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Tag des Triumphs

Der Sonntag wurde für die Predigt bestimmt. Der Hof, über den am entscheidenden Morgen Albert schritt, brannte in Sonne. Albert ging allein, ernst, gesammelt, kein anderer Gedanke sollte ihm ankommen, als der an die Predigt. Doch stieg, in der eng gefüllten Kirche, schon vor ihm jener andere Bruder, Hugo von Saint Cher, auf die Kanzel, mit dem er um die Würde des höchsten Amtes zu wetteifern hatte. Den Kampf gewinnen kann nur der, bei dem Gott ist, dachte Albert. Und die Gottesmutter! lächelte er.

Sein Gegner, wie er ihn nennen mußte, begann. Seine Rede erglänzte vom ersten Wort an in Vollendung der Form, ein gut gelungenes Kunstwerk. Sie wendete sich klug an die Meister des Worts, die aus allen Richtungen des Abendlandes gekommen waren und unter der Masse der Zuhörer saßen. Es war die Rede eines Gelehrten an Gelehrte, Albert mußte die Führung der Gedanken, die voller Steigerung in einem unausbleiblichen Beschluß gipfelten, bewundern.

Als er selber auf der Kanzel stand, hinderte es ihn anfänglich, daß er für eine Wahl erst kämpfen mußte, die nur Gnade entscheiden konnte, Lohn und Sporn für ein Leben, nicht für eine einzige arme Stunde. Aber kaum daß er sprach, hatte er Paris und Wahl, sogar die auserlesene Zuhörerschaft vergessen. Er war nicht klug, eher überkam ihn Trotz, er sprach nicht als Gelehrter zu Gelehrten, sondern als Mensch zu Menschen von allem, was ihm die Seele füllte zum Bersten. Er konnte von gar nichts anderem sprechen, es gab keine Überlegung.

Mit Inbrunst versenkte er sich in den Brunnquell jenes Wortes, das ihm der Ursprung aller Gedanken geworden war: »Und Gott sah an, was er geschaffen hatte, und siehe, es war sehr gut.«

Also hat Gott die Erde, die wir die unsere nennen, die aber die seine ist, sich zur Freude geschaffen, darum zur Freude auch uns, Freude aber heißt nicht Genuß, sondern Mitarbeit. Denn die Erde ist, wir sehen es ja, nichts Fertiges, nichts Bleibendes, sondern ein Beginn, sie ist in einer ewigen Bewegung zur Höhe. Und nun will ich auch sagen, was mir für ein Gedanke gekommen ist, vor einiger Zeit, nie sprach ich noch davon. Wir nennen Gott unsern Vater und sehen ihn unwillkürlich als den allwissenden geklärten älteren oder gar alten Mann vor uns. Aber Gott ist jung! Voll feuriger Kraft, wie könnte er alt sein, wie jemals altern? In ewiger Jugend gestaltet er an unserer Erde, daß sie werde, was er vor sich sah, wie ein Künstler, der täglich an sein Werk geht. In gemeinsamer Arbeit müssen wir das Unsere dazu tun, mit ihm um Vollendung ringen, wir sind voll Dank und Eifer, wir spüren es in uns, ob wir auf dem rechten Weg sind, unser Gewissen ist Gottes Stimme. Auf dem Weg der Mühsal ist in uns das Wort »gut« geboren. Gutsein, das wird von uns gefordert, das ist keine leichte Aufgabe, denn da alles von Gott kommt und nichts sein kann, was nicht von ihm käme, so kommt auch das Böse von ihm, das dem Guten entgegensteht.

Auch das Böse ist gut, in uns und außer uns, denn es fordert zum Kampf. In diesem immerwährenden Kampf, wie viel näher kommen wir darin Gott als im Wunschgebet für uns selbst.

Nach dem Wort »gut« ist uns geschehen die Geburt des Wortes »Liebe«, ein größerer als wir hat dieses Wort aus einer höheren Welt zu uns Menschen hernieder gebracht: Jesus. Er hat die Urgewalt dieses Wortes dargetan am Kreuze. Durch Liebe des einen Menschen zum andern in ihren Stufen »tätig« und »selbstlos«, schaffen wir mit dem jungen Gott allmählich die Endgestalt der Erde, die wir nicht einmal erahnen, in abwägender Besessenheit, in nüchterner Trunkenheit – anders halten wir den Weg nicht ein.

Selbstlos? Das ist eine Forderung, nie ganz zu erfüllen, denn die Menschennatur steht ihr entgegen. Der Menschennatur ist Eigensucht zugeteilt, ohne Eigensucht könnte kein Leben bestehen. Und doch dürfen wir von jener Forderung nicht ablassen. Selbstlos – ein Ziel, aufgestellt für alle, erreichbar für wenige, ihm nahe kommen: möglich für viele.

Und so wahr, gut, schön, dem Himmel bereits ähnlich, diese Erde einmal sein wird, wenn unsere Enkel bis in die fernste Zukunft nicht müde werden zu ringen mit sich selbst, so wird sie doch immer nur die Schwelle bleiben zu jener anderen Welt, in der Gott wohnt, von der wir nichts wissen, an die wir nur glauben können. Und wieviel mehr als Wissen ist Glaube! Wissen macht stolz und träge, der Glaube spendet unendliche Kräfte des Verlangens. Doch auch kein Glaube ohne vorausgegangene Mühsal! Aber wie köstlich wird diese Mühsal, die vor Gottes Stuhl den Armen zum Reichen, den Unbelesenen zum Weisen, den Knecht zum Herrn, den Schwachen zum Starken, den Verspotteten zum Verklärten, den Ausgestoßenen zum Gekrönten macht: durch die Himmelsgewalt jenes einen Jesuswortes, das Wort, das ich jetzt noch einmal wieder als das höchste über euch alle hinrufe und das in diesem selben Augenblick eure Seelen wie einen Garten aufblühen macht, das Wort: Liebe.

Leise hatte erst Alberts Stimme über diese Hörer hingesprochen, von denen die meisten nicht durch äußere Gewalt zu überzeugen waren. Als aber die Kraft aus seiner inneren Überfülle hervorbrach und durch den Raum hallte, war die Wirkung umso tiefer. Der erschütterte Mann oben mit der wuchtigen Wölbung der Stirn, auf der sich der Kerzenschein spiegelte, konnte zwar die Gegner unter seinen Zuhörern auch so nicht von dem abbringen, was sie in sich selbst gefunden und als Wahrheit hoch hielten, aber er hatte doch seine Art und seinen Wert erwiesen, auf welcher Kampfesseite er auch stand.

Als die Hohen des Ordens in der Sakristei versammelt waren, die Türen gut verschlossen und mit Wächtern gesichert, sprachen alle ohne Ausnahme die Überzeugung aus, daß Alberts Persönlichkeit den Sieg errungen habe, jeder hatte diesen einfachen und offensichtlich gottbegnadeten Mann lieb gewonnen, so würde ihn jedermann im Orden und außer dem Orden, in welchem Lande immer, lieb gewinnen und diese Macht über die Seelen war ja das Entscheidende.

Aber Albert hatte selbst gesagt, welche Mühsal das Wort Liebe in sich schloß, wenn es galt, das Wort nicht nur auszusprechen, sondern lebendig zu machen. Was sollten sie tun? Sie waren Männer des Ordens, das hieß Männer fühlenden Herzens und gerechter Denkart, doch war ihnen das Wohl des Ordens anvertraut. Ein großes Ordensland mit dem Hauptsitz der Leitung verlangte heftig nach Berücksichtigung und stellte einen Mann zur Verfügung, der auch ein bewundernswürdiger Prediger war und für manche äußerlichen Pflichten des höchsten Amtes wahrscheinlich geeigneter.

Man konnte ihn wählen und Albert bei nächster Gelegenheit. So war dem Orden gedient, aber einem einzelnen, liebenswerten und wichtigen Mann Unrecht getan. Vernunft und Gewissen widersprachen sich. Manchem der hohen Männer in den weißen Kutten und bloßen Füßen war das Herz schwer, manchem drang der Schweiß aus der Stirn. Sie vermochten zu keinem Entschluß zu kommen.

Da ließ sich der erste der beiden heutigen Prediger, Hugo von Saint Cher, melden und wurde gegen den Brauch vorgelassen.

Er wies den ihm hingestellten Stuhl ab und sagte stehend mit schnellem Atem, Ehrgeiz, Einsicht und Demut kämpften sichtbar in ihm, sein Gesicht war rot vor Erregung, doch hielt er die Stirn hoch: In Christo geliebte Brüder, ich komme nur zu wenigen Worten, ich möchte euch meinen Dank sagen, daß ihr mich der höchsten Ehre unseres Ordens für würdig gehalten, aber das allein würde es nicht rechtfertigen, daß ich in eure Sitzung eindringe. Ich komme vielmehr aus einem triftigen Grunde, ich habe wie ihr die Predigt dieses Bruders Albert von Köln gehört, ich kenne euer Urteil nicht und komme auch nicht, um es zu erfahren. Ich selber bin der Meinung, und höre es von allen Seiten, er hat den Ruhm, der ihm voranging, gerechtfertigt. Mein Gewissen untersagt mir, mich vor diesen Mann zu drängen. Ich trete von der Wahl zurück.

Nach einer Weile des Schweigens aller erhob sich der Vorsitzende der Versammlung: Unser in Christo geliebter Bruder Hugo, das, was du sagst, ehrt dich auf jeden Fall, wir haben deine Worte gehört und werden sie beherzigen. Doch sind wir noch keineswegs zu Ende mit unserm Urteil und unseren Überlegungen, beides ist schwierig, wie du dir denken kannst. Du wirst unseren Entscheid bald hören. Wie er auch ausfällt, wir sind gewiß, du wirst freudig gehorchen.

Er ging.

Der Entschluß war dennoch nicht leichter geworden, denn es handelte sich nicht nur um Hugo von Saint Cher, sondern um die mehrtausendköpfige Schar seiner Landsleute, die nach Recht verlangten und die man selbst, wenn man ihr Recht nicht anerkannte, doch in Ruhe und Willigkeit halten wollte, es war doch ein Gefühl des Herzens, das man gelten lassen mußte.

Nein, rief einer, unser Orden kann ein unberechtigtes Gefühl nicht länger gelten lassen und mag es aus dem Herzen kommen. Wir haben unserm Orden zu dienen und sonst niemand. Da kein Hochmeister lange die Last des Amtes aushält, wird in nicht zu ferner Zeit wieder eine Gelegenheit kommen. Diesmal sagt uns Gott: Ich habe Albert von Köln erwählt, ihr habt es aus dem Munde Bruder Hugos selbst gehört.

Macht ein Ende, laßt Albert kommen, rief ein anderer.

Ich werde nach ihm schicken, er soll unsere Schwierigkeiten hören und selbst entscheiden, sagte der Vorsitzende.

Albert kam, man bot auch ihm einen Stuhl an, er setzte sich. Die Lage wurde ihm in ganzer Offenheit erklärt, der ritterliche Verzicht Hugos von Saint Cher ihm mitgeteilt und nicht verschwiegen, daß die Entscheidung bei alledem auf Albert gefallen sei. Doch liegt die letzte Entscheidung bei dir selbst, sagte der Leiter der Sitzung, es ist in diesem merkwürdigen Fall umgekehrt wie sonst, nicht du sollst dem Orden, sondern der Orden wird dir gehorchen.

Albert senkte den Kopf, die Stirn von unwillkürlichem Stolz gerötet, und dachte lange nach. Dann sagte er klar und voll Ruhe: Es soll keine Nachahmung des Edelmutes Bruder Hugos sein, wenn auch ich bitte, ihr mögt mir dieses Amt und diese Ehre ebenfalls erlassen. Ich diene wie ihr dem Orden, sein Wohlergehen allein gilt es, das ist für alle eine Selbstverständlichkeit. Dazu gehört nach meiner Meinung nicht ausschließlich, daß man ein Recht hart durchsetzt, sondern manchmal auch, und in diesem Falle gewiß, daß man Gefühle des Herzens, wenn sie über den Buchstaben hinausgehen, doch berücksichtigen soll. Wenn so viele im Orden nicht wünschen, daß zweimal hintereinander ein Hochmeister aus der gleichen Nation genommen wird, während die große Nation, unter welcher der Orden seinen Hochsitz hat, leer ausgeht, so ist dieses Gefühl so gut wie ein Recht und ich bitte euch, in Christo geliebte Brüder, diesmal das Amt an Bruder Hugo zu geben, der dessen, das ist gewiß, durchaus würdig ist.

Hugo von Saint Cher wurde hereingebeten, diesmal setzte auch er sich, bereit zu längerer Beratung. Die Sachlage, wie sie sich nun darstellte, wurde ihm erklärt.

Ich danke dir Bruder Albert, sagte er, aber sieh: wenn ich das Amt jetzt annehme, dann ist es nach unserem Wettkampf so, als ob ich doch über dich gesiegt hätte, ich triumphiere und du stehst vor aller Welt als der Unterlegene da. Das aber geht gegen mein Gefühl, du hast dich unbedingt als den Kraftvolleren und Begnadeteren erwiesen, nie könnte ich mit einem solchen Gewissensvorwurf dieses Amt so rein und ruhevoll versehen, wie es erforderlich ist.

Die Lage, die durch die Kraft der Entsagung bei beiden Männern nun lösbar schien, wurde im Gegenteil immer verwickelter.

Alle schwiegen, einer zog die Vorhänge an den Fenstern zu, um die Sonne abzusperren und den heißen Stirnen Kühlung zu bringen.

Endlich war es Albert, der den Ausweg fand, es war, als zeige er dadurch, ein wie geschickter Hochmeister er geworden wäre. Er sprach klar und fest: Meines Wissens hattet ihr anfänglich auch noch an einen anderen Bruder für das Hochmeisteramt gedacht, den ich einmal in Köln habe predigen hören und als Menschen ehre, er wäre zwar auch ein zweiter aus einer gleichen Nation, aber doch nach Unterbrechung, und dazu ist diese Nation diejenige, der unser geliebter Gründer Dominikus entstammt und die also eine gewisse, wenn auch zufällige Bevorzugung verdient.

Du sprichst von Bruder Raimund von Penaforte, rief einer, vor Eifer aufspringend.

Ja, ich spreche von Bruder Raimund von Penaforte. Ich habe hier mit euch Hohen nicht zu beschließen, ich mache nur den Vorschlag.

Es wurde beschlossen, Bruder Raimund zu einer baldigen Predigt kommen zu lassen. Ohne Wettkampf wurde er mehrere Wochen später zum Hochmeister ernannt.

Albert blieb einen Tag lang in jener Entrückung, die den bisher Einsamen in der fremden Stadt unter der Fülle von Menschen befallen hatte. Es war schon viel, daß er in dieser Stadt vor solcher Zahl hervorragender Männer der höchsten Ehre für würdig gehalten worden. Der Ehre war genug geschehen, Gott hatte ihn also zu anderer, innerlicher Arbeit bestimmt. Und Marias Wort im Traum? Darüber wird er auf dem Heimwege nachdenken.

Jetzt, nach der Predigt, mühten sich alle doppelt, auch die Gegner, Albert ihre Zuneigung sichtbar zu machen. Man lud ihn in immer neue Klöster ein, ihre Zahl nahm kein Ende, man überreichte ihm Bücher zum Geschenk, selbstverfaßte oder fremde, man bat ihn um Beistand und Auskunft, man machte ihn zum Schiedsrichter in strittigen Fragen. Wäre er in Wirklichkeit Hochmeister geworden, er hätte nicht mehr umdrängt sein können.

In den folgenden Tagen besuchte er Klöster anderer Orden, bewunderte die Wohlhabenheit, ja den Prunk mancher, in allen war er von den Bücherschätzen überwältigt. Hier war alles Wissen und Denken des Abendlandes, seit Federn schrieben, zusammengetragen. Gern hätte er ein Jahr hier unter der Überzahl von Menschen und Büchern gelebt.

Er fand Freunde, mit denen er Jahrzehnte in Briefwechsel blieb. Er ging auch und ebenso gern zu seinen Gegnern, sie disputierten aber weniger, als daß sie zuerst gegenseitig den Menschen in dem Gelehrten zu erkennen suchten. Doch bei zweiten Besuchen flammte schon Streitlust in den Augen auf und Albert begriff, daß bei längerem Aufenthalt solche Zusammenkünfte nicht immer so friedlich bleiben würden. Aber was wäre willkommener gewesen als solcher Kampf?

An einem hellen Morgen, von demselben Novizen bis vors Tor geleitet, der ihn bei seiner Ankunft hineingeführt hatte, wanderte er aus Paris wieder hinaus, im Halbtraum, als wäre das alles nicht diese Welt.


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