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Oft, wunderlich hingezogen, ging Albertus in das Lusamgärtlein, den Kreuzgang des Neumünsters, wo nicht die Welt, nur Sonne und Wolken und die Vögel des Himmels Zulaß hatten, die hier wirklich zahlreicher waren und singefreudiger als sonstwo.
Denn hier lag unter einer Steintafel der Sänger Walther von der Vogelweide begraben. Nach seinem Wunsch war in jedem der vier Ecksteine des Grabes eine Höhlung angebracht und täglich für die Vögel mit Futter gefüllt. Die Priester der Kirche hatten selber Freude an dem nie endenden Lobgesang.
Albertus gedachte mit Liebe des Toten, der, wie er selbst immer unterwegs, nun endlich hier zur Ruhe gekommen war. Klirrte nicht der Huftritt seines Pferdes noch geisterhaft in der Luft? Die Lieder des Toten atmeten noch, er hatte sie unter freiem Himmel gereimt, sie hatten ihre Kraft behalten.
Albertus sprach sie seinen Begleitern vor, am liebsten sein letztes: Ist mir mein Leben geträumt oder ist es wahr? Empfand Albert nicht auch diese große Verwunderung? War es nicht wunderbar, dieses Leben? Zuletzt hatte der Dichter, später als Albert, ganz zu Gott gefunden, er bereitete sich, über See zu fahren, um an einem Kreuzzug teilzunehmen und Gottes Sold zu empfangen. Aber Gott nahm den Willen für die Tat und hieß den Alten sich niederlagen und sterben, um auf mühelosere Weise zu ihm zu kommen.
Albertus stand inmitten des an- und fortschwirrenden Vogelschwarmes, das Futter vermehrend, die Vögel kannten ihn, manche setzten sich ihm auf Arm und Hand.
Hat für ihn die stille Feier des Lebensabends begonnen? Nein, das muß Sehnsucht bleiben, von ihm will Gott, daß er lebe und sich weiter mühe. Schon ruft ihn das Schicksal aufs neue in den Hader der Welt.
Nun ist es Köln, die zweite Heimat, die ihm bei Beginn von Gott zugewiesen ist und in die jetzt zurückzukehren ihm das junggebliebene Herz vor Freude singt.
Wild, Trotz gegen Trotz, geht es da zu, die Stadt ist in offenem Kampf mit ihrem Erzbischof Engelbert, der zugleich Kanzler des Reiches und der mächtigste Herr in Deutschland ist. Dennoch hat ihn der Graf von Jülich, Freund der Stadt, in blutiger Feldschlacht gefangen genommen – die Jülicher Kriegsknechte rissen den breitbrüstigen Mann, der ja auch weltlicher Fürst war, vom Pferd und wanden ihm zu vieren die Streitaxt aus der Faust. Nun sitzt der starke Mann seit Jahren im Kerker auf Burg Nideggen, voll Zorn, zu keinen Friedensverhandlungen bereit, ehe ihm nicht zuvor die Freiheit zurückgegeben ist. Die Kölner aber sagen: wir haben mit deinem Ungestüm genug Erfahrungen gemacht, lassen wir dich frei, ehe du den Frieden unterschrieben und beschworen hast, so fängst du am gleichen Tag, ja in der gleichen Stunde wieder Krieg an.
Nur einer kann helfen, Schiedsrichter sein, Frieden stiften, nach diesem einen sehen alle aus: Albertus, der weise, ahnende, mutige, jetzt nicht mehr nur ein Bettelmönch, sondern auch Bischof, als solcher vermag er dem noch im Kerker übermütigen Engelbert gleichberechtigt gegenüber zu treten.
Der Orden zwar ruft ihn, aber es sind doch die Bürger von Köln, die sich an den Orden gewandt haben.
Albert, der Achtundsiebzigjährige, bedenkt sich keinen Augenblick. Hilfe? Er wird kommen! Er würde überall hingehen, woher ein solcher Ruf dränge: aber nun ist es die Heimat, die ihm vertrauten Mitbürger, das heilige Ufer des Stromes, wohin er gerufen wird, von einer kaum zu entwirrenden Not. Das innerste Herz bricht ihm auf und reißt ihn hin. Dennoch hat er so wenig Eile wie Engelbert im Kerker: er wird wie immer zu Fuß gehen. Sucht mir die alten treuen Schuhe heraus!
Diesmal begleitete ihn, anfänglich zu seiner Betrübnis, nicht der vertraute Ägid, der seit langem auf dem Ackerland des Kölner Konvents Aufsicht hielt über Pflüger und Schnitter. Der Orden schickte den jungen Bruder Gottfried von Duisburg, nicht nur als Weggefährten, sondern auch als Pfleger bei Beschwerden des Alters – für dieses Amt war er eigens ausgebildet.
Eine schmerzliche Nacht mußte vor dem Abschied von Würzburg durchwacht werden. Die Kampfgespräche mit Ulrich am Fluß entlang, ihm so lieb geworden, wie einst die mit dem Freunde Thomas – vorbei! Das heitere Herzensgespräch mit dem leiblichen Bruder Heinrich, das lebendige Gedächtnis an Kindheit und Eltern – vorbei!
Ein Frost schauert durch Alberts Glieder, umsonst krümmte er sich unter der Bettdecke in sich zusammen. In all der Fülle deines Lebens bist du, Albert, nicht doch einsam? Ist Gott nicht doch allzu weit?
Wie entsetzt sich Albert vor dieser Frage, wie Feuer springt sie in ihm auf. Er wirft sich auf seinem Lager herum, ringend um Erkenntnis wie in der Jugend. Bis ihm die Antwort kommt: das gerade ist ja Gott, er schickt diese Furcht, daß du nicht allzu sicher wirst, sondern ein Mensch bleibst, in dem das Leben glüht, damit du kämpfen mußt, nicht nur mit andern, auch mit dir, solange bleibst du jung. Und sieh, da scheint hold zustimmend auch das Antlitz Marias in ihm auf.
Vorige Woche war ein Brief der Schwester Aleit angekommen, die er fast seine Tochter hätte nennen mögen, voll Zufriedenheit – hart war ihr Leben, doch hatte sie nur einen Wunsch: den alten Meister noch einmal wiedersehen! Wann wird er kommen?
Ach, nicht hart mochte Albert sein Leben nennen – was war es denn viel mit aller irdischen Beschwer? Aber eine andere Frage stand wieder in ihm auf, schon öfter hatte sie an die Tür seiner Seele geklopft – als er öffnete, flog etwas wie ein Hauch davon. Jetzt aber in dieser Nacht, stand sie auf und blieb: hast du, Albertus, in deiner zweiten Lebenshälfte denn auch in Wahrheit Gottes Auftrag erfüllt? Ist sie dir nicht auch verronnen wie Wasser im Rhein, wenn auch Sonne, Mond, Sterne oft prächtig darin leuchteten? Wäre nicht ein ritterliches Amt auf einer Burg dir doch gemäßer gewesen? Eine Hausfrau hätte mit den Kindern täglich deine Heimkehr aus Dörfern und Fluren erwartet, du hättest die Knaben auf nahe Schulen geschickt, hättest sie verheiratet und nun spielten Enkel um deine Knie? Hatte Gott dir ein solches Leben bestimmt und du hast in dem deinigen zu wenig getan?
Ach, Bruder und Bischof Albert, wehe dem, der mit sich zufrieden ist! Wer hätte am Lebensende nicht zu wenig getan? Du bist dem Genug nahe gekommen, das ist viel.
Dieser Gegenstimme des Trostes in seiner Brust war Albert froh. Ja, was will er mehr? Wandert er nicht schon morgen flußabwärts, dem Rhein zu? In den Krieg? Ist irgendwo in Deutschland, ja in der Welt ein älterer Kriegsknecht als er? Christophorus immer mehr!
Freundschaft und Bruderschaft hast du viel gefunden im Leben, nie fehlte es zum Glück auch an Mitmenschen, die bezwungen werden mußten. Jetzt ist Erzbischof Engelbert an der Reihe, der mächtigste Mann im Reich!
Ihn aus einem Feind zum Freund machen – kann Gott eine höhere Aufgabe stellen?
Mit diesem Kampf, Albert, ringst du um Gottes letzte Zufriedenheit. Unter diesem kriegerischen Wiegenlied schlief er ein, erst gegen Morgen, in der Hand hielt er Aleits goldenes Kreuzlein.