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Entsagung

So wenig vermochte Albertus schon Abschied vom Meer zu nehmen, daß er am Morgen beschloß, vorerst an der Küste, wo immer es möglich war, weiter zu wandern, zwischendurch immer wieder landein, wo die Städte und Konvente dicht gedrängt lagen, je entlegener, je getrennter m Geistigen, um so eigener ihr Gesicht und umso länger mußte der Aufenthalt dauern, den Zusammenhang mit dem Ganzen des Ordens wieder herzustellen, ohne die Eigenart zu stören.

Als sie einen Strom an seiner äußersten Einmündung ins Meer erreicht hatten, bat Albert bewegten Gemüts, als habe er das Wogen des Meeres in sich, seinen Gefährten, noch einen Tag hier mit ihm zu verbringen. Denn ein Erlebnis der Natur so einziger Art war nicht mehr zu finden: das Eingehen eines Stromes ins All, Tod und Geburt in einem, gegen diesen Blick in die Schöpfung verlor selbst der Hochweg eines Alpenpasses zwischen Fels und Eis an Bedeutung. Nicht plötzlich stirbt der Strom, er erweitert sich, seine Ufer verschwinden allmählich, man kann nicht sagen, hier ist noch Strom, hier ist schon Meer.

Hinzugetan war die Beobachtung menschlichen Fleißes und Strebens: wie Schalen, die Ameisen sich gebaut haben, um sich einer fremden Sphäre zu bemeistern, kehrten mit dem Schwall der Flut Schiffe von kurzer oder langer Fahrt in ihre Häfen zurück. Aber bald nahm das Auge die winzigen Segel als Menschenwerk nicht mehr wahr, es sah nur Himmel, Sand, Wasser, drei Farben, sich fremd, entgegengesetzt und doch eins und zu einem Ziel zusammenwirkend, das der Mensch nicht erkennt – drei Kräfte, größer als der winzige Mensch? Nein, der Mensch erhebt sich durch seine Denkkraft dennoch über sie – wie groß aber muß Gott sein!

Während Albertus, wie er als Knabe am Flußufer der Heimat oft getan und wie in einer Ruhestunde der Weltschöpfer selbst es manchmal tun mochte, den Sand durch die offenen Finger rinnen ließ, im Gefühl der unendlichen Reinheit dieses Naturstoffes und zugleich der verrinnenden Zeit, stöhnte es aus seiner Brust, Ägid sah besorgt nach ihm hin, leise sagte sein Meister: Mein Bruder, versteh mich jetzt, ich habe mir etwas ausgedacht. Wäre es nicht zarter, wenn Almudis und ich, wenigstens auf dieser Reise, uns garnicht sähen? Sind wir uns nicht fremd geworden, obwohl oder gerade weil wir nur aus der Ferne miteinander sprachen? Alles, was im wirklichen Beisammensein stören könnte, hat gefehlt. Seit vielen Jahren verlangen wir einander zu sehen, ein erfülltes Verlangen aber verliert seine Kraft. Jetzt ist unsere Freundschaft von einer unirdischen Leichtheit – sehen und kennen wir uns, wird sie irdisch schwer wie jede gewöhnliche Freundschaft. Die zwischen Almudis und mir aber sollte eine besondere bleiben, ein seltenes Geschenk – wir sollten nicht daran rühren. Verstehst du mich hierin?

Ägid verspürte ohnehin wenig Lust, den nach der Kühle des Wassers doppelt heißen Weg weit ins Land zurück zu machen, er antwortete: Ja, Ihr könnt Eurer Äbtissin Almudis das Meer in Briefen auch deutlicher schildern als mit Worten aus eurem Munde, da ihr euch doch fremd seid und anfangs sicher beide schüchtern.

Du hast recht, ja, so ist es.

Außerdem: mündlich erzählen könnt ihr alles nur einmal, die Briefe aber kann sie immer wieder lesen, nach Jahren noch.

Albert, verwundert über seines Schülers Eifer, sagte: Ja, das käme hinzu, ich glaube, Almudis nimmt es nicht anders. Ich werde ihr offen schreiben, nach einiger Betrübnis wird sie diesen erhöhten Reiz der noch dauernden Ferne mitfühlen und mir zustimmen, ja, ich weiß es, das wird sie.

Am Abend als sie sich auf das Lager hingestreckt hatten, begann Albertus schwer seufzend noch einmal: Meine Freundschaft mit dem Meer war auch eine aus der Ferne, nun bin ich zu ihm hingegangen – und das Glück ist unendlich reicher als vorher. Würde es mir mit Almudis nicht ebenso gehen? Sollte ich nicht doch hinwandern? Rate mir!

Verzeiht Meister Albertus, ihr vergleicht Unvergleichbares: Mensch und Meer. Meer ist nur Natur, ohne Beimischung, aber bei den Menschen – was tritt alles hinzu, von dem ihr vorher nichts ahnen könnt? Das Meer bleibt, wie es ist und immer sein wird, ihr mögt es anschauen oder nicht. Ein Mensch aber ist anders gegenüber jedem anderen Menschen und ändert sich, während wir mit ihm sprechen, im Angenehmen oder Unangenehmen, im Guten oder Bösen, je nachdem wir ihm gefallen oder er uns, die Ferne aber läßt alles gut wie es ist.

Wie klug du sein kannst! Du denkst dabei wohl auch an dich, der heiße Weg schreckt dich. Aber es ist wie du sagst: ich fürchte etwas, das zart und vertraut ist, zu stören. Ich möchte es noch fern und duftig halten, ich möchte es Märchen sein lassen, Traum, Geheimnis, halb nur wirklich. Immer bleibt ein Wunsch da, eine Sehnsucht, die sich erfüllen kann; wenn sie sich auch nicht erfüllt. So hat man ein Glück in sich, das unzerstörbar ist. Kannst du das verstehen?

Ägid dachte nach, suchte aber umsonst nach einer Antwort.

Du kannst es wohl nicht verstehen, sagte Albert, und doch ist es ein Gefühl, das unserm Denken an Gott, Jesus und seine Mutter verwandt ist: wir müssen etwas fern von uns haben, wonach wir ausschauen, aber es muß fern bleiben.

Nach einiger Zeit sagte er, mit zur Erde geneigter Stirn: Es ist noch etwas, das mich fern hält – ich darf nicht zu glücklich sein auf dieser Erde, meine Liebe muß allen Menschen gehören.


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