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Ja, wie vertraut war ihm bald diese Zelle, die als ein Zeichen des Opfermutes gedacht war!
Pater Sintram, kaum jünger als er, kam öfter zu ihm, setzte sich auf den Bettrand und erzählte ihm: Das mußt du wissen, Bruder Albert, unsere Stadt, die größte im deutschen Land, ist reich durch ihren Handel. Nach England, Flandern, Holland segeln mit Tuchen, Gold- und Waffenschmiedwaren und Wein unsere Schiffe. Auf den Landstraßen beiderseits des Rheins, das hast du ja gesehen, rollen die Lastkarren und Reisewagen von Norden, Süden, Westen und Osten heran und davon.
Wenige Jahre vor dir, 1221, sind die beiden ersten Predigerbrüder, Christian und Salomo, in die Stadt eingezogen, als Quartiermacher. Die Brüder zu Sankt Andreas, die selbst auch nach der Augustinerregel leben, haben sie gastfreundlich aufgenommen und, als Nachschub kam, Kapelle und Hospiz brüderlich hergeschenkt.
Es geht für uns Barfüßler aber nicht darum, von den Almosen dieser reichen Stadt unser Leben zu fristen und ohne Arbeit uns in Zelle und Gebet zu verschließen. Du siehst das Ackerland rings um uns, in harter Mühsal ist es aus Brachland und Sumpf geschaffen, die Siedlung unserer Handwerker, Schneider, Schuhmacher, Tischler, Schmiede – das gestattet unser Gelübde da, wo wir ständig wohnen. Es gilt uns, für die Bewohner der Stadt zu leben. Wo viel Licht, ist viel Schatten und wo viel Reichtum viel Armut, wo viel Freude viel Kummer, wir haben viel zu tun hier. Für dich selbst gilt zunächst das Probejahr, auch für den Orden, ihr müßt beide eure Zusammengehörigkeit erweisen, beide Wohlgefallen an einander finden.
Am Ende des Jahres steht, bleibst du bei uns, deine Weihe. Dann gibt es nur noch Leben und Sterben im Orden, nach endloser Mühe wird ein Grab, mit Steinkreuz und Namen bezeichnet, unter den gleichmäßig armen Gräbern der Brüder, dein einziger Lohn sein.
Ich sage das, wie man es mir einst gesagt hat, jedem jungen Novizen gleich zu Beginn, jeder soll wissen, daß es bei uns nicht sanft zugeht. Du aber bist schon älter und sagst dir das selbst, du sagst dir aber auch, daß wir dennoch stets überreich belohnt sind durch eine innere Fröhlichkeit, die uns keiner schenken kann, die wir uns erringen müssen im Kampf mit uns selbst, die aber darum auch nicht flüchtig ist, sondern dauernd.
Trotzdem hast du als älterer es leichter, du hast das Studium der griechischen Weisen schon hinter dir, du kannst gleich in die Gotteswissenschaft hineinspringen: Bibelkenntnis, Bibelauslegung, Predigt, dazu Übung in der Seelsorge. Zum Umgang mit Menschen muß man berufen sein, bist du nicht berufen, lernst du es nie, auch das will ich dir gleich sagen. Du wirst hierin mich zum Lehrer haben und ich mache es dir nicht leichter, sondern schwerer, gerade weil du uns vom Hochmeister ganz besonders ans Herz gelegt bist. Dadurch hast du keinen Vorzug und erst recht keine Milderung zu erwarten, sondern von beidem das Gegenteil. So ist es bei uns und so wirst auch du verfahren, wenn du einmal Lehrer bist!
Ich finde es gut so, wie es bei euch ist, sagte Albert, obwohl ihm ums Herz etwas eng wurde, packt mich nur fest an, das kann mir nur Halt geben, da ich ja weiß, daß alles nicht um mich zu quälen geschieht, sondern mich zu prüfen.
Und hättest du einen Lehrer, der dich aus Mißmut oder Ungeduld quält, so müßtest du es doch geduldig hinnehmen! Und nun höre noch die Einteilung unseres Tages. Nach Mitternacht versammeln Patres und Novizen sich zur Matutin im Chor, am frühen Morgen, gleich nach Tagesanfang, werden die Prim und die Konventsmesse gelesen. Ein Frühstück am Morgen wird nicht gereicht, dann folgt das Studium, unterbrochen von Mittagsbrot und Chorgebet. Mit der Komplet und der feierlichen Salve Regina-Prozession endet der Tag.
Mit Ungestüm nahm Albert vor allem die Unterweisung an, eine Predigt aufzubauen als einen gotischen Dom aus Worten. Er hatte gute Lehrer, es waren geübte Prediger, gewöhnt vor den Menschen zu stehen und Herzen aufzureißen, das eigene und die fremden. Den Barfüßlern war ihr Amt froh gemacht, denn sie hatten eine neue Botschaft zu künden: trotz Leid ist die Erde schön, das Leid: wir müssen es überwinden, bis es Stufe wird auf dem steilen Weg zu Gott. Aber wir müssen auch das Leid bei den Mitmenschen sehen, und, wenn wir stärker sind als sie, ihnen helfen. Franz von Assisi hat zuerst dieses Mitgefühl mit der geringsten Kreatur an sich erfahren: alles lebt, alles ist von Gott geschaffen, alles will sich der Sonne und des Daseins freuen, alles atmet mit Gottes freudigem Atem, darum liebt auch ihr die Welt, Überwindung, Sieg der Freudigkeit ist der Sinn der Schöpfung, freilich einer reinen Freudigkeit, die nicht hängt an Genuß.
Wie viele Zeugnisse, Beweise, Beispiele, Vorbilder für diesen Aufstieg des Menschenlebens sind vorzubringen! Vor allem: hat nicht Gott selbst seinen Sohn Jesus auf die Erde hinabgesandt, Mensch zu sein unter Menschen, zu wandern heimatlos, arm unter Armen, jung, voll Lust, umjubelt, und doch zu bitterstem Leid bestimmt, verlassen, verraten von allen, wehrlos, angespieen, ans Kreuz geschlagen und da bittet er noch für seine Feinde.
Diese wehgeliebte Gestalt, dieses schmerzlich süße Geschehnis: wir alle haben es als Inbild unvergänglich in uns. Viele wollen es nicht sehen, schütten ihren Alltagskram oder auch ihren Zorn und Spott darüber – bis es, der Tag kommt und sei es die letzte Stunde, in jedem aufersteht und ihn über sich selbst in die Lüfte reißt. Warum warten? Beginnt heute mit der Nachfolge, doch hütet euch vor zu viel Preis der Welt, denn das Kreuz wird bald aufgerichtet. Seid verkannt und getrost, Gott verkennt euch nicht.
Bei seiner ersten öffentlichen Predigt geschah Albert etwas, das ihn als echten Schwaben erwies: er blieb stecken. Er stand hoch auf der Kanzel, hielt schon die Hand ausgeschleudert in die Luft – und das Wort, das zu dieser Gebärde gehörte, blieb aus. An dieser Stelle, als er in seiner Zelle die Predigt öfters überdachte und vor sich hinsprach, hatte er mit dem Verstand gearbeitet und die Wirkung berechnet: darum blieb sie aus, die innere Kraft versagte sich, nur aus der Seele kann sie kommen, aus der verborgenen Tiefe, wo auch Gott im Menschen seine Wohnung hat.
Die Zuhörer spotteten nicht, sie fühlten, daß dieser Mönch, eben weil er wahrhaftig war, da versagte, wo er verlockt war äußerlich zu wirken. Er kam ihrem Herzen nah, als ihm der Schweiß aus der Stirn brach, gerade dadurch war er ein Mensch wie sie, der sich mühte.
Albert spürte diese Zuneigung, erkannte den Grund seines Versagens, suchte nicht länger den Faden seiner Worte wieder aufzunehmen, sondern sprach nun, was aus seiner Seele unmittelbar kam, Kraft, ja, Glut sandte die Seele ihm herauf. Nun hatte er wieder Mühe die Wanderschar seiner Worte zu bändigen, ungeduldig drängten sie alle zugleich zu Leben zu kommen. Dieser Kampf des ungeübten Mönches mit seiner Predigt – jeder Zuhörer mußte ihn mit durchmachen, jeder meinte selber das alles zu denken und in Worte zu zwingen, dadurch gewann die Rede eine ungewöhnliche innere Gewalt, selten hatte eine Probepredigt eine solche Bewegung hervorgebracht, kaum einer der Zuhörer fehlte bei der nächsten Ansprache.
Diesmal ließ Albert vom ersten Wort an seine Rede aus dem Inneren hervorbrechen; wie ein Schiffer auf dem Meer gab er sich in Gottes Hand, und wieder wähnten die Zuhörer sich nicht angesprochen, sondern selber zu sprechen, so ungewohnt ihnen diese Gedanken waren. Nach der Predigt saßen sie nicht müde oder wortbetäubt da, wie ihnen sonst manchmal geschah, sondern aufgewühlt, auf dem Nachhauseweg setzten sie im Einzelgespräch oder gemeinsam die Predigt fort.
Diese Art zu sprechen blieb Albert das ganze Leben eigen. Sie wirkte bei einem Neuling, an seiner Anfangsstätte, wie ein Gnadenwunder. Der Zulauf zu seinen Predigten wurde mit jedem Mal größer. Die Einwohner der ganzen Stadt wurden aufgerüttelt, die reichen Kaufmannsfrauen stellten sich ein, das Lob dieses Mönches war von den einfachen Leuten zu ihnen hinaufgestiegen. Aber mehr noch wirkte Alberts Botschaft, die des Ordens Botschaft war, auf die Männer der Stadt. Denn, was er sagte, war ein männlicher Aufruf zur Tapferkeit, zum Lebenskampf statt unfruchtbarer Klage: Laß dich nicht niederbeugen von leiblicher oder seelischer Not, die Erde ist Schule, Prüfung, hart und scheinbar erbarmungslos, aber nur, damit auch du hart wirst gegen dich selbst und umso liebreicher gegen deine Mitmenschen. Tod ist Geburt, Vorbereitung dazu ist das Ziel des Lebens.
Mit dem letzten Satz zwar stimmten die Männer nicht sobald überein, denn sie sahen ja, daß der wirkliche Verlauf des Lebens anders war, und sie selber: wie sollten sie es anfangen, äußere Macht von sich zu weisen, da ja mit Arbeit und Fleiß sich ungewollt Besitz und Ehre einstellten? Nun, die höchste Stufe des Lebens, die die niederste scheint, Demut: sie ist ein Ziel, das nicht jeder, nur wenige erreichen. Dieser Mönch mit seinen eindringlichen Augen muß uns noch viel lehren.
Von seinen Lehrern konnte Albert bald nichts mehr lernen, sie lernten, ehe sie es wußten, von ihm. Immer mehr Novizen, obwohl er selbst einer war, drängten zu ihm als zu einem Lehrer. Mitten im Lernjahr wurde er wirklich dazu, ohne Anordnung, es machte sich von selbst, zu seiner eigenen Verwunderung. Es stand auch nur wenig Eifersucht gegen ihn auf, entgegen der menschlichen Natur. So lernte er an seinem eigenen Beispiel den Geist des Ordens kennen.
Die Seelsorge in der Stadt war schwieriger. Er fand nicht leicht Zugang zur Seele der Kranken und Verzagten und verzagte oft selbst. Wohl lehrten ihn erfahrene Brüder durch Beispiel, wie man mit Trostbedürftigen umgehen mußte, aber die Gnade mußte auch hier dazu kommen. Erst nach langer Zweifelzeit öffnete sich sein eigener Seelengrund und zwar, indem er wie durch Eingebung nicht mehr nachgiebig und zärtlich, sondern rauh und eher spottend mit seinen eigenen Schützlingen sprach. Bald war er auch als Seelsorger ein Meister, sein Beistand wurde von vielen angerufen. Zuletzt ließ ihn der Prior in das Spital, das zum Kloster gehörte. Hier galt es oft, dem Hohn von Glaubenslosen in den Nachbarbetten standhalten, dann war nicht geduldiges Überhören, sondern Überlegenheit im volkstümlichen Redekampf erforderlich. Auch hierbei half kein ängstliches Ausweichen, sondern mutiges Hineinspringen in die Gefahr. War er über einen solchen Großsprecher Herr geworden, so gewann ihm das einen ganzen Umkreis von Bettlägerigen.
Seine eigene Seele hatte Heimat und Ziel gefunden, nun traten alle Kräfte, die in ihm so lange geschlafen, sogleich auf der Höhe ihrer Entfaltung aus ihm hervor. Dadurch gelang es ihm, seelisch Verirrte aufzurichten, deren Inneres bisher niemand hatte erreichen können. Unwetter und weiter Weg durften ihn so wenig wie alle Patres abhalten, mochte der Geringste nach ihm verlangen. Es kam ihm zugute, daß sein früheres Leben auf Jagd und in der Natur ihn wetterfest gemacht hatte.
In Erinnerung an die Gänge mit Meister Jordan vor die Tore Paduas, bat er den Prior um die Erlaubnis, mit den Novizen, die sich ihm anschlossen, zu gegenseitig belehrenden Gesprächen ins freie Feld zu gehen. Es wurde ihm erlaubt, weil der Hochmeister selbst ihm das Vorbild dazu gegeben hatte. Häufig saßen sie alle gemeinsam am Stromufer oder sie schritten in oft sich ändernder Reihe am Ufer entlang, am liebsten stromab.
Oft verstummte das Gespräch beim Anblick auf das breit hinflutende Wasser. Doch gab Albert seinen Gedanken an einem Sommertag einmal Wort: Unser Strom, gerade dieser, welch vollkommenes Gleichnis des Menschenlebens! Befreiter Knabe, springt er von der Quelle fort, im Lauf durch die Alpenschluchten spielt er mit den eigenen Wellen, der Jüngling tritt geklärt aus der Sammlung des Bodensees, bei Basel entscheidet er sich für den Norden, der Mann, bei Bingen, bricht durch das noch einmal entgegengestellte Gebirge, zieht dann breitschultrig durch die Ebene; nun trägt er Schiffe, dient dem Fleiß der Menschen, arbeitet mit, bietet sein Gestade für große Städte dar, und wenn er auch manchmal über die Dämme bricht, immer wieder kehrt er von selbst in sich zurück; endlich alt geworden, mit geheimnisvollem Drang, der fast Wissen scheint, geht er ins Meer ein in die Ewigkeit.
Aber staunenswerter ist noch eine andere Eigenschaft des Stromes: mit jeder Welle erneut er sich und doch bleibt er immer derselbe – die einzige Erscheinung in der Schöpfung, die ewige Jugend hat. Welch wunderbares Gleichnis seiner selbst hat Gott hier geschaffen! Oder auch unser selbst?
Und der Zusammenstoß zweier Elemente, Wasser und Erde, Flüssiges und Festes, Bewegtes und Beharrendes – wie sanft berühren sie einander und wie gewaltig ist ihr Gegensatz: ein Schritt bringt von einem ins andere und alle Lebensbedingungen sind geändert, welch reizvollen und tiefen Anblick zweier ihrer Kräfte bietet die Natur hier durch die Zusammenstellung. Übrigens, es sieht sich nur an wie ein Spiel und ist doch ein heimlicher, oft auch offenbarer Kampf: überall zwingt die Erde durch ihre wechselnde Beschaffenheit den Strom, seinen Weg zu ändern, nie aber hält sie ihn gänzlich auf, er will zum Meer und beißt sich durch, zeigt seine Kraft bei Überschwemmungen. Aber dann glaubt man das Land spotten zu hören, der Fluß muß doch in sein Bett zurück, es scheint nur, daß er es von selber tut.
Mit Macht zog es Albert und seine Mitnovizen fast täglich an das Ufer. Unser liebes strömendes Wasser, sagte einer der Novizen, der dem doppelt so alten Albert besonders anhing und meist ihm zur Seite schritt, hat noch eine dritte Fähigkeit: es verbindet ohne Mühe die Gedanken zugleich mit Alpen und Meer, ja, auch mit den Landschaften all der Flüsse, die unterwegs hinzueilen.
Wahrhaftig, sagte Albert, die Phantasie, während die Augen auf das leere Wasser hinaussehen, füllt es mit den Bildern, die dem Sinn unsichtbar von den Wellen mitgeführt werden.
Ein zweiter Novize an Alberts anderer Seite rief: Wie wechselreich ist auch die Verbindung des Wassers mit einem dritten Element, der Luft: die blaue oder graue, ja düstere Spiegelung des Himmels, das eigene Grün, das oft genug durchbricht, die goldene Blendung gegen die Sonne, das zauberische Geleucht, wenn die Sonne nur halb durchs Gewölk dringt, die ewig veränderliche Bewegung der Flut im Wind, gehemmt oder beschleunigt, beide Male schäumen die Wellen auf, und erst im Gewitter, wie wir neulich sahen – dann wird der Strom ein Stück Meer im Sturm.
Vergeßt die Schiffe nicht, rief ein Dritter, sie dürften nicht fehlen, ob mit Menschen oder mit Waren beladen, ob Segel oder Ruder, auch sie sind ein Sinnbild des Daseins, flüchtig, aber gerade darum: Erscheinung, Gruß, Dahingang.
Nicht flüchtig, nicht vorüber! rief der erste Novize, von allem, was vorbeizieht, bleibt ja die Erinnerung. Was zog alles vorbei in Jahrtausenden, Menschen auf Einbäumen, welch ein Wunder das erste Segel darauf, Kelten, Germanen, Römer, Normannen, Massenzüge von Gefangenen, Kaiser, Hochzeiten, Begräbnisse, Kaufleute, Krieger: von allem zittert ja noch das Nachbild in der Luft über dem Wasser. Was war, ist!
Ja, es ist und wir ahnten es vielleicht sogar, wenn wir es nicht wüßten, sagte Albert.
Ihr vergeßt den lebendigen Rahmen um euer Bild, rief ein Novize aus der Schar, die hinter Albert ging, die beiden Ufer, das ansteigende Gras, die Herden der Pferde und Kühe, die Windmühlen, beweglich wie das Wasser, aber mit Bleibekraft, die wehenden Ulmen, die gotisch zum Himmel strebenden Pappeln, die zierlich verästelten jungen oder sturmgekrümmten alten Weiden, die den Ölbäumen des Südens so gleichen – ist das alles nichts? Wäre es nicht auch ohne Strom da? Aber der Strom kann nicht ohne seine Ufer sein.
Wirklich, sagte Albert, die Weiden zeigen im Wind denselben Wechsel zwischen der hellen Ober- und der dunklen Unterseite der Blätter wie die Ölbäume im Süden. Es war mir noch gar nicht bewußt geworden! Er versank in Träumerei, vielleicht in Erinnerung an Padua.
Nicht selten ging die lebhafte Schar aber auch in die Eichen- und Buchenwälder, die vor den Stadttoren wie dunkle Inseln im hellen Ackerland lagen. Hier gab es an heißen Sommertagen Schatten, Stille und nie endend den Atem der Schöpfung, in den Wipfeln hörbar.
Auch einige der Lehrer wünschten den Wanderungen sich beizugesellen, sie waren meist jünger als Albert. Es fügte sich von selbst, daß sie bald eher zu Mitschülern wurden und er der Unterweiser aller. Seine Seele war die stärkste und zog alle anderen sich nach. Einer der Lehrer sprach diese Wahrnehmung im Scherz aus. Albert schämte sich wie bei einer gewollten Unbescheidenheit betroffen. Er schwieg einige Tage, aber dann wurde er mit Fragen überschüttet, über Sätze der Bibel, Dinge des Glaubens, der Lehre, der Seelsorge, der griechischen Weltweisheit, von allen Seiten, bis er selber scherzte: Ja, bin ich denn wirklich euer aller Lehrer geworden? Ich will ja lernen! Fragt eure berufenen Lehrer, die haben doch längeres Studium und mehr Erfahrung.
Das ist es, sagte einer der Lehrer, im Studium sind wir dir einiges voraus. Aber du brauchst kein Studium, du erkennst und lösest alles aus dir heraus, es ist auf wunderbare Weise in dich gepflanzt. Keiner ist dir böse darum, im Gegenteil, wir danken Gott, daß wir dich haben und als Lehrer von dir lernen. Wir werden wohl bald wie deine Mitschüler die Art deiner Sprache von dir annehmen. Sie ahmen ja sogar, ergötzlich zu sehen, deinen Gang und Gebärden nach.
Am Ende des Probejahres sprach Albert feierlich vor dem Prior das Gelübde aus.
Dieses Gelübde des Gehorsams schloß Armut und Keuschheit von selbst in sich ein. Jedem Anwesenden fiel der freudige Klang der Stimme des nun Geweihten auf. Der Grübler langer Jahre hatte in der Geistesburg des Ordens endlich Befreiung gefunden, das neue Leben lag klar vor ihm, gut, daß es mühevoll sein wird. Nur Mühe? Opfer! Wie Jesus zum Kreuz des Todes, so drängt er zum Kreuz des Lebens hin, das Leben, so lang es dauern mochte, hinzugeben den Mitmenschen, nie ermüdend, nie verzagend und nach einer Stunde des Zweifels immer wieder emporschauend. Gehorsam sagt das Gelübde und verschweigt den tiefsten Sinn dieses Wortes, der das ganze Sein, Atmen, Denken umfaßt.
Von einem Unbekannten erhielt Albert zu diesem Feiertage einen Krug alten Weins zugesandt, er wollte ihn zurückstellen für seine Kranken. Aber der Ernst des Tages verlangte nach dem Gesetz der Menschennatur zum Ausgleich Frohsinn. Einige Patres und Novizen kamen herbei, zu sorglosem Gespräch, sie sahen den Krug, staunten ihn an, lasen auf einem Zettel die Jahreszahl, untersuchten mit dem Finger die Dicke der Staubschicht, beneideten Albert, erfuhren die Bestimmung, die er dem Geschenk gegeben, einer, zwei, alle erklärten, unter Gelächter und Verstellung, auch Schmerzen zu haben, der hier, der dort, umsonst versuchte Albert sein Gut zu retten, schon war der Pfropfen gelöst, alle zogen den Ruch ein: möge denn ein geringer Teil des Tranks ihnen selbst gespendet sein!
Alle holten ihre Schemel und Zinnbecher, Albert selbst saß auf dem Rand seines Lagers, die andern im Halbkreis um ihn, in der Mitte stand ein Schemel und auf ihm als köstlichster Schatz der verstaubte Krug.
Ach, diesen an Entbehrung gewöhnten Mönchen hätte schon ein einfacher Wein wohlgeschmeckt – dieser seltene Trank machte ihnen den Leib warm. Sie schlürften ihn in kurzen Zügen ein, bald gerieten sie in eine ihnen unbekannte schwerelose Heiterkeit.
Einer von ihnen war in dieser Stadt geboren und begann bald Späße zu erzählen, von der Art, wie sie heute noch dort im Schwange sind. Auf den Lärm kamen noch andere Mönche herbei, nun war der Wein bald zu Ende, zumal einige noch zu singen begannen.
Albert, wieder allein in seiner Zelle, streckte sich auf seinem Lager aus. Wohlgemut gedachte er der schnell verklungenen Stunde als einer willkommenen Lehre; nicht zu schwer sein in fröhlichen Dingen, die auch notwendig sind, damit die Seele gesund bleibt. Dann wurde es umso ernster in ihm. Die Bedeutung des Tages wuchs nun erst in ihm auf, nahm ein gewaltiges Maß an. Er sprach das Gelübde noch einmal vor sich hin und fügte hinzu, daß er es erfüllen wolle, nicht nur nach seinen Kräften, sondern darüber hinaus.
Das Gesicht jener Unbekannten in Padua tauchte wieder vor ihm auf. Die großen Augen senkten sich wieder tief und wie fragend in die seinen.
Er sprach mit Gott – kein Gebet, es war ein Gespräch. Er dankte ihm als seinem wahren Vater für diesen Tag der Ernennung. Er erzählte ihm von seiner Jugend, von seiner Wildheit, von seinen Träumen, von seiner wachsenden Hinneigung zu ihm – so lange, bis er sich ihm nahe fühlte. Aber dann sprach er furchtlos von den Jahren des Zweifels, der Qual, die der Hinneigung vorangingen, erst heute sind sie ganz vorbei, nun ist Ruhe in mir. Daraus, o Vater, kannst du die Größe meines Dankes ermessen.
Es klopfte, die Tür seiner Zelle ging auf und ein Novize, das flackernde Licht in der Hand, trat ein. Bruder Albert, ich vermag nicht einzuschlafen! Der Tag meines Gelübdes kommt ja nun auch bald, nimm mir meine Sorge.
Setz dich auf den Schemel, sprich.
Mich quält die Frage: überheben wir Predigermönche uns nicht?
Wir in unserer Armut uns überheben? rief Albert.
Dünken wir uns nicht besser als die anderen Mönche, weil wir mehr Entsagungen auf uns nehmen?
Nach kurzem Schweigen sagte Albert: Diese Frage, mein Bruder, ist mir noch nicht gekommen. Aber ich sage mir: hat sich der erste Barfüßermönch, Franz von Assisi, über andere erhoben? Sicher nicht! Vielleicht, mein Bruder, ist es so, daß wir sogar uns schwächer fühlen und die Strenge unseres Ordens nötig haben, um uns aufrecht zu halten in der Furcht der Welt? Nein! Wir sind auserwählt vor den Menschen, Gott so unmittelbar und so ganz zu dienen, darauf wollen wir unbekümmert stolz sein. So ist es!
Ich will darüber nachdenken und danke dir! Der Novize ging, das flackernde Licht warf seinen Schatten über die Wände.