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Vorlesung Otto Gysae

Die diesmalige Veranstaltung des »Künstlerdank« in der Neuen Sezession war dem Romancier Otto Gysae gewidmet, der, ein feingeistiger Erzähler und tiefgründiger Psychologe, bisher eigentlich mehr die Anerkennung der Kritik gefunden hat als die dauernde Beachtung des Publikums. Der persönliche Eindruck bestätigt dieses Urteil. Gysae liest ungewöhnlich zurückhaltend, mit einem leichten Lächeln um die Lippen ... aber nach wenigen Minuten fühlt man den Kunstwillen, der diese gedämpfte Stimme beherrscht. Und so ist auch das Werk. Ein Realismus, der keinen Schlager sucht, der das unendlich Diffizile, das Unaussprechbare, das zwischen den Menschen schwebt und letzten Endes deren Schicksal ausmacht, in einem feingeschliffenen Spiegel auffängt; in einem Kapitel aus dem Roman »Das Gesetz« kam diese Art des Dichters besonders rein zum Ausdruck. Gerade in dieser letzten Arbeit (im Verlag Rudolf Mosse erschienen) hat Gysae in der Person des Rudolf Schrader eine Gestalt geschaffen, die vielleicht mehr deutsche Allgemeingeltung beanspruchen darf als Heinrich Manns verzerrter Diedrich Heßling.

Berliner Volks-Zeitung, 16. April 1921


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