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Auf der Rückkehr vom Süden in den Norden machte Albertus in einer Stadt des weiten Alpenvorlandes halt. Wohl war hier viel zu sehen an Bauten und menschlichem Treiben, doch merkwürdiger war, daß trotz der Größe der Stadt die weiten Wiesen unmittelbar vor allen Toren grünten.
An einem Junitag unternahm Ägid mit anderen Mitgliedern seines Ordens eine Wanderung zu nahen Klöstern. Albert, da es ein selten klarer Tag war, stieg auf das Baugerüst, mit dem der Turm einer Kirche umstellt war: er wird oben seine Augen weiter wandern lassen als Ägid mit den Füßen zu gehen vermag.
Auf dem Abschluß des Gerüstes, nicht breiter, als daß einige Männer Platz hatten, um Steine und Mörtel heraufzuwinden, stand der Meister während der Mittagspause allein. Er vermochte sich von dem Ausblick nicht zu trennen und ließ lieber das Mittagmus warten.
Das grüne Land lag fernhin, aber in klarer Höhenluft, mit unzählbaren Dörfern, dahinter die blaue Felsenreihe der Alpen, über sie hinaus blendeten die Schneeberge Tirols, in der Nähe zogen die Schatten der Wolken über Gras und Wald, in jener Ferne aber die Wolken selbst dicht über die Eisfelder, um den höchsten der Berge zog sich dunkel ein Gewitter zusammen, fast erwartete Albert, das Gesicht Gottes selbst über der Größe seiner Schöpfung auftauchen zu sehen.
Da hörte er einen Schritt auf den Leitern unter sich, das Gerüst schwankte. Kommen schon die Arbeiter vom Mittagsmahl zurück?
Nein, nur ein einzelner Mann trat auf die Fläche herauf, in bürgerlicher Kleidung, blondbärtig, schnell, ohne jede Vorsicht. Albert kannte ihn, er war ihm in den Straßen aufgefallen, durch ein Etwas im Gesicht und Schritt, das ein inneres Überfülltsein, eine in jedem Augenblick bereite Kraft zu einem unbekannten Entschluß andeutete, er ging durch die Straßen wie auf weiter Wanderung, bewegte die Arme in stummem Selbstgespräch und wären ihm die Leute nicht seitwärts ausgewichen, wäre er gegen jeden gestoßen, so versunken war er in irgendwelche Gedanken.
Wie einst Meister Jordan nach ihm, so hatte Albert nach diesem jungen Mann gefragt und erfahren, daß es ein überaus gütiger Mensch sei, Sider, Buchhalter im Geschäft seines Bruders. Unfähig durch die Tat zu helfen, war er einem Wahn verfallen: er glaubte sich in der verwirrten Zeit von Gott auf die Erde gesandt, die Menschen auf das Paradies hinzuweisen.
Wunderlich war hier oben auf dem Turmgerüst der Mann anzusehen, mit abgenommenem Hut und wehendem Bart, seine großen hellen Augen umfaßten zuerst das weite Gewölk, grüßten es gleichsam, dann senkte er den Blick zu dem Rand des fernen Gebirges, zu den näheren Wiesen und Dörfern, zuletzt zu den Plätzen und Häusern der Stadt, so als sei er gerade von einer oberen Welt zu dieser irdischen herabgekommen. Albert konnte seine Augen nicht von diesem Gesicht lösen, es ergriff ihn ebenso wie das verwitterte Gestein der Kirche und der frühlingshaft blaue Ausblick, alles drei schwang in ihm untrennbar zusammen.
Hatte nun der Schwärmer den Aufstieg auf den Turm in einer schon vorbereiteten inneren Erhebung unternommen oder brach die Begeisterung in diesem Augenblick der Weitschau, in dieser mit Werdedrang gefüllten Luft, stärker als sonst aus dem Gefängnis der Brust hervor: unvermittelt wandte er seine Augen auf den Barfüßer neben sich, grüßte ihn als einen Menschenbruder mit ebenso erhabenem Ausdruck wie vorher Wolken und Erde und sagte: Ehrwürdiger Vater, ich kenne dich, ich sehe dich oft durch die Straßen gehen, du redest manchmal vor dich hin wie ich, wir sind beide dem Alltag ferner als die andern, du hast auch in deinem Marienlob einen Blick in den Himmel getan, du weißt wie ich, daß dieser Himmel nicht nur irgendwo in unvorstellbarer Höhe ist, sondern daß wir mit seinen Kräften verbunden sind, ohne Unterlaß. Ich wenigstens spüre diese Kräfte, die uns von oben gesendet werden, heute an dieser Stelle stärker als je. Ich höre mich angerufen, unabweisbar, auch du kannst mir nichts dagegen sagen, meine Brust will sich dehnen, fast zerspringt sie mir. Heute ist die Stunde da, ich will den Bewohnern dieser Stadt, die viel über mich spotten, die Existenz dieser Gotteswelt einmal beweisen, aus der ich komme, ich will es dir anvertrauen. Ich werde ein Wunder tun, nicht anders macht man die Menschen an sich glauben, ich rufe sie zur Liebe auf wie du, wir haben beide keinen Erfolg, sie hassen und bekämpfen sich wie vorher, aber nun: eine Tat! Du bist berufen, sie vor allen mit anzusehen, die Höhe dieses Gerüstes mag dir furchtbar sein, doch du wirst es erleben, daß ich mich sogleich, sobald ich all meine inneren Kräfte gesammelt habe, über die Bretter hinausschwinge und schwebend wie ein Flaum ohne jeden Schaden unten ankomme.
Albert erkannte erschreckt, daß dieselbe Verstörung der Zeit, die in dem gesunden Dorfmädchen Aleit edlen Entschluß hervorrief, hier die Seele eines jungen Menschen zu vernichten begann. Dieser Jüngling war in einen Wahn geflüchtet und hier oben in dieser verklärten Mittagsstunde im Begriff, die Grenze zum Irrsinn zu überschreiten. In Blitzesschnelle verglich Albert seine Körperkraft mit der des Wahnbesessenen. Dieser Sider war an sich nicht größer und breiter als der alte Meister, doch würde ihm gewiß im Augenblick irrsinnigen Entschlusses gesteigerte Kraft zuwachsen.
Albert fühlte sein Herz bis zum Hals hinauf schlagen, aber doch mußte er den Jüngling von einer Wahnsinnstat abhalten, vielleicht mit ihm ringen auf einem Platz, der bei jedem Schritt mit Absturz drohte. Er war sicher, daß der Wille, einen armen Menschen zu retten, auch seine eigene Körperkraft verstärken würde. Er spannte seine Gedanken und Glieder ganz auf die erwartete unheimliche Sekunde ein, da der Irre seinen Vorsatz wahr machen und an den Rand der Bretter treten würde, zum Absprung. In dieser Sekunde galt es, ihn zu fassen, zurückzuziehen, nötigenfalls zu Boden zu werfen, ihn unter den Knieen zu halten, bis nach beendeter Mittagsruhe die Arbeiter auf dem Gerüst erschienen – das wird bald sein.
Da sah ihn Sider an und sagte mit gütiger Stimme: Fürchte nicht für mich. Mönch, du darfst mir vertrauen, so sehr, daß du ruhig meine Hand nehmen und mit mir hinunterspringen kannst, du wirst ebenso ohne Schaden unten ankommen wie ich, völlig sanft wie ein Baumblatt, hier, nimm meine Hand, fasse sie fest an.
Albert wich in einem natürlichen Gefühl der Furcht zurück und doch faßte er die Hand, ohne Besinnung, um Zeit zu gewinnen oder die körperlichen Kräfte gegeneinander abzuwägen. Aber schon wurde er von der gleichen seltsamen Irrung überkommen, die von dem armen Menschen Besitz genommen hatte: die Lichtblendung hier oben hob auch für ihn das irdische Maß auf, er schwankte.
Aber schon kehrte ihm der eigene Wille zurück, nur war der Druck der irren Hand so eisern, daß er blitzschnell den Gedanken faßte, lieber als Körperkraft Vernunft anzuwenden.
Er ging auf den Ton des Schwärmers ein und sagte: Ja, ich will gern glauben, daß du das Wunder hier hinabzuspringen und heil unten anzukommen vollbringst. Aber ist das Wunder gar so groß? Wenn du himmlische Kräfte in dir spürst, so mußt du schon etwas Außerordentliches leisten! Wenn du umgekehrt es fertig bringst, dich von unten vor allen Augen aufzuheben und durch die Luft hier heraufzuschwingen, dabei, wenn es sein soll, mich an der Hand mit, dann werde ich und alle mit mir an deine überirdischen Kräfte glauben.
Der junge Mensch stutzte verblüfft, und sah hinab. Aber als er die vielen Steinhauer sah, die von allen Seiten zu ihrem Arbeitsplatz an der Kirche zurückkehrten, und als nun noch die Glocken andächtig zu läuten begannen, stürzte ihm das letzte Bewußtsein zusammen, er sagte schnell: Ja, ich will das tun, was du sagst, komm mit hinunter.
Er eilte die Leitern hinab, Albert langsamer hinter ihm her.
Am Platz unten, etwas abseits vom Eingang, stellte der Irre sich auf, reckte die Arme zum Himmel und betete mit leiser Stimme um Kraft zum Aufflug, dann nahm er Albert an die Hand.
Leute sammelten sich um die beiden, verwundert, neugierig, für jeden war der Gesichtsausdruck des Betenden, der ungeduldig, immer fordernder und leidenschaftlicher, zum Himmel aufsah, von einem befremdenden anziehenden Ernst.
Der Beter, als keine Kraft sich in ihm regte, als seine Füße fest am Erdboden hafteten, wurde von Heftigkeit überfallen, von Zorn, endlich aber von Unsicherheit, Enttäuschung, Scham. Er sah endlich prüfend und verwirrt die Menge an und sagte: Ich wollte euch allen etwas vorführen, aber es müssen feindliche Kräfte unter euch sein, die mich lähmen.
Ohne daß die Umstehenden begriffen, von was er sprach, ließ er sich mit beschämter Stirn an Alberts Hand vom Platz fortführen.
Wo wohnst du? fragte der Meister.
Sider nannte bereitwillig Straße und Haus, Albert führte ihn dorthin und übergab ihn seinen Verwandten. Beim Abschied hatte der Blondbärtige bereits jedes Gefühl von Niedergeschlagenheit verloren. Mit dem Ausdruck einer neuen frohen Zuversicht sagte er: Mönch, wir werden das, was wir besprachen, bestimmt ausführen, zweifle nicht an mir – wenn der Tag da ist, werde ich dich abholen.
Am nächsten Abend ging Albert wieder zu ihm hin, der junge Mensch sagte zum Empfang dieselben Worte, die er gestern beim Abschied gesprochen hatte. Lüge dir nichts vor, sagte Albert unerwartet scharf, denn nur so war dieser Mann von seinem Irrweg, auf den ihn die Rauheit der Zeit gestoßen, noch zurückzubringen, du kannst an einem andern Tag so wenig hinaufschweben wie heute, du kannst es nie, du bist ein Mensch wie ich und wie alle Bewohner unserer Stadt. Gott hat dir zeigen wollen, daß er dich durchaus nicht ausgewählt hat, Wunder zu tun. Was wäre denn damit getan? Mühe dich wie alle es tun, auch ich, komm deiner täglichen Beschäftigung nach mit Sorgfalt und Treue, das will Gott von dir und damit machst du die Menschen glauben. Ich werde jeden Abend zu dir kommen und mit dir über solche Dinge sprechen. Vielleicht gelingt es mir, dich auf dieser Erde festzuhalten, für die allein du geboren bist.
Am nächsten Abend regnete es, Albert ging in das Zimmer seines Kranken hinauf, der sich dort vor ihm verbergen wollte.
Ich finde dich überall, sagte er und überall sage ich dir dasselbe, du bist nicht mehr von Gott begnadet als wir anderen alle. Wen Gott begnadet, der muß leiden, denke an Jesus. Dir aber geht es ja gut, du hast Dach und Brot ohne anstrengende Arbeit. Du bist nur ungewöhnlich verworren, das allein hast du vor den meisten voraus. Du willst dich in deinem guten Drang hervortun durch etwas, was du in deiner Einbildung mehr vermagst als sie, du vermagst aber in Wirklichkeit gar nicht mehr. Hätten wir uns gestern vom Turm in die Luft geschwungen, wir würden hübsch zerschmettert unten angekommen sein. Hier tritt zu mir ans Fenster, es ist nur ein Stockwerk hoch, aber nicht einmal diesen Sprung wagst du. Oder doch? Nein, siehst du: du weißt, daß Gott dir nicht gegeben hat zu sein wie ein Vogel, so klein und zwecklos sind die Gnaden Gottes nicht. Wen wolltest du durch ein solches Schauspiel zu Gott führen? Keinen, jeder fahrende Mann auf der Landstraße tut es dir in solchen Künsten zuvor und maßt sich dabei nicht an, sie in Gottes Dienst zu üben. Hast du dir gestern nicht einen Scherz mit mir erlaubt, sondern dein Angebot ernst gemeint – dann müßte ich dich einen Toren nennen und laufen lassen, wohin du willst. Aber du versiehst ja deine täglichen Pflichten, wie mir dein Bruder sagt, zu seiner Zufriedenheit, also liegt es nicht an deinem Verstand, wenn du dich so unsinniger Fähigkeiten rühmst, sondern an deiner Verworrenheit. Die mußt du bessern, daran mußt du arbeiten, die Gnade, mit der du dich von Gott bedacht glaubst, ist vielleicht die, daß er mich und meinen jungen Bruder in diese Stadt kommen ließ. Solange ich mich hier noch aufhalte, wo ich mich um viele Menschen kümmern muß, werde ich dir ein Vater bleiben. Vater und Mutter sind dir zu früh gestorben, darum ist dieser Trieb dich hervorzutun in dir entstanden und nicht rechtzeitig abgeschnitten worden. Du hast den guten Willen zu helfen, aber du fängst es falsch an.
Abend um Abend, wie er sich vorgenommen, ging Albert zu dem jungen Menschen hin, es war schwer oder gar unmöglich, jemand in einem solchen Grade der Verstörung durch Güte und Vernunftgründe zu überzeugen. Aber der Meister über so viele Klöster dachte daran, wie er selber noch als Vierzigjähriger sich in einen neuen Menschen gewandelt hatte, durch die große Bruderschaft eines Ordens, vielleicht war es auch hier die überpersönliche Macht eines Ganzen, die allein noch heilen und retten konnte.
Geh du statt meiner einige Abende hin, sagte er zu Ägid, sei ihm ein Spiegel, zeige ihm seine Torheit bei einem andern in übertriebener Weise, so erkennt er sich am ehesten.
Vor Ägid fing Sider aufs neue zu schwärmen an, wozu er von Gott ausersehen, mit welch überirdischen Kräften er begabt sei. Aber Ägid war flink bei der Hand ihn zu übertrumpfen, er pries noch ganz andere Kräfte an sich, er war durch ein Wort aus Gottes eigenem Mund auf die Erde entsandt, am Ende jeder Woche hatte er sich oben einzufinden und zu erzählen, wo er Not oder Übermut gefunden: Ich kann jeden Augenblick fliegen, wohin und so weit ich will, ja, ich brauche nicht einmal wie du den Leib dazu, ich brauche mich nur irgendwohin zu wünschen und sei es über ein weites Meer, schon bin ich dort, gehe auf den Marktplätzen umher, trete in die Kirchen ein. Aber wie belohnt mich Gott auch! Komme ich hinauf zu ihm, setzt er mir den besten Wein vor, er trinkt selbst gern am Abend ein Glas, zum Nachtmahl sitze ich am Tisch der Engel, an dem man tagelang vorbeigehen kann, ohne sein Ende zu erreichen.
Sider wurde bei solchen Schilderungen still, er sank gedemütigt in sich zusammen, bei den letzten Worten verriet er sich. Wie sieht ein Engel aus? Woraus bestehen ihre Flügel? fragte er voll Neugier.
Nun hast du dich selbst gefangen, sagte Ägid schnell, denn da du das nicht weißt, warst du auch nicht oben.
Sider erschrak.
Nun, du brauchst darum noch kein Lügner zu sein, sagte Ägid gutmütig, du hast eben deine wichtigen Dinge mit Gott allein besprochen und in seinem Glanz die Engel nicht bemerkt. Komm, geh mit mir noch einmal auf jenes Gerüst hinauf, auf dem du mit meinem Meister standest. Doch laß mich aus dem Spiel, du hast gehört, daß ich auf andere Weise wie du den Weg durch die Lüfte mache, aber du spring ab, ich möchte es sehen, um die Wahrheit deiner Rede bestätigt zu wissen, wir werden auch jedermann unterwegs auffordern mitzukommen, um dieses Schauspiel zu Ehren Gottes und zur Wiederherstellung deiner eigenen Ehre mitanzusehen!
Sider saß bleich da, das gesteigerte Gefühl jener Mittagsstunde war von ihm gewichen; mochte auch sein Bart verwegen im Straßenwind flattern. Ein andermal, sagte er stockend, will ich gern nach deinen Worten tun, heute bin ich zu müde.
Gut, dann fliegst du Sonnabend mit mir zu Gott hinauf, du brauchst mich nur bei der Hand zu fassen. Da du deinen Körper nötig hast, wird der Flug allerdings lang dauern, die ganze Nacht hindurch und wir dürfen uns auch nicht allzu lang oben aufhalten. Du sprichst doch die Sprache der Engel?
Sider erbleichte noch mehr: Die Sprache der Engel? haben sie eine eigene Sprache?
Die gleiche wie Gott selbst, sie können doch nicht mit einer irdischen Sprache reden, das hieße doch ein Volk bevorzugen und alle andern kränken. Aber das mußt du doch wissen, in welcher Sprache hast du dich denn mit Gott unterhalten?
Bruder Ägid, ich will dir gestehen, ich erzählte dir und deinem Meister Märchen, ich war nie im Himmel und sprach nie mit Gott. Sider begann vor Scham zu weinen.
Ägid erzählte seinem Meister dieses Gespräch.
Albert war zufrieden. Soweit haben wir ihn gebracht, ich glaube, er ist, wenn nicht ganz, so doch halbwegs zu heilen. Aber hier, ohne uns? Er wird nach unserm Fortgang bald wieder schwärmen, um den Leuten dieser Stadt Eindruck zu machen, sein Beruf füllt ihn in dieser Notzeit nicht aus, darum überdeckt er die Lücke mit närrischen Träumen, aber sie kommen aus einem edlen Herzen.
Was tun, Meister? Ich habe diesen Menschen weinen sehen und ihn lieb gewonnen, wie helfen wir ihm?
Albert dachte nach: Beschäme ihn einmal ganz und gar, sitze du selbst morgen abend einige Zeit neben ihm, stumm, mit geschlossenen Augen, bewegungslos und sage dann, wenn du die Augen wieder öffnest, mit ruhiger Selbstverständlichkeit: du seist inzwischen in Bagdad gewesen, beschreibe die Stadt, die Sonne, die Ufer, Schiffe, Brücken, mit vielen Einzelheiten, beschreibe ein Mittagsmahl bei dem Sultan, an dessen rechter Seite du gesessen. Erkennt er, daß du ihn zum besten hältst, dann ist das der Anfang der Heilung.
Ägid saß neben Sider auf der Bank vor dem Hause und tat nach Alberts Rat
Mit dem Sultan von Bagdad zu Mittag gegessen? In der kurzen Seit hast du das alles gesehen und getan? fragte Sider.
Kurze Zeit? Vierundzwanzig Stunden war ich dort! Als ich gestern ging, saßest du hier auf der Bank neben mir wie heut.
Ich verdiene deinen Spott, sagte Sider, schlug die Hände vors Gesicht und schluchzte, kaum konnten die Tränen ein Ende finden, du behandelst mich mit Recht als einen Narren, dem man alles sagen darf!
Am nächsten Abend saß Albert wieder selbst neben ihm: In einer Woche scheiden wir von hier, was wirst du dann allein anfangen? Komm mit nach Köln, werde ein Bruder unseres Ordens, dann hat Gott dich in Wahrheit geweiht, vereinige dich öfter am Tag im Gespräch mit ihm, dann machst du einiges wahr von dem, dessen du dich vor den Leuten gerühmt hast, vor allem sprich mit Maria, der Gottesmutter, so oft dich das Herz zu ihr drängt, ich werde ein gutes Wort für dich bei ihr einlegen, sieh dieses Buch und die liebevollen Bilder, das zeigt dir, wie freund ich mit ihr bin.
Der junge Mensch wehrte schüchtern: Hier kennt mich jedermann, wenn ich über die Straße gehe – wer kennt mich dort bei euch? Verlassen würde ich dort sein und von manchem verspottet.
Wie? Ägid und ich, der Meister über alle Predigerklöster in Deutschland, gelten wir dir weniger als die vielen Unverständigen in dieser Stadt, denen du glaubst erst Märchen erzählen zu müssen, damit sie etwas von dir halten? Wir lieben dich brüderlich, wir werden uns in Erinnerung an unsere Gespräche hier deiner annehmen, du wirst nicht beladen werden mit geistigen Pflichten aller Art, diene unserm Ackerland oder unseren Kranken, lerne ein Handwerk bei uns, – welch Wohlgefallen wird Gott dann an dir haben! Tritt ein in unsern Orden, dann hast du zehntausend Brüder.
Ein Tor zum wahrhaften Leben tut sich mir auf, welch eine Lüge war mein bisheriges Leben! Ja, ich gehe mit euch! Der junge Mensch stand entzückt auf.
Am Reisetag gingen Albert und Ägid in aller Frühe aus der Stadt. Vor ihnen her schritt eine Schar Novizen, von Albert für den Orden geworben, er nahm sie mit, um sie unterwegs an die Klöster zu verteilen, sie sangen in hellem Chor. Sider jedoch, der Buchhalter, war nicht unter ihnen. Aber am Mittag ruft es hinter ihnen her, winkt es, Sider kommt heran, er trägt ihnen etwas völlig Wertloses nach, das sie gern zurückgelassen haben. Dann, ohne ein weiteres Wort, setzt er seine Schritte neben die ihren, hat Kutte und Überhang an, sowie einen Ledersack über dem Rücken, harte Sohlen an den Füßen, geht mit den Mönchen, als sei er die ganzen drei Jahre mit ihnen gegangen.
Abends im Quartier auf dem Stroh neben ihnen, sagte er: So ist es recht, wie wohl fühle ich mich! Ein Bruder von Tausenden, im Chor singen, Kranke tränken und waschen, ich kann es nicht erwarten, in eurem Haus zu sein, euer Haus ist der Himmel, nach dem ich immer suchte.
Albert wußte, daß diese Worte noch keine wirkliche Heilung bedeuteten, nur ihren Beginn, er hatte zu oft erfahren, wie viele Rückschläge es in den verwirrten Seelen solcher Menschen gibt.
Als sich nach Wochen der Wanderung die gewaltige Mauer und die vielen Türme von Köln zeigten, stand dieser junge Mensch, den jeder im Strudel der Zeit schon verloren dachte, so freudig und erschüttert wie einst der Novize Albert da.
Ein altes Leben lag hinter ihm, Schwäche und Flucht in den Wahn – ein neues Leben tat sich auf unter den vom Meer leuchtend heranziehenden Wolken. Dank euch Mönchen, Dank dir Meister! Er wollte Alberts Hand küssen.
Dank nicht zu früh, sagte Albert, wenn du dein Probejahr bestanden hast, dann ist der Tag zu danken da. Aber dann werde ich es sein, der dir danken muß: für Freude, die du mir machst.