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Bayern-Gastspiel in Berlin Oberst von Xylander in den Kammersälen

Man merkt es schon an der Ecke der Teltower Straße, daß an dem Abend die Deutschnationalen die Kammersäle beherrschen. Händler mit Bildern des ehemaligen Kaisers und der Kaiserin, Zeitungen, Flugblätter. Drinnen im Saale ist es knüppeldick voll. Bunte Mischung. Viel Vollbärte, viel Damen in schwarzem Crêpe, die nachher bei den antisemitischen Witzen vor Lachen wiehern. Zeitschriften werden vertrieben, die man nie gesehen hat und niemals wieder sehen wird. »Arbeitsgemeinschaft der Eisernen Division«! »Neue Baltikumer-Zeitung«!

Herr Laverrenz, schwer gewichtig, mondgesichtig, eröffnet: Alle Gutgesinnten betrauerten den Tod der Kaiserin; es sei Verleumdung, daß die Beerdigung eine monarchistische Demonstration gewesen sei.

Erster Redner: Herr Dr. Oberfohren aus dem Lande der Teutonen. Embonpoint, Glatze. Er schreit, schlägt mit den Armen um sich, ruft Rache über eine Regierung, die die nationale Würde preisgebe ..., schwitzt Gesinnung aus allen Poren. Der begeisterte Empfang des Dr. Simons durch die Berliner sei ein romantischer Irrtum gewesen. Nicht Simons habe das Nein gesprochen, sondern Lloyd George. Die Feinde sollen ruhig Deutschland stückweise besetzen. Wir Deutschnationalen wollen nicht den Revanchekrieg. (I wo!) Es wird einmal ein neuer Frühling kommen. (Hinter mir in der Ecke regt sich der Frühling schon. Ein Jungbaldur schreit immer wieder: Raus mit den Juden! und ist nur mühsam zu beruhigen.) Nachzutragen ist noch, daß der Redner den Untersuchungsausschuß des Reichstages eine »Zionistengesellschaft« nennt. Dann kommt der Clou des Abends, der Gast aus der bayerischen Ordnungszelle, der Herr Oberst v. Xylander. Schlanke, straffe Erscheinung. Graumelierter Kopf. Er spielt den autochthonen Bayern. Laute, helle Kommandostimme: »Deutsche Männer und Frauen!« (Es hat so einen Unterton, wie: Kerl, nehmen Sie die Knochen zusammen!) Bald verliert sich der Eindruck des Militärischen; zurück bleibt ein vorzüglich geölter Demagoge, der die Kunst des Leisesprechens mit perfiden Dehnungen glänzend heraus hat. Er speit Invectiven gegen die Reichsregierung. Bayern sei nun aus dem Schlamm raus, Preußen werde bald folgen. Simons sei bisher sorgfältig um Bayern herumgefahren, seine Spitzel hätten ihm wohl Schauergeschichten erzählt. Die von Mosse ausgehaltene Presse verleumde Bayern systematisch, ebenso die würdige Schwester in Frankfurt. (Jung-Baldur hinter mir brüllt: Sie verjessen Ullstein janz!) Es sei Lüge, daß in Bayern die Reaktion herrsche, dort regiert die bürgerliche Koalition. Die Sozialisten haben zusammen nur fünfzig Abgeordnete und davon sitzen etliche im Gefängnis und werden dort noch recht lange sitzen. (Brausender Beifall.) Der Redner bestreitet Bayerns Beteiligung am Kapp-Putsch. Man hätte nicht zu putschen brauchen, an dem betreffenden Märzmorgen seien nur ein paar Herren bei dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten gewesen und hätten ihm ein paar Worte gesagt und zwei Stunden später sei die Regierung erledigt gewesen. Zwar habe man zu streiken versucht, aber als die Arbeiter auf die Straße gingen, hätten da sehr viele gut ausgerüstete junge Leute gestanden und da wäre ihnen die Lust vergangen. Obgleich das Land heute zu zwei Drittel gut monarchistisch wäre, dächte doch niemand daran, die Monarchie wiederherzustellen. Aber Kronprinz Rupprecht habe noch eine große Zukunft vor sich. Doch so, wie man ihn kenne, werde er niemals den Hohenzollern in den Weg treten.

Die Reichsregierung trete die nationale Ehre mit den Füßen. Das ekle selbst Engländer an. Wie er, Redner, aus zuverlässiger Quelle wisse, habe Lord Curzon auf der Londoner Konferenz, als Simons sein letztes Angebot verlas, zu seinem Nachbarn gesagt: »Das ist die Manier von orientalischen Teppichhändlern« ...

Damit geriet der Herr Oberst endgültig ins Fahrwasser antisemitischer Rüpeleien, das er nur noch gelegentlich verließ, um seine Reichstreue und die Notwendigkeit der Einwohnerwehren zu versichern. Der Beifall nahm riesenhafte Dimensionen an. Nach einem kurzen Schlußgebet entließ Herr Laverrenz die gläubige Gemeinde.

Berliner Volks-Zeitung, 30. April 1921


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