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Im Predigerkloster wurde der Lesemeister, so war sein Amt benannt, besonders froh empfangen, denn zumal die Novizen erwarteten sich von einem Mitbruder vom Rhein einen lebenslustigen Mann der Art, wie sie nach Hörensagen an diesem Strom seßhaft waren. Hatte dieser Bruder Albertus doch auch am Abend seines Gelöbnisses mitgetrunken und gesungen – der Bote, der ihn vor kurzem ankündigte, hatte davon erzählt.
Nun ergab sich, daß dieser Kölnische Lesemeister es ernst nahm mit seiner Aufgabe, frisches Blut in die Abgelegenheit zu bringen und den Zusammenhang mit der Hauptstadt Köln herzustellen, vor allem aber die Meinung, mit der Einhaltung der drei Gelübde Armut, Keuschheit, Gehorsam sei genug getan, aus bequem gewordenen Gewissen auszutreiben. Vergeßt es nicht: Die Gelübde sollen nur den Geist von irdischen Hemmungen frei machen, auf die Entfaltung des Geistes aber kommt es an, tätige Menschenliebe ist das Gesetz des Ordens. Wie er in Köln tat, begann Albert auch hier die Stunden der Unterweisung statt mit Vorträgen mit ungezwungenen Gesprächen, die sich bald zu Kampfgesprächen gestalteten. Jeder durfte fragen und mußte gewärtig sein, jeden Augenblick mit einer Frage überrascht zu werden. So zwang er die Trägen sich zu wehren, indem er eine Antwort anscheinend mißdeutete oder selber die irrige Auslegung eines Zitates gab und dabei nur durch ein kaum merkbares Zögern die Wachsamkeit aufrief. So wurden diese Stunden für alle lebendig, die Lernenden warteten ungeduldig auf ihren Beginn.
Auch eine zweite Neuerung brachte Albert vom Rhein mit: er ging mit den Schülern ins offene Land. War hier auch kein Strom mit Schiffen, so ragten doch nicht fern die Harzberge auf und bis zu ihnen hin blühten die Fluren.
Im Freien war Albert noch weniger als im Haus ein Lehrer nach gewohntem Begriff, sondern vielmehr ein Mitbruder, dem jeder das Herz öffnen konnte. Die feine Grenzlinie blieb deshalb doch immer fühlbar und wurde gerade darum nie verletzt, weil sie nicht ängstlich gehütet war.
Abends, in seiner Zelle allein, schrieb er in einem glücklichen Feuer der Seele das nieder, was er auf dem Wege nach Hildesheim in lauter Rede zu Maria gesprochen hatte. Ohne zu sagen, von wem diese Verse erdacht waren, las er an Sonntagen, während sie an einem Wiesenrand saßen, den älteren und jungen Mönchen daraus vor, doch verriet er einmal wider Willen sich selbst. Die Mitbrüder ließen sich nichts merken, aber Albert fand als schönsten Ausdruck des Dankes von nun an alle Marienbilder in den Gängen und Zellen und an den Feldwegen draußen mit Blumen geschmückt.
Du solltest ein Buch aus deinen Anrufen machen, sagte der Prior und brach so das Geheimnis. Jeder von uns Zwölf macht eine Abschrift, eine für dich, eine schenkst du dem Kloster, eine schickst du nach Hause, die andern wohin du willst. In Köln mögen sie Abschriften in größerer Zahl machen und versenden, es muß dazu kommen, daß dein Gedicht überall gelesen wird, soweit unsere Niederlassungen reichen, zur Freude unserer Lieben Frau, unseres Ordens, deiner eigenen und zu deinem Ruhm. Wie soll das Buch heißen?
Albert neigte bei diesen Worten den Kopf, als belaste ihn das verführerische Lob. Er fand noch keine Antwort.
Umsomehr Antworten kamen von den versammelten Hörern; sie überstiegen sich in allgemeinem Eifer. Einer endlich rief: Marienlob! Auf dieses Wort hin richtete Albert den Kopf auf: Ja, aber mein Name soll nicht mitgeschrieben werden, Maria weiß ihn, ihr wißt ihn, das ist genug.
Vom nächsten Abend an saßen alle, Patres und Novizen, im Refektorium zusammen und schrieben langsam und mit Bedacht, Albert sprach vor und tauschte noch manches Wort gegen ein besseres aus. Hier und da gab einer seiner besonderen Freude über einen Vers Ausdruck, indem er ihn laut in den Saal sprach, bei anderen Versen entstanden Erörterungen.
Als die Schrift vollendet war, machten sich alle daran, die Initialen vielfarbig auszumalen. Wer es verstand, fügte noch tief versenkt bildlichen Schmuck hinzu, Blumen, Tiere, Apostel, Heilige, Engel, Maria selbst. Der ganze Konvent war stolz auf die Arbeit an diesem Buche. Unter der lateinischen Sprache der Dichtung sah jeder Alberts bewegtes Gemüt wie deutsche Landschaft hervorleuchten.
In einer armen Straße der Stadt gab es einen Trunkenbold. Dem Mann war die Frau gestorben, er saß mit seinen Kindern verlassen in seinem Häuschen und wußte nicht mehr mit dem Leben zurecht zu kommen. Noch jung, hätte er aufs neue heiraten können, aber die Trauer hatte ihn zu sehr in den Rausch gestoßen. Er kam in seinem Handwerk herunter, die Kinder verwahrlosten, hinter seinen Fenstern war immer Streit zu hören – keine Aussicht, daß ein Mädchen da hinein heiraten wollte. Die Seelsorger unter den Mönchen hatten ihm schon viel zugeredet, viel Eifer und Zorn an ihn verschwendet. Gerade dann, wenn er Besserung gelobte und einige Tage ordentlich lebte, kam ein um so schlimmerer Rückfall.
Da kommt einmal ein fremder Mann auf der Wanderung durch die Stadt, sinnlos berauscht sinkt er auf der Straße nieder, liegt da vom Ablaufwasser eines Hauses umspült, von den Kindern verspottet, geschlagen, getreten und umsonst zum Aufstehen getrieben, die Hunde fraßen ihm das, was er aus dem Munde gebrochen, vom Rock fort.
Albert, der vom Land mit seinen Schülern heimkam, macht Halt, schickt zwei von ihnen eiligst jenen trunksüchtigen Handwerker holen. Sie kommen mit ihm, Albert führt ihn zu dem Anblick hin. Das bist du! Mehr braucht er nicht zu sagen. Der Mann starrt auf den Trunkenen an der Erde hin, als sähe er wirklich sich selbst, er ist es, den die Kinder treten, an dessen Rock die Hunde mit dem Maul fressen. Er hebt den Arm vor die Augen, stolpert nach Haus.
Viele Tage kam er nicht vor die Tür, aber man hörte ihn Säge und Hobel handhaben, die Kinder kamen wieder mit sauberen Händen und Kleidern auf die Straße, die Leute brachten ihm auf Alberts Zureden Arbeit. Er suchte ihm auch ein Mädchen, die nun bereit war, ihn zu heiraten. Der Mann trank nicht mehr, Friede, Fleiß, Freude waren in das Häuschen zurückgekehrt. Und es waren der Häuser noch mehr, die Albert wieder hell machte. Er, der Traumbefangene, Traumgefangene von früher, woher kam ihm diese Gabe?
Ein Jahr war um, Albert hätte sich wohl fühlen können in dieser Stadt, wo alle ihm zugetan waren. Aber die Unruhe in seinem Blut, die er nicht mit Namen nennen konnte, nahm mit jeder Woche zu. Manch unwillkürliches Wort verriet den Zustand seiner Seele, die Schüler sahen ihn auf den gemeinsamen Wegen die Augen oft nach Westen richten. Dann wußten sie, daß er an den Rhein dachte. Sie wurden mit ihm traurig, wünschten ihm baldige Heimkehr, so ungern sie ihn verloren.
Schon sprach er davon, daß er hier keine Aufgabe mehr sähe: Ihr habt alles gelernt, was von mir zu lernen ist, ebenso habe ich von euch gelernt, ohne daß ihr darum wißt. In Köln aber gibt es eine Vielzahl von Menschen, hundert Patres statt zwölf wie hier, es kommen und gehen täglich ihrer einige, auch aus fremden Ländern. Dort kann ich mehr lernen und nützen. Seid mir nicht gram, daß ich fortstrebe.
Endlich kam die Weisung, die seinen Aufenthalt in Hildesheim abbrach – aber nicht um nach Köln zurückzugehen, sondern in ein anderes Kloster weit im Süden, nach Freiburg im Breisgau.
Gehorchen, Bruder Albert, du hast es gelobt, nicht aufbrausen, nicht zürnen, nicht klagen, nicht einmal betrübt sein, ja, nicht einmal nachdenken, dich opfern, dein Leben lang, dies ist erst der Anfang. Das hast du gelobt, das eben mußt du lernen, das will der Orden von dir und das willst du selbst.
Auch ich war dein Schüler, Bruder Albert, sagte der Prior beim Abschied vor der Klostertür, es wird nichts von dem verloren gehen, was du uns zurückläßt an geistigem Gut.
Patres und Novizen begleiteten ihn am Tage des Abschieds. Die Stunde war so früh von ihm gewählt, daß die Fenster in den Häusern noch geschlossen waren, nur hier und da schlug ein Hund an. So war er des Abschiednehmens an den vielen Türen enthoben.
Unterwegs verbarg er seine Freude nicht, wenigstens weiter zu kommen, war es nicht an den Niederrhein, so an den Oberlauf desselben Stromes, keine Welle eilte dort oben fort, die nicht da unten vorbei mußte. So wird es mit seinen Gedanken sein.
An einem Wegkreuz schied er.
Ich habe die Freude an Erde und Gott in euch gepflanzt, so bleibt das beste von mir euch erhalten, sagte er.
Der älteste sprach den Dank aller aus: Gott hat uns bevorzugt, daß wir dich so lange als Lehrer unter uns gehabt. Bis an unser Lebensende wirst du fruchtbar in uns bleiben, wir sind durch dich über unser eigenes Maß hinausgewachsen und überall, wohin man uns auch einmal sendet, wird man sagen: Seht, das ist ein Schüler Alberts von Köln. Neue Menschen hast du aus uns gemacht, so wird deine Lehre und dein Wesen an vielen Orten weiter wirken.
Er umarmte jeden einzeln, alle hatten die Augen naß, nur Albert nicht. War es, daß er ein halbes Leben nachzuholen hatte, was ihn trieb? Drängte es ihn zu dem Wichtigen, das Jordan mit ihm vorhatte?
Sie sahen ihm nach, wie er rüstigen Schritts hügelan stieg, wird er sich nicht einmal umwenden? Ja, da auf der Höhe steht er und sieht zurück auf die Stadt – auf die Freunde? Ja, auf die Freunde, denn er winkt mit der Hand, geht dann weiter, nach wenigen Schritten verschwindet er im Wald, so jäh, als ob er durch Zauber weggehoben sei.
Die Mönche wandten sich um, schritten nach Hause und sangen ein Lied, das Albert besonders geliebt hatte.