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Jordan von Sachsen

Wie ein Sturmwind, der nicht lange bleibt und darum seine Kraft in Heftigkeit zusammenfaßt, kam dieser Mann über Padua.

Noch jung, hager, eckig, mit starken Zähnen schien er willens, alles, was widerstehen wollte, wie ein Wolf niederzureißen. Jeder Muskel in seinem Gesicht zeigte Anspannung, dabei sahen die grauen Sachsenaugen das, wohin er die Menschen führen wollte, den Himmel, niemals an, auch die Häuser an der Straße und die Vorübergehenden nicht, nur den, mit dem er sprach und rang, den Kopf vorgebeugt und zugewandt, sodaß er seinem Begleiter, der neben ihm ging, fast von vorn ins Gesicht sah. Keinen, den er in der Gewalt seiner Augen, in der Zange seiner Worte eingefangen hatte, ließ er eher los, als bis er ihn auf dem zu gehenden unsichtbaren Weg so weit gebracht hatte, wie er sich für diesen Tag vorgenommen. Gern zwang er den andern zu fragen und gab dann eine Antwort, die wiederum eine, oft den Schüler selber schmerzende Frage notwendig machte. Dabei wurde der Meister nicht heiß, sondern blieb voll Ruhe, ein Mann aus dem kühlen Norden.

Verwunderlich begann er manchmal mitten im Kampf der Überredung ein derbes Lachen und blieb dabei stehen. Er hatte zwei Menschen in sich: einen von höchster Geistesbildung, von göttlichem Auftrag erfüllt, zum Ordenshochmeister über zehntausend Brüder erwählt, und den Bauernsohn, der in dem Hochmeister unzerstörbar stecken geblieben war und auch Augen behalten hatte für das, was an den Menschen, aber auch an ihm selbst lustig zu beobachten war. Diese Zweiheit gab seiner Natur einen gesunden Ausgleich, der ihn vor allzuferner Entrückung in seine Gedankenwelt bewahrte. Mancher Schüler wurde ihm gerade durch diese Menschlichkeit gewonnen.

Nach 21 Jahren besaß der Orden der Predigerbrüder über 300 Klöster von Schottland an über alle Länder bis nach Afrika und Asien. In der Nachfolge der zarten Lehre des Franz von Assisi wanderten die Mönche barfüßig in harten Sandalen, nur von Almosen lebend, von Kloster zu Kloster. Als Jünger aber des welterfahrenen Dominikus aus Kastilien gründeten sie ihre Niederlassungen nur in Städten, denn sie wollten Gott nicht mit einsamem Gebet in entlegenen Tälern dienen, sondern an die Menschen herangehen und nicht nur an die Armen und im Geist Einfältigen, sondern auch an die Studierenden, Schriftkundigen und Gelehrten, durch Unterweisung auf Hochschulen, durch Predigt und Seelsorge. Salus animarum per prädicationem, Heil der Seelen durch Predigt – ist ihr Wahlspruch, darum hießen sie auch die Predigerbrüder. Bei den Franziskanern predigten Laien, bei den Dominikanern geweihte Priester, aber ebenso freiwillig arm wie jene.

Nichts hatte so sehr die innere Notwendigkeit der beiden Orden einer edlen Armut bewiesen wie ihre schnelle Ausdehnung. Bettelmönche nannte sie das Volk, aber in dem Namen war kein Schimpf, sondern nur Zuneigung ausgedrückt.

Neben dem Machtglanz der Hohenstaufen, dem Märchenrausch der Kreuzzüge, verlangte die Ahnung der Zeit umsomehr nach einer Rückführung des christlichen Glaubens auf seine einfache Wurzel und, ohne Widerspruch dazu, nach einer Stärkung seines Gedankenbaus durch die griechische Weltlehre.

Jordan von Sachsen, Hochmeister der Dominikaner, kaum in Padua angelangt, ließ sogleich eine Anzahl weißer Kutten und schwarzer Überhänge herstellen, für die Studenten, die in den Orden eintreten würden. Er wurde gewarnt, sich nicht zu viel zu erhoffen, da das hier bestehende Kloster die Anziehungskraft des Ordens bereits gesättigt hätte. Ich habe mich darin noch nie getäuscht, sagte er mit seinem Bauernlachen und wirklich blieb ihm keine Kutte zurück. Am heftigsten suchte ein Arzt in Verticelli die Jugend vor diesem Menschenfänger, wie er ihn nannte, zu behüten, aber gerade er wurde einer der ersten, die in den Orden eintraten.

Albert war täglich unter der dichten Menge, die sich zu Jordans Predigten und Unterweisungen in die Kirchen und Säle drängte. Er saß, an Knieen und Schultern von beiden Seiten eingeengt, stets dicht vor Kanzel oder Katheder, der Worthungrigste aller Hörer. Und nun bekam seine Seele die eigenen undeutlichen Gedanken, ja die eigenen noch ungewissen Worte als himmlische Speise zugeworfen.

Jordan rief: Gott hat die Erde geschaffen, sah an alles und siehe, es war sehr gut! Also hat er die Erde sich zur Freude gemacht und war zufrieden damit. Und wir wollen unzufrieden sein? Undankbar? Wir wollen die Erde und unser Leben darauf mißachten? Wir wenden uns von seinem Geschenk ab und ungestüm der oberen Welt zu, wo er selber wohnt?

Warum denn wohl hat Gott die Welt geschaffen? Uns zum Ärgernis, zur Qual, zur Befriedigung niederer Lüste? Was sollte das für einen Sinn haben? Nein! Uns zum würdigen Aufenthalt, zur Bejahung des Lebens auf ihr, nichts kann so gewiß sein, mag es uns auch oft schwer und qualvoll werden. Das Schwere und Qualvolle hat Gott offenbar mitgeschaffen, also muß dem ein Sinn zugrunde liegen.

Wir müssen Schmerz und Leid auf uns nehmen, ebenso willig wie Freude und Glück, ohne unnütze Klagen.

Das wäre schließlich nur eine Klugheits- und Gesundheitsregel. Aber die dem Menschen gestellte Aufgabe ist weit größer, erhabener: er ist auf einem Wege, alles Geschaffene ist auf einem Wege und wandelt sich, Tiere, Pflanzen, Berge, Meere, selbst die Sterne und sogar der Gipfel der Schöpfung: der Mensch. Wohin führt sein Weg? Wohin könnte er anders führen als zu Gott? Nun haben Leid und Schmerz ihren Sinn; sie sind Stufen, die wir ersteigen und unter uns lassen müssen, damit wir, von irdischem Gewicht erleichtert, unbeschwerter bergan können. Jetzt erkennen wir: alles Leid ist gut.

Viele von euch haben die neuen Kathedralen gotischer Art gesehen. Noch nicht hier, aber in Deutschland und Frankreich stehen sie schon zahlreich. Mit Säulen, Fialen, Türmen, hohen zugespitzten Fenstern streben sie in einer einzigen machtvollen Bewegung, die selbst, o Wunder, den Stein ergriffen hat, nach oben, während sie zugleich fest, breit, weltgenügsam auf der Erde wurzeln wie blühende Gottesbäume. Diese Bauten – welche [Zeichen] könnten sichtbarer sein dafür, was in den Seelen der Menschen dieser Zeit auferstanden ist, in uns, in jedem von euch, in dir da, in dir dort und hinten in dir, erkennt es!

Es gibt ein Wort des Kirchenvaters Augustinus: Alles Sein ist auf das höchste Gut gerichtet, auf Gott, ihm will ich aus brennendem Herzen das Lied der Stufen singen! An dieses Wort erinnere ich euch, es sind die Stufen der Schmerzen und der Not. Wer auf dem Wege schwach wird, bedarf der Hand eines Starken. Die Starken sind aufgerufen: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Dieses alte einfache Wort kann die Welt umstürzen und erneuern, es ist das Wort, das den Menschen über das Tier erhebt. Aber so hoch ist das Wort und so schwer seine Erfüllung, daß es immer nur ein Ziel sein kann, nur sehr wenige kommen dem Ziel etwas nahe. Umsomehr müssen wir uns darum mühen und dieses Leben der Mühe heißt dann: schon auf dieser Erde mit Gott leben.

Die letzte Erfüllung aber kann das Wort erst im Jenseits finden und das heißt dann: die Nachbarschaft Gottes erreicht haben.

Meine Lieben, ihr seht: die Welt ist nicht fertig, so wollte Gott sie nicht, er arbeitet weiter an ihr, er ringt mit ihr voll Leidenschaft, wir müssen ihm helfen, dann erst sind wir seine Kinder, das ist unsere Aufgabe auf dieser Erde. Unser Opfer, unsere Liebe haben ihren Lohn in sich selbst, sie allein sind das Erdenglück, wonach wir alle so unablässig suchen.

Scheint es euch zu gering? Versucht es, erst im Kleinen, und ihr werdet finden, wie groß es ist und wie die Menschen strahlen, die es sich errungen haben. Und es ist doch nur die Schwelle zu der Seligkeit des Jenseits, von der ich nicht reden kann, weil niemals irdische Worte auszureichen vermögen, sie zu beschreiben, nicht einmal irdische Gedanken, sie zu denken.

Also ist es und bleibt es: durch Überwindung aller Not zu Gott empor, das ist der Sinn der Welt, anders geht kein Weg. Aber versucht es und glaubt, schon der Weg macht freudig, denn an seinem Ende wartet das Licht.

Der Hochmeister, während er sprach, sah unter den Studenten in der ersten Reihe immer den einen älteren, der mit vergrübeltem Gesicht, wuchtiger Stirn, innere Glut in den Augen, den Kopf hoch zu ihm aufgehoben hielt. Auch bei den nächsten Gelegenheiten sah er ihn, immer mit dem gleichen selbstvergessenen Eifer. Nur an den Abendgängen, die Jordan mit seinen Schülern vor die Stadt machte, nahm er nicht teil. Doch war an dem zusehends abmagernden Gesicht zu erkennen, daß dieser Zuhörer der tiefst aufgewühlte von allen war.

Jordan senkte seine Augen öfter in die Augen dieses einen, während er predigte oder vom Katheder sprach, er befragte die Gefährten nach ihm und eines Abends kam er mit raschem Schritt und lud ihn zu einem Weg vor die Stadt mit ihm allein ein.

Es gab vor diesem befehlerischen Wunsch keine Weigerung. Doch spürte Jordan bald, daß er bei diesem Begleiter nicht auf Fragen warten durfte, sondern selbst fragen mußte, um in die Seele des hartnäckigen Stummen einzudringen, der einige Jahre älter war als er selbst. Doch: war er seiner Jahre wegen auch nicht so leicht umzubilden wie die jungen Hörer, so lohnte sich die Mühe umso gewisser, des Meisters geübter Blick erkannte es.

Albert fühlte den fremden Willen über sich und wehrte sich durch störrisches Schweigen. Wonach er verlangte, das hörte er ja bei den Predigten und Unterweisungen, er mußte in der Stille der Nächte allein damit ringen.

Aber des Meisters Wille war stärker. Als Albert an einem Abend ausblieb, kam Jordan ohne Umstände auf sein Zimmer herauf und holte ihn zu des Ohms Verdruß zum Abendgang vor die Stadt. Des Meisters Kunst, Menschen zu lenken, ließ ihn von nun an jeden Zwang, ja jede erkennbare Absicht, diesen Schüler zu gewinnen, vermeiden.

Er erzählte statt dessen wie ein junger Schwärmer von seiner geistigen Freundschaft mit einer seltenen Frau, Piana von Andalò, Priorin des Ordens-Klosters in Bologna. Er las Briefe von ihr vor und auch seine Antworten darauf. Es gab hier dieselben Fragen, die Albert in den Nächten sich stellte – nun hörte er die Antwort in Briefen, die Jordan auf seinen Wanderungen geschrieben hatte und die von einer überraschenden Zartheit erfüllt waren. Es schienen die Briefe dieser Frau von Albert selber geschrieben zu sein und er selber ihr zu antworten, so verwandt fühlte er sich beiden, der Frau und dem Manne.

Als er eines Morgens dazu kam, wie Jordan, Herr über zehntausend Mönche und Nonnen, die hochgelehrt und unter dem Gelübde völliger Besitzlosigkeit der selbstlosen Menschenliebe lebten, seine kostbare Bibel verpfändete, um Schulden zu bezahlen von Studenten, die in den Orden eintreten wollten – da ergriff ihn diese Menschlichkeit, nun kannte er keine Zurückhaltung mehr. Er trat heran und sagte: Meister, ich würde zum Eintritt ebenso bereit sein, wenn ich nicht Furcht hätte, ob ich wohl, Jahr um Jahr, das ganze Leben in der strengen Ordnung des Ordens aushalten werde?

Du wirst, sagte Jordan, gerade du.

Ich habe in meinem bisherigen Leben oft Wankelmut gezeigt.

Ich sage dir: du wirst bei uns deine Erlösung finden, gerade du.

Er gab diesem vierzigjährigen Schüler die Hand und hielt sie so lange, daß Albert sich von der Hand der Vorsehung selbst herangezogen fühlte. Er erschauerte, sein Gesicht erglühte – dennoch wollte er eine Nacht mit sich kämpfen, er wußte, daß es unter Stöhnen und Schweißausbrüchen geschehen würde. Als er sich zum Fortgehen wandte, fanden die Füße nicht sofort ihren Platz am Boden.

Dir werden kräftige Sohlen mit Riemen, wie wir sie tragen, gut tun, rief der Hochmeister ihm nach, darin wirst du fest auf der Erde stehen.

Da Albert solche Kraftschuhe noch nicht besaß, blieb sein Gang zum Haus des Ohms der Gang eines Traumwandlers. An einer Straßenecke hörte er Gesang von Kindern und sah darnach aus.

Aber der Gesang war in ihm.


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