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Bruder Johannes, den vor vielen Jahren Albert von Regensburg nach Köln zurückgesandt hatte, war hier geblieben, in der Obhut der Mitbrüder, wie ihm Albert vorher gesagt hatte: sie hatten die allzu zarte Empfindsamkeit seiner Seele erkannt, die auf der Erde nur halb zu Hause war, halb schon im Jenseits, dank eines leidenschaftlichen Vorgefühls, mit dem Gott ihn mehr als andere begabt hatte. Er war, um doch in seiner Art wenigstens tätig zu sein, in die Bücherei gesetzt, wo er seine Inbrunst in wertvolle Abschriften eingoß.
In Erholungsstunden saß er im Garten unter den Bäumen, die einst Albert gepflanzt hatte. Hier fühlte er sich dem Meister nahe, der sein Schicksal nach anfänglicher Bitterkeit doch so glücklich geleitet hatte. Wer war dieser Mensch, von Gott ihm wie so vielen andern gesandt?
Durch Plage der Berge, durch Unbill der Jahreszeiten, Woche auf Woche, unbelohnt, schreitet dieser Mann dahin, in Jahren wo andere den Tod ersehnen, keine Ferne des Ziels hält ihn zurück.
Prior Sintram, neben Johannes sitzend, wollte im Ausdruck der Liebe sich nicht übertreffen lassen, es war sein Albertus: Nach Mecklemburg, Bayern, ins Elsaß, nach Holland, zu Klöstern, Städten, Burgen ruft man den Meister, fast überall ist ihm der Erfolg treu, obwohl er ja nicht nur das Recht zu finden hat, er muß auch den Unterliegenden zur Anerkennung bringen. Aber schon haben die Streitenden und oft ganz ineinander Verbissenen ein solches Vertrauen in ihn gewonnen, daß sie sich vor der Darlegung ihrer Rechtsgründe meist von vornherein seinem Urteil durch Eid unterwerfen.
Ja, sagte Johannes leise, was gibt dem Mann diese Macht? Seine Unbestechlichkeit, sein scharfer Blick, der nicht nur durch die Menschen, sondern auch durch die Urkunden, Verträge, Briefe dringt, sein Wille zum großen Recht, das allein den Menschen über das Tier erhebt, die Kraft des Wortes, der Adel der freiwilligen Armut? Das Volk will übernatürliche Kräfte in ihm wittern, aber die ausstrahlende Bläue dieser Augen, dahinter ist doch eine andere Kraft verborgen als jene, mit der die Rutengänger Metalle unter der Erdhaut entdecken, nur von Gott unmittelbar kann diese Kraft kommen.
Ja, sagte Sintram, ich habe es mehr als einmal gesehen, dem Bruder Albert werden die Urteile nicht leicht, oft ist seine Stirn schweißbedeckt, er schließt die Augen, weil ihm wie vor einem Abgrund schwindelt, seine Hände zittern. Wenn er seine Erkenntnis ausgesprochen hat, sinkt er erschöpft in seinen Stuhl. Ja, gottbegnadet ist dieser Mann, gottverwandt ist diese zugleich kindlich reine und männliche Freude, wenn er einem Armen gegen einen Begüterten, einem Unterdrückten gegen einen Gewalttätigen, einem Sanften gegen einen Tobsüchtigen Recht zusprechen kann. Der Glaube an diesen Mann mehrt im Volke das Vertrauen auf Gott selbst. Dieses Vertrauen ist eine stille holde Macht, dennoch wie weit überlegen jeder Waffengewalt.
Die Mönche saßen noch lange schweigend, das Bild Alberts beglückt in sich.
Es kam der Tag, wo die Kraft Alberts zu einer Entscheidung aufgerufen wurde von den Mächtigsten des Reiches. Ich bringe neue Kunde, sagte eines Abends im Garten Prior Sintram zu Johannes: in Lyon versammeln sich die höchsten aller Länder zu einem Konzil, von Papst Gregor selbst einberufen. Eingeladen sind auch die sieben deutschen Kurfürsten, eingeladen auch Meister Albertus. Beraten werden kirchliche Fragen, aber es wird auch etwas zur Sprache kommen, von dem selbst der Papst noch nichts weiß, so wenig wie Albertus.
Vertraue mir kein Geheimnis an, sagte Johannes erschreckt.
Ich weiß, wem ich es anvertraue, es handelt sich ja nur um unsern Albertus. Hör: kein Lebender hat die Rückwandlung von Macht zu Recht, was beides sich unter der innern Zwietracht in Deutschland so sehr verwirrt hat, so erschüttert in der eigenen Brust durchgekämpft wie Erzbischof Engelbert, nicht nur in jener Stunde auf der Burg Nideggen, da Bruder Albert zu ihm eintrat, sondern auch in der Nachwirkung der Jahre hinterher, in denen unsere Stadt und unser Land aufblühten in der wiedergewonnenen Eintracht. Aus dieser erlebten Erfahrung heraus, brachte Engelbert, um Deutschland zu retten, zunächst einmal Einmütigkeit unter den vielen Kurfürsten zustande. Nicht länger wollte er den Papst, der dem, den die Kurfürsten wählen, die Kaiserkrone aufsetzen muß, auf diese Einmütigkeit warten lassen. Du weißt von all diesem Irdischen zu wenig, du weißt wohl nicht einmal, daß die Sieben sich in drei Gruppen gespalten hatten, jede hatte einen anderen Mann für die Krone ausersehen. Endlich ist es Engelbert gelungen, sie auf den zu vereinen, den er selbst im vorigen Jahr in Aachen zum König geweiht hat: auf den Grafen Rudolf von Habsburg, aus alemannischem Geschlecht. Nun, auf dem Konzil soll auch Papst Gregor seine Zustimmung aussprechen.
Es kommt doch alles, wie Gott es will, sagte Johannes verträumt.
So leicht macht Gott es uns Menschen nicht, sagte Sintram, es ist sicher, daß Gregor sich der Wahl eines anderen der Drei zuneigt, der so große Macht hinter sich hat, daß man von ihm am ehesten hoffen darf, er werde die Eintracht unter den ewig hadernden Sieben auch erhalten.
Und hat Rudolf nicht diese Macht?
Rudolf ist unbekannt, aus einem Geschlecht ohne Macht, ohne Reichtum. Muß nicht der Verdacht entstehen, daß die Sieben gerade darum auf diesen Mann verfallen sind, weil sie einen schwachen Herrn nicht zu fürchten brauchen? Ja, auf diesen Gedanken muß wohl jeder, auch der Papst kommen. Es ist aber in Wirklichkeit die Redlichkeit des Mannes, die ja unserer Seit ganz abhanden gekommen ist und die doch allein uns alle retten kann: sie und nichts als sie hat die Wahl des Kurfürsten bestimmt.
Das ist ja schon beinahe ein Wunder.
Ja, und gerade darum muß ein Fürsprech den Papst überzeugen, dieser Fürsprech kann nur Bruder Albertus sein, er hat die Wortgewalt, ihm vertraut der Papst.
Albertus ist doch zu alt, wie soll er nach Lyon kommen? Auch spricht er ja nicht mehr öffentlich.
Mag er einundachtzig sein, er muß nach Lyon, er muß sprechen, er hat das deutsche Schicksal in der Hand.
Johannes hatte den Kopf an den Baumstamm gelehnt, und sah entrückt in den Wipfel hinauf: Alles geschieht wie Gott will!
Ja, aber Gott hat viel zu tun, es sind der Völker viele! Albert hat diese besondere Freundschaft mit Unserer lieben Frau Maria, viele sagen, daher kommt seine Kraft.
Begleiten wir ihn mit unserem Gebet, beginnen wir schon in dieser Stunde damit!
Johannes ging in seine Zelle, um zu knieen und für Albert zu beten. Auch das Gebet des Geringsten dringt zu Gott und er ist ja von Regensburg gewohnt mit Gott inniger zu sprechen als vielleicht irgend ein anderer im Orden – es wurde ihm eine Sünde daraus gemacht, nun will er sich dieser Sünde noch einmal hingeben.
Albertus stand in der Frühe des nächsten Tages in seiner Zelle vor den Apparaturen rätselhafter Art, die er sich selbst gefertigt hatte, nicht um wie die Alchimisten Gold zu finden, sondern um hinter Rätsel der Natur zu kommen, von denen er nicht einmal zu Gottfried sprach. Das Urgeheimnis der Schöpfung schwebte über dem Raum, wenn er in diese Beschäftigung versenkt war – auch fern vom Hochgebirge, fern vom Meer mit Ebbe und Flut.
In wievielen Zellen dieses Kölner Klosters saßen gelehrte Mönche über Exegesen und Kommentaren, aber nur an der Zelle des Bruder Albertus gingen die Novizen mit leisem Schritt vorbei. Und doch hätten sie gerade ihn am wenigsten gestört, denn vor seinen Kesseln, Röhren, Retorten, in denen es siedete, zischte, wallte, schäumte, hörte er die Geräusche der Außenwelt gar nicht, so viel lauter sie waren. Er hörte es nicht, wenn Gottfried ihn ansprach, er nahm es nicht einmal wahr, wenn Gottfried kam oder ging, er sprach mit dem Abwesenden und merkte gar nicht, daß er keine Antwort erhielt. Über Flammen in allen Farben beugte er den Kopf, keine Entdeckungen gelangen ihm, aber er ahnte, welche Wunder für künftige Jahrhunderte aufbewahrt waren. Er selbst konnte nur an Geheimnisse rühren, voll Ehrfurcht vor noch verborgenen Tiefen der Natur.
Gottfried mußte ihm zweimal Meldung machen von einem Schreiben des Erzbischofs Engelbert, er hielt es hoch in der Hand, um auf Alberts Augen zu wirken, da sich die Ohren ihm versagten. Der Meister kehrte nur langsam aus seiner Fernwelt in die Wirklichkeit zurück. Er nahm den Brief und setzte sich in den Faltstuhl, der jetzt in seinem Alter denn doch an Stelle des Schemels dastand, und las. Der Brief war im Namen der vielen Kurfürsten insgesamt verfaßt.
Albert sann eine Weile, ließ sich den Brief noch einmal laut vorlesen, sah seinen jungen Bruder erstaunt an, als reichten die Dinge des Tages jetzt erst in sein Bewußtsein hinein.
Als aber die Stimme Gottfrieds verhallt war, wischte Albert die Erinnerung an seine Apparate mit der Hand von der Stirn und sagte, ohne lange zu bedenken: Lyon? Das wird eine weite Reise!
Wollt Ihr denn hin, Meister? Nach Lyon?
Wollt Ihr hin? wiederholte Albert. Wie sollte ich denn nicht hinwollen? Das ist der heiligste Auftrag, zu dem ich je gerufen wurde: ich muß ringen mit dem höchsten der Christenheit, dem Vater in Rom selbst, so sehr er mir auch freund ist! Darum hat mich Gott solange geprüft und geschult. O, mein Bruder, schön ist es jung zu sein wie du und das Leben noch vor sich zu haben, schön ein Mann in vollem Tun, aber auch schön im Alter noch Wert zu haben. Lyon? Eine weite Reise! Einundachtzig Jahre? Nun spüre ich wahrlich die Last wachsen wie Christophorus. Hoffentlich hast du, Gottfried, nicht zu viel Mühe mit mir Altem unterwegs!
Er ging mit dem Brief zum Prior Sintram, der wußte schon, daß ein solcher Brief kommen werde. Wie ist Albert doch den Geschehnissen des Alltags entrückt, daß alle eher davon wissen als er, auf den es zuletzt doch ankommt. Nun komme ich auf meine alten Tage noch nach Lyon, sagte er.
Der Prior verbarg seine Freude: Du kannst diese weite Reise nicht zu Fuß machen, Bruder Albertus, wir werden für einen Wagen sorgen.
Ein Wagen, das würde mich beschämen, dafür komme ich mir noch zu rüstig vor. Spotte nicht, wenn ich dich um ein Reitpferd bitte.
Verstehst du denn das Reiten noch?
Gut gelernt vergißt sich nie! Ich saß in meiner Jugend täglich zu Pferd, auf wilden Jagden, – was denkst du denn, Prior? Jetzt bitte ich dich allerdings um ein ruhiges Tier, auch für Gottfried wirst du eins übrig haben. Wo ist Ägid? Gottfried ist ein treuer Fürsorger zu Hause, aber auf Reisen hat er nicht die Gewandtheit wie Ägid. Kannst du den nicht kommen lassen und auch ihm ein Pferd zuweisen? Wir werden gemächlich zu dreien daher reiten, es wird keinen Galopp, nicht einmal einen Trab geben.
Wenige Tage darnach traf Ägid aus den Äckern ein. Kein Jüngling mehr, wie sehr ist er gealtert, das Haar an den Schläfen auch schon grau! Aber über der Stirn leuchtet noch das goldene Gelock, der Blick aus den Augen ist noch flink wie einst, die Stimme zwar rauher, der Schritt schwerer. Nur durfte er sich nicht so viel in des Meisters Zelle aufhalten, wie er es von früher gewohnt war. Denn da war jetzt ein anderer und bei diesem andern, Gottfried, regte sich, wer hätte daran gedacht, aus der Liebe zu seinem Meister eine täglich wachsende Eifersucht, sie machte ihn schroff und aufbrausend.