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Der friedliche Triumph Irland und anderes

Während in früheren Jahren die gnadenbringende Weihnachtszeit gewöhnlich auf die Zeitgenossen, die sich mit Haut und Haaren der Politik verschrieben, einen wohltätigen, schlummerfördernden Einfluß ausübte, ist in diesem Jahre wenig davon zu spüren. Im Gegenteil, die Aktivität ist aufs Höchste gestiegen, und den Zuschauer verwirrt die Flut der Ereignisse. Dabei muß man feststellen, daß nur ein einziges Werk gediehen ist von Bedeutung über den Tag hinaus. Das ist das englisch-irische Abkommen.

Gewiß ist es noch nicht endgültig unter Dach und Fach. Die Ulster-Leute gebärden sich renitent, de Valeras engerer Kreis beharrt fanatisch auf der Forderung vollkommener Unabhängigkeit. Vielleicht haben wir es hier auch nur mit einem Rückzugsgefecht zu tun, um den Engländern zu demonstrieren, daß das, was ihnen in langen Verhandlungen abgenötigt, durchaus nichts welterschütterndes sei, sondern eine blanke Selbstverständlichkeit. Jedenfalls wird Irland in Zukunft eine staatsrechtliche Stellung einnehmen, die derjenigen Kanadas gleichkommt; ein ungeheuerer Erfolg, wenn man sich ins Gedächtnis zurückruft, wie die Dinge noch vor einem halben Jahre lagen. Wir anderen Europäer können auch nur wieder der englischen Staatskunst unsere tiefste Reverenz erweisen. Das irische Problem, die Klippe der größten englischen Politiker seit mehr als fünfzig Jahren, ist von diesem Lloyd George im Laufe von wenigen Monaten zu einem Abschluß gebracht worden, von dem wohl auch die radikalsten Sinnfeiner vor einem Jahre kaum zu träumen wagten. Die englische Staatspolitik hat im Laufe der Jahrhunderte vieles mit Gewalt erzwungen, vieles mit List und Beharrlichkeit erschlichen, aber am größten war sie doch immer, wenn sie mit strenger Disziplin sich zur Selbstgenügsamkeit nötigte und trotz aller reichlich vorhandenen Machtmittel friedlich-schiedliche Methoden wählte. Auch Lloyd George ist zu dieser Tradition zurückgekehrt, hat den bellikosen Munitionsminister, den nationalistischen Propagandaredner der Khakiwahlen begraben, ist wieder der politische Reformer, der unerschrockene Schatzkanzler von einst, der sein populäres Budget durchsetzte gegen den Widerstand der Lords und Großkapitalisten. England hat seinen Herd der Verpestung zugeschüttet. Die englische Politik macht sich wieder die Arme frei und wendet sich neugekräftigt der Welt zu.

Auch in anderen Regierungshäusern wäre solche Weisheit am Platze. Herr Briand hat in Washington mehr tönend als inhaltsvoll die Politik seines Kabinetts verteidigt, eine Politik, die nicht Maß hält, sich nicht am Möglichen orientiert. Wie dürftig das Ergebnis von Washington ist, haben wir an dieser Stelle wiederholt betont. Japan ist in eine Allianz hineinkomplimentiert worden, gegen die es sich mit Händen und Füßen sträubte. Amerika hat auf die höflichste und liberalste Weise den kleinen rührigen Wettbewerber lahmgelegt, und England ist jenes Bündnisses mit Japan ledig geworden, das ihm schon längst keine Freude mehr machte und in sein Verhältnis zu Amerika ein Tröpfchen Fegefeuer mischte. Außerdem gewinnt die ganze Veranstaltung von Washington immer mehr den Anschein, als sei ihr tieferer Zweck, Englands Staatsklugheit in hellstem Lichte erscheinen zu lassen. Balfour erklärte in der Flottenkommission, daß die englische Regierung für die Abschaffung des U-Bootes als völkerrechtmäßiges Kampfmittel eintrete. Wie ernst es seiner Regierung mit dieser Forderung ist, können und wollen wir nicht beurteilen. Jedenfalls erhoben andere Mächte Widerspruch, und England kommt überaus billig zu der Glorie der Friedfertigkeit. Einst, im Haag, war es deutscher Unverstand, der England einen ähnlichen Heiligenschein verschaffte. Diesmal wollen die Franzosen sich diese Rolle nicht nehmen lassen. Über die Flottenabrüstung schien im Prinzip volle Einmütigkeit zu herrschen, aber nun, da es an die Ausführung geht, macht Frankreich verzweifelte Anstrengungen, seine Tonnage an Großkampfschiffen nicht nur zu bewahren, sondern in der Weise auszubauen, daß es im Jahre 1935 einen Vorsprug über alle anderen Nationen gewonnen haben muß. Im Namen der lateinischen Schwester in Rom widersprach Herr Schanzer erregt, und hat für diesen Fall ein den französischen Absichten entsprechendes italienisches Marineprogramm in Aussicht gestellt. Ein lehrreicher Beitrag zu dem Thema: Blutsverwandtschaft in der Politik! Aufschlußreich auch über das, was die Vertreter eines Volkes, das im Kriege am meisten geblutet hat, unter den Aufgaben einer Abrüstungskonferenz verstehen. Herr Briand hat Frankreichs Landmilitarismus verteidigt, und man hat ihm den Gefallen getan, daran nicht weiter zu rühren. Seine Vertreter suchen den Seemilitarismus zu retten und bedrohen damit das immerhin magere amerikanische Abrüstungsprogramm, über das doch wenigstens Einhelligkeit erzielt schien, unmittelbar vor Torschluß.

England gibt sich solche Blößen nicht. England spielt den Aufopferungsvollen, macht Vorschläge, vermittelt, erwirbt sich zu seinen überreichen Machtmitteln den Beifall aller vernünftig Denkenden. Und Frankreich, echauffiert, unbedacht seinen nationalen Egoismus zur Schau stellend, setzt sich dem Kopfschütteln und Achselzucken der ganzen Welt aus, und arbeitet sich allmählich in die Isolierung des ewig gereizten und sehr anspruchsvollen und überall unbeliebten Sondergängers hinein ...

Und Deutschland? Es gibt ja bei uns noch immer verwegene Mäuler, aber harmlose Gemüter, die jede neue Mächtekonstellation auf die Möglichkeiten hin beklopfen, die sie in sich birgt für das, was diese guten Leute den kommenden Aufschwung deutscher Macht und Herrlichkeit nennen. Den ausschlaggebenden Schichten unseres Volkes ist es nicht um Macht und Herrlichkeit und um die bunten Pappornamente der wilhelminischen Zeit zu tun: die Sorge um Brot und Kohle liegt ihnen näher. Wir stehen vor bitterernsten Wochen. Das Stundungsgesuch der Reichsregierung wird vielleicht, hoffentlich!, die gründliche Aufrollung des gesamten Reparationsproblems mit sich bringen. Die Rückäußerung der Reparationskommission läßt einen stärkeren Willen zur Sachlichkeit durchblicken als bisher. Es fehlen die Drohungen, die Stimmungsmache und der diktatorische Charakter.

Und ist die deutsche Politik dieser entscheidungsvollen Zeit gewachsen? Wir haben das Vertrauen zum Reichskabinett und den hinter ihm stehenden Parteien, daß an der bisherigen Politik einer herzhaften Ehrlichkeit, die soviel zur Entgiftung der internationalen Atmosphäre beigetragen hat, festgehalten wird. Aber in den Oppositionsparteien herrscht schon wieder jene Zuchtlosigkeit, die das Stundungsgesuch zu einer armseligen »Bitte« umschwindelt und höhnisch den »Bankrott der Erfüllungspolitik« proklamiert. Das ist jene Todsünde an der Nation: aus innerpolitischen Gründen die Außenpolitik zu demolieren! Das möge man endlich, endlich von England lernen: daß die Außenpolitik ein fester, geschlossener Komplex sein muß, daß es keinem schlechten Dilettanten oder erhitzten Demagogen erlaubt sein darf, den Leitern der Außenpolitik aus unsachlichen Gründen Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Hier liegt das letzte Geheimnis von Englands überwältigenden Triumphen.

Mit dem Weihnachtstisch des deutschen Volkes wird es ziemlich schlecht bestellt sein. Möge ihm ein guter Genius – ein paar wirkliche Politiker bescheren!

Berliner Volks-Zeitung, 18. Dezember 1921


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