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Hatte man vor drei Jahren in Lyon nur eine kleine Kirche zur Zusammenkunft gewählt, so mußte man nun in Paris im Jahre 1277 die größte nehmen. Nicht nur der Nuntius, den Papst Gregor mit Machtvollkommenheit und einer großen Schar von Begleitern entsandt hatte, nicht nur die geistigen Führer der abendländischen Völker saßen da unter dem Wunder eines himmelhohen Gewölbes, wie es die Baumeister vor einem halben Jahrhundert noch gar nicht hätten auf Säulen stellen können, sondern auch Tausende Geistliche, Mönche, Einwohner der Stadt, Ärzte, Kaufleute, Hofbeamte, Studenten, Offiziere, auch Frauen, Freunde und Feinde der angegriffenen Barfüßerorden regellos durcheinander. Lange schon saßen sie da, eine Zahl von Angreifern hatten schon gesprochen, ebenso viele Verteidiger, mit ihnen war jeder Zuhörer in wachsende Erregung geraten, aber auch Zeichen der Ermüdung machten sich bereits bemerkbar. Als letzter Orden traten nun die Dominikaner auf, die am ungestümsten Angegriffenen.
Hoch und blond, eher ein Gote als ein Spanier, der er seiner Nationalität nach war, die beginnende Ermüdung aller spürend, fast mit dem Sprung eines Stierkämpfers stand der Hochmeister vor der Versammlung, nachdem er erst den Nuntius, einen Mann mit schönem strengen Gesicht, im roten Kardinalsmantel, stolz in den Blick genommen hatte:
Ehrwürdiger Abgesandter und Bevollmächtigter des heiligen Vaters, es sieht immer mehr so aus und auch du magst so denken, daß der Orden des Dominikus sich hier als angeklagt zu verantworten hätte. Wir selber aber empfinden es nicht so, im Gegenteil: wir halten dafür, daß wir die Kläger sind. Wir haben bei unserer Gründung den Segen des heiligen Vaters erhalten und wie viele Zeichen des Dankes, wie oft wurden wir zu besonders schwierigen Diensten herangezogen. Wir haben in harter Arbeit die Zahl unserer Klöster und Spitäler in allen Ländern vermehrt, wir haben die Freude der Menschen an Welt, Kirche, Gott erhöhen wollen und haben sie erhöht in Zeiten des Schreckens, da die Menschen von Gott lieber hätten fliehen mögen. Wir haben uns in nichts gewandelt. Daß der segensreich Wirkende Feinde findet, ist ein Naturgesetz. Gott muß das eingerichtet haben, damit das Gute nicht erschlafft, sondern kämpft und stark bleibt. Wenn sich jemand gewandelt hat, dann seid ihr das, ich will es offen sagen: der heilige Vater und ihr, seine Berater. Streitschriften redlicher Gegner – willkommen! Es sind viele solcher erschienen und wir haben sie alle als Zeichen des Lebens begrüßt. Edler Kampf ist Freude, nichts Lebendiges wird geboren ohne Kampf – die Bäume, die im Sturm stehen, auf den Bergen oder am Meer, sind die stärksten. Wer wüßte das besser als wir, die Vielgewanderten! Nur gegen niedere Schmähungen, Verleumdungen, absichtliche Verdrehungen haben wir uns nie gewehrt, wir ließen sie ohne Antwort.
Der heilige Vater und du, ehrwürdiger Nuntius, als sein Stellvertreter, ihr sollt ohne Furcht unsere Klage, nein Anklage hören; daß ihr, statt zu unserem Schutz aufzustehen, tatsächlich die Aufhebung unseres Ordens in Erwägung zieht, uns also aus der Christenheit herausnehmen wollt, als wären wir nichts gut Lebendes, gut Wirkendes mehr. Die wir nicht zur Kenntnis nahmen, die niedrig Schmähenden – gerade durch sie habt ihr, schwer begreiflich, euch verlocken lassen.
Es ist die Stunde nicht mehr, ruhigen Blutes hier zu stehen. Für uns eintreten und sprechen wird jetzt unser Bruder Albertus von Köln, seit 48 Jahren Mitglied unseres Ordens, vom Papste selbst einst für würdig gehalten und gebeten, den Bischofsstuhl in Regensburg einzunehmen. Wer hat sich in seiner Gesinnung geändert? Nicht er! Aber wir haben noch eine letzte Hoffnung – auch ihr nicht, entgegen dem Anschein, wie sich ja nun endlich zeigen muß.
Albertus, steh auf, tritt an meine Stelle, du bist vierundachtzig, erlaube, daß ich dir deinen Bruder Gottfried in der Nähe lasse, damit er dich dann und wann, wenn es nötig ist, stützt!
Unerwartet schnell erhob sich bei diesen Worten der Nuntius: Liebwerter Bruder, es ist recht, daß du mich an das hohe Alter unseres Meisters Albertus erinnerst. Wir haben heute nur gehört, was wir wußten. Selbst Albertus wird uns nichts Neues sagen können. Warum sollen wir den ehrwürdigen Alten noch quälen? Wir danken ihm für seine gute Absicht und wollen, ihn zu schonen, die Versammlung schließen und nach Hause gehen!
Alle fühlten, daß das ein Urteil war: Aufhebung des Ordens. Die Herren des Geleits standen auf. Der große Atem des Raumes stockte.
Aber da stand auch schon Albert da, nicht wie mit einem Sprung, sondern wie von einer unbegreiflichen Macht hingeweht. Gottfried trat hinter einen Pfeiler und wartete dort in bescheidener Nähe.
Die Gemüter der Tausenden nahmen schnell den Zustand zurückgekehrter und erhöhter Spannung an, zugleich erfaßte ein tieferer Ernst als bisher alle. Niemanden mehr verlangte es nach Haus, der Nuntius und seine Herren nahmen wieder Platz.
Albert stand, im Gegensatz zu den Worten seines Hochmeisters in völliger Ruhe. Er begann gleich mit heller lauter Stimme:
Ehrwürdiger Abgesandter des heiligen Vaters, Gruß und Dank, daß du so weit hergekommen bist, um die Wahrheit zu erkennen in einer Sache, die uns die teuerste im Herzen ist. Deine Reise beweist, daß auch du ihre Wichtigkeit erkannt hast. Ich kann dich noch nicht als Freund begrüßen und unter diesen zahlreichen Hörern sitzen viele, die ich nicht kenne und gar nicht kennen will, die zu denen gehören, die als die Wildesten uns, die wir nur Gutes auf dieser Erde zu tun glauben, wie allzu wachsame Hunde irrig und riesig anspringen.
Wir brauchten uns um sie gar nicht zu kümmern, du hast recht, mein Bruder Hochmeister, wie du auch darin recht hast, daß jene unter unsern Anklägern, die mit uns den wahren Weg zu Gott suchen und glauben uns vor einem falschen Weg warnen zu müssen, uns ja helfen, also unsere besten Freunde sind, die wir ehren und grüßen.
Aber es handelt sich in dieser Versammlung ja gar nicht um Gedanken, Erkenntnisse, Lehren, wie gerade die, die uns wohlwollen, auch du, ehrwürdiger Nuntius und deine ehrwürdigen Begleiter, annehmen – in einer gewissen Lässigkeit, die uns tief schmerzt, denn bei einigem freudigen Willen wäre es nicht schwer, zu erkennen, daß die, die Lärm machen um uns, die wir die Stille leben, das nicht aus Herzensgrund tun und um Gott zu suchen, sondern weil sie den Lärm lieben. Nun sieht es aus, als ob dieser Lärm von uns käme, und als ihr endlich seiner überdrüssig wurdet, da wandte sich euer Unmut unwillkürlich gegen uns.
Aber auch die wirklichen Lärmmacher stehen wie wir alle im Dienste Gottes. Gerade wenn wir anfangen müde zu werden, schickt uns Gott Gefahr.
Damit habe ich unerschrocken den genannt, gegen den wir hier in letzter Wahrheit kämpfen und so wirst du doch noch etwas Neues hören, ehrwürdiger Nuntius. Seit Wochen besuchte ich den, von dem ich spreche, aber er hielt sich mir verborgen. Ich erzählte ihm, was wir an Entsetzlichem täglich auf dieser Erde sehen, wie viele Menschen über die Furchtbarkeit dieser Welt verzweifeln wollen, wie schwer es uns manchmal selber wird, an unserm Schöpfer nicht irre zu werden. Von unsern leiblichen Anstrengungen und Entbehrungen redete ich nicht einmal, sie sind selbstverständlich. Hör nicht fort, sagte ich, wie zahlreich deine anderen Sorgen sein mögen, jetzt mußt du einmal ausschließlich auf uns hören, denn es ist mit dem Spott und der Verleumdung so weit gekommen, daß sie uns wie Schädlinge austilgen wollen aus dem Haus der Christenheit. Noch heut in der Frühe sagte ich ihm: Du hättest die Macht gehabt, die Angelegenheit, wegen der ich hier stehe, bei Zeiten ins Gute zu wandeln. Statt dessen hast du den Berg der Verkennung, der sich vor uns erhoben hat, so anwachsen lassen, daß unsere Austilgung nach der Meinung vieler schon beschlossen und diese Versammlung nur ein schöner Schein ist. Wir haben dich durch Lob und Liebe verwöhnt, drum höre nun einmal etwas anderes, Gott.
Ja, du bist hier, ich spüre dich endlich, mit dir, Gott rede ich! Nun nenne ich dich, dich rufe ich, dich klage ich an. Wie du uns täglich und stündlich prüfst und härtest, das ganze Leben hindurch und geduldig und freudig hielten wir stand: das Maß dieser Prüfung ist zu ungeheuer geworden; wir Gutwilligen, immer Tätigen, Selbstlosen sollen wie ein störender Flicken vom Kleid der Kirche getrennt werden, dein Vertreter auf Erden, der heilige Vater in Rom selbst, erwägt diesen Gedanken so sehr, daß sein Urteil nur noch von dem abhängt, was ich Alter an dieser Stelle in Worten auszusprechen vermag! So wenig Gewicht haben meine Worte von vornherein, daß eben noch der Abgesandte des Vaters in Rom willens war, aus einer bloßen Höflichkeit, für die jetzt wahrhaftig nicht mehr die Stunde ist, die Versammlung zu enden, während eine tiefere Höflichkeit gerade meines Alters wegen nicht gewollt hätte, daß ich am Ziel meiner langen Reise hätte stumm zurückkehren müssen.
Finde ich nicht die Kraft des Wortes, und sie muß mir ja von dir selbst kommen, Gott, um dessen Beistand ich bisher vergebens gerungen habe, so ist mein Orden und sind andere Orden mit uns, darunter der des Franz von Assisi, Hunderttausend deiner treuesten Söhne, als schädliche Menschen aus deinem Reich ausgestoßen.
Hinnehmen, Dulden? Herr, darin sind wir geübt, dazu sind wir bereit. Aber unsere Freunde fordern, daß wir uns wehren. Uns wehren? Waffenlose einzelne Leute gegen Rudel von reißenden Wölfen? Unsere beste Wehr, unsere tägliche Arbeit, geschieht in der Stille ungesehen. Wehren mit Worten? Ich armer Mensch will es versuchen.
Herr, ich führte dir Beispiele von einfachen Brüdern vor in ihrem Tagewerk. Nun will ich dir einen besonderen zeigen, den niemand besser kennt als ich, denn er war mein bester Freund, seine Schriften sind am weitesten vorgedrungen, weiter als die meinen, darum ist er der meist Geschmähte und darum will ich ihn am meisten verteidigen, zumal er nicht mehr lebt und sich nicht selbst verteidigen kann: es ist Thomas von Aquin.
Was sagen seine Feinde von ihm? Da, rufen sie, seht den an, diesen Mönch aus Neapel! Der Ruhm des Franz von Assisi läßt ihn nicht schlafen. Barfuß gehen, den Sperlingen predigen! Das kann ich doch auch. Gewinnt man so leicht den Namen eines Heiligen? Flink, das seidene Kleid aus, die Kutte an, wirres Zeug reden an den Straßenecken, räudige Hunde vor allen Zuschauern aufs Maul küssen, das kann ich auch, ruft er, ich gebe auch mein ganzes Geld dafür hin, ich trete in einen Orden ein, der zehntausend solche Narren hat, ziehe meine Schuhe aus, kaufe mir einen Lehrstuhl hier in Paris, lasse meine Narrenpredigten wie einen himmlischen Schatz auf Pergament malen, obwohl ich ein Bettler Gottes bin.
Was aber, Gott, kann ich von demselben Mann sagen? Er kam zu mir, ich war in der Mitte des Lebens, er ein Jüngling. Erlittene Seelenqual hatte sein reines Antlitz halb zerstört, der Blick aus den Augen war wirklich der eines Halbirren geworden. Allzu abgewandt, allzu stumm, fand er selbst in unserem Kloster anfangs nur Spott. Ich ließ nicht ab ihn anzurufen, mit leisem Wort, bis er die Scham überwand und sein Herz öffnete. Wie dankbar war er für Güte, wie dankbar ich ihm für dieses Geschenk seiner Seele nicht nur, sondern auch weil ich in unseren Gesprächen an seinen unnachgiebigen Einwänden, die mehr als aus dem Verstand aus dem suchenden Gewissen kamen, mich selbst erneute.
Wie mußte ich mich wehren, daß ich nicht von meinem Schüler übermeistert wurde! Nicht aus Eitelkeit ging er nach Paris, nicht um hier zu glänzen, wie jene sagen, sondern ich selber sandte ihn her. Glänzte er? Er kämpfte. Jeder Tag war ein Kampftag, er verließ den Kampfplatz nicht bis kurz vor seinem Tod. Verbote drohten täglich seinen Predigten, seinen Schriften, unermüdlich ging er in die Krankenhäuser als Seelsorger – traf er dort die, die ihn schmähten? Wahrlich nicht! Alle Lästerer schaffen Zerrbilder und wie wunderlich: ihre Zerrbilder, das sind sie selbst! Sie können an ihren Opfern keine Fehler ersinnen als ihre eigenen.
Thomas von Aquin! Freund, unvergessen, der du von mir Abschied nahmst, nicht in Eitelkeit, sondern in schönem brennendem Eifer, der dir, Gott, galt. Tränenüberströmt war dein Gesicht – ahntest du, daß wir uns nie wiedersähen? Du starbst zu früh, stark genug den wahren Gegnern zu widerstreben, aber nicht den unwürdigen. Du warst ein Auserwählter in unserem Orden, aber keiner unter uns, der nicht deines Geistes wäre. Und doch wollen sie uns als lästige Toren austilgen! Und du läßt es zu, Gott? Kannst du irren? Denn ich irre nicht in der Treue zu meinen Brüdern. Da aber nur einer von uns irren kann, so müßtest, verzeihe mir, du Gott es sein. Wie aber wäre das nur zu denken? Also willst du uns prüfen und wir müssen standhalten, doch ist es schwer, Herr, Verkennung durch die Freunde zu tragen. Wir haben unsere Kraft ja auf anderm Feld nötig. Darum gib meinem Wort Macht, Gott, in dieser einen Stunde hier, höre gut zu, ich lasse die Hand nicht vom Saum deines Gewandes, ich halte dich daran fest.
Mit etwas mehr Zuversicht will ich kurz von einem zweiten Mann meines Ordens reden, den ich noch besser kenne, von mir selbst. Was sagen jene Unduldsamen, wenig tief Blickenden, Spottlustigen oder zum Teil auch bewußt Unwahrhaftigen von mir? Ich zögere nicht es selbst vorzubringen. Sie sagen: Wo war dieser, der sich selber für einen Halbheiligen hält, bis zu seinem vierzigsten Lebensjahr? Niemand weiß es. Was trieb er? Niemand kann es sagen. Er spricht und schreibt nicht wenig, aber davon allein spricht und schreibt er nichts. Sagt das nicht alles? Als er ausgesündigt hatte und am Sündigen keinen Genuß mehr fand, wurde er enthaltsam, seit der durch Übersättigung erkrankte Magen keine Speisen mehr vertrug, ißt er nur noch Hafermus und rühmt sich dessen als eines Opfers, während es uns doch vollständig gleichgültig sein kann, was und wieviel er ißt und trinkt. Er geht mit nackten Füßen auf riemengebundenen Sohlen durchs Land und sagt, er tue das zu Gottes Ehre, obwohl Gott nicht den geringsten Wert darauf legt.
Als er durch die Güte der Kirche einmal ein sehr hohes Amt erhielt, scheute er sich nicht, nacktfüßig in seinem Dienst zu bleiben, nur um auch hier wieder etwas Besonderes zu scheinen. Zwei Jahre hielt er es in diesem Amt aus, dann eilte er sich es abzugeben, um als Sechzigjähriger wieder die Wanderschaft aufzunehmen wie ein Kriegsknecht. Aufsehen machen, das ist seine Frömmigkeit! Er behauptet, die Gottesmutter erscheine ihm öfters im Traum – das kann doch jeder sagen, nur hat er die Leute dazu gebracht, daß sie es ihm glauben. Heimlich in seiner Zelle sucht er aus Blei und Eisen und allem möglichen Teufelszeug Gold zu machen, – wozu braucht er Gold, wenn Armut ein Zeichen der Gotteskindschaft ist? Was kann an einer Lehre sein, die von solchen Leuten verkündet wird? Gott hat die Welt zu seiner und unserer Freude geschaffen, rufen viele Tausend mit ihm aus und locken dadurch die Menschen zu sich und vom wahren Leben in Gott ab. Dabei bezeichnen sie selbst wiederum die Enthaltung auch von der geringsten Annehmlichkeit des Lebens als gottgefällig. Welche Widersprüche von Wirrköpfen! Man könnte sie ihrem Gauklertum oder im besten Falle Irrwahn überlassen, aber sie nehmen den wahren Kündern Gottes die Gläubigen fort. Läuft das Volk ihnen zu und rühmen sie sich dessen besonders? Gerade darum muß ihr Treiben ein Ende haben!
So rufen sie. Gottvater, muß ich sagen, was so offen liegt? Holten sich doch diese Leute den Ruhm auch so billig, indem sie an der Seite irgendeines von uns zu den schwer Kranken und Sterbenden gingen, nacktfüßig durch Regen oder Schnee, durchs Land zu weit Entfernten, völlig Vergrübelten, Verstockten, Haderern, Hassern, bis zum Irrsinn Verzweifelten – Menschen, für die die große Mutter Kirche nicht immer Zeit und Kraft erübrigen kann, die sie der Masse ihrer Kinder fortnehmen müßte. Würde doch einer dieser Verleumder aus Unkenntnis auch Jahr um Jahr Hafermus und Roggenbrot mit uns teilen! Aber diese Leute erkaufen sich Zulauf und Ruhm viel billiger: mit Lärm um andere. Es kann also nicht viel sein am Ruhm und in Wahrheit, er ist im letzten Grunde nicht das, warum selbst die gelehrten Brüder unseres Ordens sich plagen, ihr Tun hat seinen Lohn in sich selbst. Und hierin mögen jene Leute uns wirklich nicht verstehen.
Als ich heute hierher ging zu dieser gewaltigen Versammlung, hatte mein junger Gefährte mir wieder wie vor drei Jahren in Lyon Bischofsornat, goldene Tiara und Elfenbeinstab bereit gelegt und freute sich darauf, seinen Meister einmal schön zu sehen. Ihm zur Freude hätte ich beinahe das Kleid angezogen, aber ich habe die Vorschrift meines Ordens zu erfüllen und ehre ihn auch dadurch, daß ich gerade an diesem Tag, wo er sein Urteil erwartet, sein Gewand nicht verschmähe, an ein Aufsehen denke ich dabei nicht, dazu sind wir alle an dieses Kleid viel zu gewöhnt.
Jenes schönere Kleid aber trug ich mit Stolz und die Kirche zu ehren an jenem Tag, da ich in Regensburg als Bischof einzog. Ich hatte mich zu diesem Amt nicht gedrängt, sondern der heilige Vater hatte mich dazu berufen, weil ich ihm der einzige schien, der dort völlig Verwirrtes ordnen könnte. Ich mußte meinem Orden ungehorsam werden, um dem Papst zu gehorchen, und ich ging, als ich meine Aufgabe erfüllt hatte. Woher hatte ich die Kraft, Zerrüttetes zu entwirren, fast Totes lebendig zu machen? Woher als von meinem Orden? So ist die Wahrheit, und wie freue ich mich heute sagen zu können: solcher Ehren wurden mein Orden und ich damals für wert befunden. Weder mein Orden noch ich haben uns geändert. Wer aber hat sich geändert? Wer ist in Gefahr, Treue mit Untreue zu vergelten? Wir nicht! Du selbst Gott?
Nicht gering ist diese Gefahr, in der wir sind, sonst säßen diese Tausende nicht gedrängt hier. Sind sie hierhergekommen des mangelnden Verständnisses oder der Verleumdungen einer Anzahl von Menschen wegen? Nein! Sie haben dasselbe Gefühl wie wir, das Gefühl einer Zeitwende – wie wir hier ja auch nicht in einer der düsteren Kirchen unserer Väter versammelt sind, sondern in einer hochgewölbten, weltfreudigen Lichtkathedrale – weltfreudig, weil uns allen diese Erdenwelt eine zuversichtliche Stufe des Aufstiegs zur Welt über uns geworden ist.
Muß ich nun noch länger von mir reden? Muß ich noch darauf antworten, was ich die erste Hälfte meines Lebens getan? Ja, denn das nehmen ja jene Schmäher als das Wichtigste. Aber auch an nichts kann ich besser zeigen, wie es gerade diese Zeitwende ist, die unseren Orden ins Blühen brachte.
Die Angreifer haben recht: Ich tat bis zu meinem vierzigsten Lebensjahr nicht viel, ich genoß das Leben wie andere ritterliche junge Leute auf Jagd, bei Wein und Tanz. Ich hätte noch ungleich wilder meine Jahre vertun können und brauchte nicht davon zu reden, weil unzählige andere junge Leute meines damaligen Standes auch heute noch das gleiche tun: auch sie rühmen sich dessen nicht. Warum wurde ich nicht Nachfolger meines Vaters im Lehensamt? Das hast du selbst gemacht, Gott, denn du hattest mir nicht den leicht zufriedenen Sinn gegeben, der dazu gehört hätte. Du hattest den Zwang in mich getan, über alles, was ich sah und was mir begegnete, ohne Ruhe nachzudenken. Überall suchte ich nach dir, Gott, nirgends konnte ich dich greifen.
Als mein bester Freund, mein Vater, starb und ich nach Padua ritt, um die Wissenschaft der Natur zu studieren, geschah das in dem unablässigen Drang, in allem Geheimnis nach dir, Gott, zu suchen.
Da kam der Hochmeister Jordan in diese Stadt, er las mir, wie ich später meinem Freunde aus Aquino, meine Lebensqual am Gesicht ab, nahm mich mit auf Wegen vor die Stadt, er zeigte dich mir, Gott.
Du, Gott, bist jung, voll Feuerkraft, du hast die Erde geschaffen und als du dein Werk ansahst, sieh, da war es sehr gut. Also hast du die Welt in Freude gemacht und freust dich weiter daran. Uns hast du mit Baum und Tier auf diese Erde gesetzt, aber zu diesem Leben hast du den Tod getan. Wie wäre es anders denkbar? Und wir wissen nun, nach der Auferstehung deines Sohnes: Der Tod ist kein Ende, sondern ein Anfang, Geburt in eine neue Welt, näher zu dir hin, der Weg ist weit und viel Schmerz und Not sind die Stufen. Sie zu überwinden gilt es, stärker und reiner zu werden, zu wachsen über uns hinaus, anzukommen geläutert bei dir: nun erst können wir in deiner Höhe atmen. Aber auch vorher leben wir mit dir schon auf dieser Erde, wir ziehen uns hinauf zu dir, wir ziehen die, die schwach sind unter uns, mit hinauf, in Liebe. Denn Liebe ist das Wort, das von dir über unsere Erde hinschallt. Liebe darf nicht Wort bleiben, sondern muß tätig werden. Das ist nicht leicht, wir sind alle schwach, wir irren alle.
Freude an diesem Weg, Freude an dieser Welt, trotz allem Übel, in unserer Schwäche dennoch dir helfen an deinem Werk, das in ewigem Werden ist: das war der Ruf Meister Jordans an mich, das ist der Ruf unseres Ordens. Durch ihn fand ich dich, Gott. Soll ich meinem Orden nicht dankbar sein? Wir dienen der Kirche – kann die Kirche undankbar sein? Kannst du Gott undankbar sein? Kannst du einen Fehler haben wie ein Mensch? Aber wir begehren nicht einmal Dank, wir kämpfen nur um unser Mitdasein in deiner Bauhütte, am Werk deines Weltdomes, unseres Wertes gewiß. Es mag der Tag kommen, an dem unsere Arbeit getan ist, aber noch sind wir nötig. Wir überheben uns nicht über die Priester der Kirche oder andere Orden, es ist Unkenntnis, wenn man uns das nachsagt. Wir halten uns nicht für auserwählt, außer zu besonders hartem Dienst, wir haben keinen anderen Vorzug als die Mühsal.
Und nun hebe ich mich auf zu dir Gott, nicht länger umfasse ich nur deine Knie, ich ringe mit dir Brust an Brust. Willst du immer noch stumm bleiben bei dem furchtbarsten Schrei, den ich und zehntausende mit mir je aus der Tiefe zu dir taten? Mein Orden und ich mit ihm von dir verkannt? Das der Lohn am Ende meines Lebens?
Höre mich Gott! In dieser Stadt, in diesem Raum, in dieser Stunde entscheidet sich nicht nur mein, nicht nur unseres Ordens, nein, des ganzen Abendlandes Schicksal für lange Zeit. Ob Liebe den Sieg behält oder das Niedere, darum geht es, darum kämpfe ich. Gott hilf der Treue, sonst werde ich auch dir untreu, denn dann bist du nicht der Gott, um den ich ein langes Leben rang.
Höre mich! Umsonst horche ich immer noch in meine Brust. War alles vergebens, was ich dir zurief, laut genug, denn du bist in dieser Stunde nicht oben, du bist nicht in irgend einer Ferne, du bist hier unter uns, ich spüre dich gut, aber ich spüre deine Zustimmung nicht.
Bleibst du stumm immer noch, gönnst du mir keinen Zuruf? Herr, als die Zeit in Macht und Pracht stand, kämpften wir um die Seelen der Menschen, daß sie sich nicht in Verschwendung verloren. Dann, in der bittern Zeit der Not, kämpften wir gegen die Verzweiflung der Menschen, deiner Geschöpfe. Das ist unser wahres Wesen, immer im Gedanken an dich. War alles nichts? Hörst du mich nicht? Gibst du immer noch nicht meinen Worten Kraft, die Seele deines stolzen Abgesandten zu bewegen?
Wie Gott? Ist es so? Dann sieh in mein Gesicht voll Zorn. Tust du uns dieses unsagbare Unrecht an, so tun wir dir Recht, wir kennen und nennen dich von heut an nicht mehr, verwirfst du uns, verwerfen wir dich, reißt du uns aus, reißen wir dich aus, liebst du uns nicht mehr, lieber wir dich nicht mehr. Das ist nicht mein Wort allein, das ist, für den ich hier stehe, das Wort meines Ordens!
Alle, Freunde und Feinde, sahen entsetzt auf den alten Mann hin – das ist kein Mensch, das ist eine Erscheinung. Wankt er nicht? Stürzt er nicht hin, vom Blitz des eigenen Worts getroffen? Warum greifen seine Hände in die Luft? Will er an Gott heran? Halt! Komm hervor, Gefährte, stütz ihn!
Welch ein Licht war schon während der letzten Sätze Alberts durch ein Fenster im Hintergrund eingeströmt? Es nahm zu, brach durch immer mehr Fenster, fast mußte Albert, der als einziger hineinsah, die Augen schließen vor der Blendung.
Immer mehr Zuhörer folgten seinem Blick und wandten sich um, mehr und mehr auch die Zuhörer der vordersten Reihen, endlich auch der Nuntius selbst. Zufall dieses Licht? Das Gefühl eines jeden wehrte sich, solch Geschehnis in dieser Stunde für Zufall zu halten, alle erschauerten.
Schon war der ganze Raum von der bisher verdeckten Nachmittagssonne erfüllt, sie traf zuletzt auch den einzelnen Mann vorn, der, die Hände erhoben und nach dem Licht ausgestreckt, vor den Tausenden stand. Nach Jahrzehnten noch wird er so in der Erinnerung der jetzt Jungen stehen.
Gottfried, auch von Gold übergossen, trat neben seinen Meister, faßte ihn stützend leise an den Arm.
Während alle mit angehaltenem Atem auf Albertus hinsahen, senkte er den Kopf, horchte noch einmal zu seiner Brust hinunter. Wie lang will er so harren? Er hob den Kopf, hatte wohl nur sein eigenes Herz gehört, denn er sah wieder in das Licht – doch mit verändertem Ausdruck, kein Zorn mehr, nur unendliche Traurigkeit lag darauf.
In diesem Augenblick erhob sich der Nuntius schnell, trat vor Albert hin, nahm ihn statt Gottfried zart beim Arm.
Albert stand da erhobenen Hauptes, mit einem jenseitigen Blick, der die Menschen vor ihm, auch den Nuntius, nicht mehr umfaßte.
Der Nuntius berührte nach einem zagenden Blick in das Gesicht vor ihm Alberts beide Wangen mit dem Bruderkuß.
Dann, als höre er einen inneren Auftrag jetzt erst deutlich, dessen er bisher nur ungewiß war, sagte er laut: Bruder Albertus, du hattest mich schon halb gewonnen. Nun sprichst du am Ende deiner Auflehnung und deines Lebens gegen alles, was du gelehrt. Du gibst ein denkbar schlechtes Beispiel für die Schule deines Ordens, der doch Demut verlangt. Ich hätte so gerne noch die Worte von dir gehört und wartete darauf: nicht wie ich will, Gott, sondern wie du willst. Statt dessen loderst du in Zorn auf, nennst Gott vor den Tausenden hier untreu, undankbar, lieblos, drohst ihm mit Gleichem. Und nun noch seltsamer: gerade aus dieser Gewalt deines Widerspruchs zu dir selbst erkenne ich erschreckt die Aufwühlung deiner Seele, solche Aufwühlung kann nur aus einer ganz und gar verletzten Wahrheit kommen. Es ist dein Zorn, wegen dessen ich dich verdammen müßte und es ist dein Zorn, der mich im Gegenteil ohne Einschränkung an dich glauben macht und er muß auch Gott gefallen, ja, Gott wollte ihn offenbar, denn in dieser für uns alle so entscheidenden Verhandlung, durfte wohl einmal keine Ergebung gefordert werden, sondern Zorn, darum holte Gott ihn aus dir heraus, und statt zu erschrecken, freut er sich daran, wie auch ich und wohl jeder im Raum. Ein überzeugenderes Bekenntnis für deinen Orden kann es nicht geben, als daß du, Albertus, der Liebende, uns allen ein strahlendes Vorbild seit ungezählten Jahren an Milde, dich nun mit solcher Leidenschaft gegen Gott selbst wendest. Gott müßte dich verurteilen für immer, aber er gibt es mir in die Brust, lieblich und feurig einmal den Zorn in seinem Recht zu lassen und mit Segen statt mit Fluch zu vergelten. Alles darf einmal anders sein, Gott erlaubt einmal einem Empörer Recht zu behalten, so sehr liebt er dich. Du hast ja auch nur von einem Wennfall gesprochen und dieses Wenn ist ja nicht eingetroffen.
Ich habe deinen und deines Ordens Geist als echt erkannt. Der heilige Vater hat mir Vollmacht gegeben. Ertragt denn weiter Kampf und Mühe, die wir euch zu erleichtern dachten. Widersteht ihr Orden der Prediger, Barfüßer und Minderbrüder weiter der Trennung und lehrt uns alle Geduld, Standhaftigkeit und bisweilen das notwendige Gewitter eines Widerspruchs.
Im vollen Sonnenglanz, während der Hintergrund der Kirche sich wieder verdunkelte, legte der Nuntius beide Hände zum Segenszeichen auf Alberts Haupt und ließ die Gebärde über die Hochmeister der anderen Orden, die vor ihn getreten waren, und über die Tausende im ganzen Raum ausschwingen.
Ohne Anordnung, aus innerstem Gefühl, begannen junge kräftige Mönche, überall in der Menge verstreut, einen hellen Lobgesang an Gott, der von allen Seiten widerhallend zwischen den Steinsäulen hochstieg.
Der Nuntius und Albertus verließen zusammen die Kirche und gingen nebeneinander her über den Hof. Alberts Füße spürten den Boden nicht mehr unter sich.
Was, Albertus, fragte der Nuntius, hättest du aber getan, wenn Gott weniger großmütig gewesen wäre und dich und deinen Orden und die anderen alle durch meinen Mund verdammt hätte für immer? Hättest du in deinem Zorn verharrt, ein verlorener Mensch mit einem verlorenen Leben?
Nach langem Schweigen antwortete Albert und seine Stimme zitterte noch von der Erregung, erschüttert: Ich hätte Gott dennoch geliebt. Er hob die Stirn zum Himmel und rief: Ich hätte dich Gott dennoch geliebt!
Du hättest Gott dennoch geliebt! Für dieses Wort sei besonders bedankt, dieses Wort hat dein Tun erst vollends gekrönt, rief der Nuntius.
Von Mund zu Mund wird Alberts Wort getragen, der Lobgesang der Mönche erschallt jubelnder von neuem auf.
Albert steht lange mit gefalteten Händen und sieht zum Himmel. So voll Glück bin ich, Nuntius, daß ich Gott bitten möchte, mich an dieser Stelle und in dieser Minute sterben zu lassen!
Nein! So leicht macht Gott es dir nicht, Albertus. Hast du um des Ordens Bestand so dringlich gebeten, magst du nun auch noch einige Zeit dich für ihn mühen auf dieser Erde.
Christophorus, sagte Albert leise, ohne daß der Nuntius den Sinn dieser Worte verstand.
Aber es war so: Albertus hatte an diesem Morgen in Paris nicht nur seinen Orden gerettet, sondern das Christentum, das Abendland, die Menschheit, denn er hatte der Liebe zum Sieg verholfen.