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Ein König kommt in den Garten

An einem Vormittag meldete Gottfried Besuch.

Wer ist's? fragte Albert, aber Gottfried war schon wieder hinaus, in offensichtlicher Erregung.

Draußen öffneten sich alle Zellen, wie in einem aufgestörten Ameisenvolk liefen die Novizen durcheinander.

Albert hörte unter all den klappernden Holzsohlen einen Eisenschritt, er stand auf, in einer glücklichen Ahnung – schon wird die Tür geöffnet, Gottfried läßt einen Ritter ein, Kettenhemd, den Helm auf dem Arm, die Ahnung bestätigt sich: König Rudolf.

Da sah Albert wieder in dieses helle Gesicht, die Stirn eine Bastion, die vorspringende Nase ein Wehrturm, das Kinn ein Sturmbock, das ganze Antlitz hart und kühn, eine Festung, doch bereit zu einem Ausfall, die Augen voll Zuversicht, ein wahres Königsantlitz.

Rudolf lehnte den Faltstuhl ab, beide Männer setzten sich nebeneinander auf den Rand des Bettes. Fest hielt der König Alberts Hand in der seinen, während sie von den vielen gemeinsamen Tagen in Straßburg sprachen, da der einfache Graf von Habsburg den Pater Ulrich oft besuchte und ihm dabei auch der Meister Albertus ans Herz wuchs.

Wie Albert, drängte es damals auch den Grafen immer aus den Mauern ins offene Land, sie gingen zu dreien vors Tor und sprachen nicht von Gott, nicht von der Schöpfung, sondern von den Tieren, den Pferden, Hunden, Falken, aber auch von Fuchs, Wiesel, Hermelin, Hirsch, Reh, Hase, Luchs, Wolf, Bär. Einander belehrend, ahmten sie die Vogelstimmen nach, Albert erzählte vom Nordmeer und den vielen deutschen Landschaften, die er durchwandert hatte wie kein anderer, von ihrer Bildung, Witterung, Wirtschaftlichkeit, Anbau, Gewerbe, Gunst für zukünftige Besiedelung.

Ulrich, der sich lieber über die Auslegung von Bibelworten unterhalten hätte, freute sich dennoch selbstlos der Übereinstimmung zwischen den beiden neuen Freunden – wer von ihnen dreien aber hätte gedacht, daß Rudolf, der wenig begüterte, einmal vor die Möglichkeit gestellt würde, friedlicher Herr über dieses weite Gebiet zu werden.

Und doch mußte ein unbewußtes Vorgefühl in den beiden neuen Freunden wirksam gewesen sein. Jetzt, nachträglich, nahm Albert aus dieser Erinnerung Bestätigung für seinen Glauben, daß Gott mit diesem Mann sei, der da in solcher Schlichtheit neben ihm auf dem Bettrand saß und doch ein in Aachen gekrönter deutscher König, wenn auch noch nicht Kaiser war.

Zwischen den freundschaftlichen Erinnerungen betrachtete Rudolf mit Neugier die Apparate und Retorten, die an der Wand der Zelle aufgestellt waren. Ist er zu einem Wundertäter gekommen?

Nein, aus keiner Erwartung von Wundern, nur aus dem geliebten Gesicht des Meisters, aus dem Klang seiner Stimme, aus dem Stolz, daß dieser Mann sein Freund war, daraus nahm Rudolf sich Kraft für den schweren Tag in Lyon und darum ist er gekommen. Und wie früher stets, drängte es sie beide auch heute aus der Zelle ins Freie, wenn auch nur in den Klostergarten.

Albert zeigte dem Gast den Wein, den er entlang der nach Süden gerichteten Mauer gezogen, und die edlen Bäume, die er gepflanzt hatte, Trauben und Obst schimmerten in der ersten sommerlichen Färbung, aber die herbstliche Reifung war noch weit. Sie setzten sich auf die Bank unter den Bäumen, Alberts Lieblingssitz.

Bald drängte es Rudolf von seinen Sorgen zu sprechen, von dem großen Konzil, von den sieben Kurfürsten, von ihrer endlichen Einigung. Sie werden die ersten Tage in Lyon den kirchlichen Kämpfen überlassen, dann den Papst zu einer engeren Zusammenkunft einladen. Er wird gebeten werden, und es muß ja sein eigener Wunsch sein, in der deutschen Frage der Kaiserkrönung die so lang ersehnte Entscheidung nach dem gemeinsamen Vorschlag der Kurfürsten zu treffen. Sorge ist angebracht, denn der Papst ist falsch unterrichtet, mit vielen Listen und Ränken, er hat darum einen anderen Mann im Sinn. Ich werde wahrlich keinen mit mir spielen lassen – wirst du nach Lyon kommen, Vater Albertus?

Albert sah dem Frager lange ins Gesicht, er glaubte zu spüren, daß auch Gott mit Wohlgefallen sein Auge auf diesem Gesicht ruhen lasse: Ja, ich komme!

Dann wird es gelingen, sagte Rudolf mit einem freudigen Aufatmen.

In diesem Augenblick wurden von erzbischöflichen Reitknechten Pferde in den angrenzenden Klosterhof gebracht, Albert und Rudolf sahen es durch die offene Mauertür und gingen hinüber, Albert nicht ohne Scherz über seine eigene Vermessenheit, mit einundachtzig Jahren noch aufs Roß zu wollen.

Die Pferde waren ruhige ältere Tiere, doch immerhin stattlich anzusehen. Rudolf suchte für den Meister eins von den dreien aus, Ägid und Gottfried mochten sich später über die beiden andern selber einigen.

Von der Straße vor dem Kloster war Lärm von mehr Pferdehufen zu hören, Rudolf und Albert gingen hinaus, Albert war verjüngt durch den Besuch und auf ein weiteres Schauspiel neugierig. Auf edlen Rossen hielten zwölf Ritter, die mit einer Anzahl von Knechten den König begleiteten. Die Straße war in ein Hoflager verwandelt, immer mehr Leute sammelten sich und sahen dem Treiben zu. Der König und Albert traten aus dem Tor, Arm in Arm kamen sie heran. Rudolf dachte den Mönch zu führen, dem die Bedeutung der Stunde und der kommenden Tage den Schritt ein wenig unsicher machte, aber in Wirklichkeit war es dennoch Albert, der den kraftvollen Mann an seinem Arm in den Glanz der Zukunft führte.

Rudolf zeigte Albert sein Pferd, ließ es auf- und abtraben, ein nebenher laufender Knecht leitete es am Zügel. Albert vergaß sein Alter und kam sich wie in den jungen Jahren als Kenner vor.

Zwei Mönche trugen während dem die bemalte Holzfigur eines Apostels davon, zum Schmuck einer Kirche bestimmt. In aller Not der Zeit gehen eure Holzschnitzer unbeirrt ihrer Kunst nach, sagte Rudolf, wie stärkend wirkt diese Gläubigkeit an den Bestand der Welt!

Ja, sagte Albert, aber nun sollst du unsere Mönche auch bei anderer Arbeit sehen. Ich will dich irgendwohin führen, wohin man jeden König führen soll.

Er ging mit seinem Gast zu einem umfangreichen Gebäude hin: das Hospital, das zum Kloster gehörte. Sie traten ein und standen in einem großen Saal, in dem Bett an Bett gestellt war, nicht eines war leer, erlöschende oder fiebernde Augen sahen ihnen entgegen, zwischen den Betten gingen Mönche, junge und alte, zu Handreichungen aller Art.

Hier, König Rudolf, sagte Albert, siehst du menschliche Not, wie sie von jeher über unsere Welt verhängt war und noch in lange Zukunft verhängt bleiben wird. Aber du siehst auch viele, die nicht von Krankheit, sondern von der Wildheit der Gegenwart, Überfall, Raub, Gewalttätigkeit geschlagen sind.

Alle Augen der Bettlägerigen hingen an Albert, belebt, sie zehrten Zuversicht von seinem täglichen Besuch.

Ihr heilt Wunden, ich muß zunächst Wunden schlagen, um meinen Teil der Welt zu heilen, sagte Rudolf ernst. Das erste, was ich tue, erhalte ich in Lyon die Krone, wird Kampf sein, Kampf wie sengendes Feuer in Deutschland selbst, gegen jene Ritter, die zu Räubern geworden sind auf ihren Felsburgen!

Sie gingen durch die Reihen der Betten, sprachen mit Kranken und Verletzten, die nicht wußten, wer Alberts Begleiter war, bis der leitende Bruder es ausrief, seine Pfleglinge zu erfreuen und stolz zu machen in ihrem Elend.

König Rudolf, zum Zeichen, wusch einem Bettlägerigen sorgfältig die Geschwüre.

Albert zeigte ihm unter den pflegenden Mönchen Sider, mit dem er einst in wunderlicher Begegnung auf dem Turmgerüst, angesichts der fernher glänzenden Alpen, sich zusammenfand. Eifrig war er um einen gebrechlichen Alten bemüht, um den König kümmerte er sich garnicht. Er hatte nur das eine Besondere in seinem Wesen behalten, daß er sich nicht der Ordnung gemäß die Kranken zuteilen ließ, sondern er wählte sich seine Pfleglinge selbst, wie in Befolgung eines höheren himmlischen Anordners, dem er sich in alter Erinnerung nahe fühlte.

Wieder im Freien, nahmen König und Albert in langer Umarmung Abschied, die Zuschauer empfanden Rührung, ohne zu ahnen, daß dieser Abschied ein Anfang war, voll Bedeutung.

Im Hof, mit verwegenem Entschluß, ließ Albert sich in den Sattel heben. Er streichelte dem Pferd die Mähne, klopfte ihm den Hals, sprach mit ihm, es wieherte. Schon hat der Meister sich das Tier zum Freund gemacht, wie er alles sich zum Freund macht, dachten die zuschauenden Mönche.

Nun bot der Greis gewiß kein kühnes, doch auch kein anmutloses Bild, denn man merkte an der Art, wie er saß und die Zügel hielt, seine einstige Lust zu reiten. Er lenkte sein Pferd ohne Zagen nach allen Richtungen über den Hof, gewann mit jeder Wendung an Sicherheit.

Ägid und Gottfried wählten noch, Gottfried ließ den andern als Sachverständigen zuerst entscheiden, verlangte aber dann listig das von Ägid für sich auserlesene Tier. Ägid, gutmütig, ließ es ihm, schwang sich behend in den Sattel des dritten Gauls, ritt im Schnelltrab zum Meister hin, der Meister rief, man solle das große Tor öffnen, und zum Staunen aller ritten die beiden auf die Straße hinaus, man hörte die Hufe auf dem Weg zum Rhein hin verhallen.

Gottfried stand erst ratlos da, er zitterte vor Eifersucht. Dann, verwegener noch als der Meister, versuchte er in den Sattel zu kommen, vergeblich, jedesmal verfing er sich in die lange Kutte. Die Spötter kamen schadenfroh von allen Seiten heran, endlich nahm Gottfried die Kutte auf den Arm, erreichte den Sattel und brachte sein Pferd, indem er an dem Zügel riß, rief und mit Füßen trat, zum Gehen, aber es ging vor eine Mauer, stand da und wieherte, unter dem lauten Gelächter aller. Einige wandten es mit Mühe dem Tor zu. Da Gottfried nun, in sein Schicksal ergeben, den Zügel hängen ließ, schritt das Tier, sieh, ganz aus sich, den vorangegangenen Stallgefährten durch das offene Tor nach.

Am Tag des Aufbruchs gab es wieder eine Überraschung: vor dem Tor hielt ein Trupp von Rittern und Reitknechten, sie hatten Auftrag vom Erzbischof, den alten Meister nach Lyon zu geleiten.

Doch Albertus bat, ihn mit seinen zwei Brüdern allein reiten zu lassen, er habe nie eines Schutzes bedurft.

Die Ritter fügten sich: Wir werden ohnehin immer in der Nähe sein, denn nach Lyon müssen wir ja auf jeden Fall!

Doch ließen sie zwei Reitknechte bei Albert zurück und duldeten hierin keinen Widerspruch.

Mit Sang zogen sie selbst davon nach Lyon zu, die Sonne blinkte in ihren Rüstungen, feurig wehten ihre Helmbüsche im Morgenwind.


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