Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Ein Abenteuer wehte ihnen der Frühling sogleich beim Eintritt in fränkisches Land zu. Albert predigte an einem Sonntagmorgen in einem prächtigen Dorf. Vorher hatte er die Fenster in der Kirche öffnen lassen, damit der stockende Winter hinaus und der lebendige Frühling herein konnte. Auch seine Predigt wurde licht, wie hätte er an einem solchen Tage gegen die Welt zürnen können?
Seine Worte jubilierten ein Preislob auf die Schöpfung in den Raum: wie der Frühling über den Winter Herr wird, so die Seele des Menschen über das Ungemach, nichts ist so gewiß wie die Auferstehung, Gott Vater hat uns ja gerade im Frühling das mutige Vorbild gegeben. Es dauerte nicht lange, da kam auf seine Stimme hin, die aus der Heiterkeit der Seele einen erhöhten Wohlklang hatte, der Vogelsang draußen näher an die offenen Fenster heran, nach einiger Zeit flatterte einer und noch einer und immer mehr der geflügelten Himmelsboten herein, sie setzten sich auf den Altar, auf den frommen Scheitel der hölzernen Gottesmutter, auf die Dornenkrone des steinernen Jesus, schwangen sich in liedgewordenen Bogen über die erstaunten Zuhörer in den Bänken, die ihnen in den farbigen Sonntagskleidern als ein blühender Garten erscheinen mochten.
Albert grüßte sie wie einst Franz von Assisi sie gegrüßt hatte und zog sie als die Lieblinge des Schöpfers, winzige Engel, in seinen Lobgesang mit ein. Die Zweitliebsten aber seien dem Schöpfer die Bauern, die seine Erde umpflügten und mit Saat bewarfen, die viel Unwetter über sich ergehen ließen, immer den Himmel über sich, und unverzagt und mit unermüdlichem Fleiß ihre Mitmenschen in den Städten ernährten. Der Himmelsvater rufe ihnen durch die Vögel, durch die Sonne, durch das immer neue Wunder des Frühlings einen Dank zu.
Die Kirche, trotz der angstvollen Zeit, füllte sich mit Mut an, die Herzen schlugen kräftiger, die Augen blickten freier, hier und da weinte ein Mütterchen in ihre Schürze vor Kummer, nein, vor Glück.
Die Mönche, dieser graue Alte und dieser blonde Junge, wanderten schon zwischen den letzten Häusern des Dorfs und freuten sich, ins blühende Land zu kommen, das gerade aus allen Himmelsrichtungen von nahem und fernem Glockengeläut sonntäglich erfüllt war.
Es folgte ihnen ein schneller Schritt, sie wandten sich um und sahen ein Mädchen, bestrebt, sie einzuholen.
Sie blieben stehen und sahen ihr entgegen. Schmal, mit ernstem Gesicht und Augen, die noch von der Predigt übergroß waren, in hellem Kleid, eine Menschenblume, kam sie heran, bis sie vor ihnen stand. Sie bat den älteren Mönch mit schnellem Atem, die Augen mehr bittend als der Mund, zu ihrem Vater mitzukommen.
Wo wohnt er, meine Tochter?
Eine Stunde weiter.
Was ist mit ihm?
Wir haben viel Unglück gehabt mit Haus und Vieh, er hat den Mut verloren, mag nicht mehr leben! Mach ihm Mut, Mönch, du kannst es.
Sie gingen, Albert und das Mädchen voran, Ägid hinterher.
Einsam, von der Straße ein Stück landein, stand endlich das Haus, der Bauer saß auf einer Bank davor, wirrbärtig, die knochigen Fäuste auf den Knieen, er sah kaum auf.
Albert setzte sich neben ihn. Was, Mann, wer wird denn im Schatten sitzen und frieren? Zehn Schritte weiter und du sitzt in der Sonne, sie wärmt bereits ordentlich.
Mir ist um keine Sonne mehr zu tun, was bringst du mir den Mönch daher, Mädchen?
Wir wollten dich um einen Teller Milch bitten, unser Brot hineinzubrocken, sagte Albert.
Der Bauer schien überrascht und erfreut, daß er als ein Mann angesehen wurde, der noch genug besaß, anderen mitzugeben. Bring den Mönchen eine Schüssel Milch, sagte er zu seiner Frau, die in die Tür getreten war, Brot und Butter dazu und Geräuchertes!
Wir dürfen kein Fleisch essen, Bauer!
Auch am Sonntag nicht? Dann Schafkäse und Eier, Frau!
Aber in der Sonne möcht ich zu diesem schönen Mittagbrot sitzen, Bauer, steh auf, wir tragen die Bank vor!
Der Bauer stand auf, half aber nicht, wieder verdrossen. Ägid und das Mädchen hoben die Bank und stellten sie in die Sonne nieder. Die Frau brachte Milch, Butter, Schafkäse, Eier, stellte alles zwischen die Mönche auf die Bank, der Bauer blieb stehen.
Nun Bauer, wo fehlt dir's? Warum hast du die Augen auf dem Boden statt ins Land hinaus und zum Himmel hinauf?
Himmel? Nach dem Himmel hab ich lang genug ausgeschaut, der hat mir keine Hilfe gebracht, und das Land? was du siehst ist vom Krieg zerstampft – aber gleichviel, es hat mir gehört und gehört jetzt andern.
Ist auch für dich Notzeit gekommen wie für viele andere? Aber das große Haus?
Schulden darauf, daß der Giebel bricht, wie soll ich sie zahlen? Ich habe Frau und fünf Kinder, für die ich arbeite, Aleit, die mit dir denselben Weg gekommen, ist die älteste.
Er hat zum Staunen aller in der Kirche gepredigt, er kann dir Mut machen, Vater, sagte Aleit.
Wenn du mich glauben machen kannst, daß es bei allem Elend im Land noch einen Gott gibt, werd ich dir's lohnen, Mönch.
Du kannst mir gar nichts lohnen, denn ich darf nach meinem Gelübde gar nichts mein eigen nennen und freiwillige Gabe bekomme ich an jeder Tür.
Und hast du weit zu gehen?
Ich gehe jetzt bald zwei Jahre durchs ganze deutsche Land und brauche noch ein Jahr zurück.
Und kennst keinen Wein und hast im Leben nicht Frau und Kind gehabt?
Ich kenne all das, was dir im Leben das meiste gilt, längst nicht mehr und lebe doch freudiger als du.
Wodurch?
Dadurch, daß ich andere freudig mache! Aber Bauer, sieh: nur Freude, wer wollte das? Das wäre erst ein unerträglich Leben. Denk daran, wie du den Tag begrüßt nach der langen Nacht, möchtest du darum immer Tag? So muß der Mensch auch Sorge, Müh, Plage, Unglück haben, aber nicht zu Strafe und Furcht, sondern der Schöpfer hat dem Leid einen tieferen Sinn gegeben: wir müssen uns darüber hinaus ringen. Jedes Leid ist eine Stufe zum Anstieg, horch in dich, dein Gefühl wird dir sagen; ja, dem ist so. Mit schwerem Gepäck kommt unsere Seele nicht hoch, deshalb mußt du alles, was dich bedrückt, mit innerem Feuer in dir aufzehren. Jede Not mußt du umschaffen in Widerstand, nicht klagen und anklagen, sondern tragen, arbeiten, dich mühen in Schweiß, froh in dir über das geringste, was dir gelingt, und magst du vorher noch so reich gewesen sein, von vorn anfangen, neu aufbauen, daraus wächst dir täglich Kraft zu. Es ist schwer, es muß gelernt und geübt werden, einmal magst du nicht mehr, du wirfst dich an die Erde, nicht zum Gebet, sondern im Zorn und eher zum Fluch gegen Gott. Aber dann ist es, als ob gerade die Erde dir neue Kraft gäbe: du hebst die Stirn, steigst weiter hinan, wie hoch du schon bist! Schon wird es um dich heller, sieh, du bist am Ziel, es ist dir nicht geschenkt worden, du hast es dir erkämpft, darum bist du stolz auf dich, nun trittst du in einen Tag, der keine Nacht mehr hat, nun ist deine Seele dafür geschaffen, nun wohnst du in einem vollkommneren Leben, im Jenseits, nicht mehr weit vom Vater unser aller. Sein Bote wird kommen, dich bei der Hand fassen und fragen: Wo ist dein Leid? Dann wirst du sagen: Es ist unter mir geblieben, es war wohl groß, aber ich habe mich heraus gearbeitet, ich erinnere mich nicht mehr daran! Dann ist es recht, wird der Bote sagen, dann kannst du unsere leichte Luft atmen und unsere hohen Pfade gehen, komm mit!
Was du sagst, Mönch, hört sich nicht schlecht an, wird es aber auch wirklich so viel besser sein in diesem neuen Leben?
Beschreiben kann dir das Jenseits keiner, es ist noch keiner von uns dort gewesen, auch ich nicht, du mußt glauben. Horch wieder in dich, dann wirst du hören, daß dieser Glaube in dir selbst eingewurzelt ist. Um uns zu stärken im Glauben, ist Gott ja Mensch geworden, in Gestalt seines Sohnes Jesus, zu uns herabgekommen, er hat das martervollste Menschenleid, das zu denken ist, erduldet und überwunden und ist, uns zum sichtbaren Zeichen, wieder nach oben gestiegen. Ob es oben vollkommen ist? Das eine ist gewiß: es wird die Welt der großen Liebe sein von Mensch zu Mensch, nach der wir alle hier unten umsonst uns sehnen. Wie könnten wir uns sehnen nach etwas, das es nicht gibt und nach dem wir doch lechzen? Wer hat diese Sehnsucht in uns getan, wenn nicht der, der uns geschaffen hat? Seiner Nähe uns wert zu machen, darum sind wir auf diese Erde vorgeboren. Rätsel, Geheimnis, sagst du. Ja, weil Rätsel, Geheimnis: darum hilft nur Glaube, Liebe. Arbeite, sei andern noch mehr Verzagten Vorbild, zieh sie liebend mit empor.
Aber die Meinen, die ich, kommt der Tod, zurücklasse mit dem verschuldeten Hof?
Kommt der Tod, mußt du die Deinen allein zurücklassen, dann gilt für sie dasselbe wie für dich. Darum, Bauer, sei furchtlos im Leben wie im Sterben, nichts kann dir und ihnen geschehen, wenn ihr glaubt!
Des Bauern Gesicht färbt sich mit einer zarten Röte, er öffnet die Augen, wie strahlen sie denn? Er nimmt die Hand des Mönches in seine beiden Hände und schüttelt sie stark, er spricht mit den Augen Dank aus, weil der Dank so groß ist, daß es kein Wort dafür gibt.
Albert und Ägid gehen.
Ein Wald kam, sie setzten sich, wie sie es immer liebten, an seinen Rand zur Mittagsruhe, überaus wohlig saß es sich im Sonnenschein, wer im ganzen Lande hätte köstlicher ruhen können?
Dennoch ging Albert bald in den Wald hinein, um nach Tieren und Pflanzen auszuschauen. Ägid lehnte den Rücken an den Baum zu einem kurzen Schlaf, eigentlich war für ihn, der abends oft lange für seinen Meister zu schreiben hatte, der animalische Schlaf das Köstlichste auf Erden und wenn er sich in den Himmel dachte, dann sah er sich auf einer Wolke liegen und, die Stirn wohlig luftumfächelt, schlafen.
Er hörte einen Schritt vom Gebüsch jenseits der Straße her, etwas Helles bewegte sich geschwind durchs Blättergewirr – Aleit?
Sie kam offen die Straße entlang, trotz der Sonne noch frühlingsblaß das Gesicht, die Augen übergroß, wirklich eine Menschenblume.
Ägid stand auf, ging ihr aber nicht entgegen.
Auch sie blieb entfernt von ihm stehen, doch nah genug, um mit ihm zu sprechen.
Wohin?
Zu Bruder Albertus.
Er ist im Wald hinter mir.
Bruder Ägid, inzwischen möchte ich dich etwas fragen.
Warte, sogleich kommt Bruder Albertus. Er rief: Meister Albertus!
Warum nennst du ihn Meister?
Er ist ja weitaus älter als ich!
Albert kam zwischen den Bäumen des Waldes heraus: Kind, du?
Aleit ging über die Straße zu ihm hin und sagte mit gesenkten Augen:
Meister Albert, ich will dich nennen, wie dich dein junger Bruder ruft. Du bist mehr als Bruder! Sie hob mutig die Stirn: Hat euer Kloster auch Frauenklöster?
Ja, gewiß.
Ist eins in der Nähe?
Ja, zwei Tage von hier, wir gehen dorthin.
Kannst du machen, daß jemand aus unserem Dorf da eintritt?
Das wollen jetzt viele Frauen, sie flüchten vor der Not der Zeit zu uns. Darum ist wenig Platz.
Aber wenn du für eine bittest?
Das müßte in besonderer Not sein.
Das ist es.
Albert sah das Mädchen an. Wie alt ist die, von der du sprichst?
Das ist zu jung, bitte deine Freundin in zwei Jahren zu fragen.
Des Mädchens Brust hob und senkte sich schnell, sie wollte mehr sagen, aber jäh enteilte sie ohne Gruß, scheu wie ein Waldreh, ins Gebüsch zurück.
Wie schön ist die Jugend! Und es sollte keinen Schöpfer geben? sagte Albert.
Die beiden Pilger machten sich wieder auf den Weg. Die Sonne brannte, aber die Luft war frisch und voll Wohlgeruch. Sie kamen an das Kloster eines fremden Ordens, hier befand sich eine große Bücherei. Albert machte Halt und sagte: Ich gehe für eine Stunde hinein, geh du voraus und erwarte mich irgendwo an der Straße.
Er klopfte an die Klostertür, vom Pförtner mürrisch eingelassen, bald aber, als sein Name durch Flure und Zellen lief, von einer zahlreichen Brüderschar neugierig und achtungsvoll umgeben.
Ägid schritt weiter und setzte sich bald auf den Rand eines hölzernen Brunnentrogs, den unterbrochenen Mittagschlaf nachzuholen. Er sah eine Zeitlang dem schwirrenden Spiel der Libellen zu und schlummerte über dem eintönigen Plätschern der Quelle ein.
Albert blieb länger als er angekündigt hatte, die Sonne begann sich schon zu senken, Ägid blinzelte einmal mit den Augen und verfiel aufs neue in Schlaf.
Da kam wieder der eilige und sichere Schritt: Aleit. Sie sah den Schlummernden auf dem Brunnenrand sitzen, trat auf den Zehen auf und setzte sich an das andere Ende des langen Troges, der aus einem liegenden ausgehöhlten Baumstamm gebildet war. Auch sie sah den Libellen zu, kühlte die Hände im Wasser, nicht allzu bedacht auf die ungestörte Ruhe des Schläfers, den sie lieber wach gesehen hätte.
Als endlich Albert angeschritten kam, ein Buch unter dem Arm, das ihm zum Geschenk gemacht worden, sah er überrascht das Mädchen zurückgekommen und Ägid statt plaudernd schlafen. Mit andeutender Gebärde sann er nach, wie der Schläfer auf heitere Art zu wecken sei.
Ägid hatte am Vortag den Lockruf einer Rohrdommel zu hören behauptet, während der vogelkundige Meister ihn aufklärte, dazu sei es noch viel zu früh in der Jahreszeit. Hartnäckig horchte Ägid den ganzen Tag nach einer Wiederholung des Rufs aus, um in diesem Punkt Herr über seinen Meister zu werden.
Kunstvoll ahmte Albert diesen Vogelruf nach, ein zweites Mal lauter, ein drittes und viertes Mal wie ganz aus der Nähe. Kaum erklang der solang umsonst ersehnte Ruf, da regten sich Ägids Augenwimpern, beim zweitenmal öffnete er die Augen starr, beim dritten und vierten Ruf aber riß er sich triumphierend und kampfbereit aus dem Schlaf hoch. Da sah er seinen Meister vor sich stehen und Aleit neben sich auf dem Brunnentrog sitzen.
Albert mußte seine Kunst der Nachahmung mehrere Male wiederholen, ehe Ägid die Täuschung glaubte.
Ja, und nun zu dir, Kind! Lieblich sitzt du da, aber warum kommst du noch einmal zurück? Ist es Zufall?
Aleit errötete wundersam: Ich gehe oft an Sonntagen hier hinaus, ich habe im nächsten Dorf Verwandte.
So geh bis dahin mit uns.
Es war ein anfangs wieder stummer Weg. Albert dachte: Wie seltsam, daß ich hier über eine so ferne Straße schreite, neben einem Kind, durch den traumhaft beharrlichen Willen dieses Kindes! Er fühlte sich wie in einem Märchen seiner eigenen Jugend.
Entgegenkommende Landleute, die Aleit kannten, grüßten.
Aleit unterbrach zuerst das Schweigen: Meister Albertus, ich bin in der Zwischenzeit zu Haus gewesen. Bis heute hat der Vater meiner Freundin vom Kloster nichts wissen wollen, so oft das Mädchen auch davon sprach. Jetzt stimmt er zu, dir zu Dank, denn er hat dich sprechen hören.
Also du bist die Freundin? Ich ahnte es, aber ich sagte dir: in zwei Jahren.
Der Vater erlaubt es in einem Jahr, denn dann hast du deine Reise beendet.
Gut, schreibe mir in einem Jahr, dann wollen wir weiter nachdenken.
Kannst du es machen, daß ein Kloster mich nimmt?
Antworte du, Ägid, an meiner Stelle, sagte Albert.
Soll ich dir sagen, wer Bruder Albertus ist? rief Ägid eifrig. Der Meister über alle deutschen Klöster unseres Ordens, mehr als 70!
Was müssen die Frauen in eurem Orden besonders geloben, Meisten Albertus?
Ich nenne dir vor allem das Gelübde der Armut, das unserm Orden eigen ist. Von allem, was du besitzest, darfst du nichts behalten, alles mußt du hergeben, auch die Eltern, Geschwister, Freundinnen, auch alles, was deine Eltern dir einmal hinterlassen würden und du einem Bräutigam mitbringen könntest.
Ich bin bereit zu der Entsagung, denn ich gewinne höhere Freuden dafür.
Ja, das sagt sich leicht, aber du mußt ein Probejahr durchmachen, dann erst bist du im Stande dich zu entscheiden, auch der Orden hat dich in diesem Jahr kennen gelernt. Dieses erste Jahr ist schwer, die Nahrung gering, die Mühe groß, viel Demut wird gefordert: Hunger, Mühe, Demut, Aufopferung für andere sind dir noch nicht zur Gewohnheit geworden, später ist das alles leichter.
Was haben die Schwestern zu tun am ersten Tag, wenn sie kommen, und dann weiter, bis das Jahr um ist, erzähle mir, ehrwürdiger Vater.
Sie hatte immer neue Fragen, kindlich und ernst zugleich, der Weg durch das Land ließ sich auf diese Weise schnell und hold an, wie ein Geschenk der Gottesmutter an den Freund. Die Sonne brach schon in wagerechten Strahlen zwischen den Bäumen durch, Aleit ging in vollem Gold – geht sie schmal, mit schlankem Hals, in ihrer Jugend und Schuldlosigkeit nicht dahin wie eine zu Leben gekommene Figur der Himmelskönigin aus einer Dorfkirche, von einem durchwandernden Holzschnitzer andächtig gefertigt? Albert nahm das Bild tief in sich, auf – dieses Mädchen ist ein Gleichnis der in Not sich erneuernden Zeit, gerade aus der Weglosigkeit drängt es viele junge Menschen zu tätiger Hilfe an denen, die am Wege zu erliegen drohen; so finden die Helfer selbst Erfüllung und Kraft.
Nun eile nach Haus, Kind, ehe es Nacht wird über deinem Heimweg, sagte Albert und blieb stehen, Ägid mit ihm.
Ich schlafe bei meinen Verwandten, das tu ich oft, sagte Aleit und ging unbekümmert weiter.
Albert und Ägid mußten ihr folgen.
Wandern die Schwestern deines Ordens ebenso wie die Brüder, ehrwürdiger Vater? fragte sie.
Nein, das ziemte sich nicht, auch die Brüder wandern nur zuzeiten.
Da die Schwestern nicht predigen, wodurch machen sie sich an Stelle dessen verdient?
Sie pflegen um so mehr die Kranken und Alten.
Warst du zufrieden mit den Schwestern der Klöster, die du bis jetzt besucht hast?
Ja, sie nehmen überall die ganz Hilflosen ins Haus, sie sind und machen andere freudig, sie widerstehen den Schrecken der Zeit eher noch zuversichtlicher als die Brüder.
Das Mädchen erglänzte stolz, als sei sie selbst gelobt worden.
Wird mein Kloster in deiner Nähe sein?
Das kann es, wenn du nicht lieber in deiner Heimat bleibst.
Ich will in deiner Nähe sein, Vater.
Du sagst: ich will, eines deiner Gelübde aber wird heißen: Gehorsam.
Lieber Vater, ich bitte dich, laß mich nicht länger warten. Für das Probejahr nimm mich mit in das Kloster, zu dem ihr auf dem Wege seid. Dann, nach deiner Heimkehr von der großen Wanderung, rufe mich in das Kloster, das deiner Stadt am nächsten liegt. So werde ich dich doch manchmal sehen und stark bleiben.
Albert sah von der Seite in das Gesicht des Mädchens und erkannte darin immer deutlicher den Ausdruck, den die wilde Zeit vielen Gesichtern junger Menschen gab: nicht auch wild, ungebändigt, raubgierig, sondern im Gegenteil, heller Begeisterung voll, sich über dieses heimtückische Leben, das ein Kampf aller gegen alle geworden war, hinaufzuziehen in ein höheres Sein, beutelos, nicht nehmend, sondern gebend, aus dem inneren Schatz der Seele, den niemand rauben konnte, der sich verschwendend wuchs.
So weit war der Ruf Franz von Assisis und der des Dominikus in das Land gedrungen, wie Blumensamen durch die Lüfte.
Albert war ergriffen von dem Ausdruck dieses Mädchengesichtes aus einem entlegenen Dorf. Aber gerade die Begeisterung, um wirklich fruchtbar zu werden, mußte ein Teil Nüchternheit bewahren: Nein, Kind, bleibe nach seinem Wunsch dieses Jahr noch bei deinem leiblichen Vater zu Hause. Dann komm und hilf, selber bei uns geschützt trotz Armut.
Auf Aleits Gesicht zeigte sich die Enttäuschung wie ein plötzlicher Hauch über einem Spiegel. Schweigsam schritt sie neben dem Mann her, der in Kutte, Überwurf und Pilgerhut mit einem Wort Glück geben oder nehmen konnte. Aber sie war doch nicht mehr so sehr Kind, wie Albert annahm, oder sie hatte an diesem Tag erster Prüfung schon an Reife zugenommen. Deutlich spürte er, daß trotz seiner Worte ihre Entschlossenheit nicht wich und war auch wieder froh darüber.
Er wird dem allen in der Nacht, wenn er allein wach ist und Gott näher als am Tag, nachsinnen.
Ehrwürdiger Vater, bleib einen Augenblick stehen, sagte sie, löste geschwind ein goldenes Kettchen von ihrem Hals, an dem ein kleines Kreuz hing, schloß es Albert, ehe er in der Überraschung wehren konnte, um den Hals und deckte den Kragen der Kutte darüber: Darfst du das besitzen?
Ich darf, sagte Albert, er mochte dem Kind die Freude nicht stören. Aber wird ihm mit diesem geringen Kettchen nicht etwas Besonderes, von höherer Bedeutung gegeben, Zeugnis, daß die kommende Zeit der Botschaft seines Ordens, die Menschen zu lieben, nachfolgte?
Sie kamen zu den ersten Häusern des Dorfs, die Kinder versammelten sich schnell um sie, und gingen mit ins Dorf hinein, sie hatten noch nie Bettelmönche gesehen, die dazu nicht einmal bettelten, sondern von den Leuten fromm und verehrend begrüßt wurden.
Die Mönche gingen zu des Mädchens Oheim. Ja, sie kann in unserm Hause schlafen, sie tut das oft! Aber auch für euch zwei ist Platz, mein Haus ist groß, kommt herein.
Nach dem Abendbrot, dem der Wein nicht fehlte, gingen des Bauern Kinder mit Aleit zu Bett, die Frau blieb bei Mann und Gästen. Nun konnte Albert mit den Leuten reden, vernünftigen Leuten, sie hatten dasselbe Bedenken: Aleit ist noch zu jung für einen so großen Entschluß. Der Bauer sagte: Als Bauer und zur Familie gehörig, denke ich aber auch: ein Kind weniger ist eine Sorge weniger, der arme Bruder kann keine Mehrung, aber eine Minderung seiner vielen Sorgen vertragen, es gehen viele Töchter ins Kloster und wo wären sie in einer so sorgenschweren Zeit auch besser untergebracht? In einem Kloster eures Ordens aber darf nicht nur, sondern muß jeder arm sein. Und doch treten reiche Herren und Damen, ja solche von altem Adel ein, nachdem sie ihren Besitz von sich getan, das wissen wir wohl. Und eine so günstige Gelegenheit, den Meister des Ordens, wie der junge Mönch ausgeplaudert, im Hause zu haben und durch ihn einen guten Platz zu finden für Aleit, die uns lieb ist wie ein eigenes Kind, wird nie wieder kommen.
Sie ist zu jung, sagte, als sei er der einzige Vernünftige, Ägid, jedesmal, wenn das Gespräch der beiden Männer einmal schwieg.
Ja, zu jung, sagte der Bauer entschlossen, du junger Mönch sprichst die Wahrheit, sie soll ein Jahr warten, ich bringe sie morgen in aller Frühe ihren Eltern zurück, so daß sie euch gar nicht mehr sieht.
Ich werde unsern Vater im Himmel fragen, sagte Albert. Komme ich morgen in aller Früh vor deinem Fortgang nicht herunter, so ist es entschieden, du bringst sie zurück.
Als der Meister und Ägid in der geräumigen sauber getünchten Schlafkammer noch wach lagen, sagte Ägid: Ihr nehmt das Kind zu ernst, laßt den Bauer sie morgen in aller Früh dahin zurückbringen, wohin sie vorläufig gehört, ohne weitere Überlegung, und schlaft ruhig ein.
Ich achte mehr als du den starken Willen dieses einfachen Mädchens und bin nicht gewiß, ob nicht Gott aus ihr spricht.
Albert lag lange wach und sprach mit dem höchsten Vater. Dabei nahm er einmal sein Kreuzlein auf der Brust und wies es Gott hin, aber Gott schwieg.
Als die beiden Mönche am Morgen hinunter ins Zimmer traten, rollte zu ihrer Genugtuung der Wagen ihres Gastgebers, von der Fahrt zum Bruder zurück, gerade vor der Tür an.
Der Bauer saß allein vorn: die beiden Mönche atmeten erleichtert auf, so waren sie eines schwierigen Abschieds enthoben, Aleit war schon fortgebracht und zu Hause.
Aber was ist das, da springt jemand hinten vom Wagen: Aleit, sie trägt ein großes Bündel.
Der Bauer kam ins Zimmer und berichtete: Das ist ein Rätsel, Mönch, mein Bruder ist ein neuer Mann durch dich, voll fremdem Mut. Er und die Schwägerin, dir Meister zu Dank, auch um die Gunst auszunutzen, daß du der Herr über alle Klöster bist und dich sicher immer Aleits annehmen wirst, sind mit dem Eintritt der Tochter schon für den heutigen Tag einverstanden.
Albert stand noch stumm, allzu überrascht.
Der Bauer dachte ihn unwillig und entschuldigte sich: Wir sind alle zusammen nicht gegen sie aufgekommen.
Albert sagte: Bauer, ich denke, der starke Wille Aleits hebt den Nachteil zu großer Jugend auf, ein solcher Wille kann nur von Gott kommen. Wahrscheinlich hat sie die Nacht im Gebet auch Gott niedergerungen, darum hat er bei mir geschwiegen. Hol sie herein, Ägid – es sei!
Ägid ging und kam mit Aleit zurück, sie trug ihr Bündel mit beiden Armen vor dem Leib und stand vor Albert schuldbewußt und triumphierend zugleich, aber auch zu neuem Kampf bereit, das sprach aus ihrem Blick.
Albert sagte: Aleit, ich freue mich deines Eifers und des Einverständnisses deiner Eltern. Leg dein Bündel hin und gib mir die Hand, ich halte sie fest in der meinen, daran zieh ich dich von deinem Vaterhaus fort und in unsere Gemeinschaft hinein, die viele tausend Schwestern und Brüder hat. Jesus heißt nun dein Bräutigam, ihm weihst du nun dich und bleibst in deinem Gelöbnis bis an dein Ende, die heiligen Engel werden einst dich in das Paradies ewigen Glückes geleiten, viel läßt du zurück, aber mehr gewinnst du, unsagbare Glorie und nie endende Freude. Hiermit nehme ich dich in unsern Orden auf, Schwester Aleit! Er legte ihr beide Hände auf den Scheitel und küßte sie an Jesu statt auf die noch kindlich gewölbte Stirn.
Aleit stand, sah ihn strahlend an, mit einer ernsten Holdseligkeit, während ihre Augen sich mit Glückstränen füllten: Ich danke dir, ehrwürdiger Vater.
Sie gab auch Ägid die Hand, er nahm das Bündel auf und sagte mit behutsamem Scherz: Von dem Bündel wirst du noch einiges lassen müssen, aber nehmen wir es erst einmal mit.
Auch der Bauer als Oheim gab ihr die Hand und begrüßte sie als Schwester Aleit, seine Frau, die Kinder kamen herein, alle begrüßten die Verwandte mit Stolz, ein jeder nannte sie Schwester Aleit.
Nun ist es so, sagte der Bauer, ich bringe meines Bruders Kind selbstverständlich im Wagen in ihre neue Heimat, dazu braucht es einen Tag. Müßt ihr, Meister Albert, nach eurer Vorschrift zu Fuß gehen, unbedingt oder gibt es Ausnahmen?
Es gibt Ausnahmen. Da wir, um alles anzuordnen, das Kloster gleichzeitig mit Schwester Aleit erreichen müssen, und ihr nicht die Fußwanderung zumuten können, ist die Notwendigkeit gegeben, auch für uns den Wagen zu benutzen.
Das ist auf unserer Reise seit zwei Jahren die erste Ausnahme, rief Ägid erfreut über den bevorstehenden Genuß einer Wagenfahrt.
Es ist die erste Ausnahme in den zwei Jahrzehnten, die ich dem Orden angehöre, sagte Albert.
Das ganze Dorf war inzwischen herangekommen, alle beglückwünschten und verabschiedeten zugleich die so junge Schwester. Viele Frauen, im Anblick der Schönheit der Novize, die da hinter zwei Rossen aus der Welt hinausfuhr, hatten Tränen der Rührung und des Mitglücks in den Augen.
Vor mancher Tür noch in der langen Dorfstraße mußte der Wagen halten zu dem immer gleichen Abschied, wobei die ganz Alten sich nicht genug wundern konnten, da ja diese Schwester noch gerade ein Kind gewesen, das die Kleider ihrer Puppe am Gartenzaun zum Trocknen aufhing.
Dann fuhr der Wagen durch das sonnige Hügeltal. Der Bauer lenkte die Rosse mit leisem Zügelzug, während er der Erzählung Aleits von ihrer glücklichen Jugend lauschte – sie stellte ihre Eltern, Geschwister, Gespielen gleichsam alle noch einmal vor sich hin, von deren Welt sie schon längst Abschied genommen hatte, damals als der Ernst über sie kam und sie zu jenem Jesus fand, der vor 1000 Jahren gelebt hatte und dessen Bilder sie in einem Kästchen sammelte.
Sie wird ein tapferes Mitglied des Ordens werden, dachte Albert und erzählte von Schwestern, die er auf seinen Reisen angetroffen hatte, wahren Heldinnen in Unermüdlichkeit und Geduld.
Unter allem Erzählen sahen sie in das schöne Land, es kam über alle das Gefühl, daß diese Reise die Fahrt einer Himmelsbraut war. Wenn von einem fernen Turm die Glocken läuteten, war es ihnen ein Gruß für Aleit.