, das Herz aber und der Verstand den Pulsschlag ihres Lebens ganz aussetzten und das Bewußtsein gleichsam ganz ausgelöscht war. Gehe in frohe Gesellschaften, aber suche Dir immer den Besseren, Edleren heraus, den, von dem Du etwas lernen kannst – denn das darfst Du in keinem Augenblick Deines Lebens versäumen. Jede Minute, jeder Mensch, jeder Gegenstand kann Dir eine nützliche Lehre geben, wenn Du sie nur zu entwickeln verstehst – doch von diesem Gegenstande ein andermal mehr.

Und so laß uns denn beide, Hand in Hand unserem Ziele entgegengehen, jeder dem seinigen, das ihm zunächst liegt, und wir beide dem letzten, nach dem wir beide streben. Dein nächstes Ziel sei, Dich zu einer Mutter, das meinige, mich zu einem Staatsbürger zu bilden, und das fernere Ziel, nach dem wir beide streben, und das wir uns beide wechselseitig sichern können, sei das Glück der Liebe.

Gute Nacht, Wilhelmine, meine Braut, einst meine Gattin, einst die Mutter meiner Kinder!

Auf der Aarinsel bei Thun, den 20. Mai 1802.

Liebe Wilhelmine, um die Zeit des Jahreswechsels erhielt ich den letzten Brief von Dir, in welchem Du noch einmal mit vieler Herzlichkeit auf mich einstürmst, zurückzukehren ins Vaterland, mich dann mit vieler Zartheit an Dein Vaterhaus und die Schwächlichkeit Deines Körpers erinnerst, als Gründe, die es Dir unmöglich machen, mir in die Schweiz zu folgen, dann mit den Worten schließest: »Wenn Du dies alles gelesen hast, so tue, was Du willst!« Nun hatte ich es wirklich, in der Absicht, mich in diesem Lande anzukaufen, in einer Menge von vorhergehenden Briefen an Bitten und Erklärungen von meiner Seite nicht fehlen lassen, so daß von einem neuen Briefe kein besserer Erfolg zu erwarten war; und da mir eben aus jenen Worten einzuleuchten schien, Du selbst erwartetest keine weiteren Bestürmungen, so ersparte ich mir und Dir das Widrige einer schriftlichen Erklärung, die mir nun aber Dein jüngst empfangener Brief doch notwendig macht.

Ich werde wahrscheinlicherweise niemals in mein Vaterland zurückkehren. Ihr Weiber versteht in der Regel ein Wort in der deutschen Sprache nicht, es heißt: Ehrgeiz. Es ist nur ein einziger Fall, in welchem ich zurückkehre, wenn ich der Erwartung der Menschen, die ich in törichter Weise durch eine Menge von prahlerischen Schritten gereizt habe, entsprechen kann. Der Fall ist möglich, aber nicht wahrscheinlich. Kurz, kann ich nicht mit Ruhm im Vaterlande erscheinen, geschieht es nie. Das ist entschieden, wie die Natur meiner Seele.

Ich war im Begriff, mir ein kleines Gut in der Schweiz zu kaufen, und Pannwitz hatte mir schon den Rest meines ganzen Vermögens dazu überschickt, als ein abscheulicher Volksaufstand mich plötzlich, acht Tage, ehe ich das Geld empfing, davon abschreckte. Ich fing es nun an, für ein Glück anzusehen, daß Du mir nicht hattest in die Schweiz folgen wollen, zog in ein einsames Häuschen auf einer Insel in der Aar, wo ich mich nun, mit Lust oder Unlust, gleichviel, an die Schriftstellerei machen muß.

Indessen geht, bis mir dieses glückt, wenn es mir überhaupt glückt, mein kleines Vermögen gänzlich darauf, und ich bin wahrscheinlicherweise in einem Jahre ganz arm. Und in dieser Lage, da ich noch außer dem Kummer, den ich mit Dir teile, ganz andere Sorgen habe, die Du gar nicht kennst, kommt Dein Brief und weckt wieder die Erinnerung an Dich, die glücklicher-, glücklicherweise ein wenig ins Dunkel getreten war.

Liebes Mädchen, schreibe mir nicht mehr! Ich habe keinen andern Wunsch, als: bald zu sterben!

H. K.

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