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So allmählich beginnen die Sensationen von Spaa abzuebben. Es wird wesentlich ruhiger. Die Trikolorenstürmer gehen in die Sommerfrische, und das bewegte Rektorat des Herrn Eduard Meyer neigt sich dem natürlichen Ende zu. Reventlow sucht einen judenfreien Badeort, und Biertimpel ist mit seinen Konkneipanten auf der Recherche nach einem »Fachminister« als Ersatz für Herrn Haenisch bei irgendeiner Lindenwirtin in der Kreide stecken geblieben.
Freue man sich nicht zu früh der Sommerstille. Schon steht neue unerhörte Aufregung vor der Tür. Noskes Denkwürdigkeiten sind angekündigt und drohen jeden Tag zu erscheinen.
Wenn in früheren Zeiten ein Politiker Denkwürdigkeiten schrieb, so war das ein untrügliches Zeichen, daß er von dieser Welt nichts mehr erwartete. Oder aber es war ein in freundlichen Altersstunden sorgfältig ausgeklügelter Racheakt an lieben Freunden und verehrten Staatsoberhäuptern. So mancher würdige Greis, den man im Verdacht hatte, im Schubfach ein umfangreiches Manuskript liegen zu haben, wurde auf seinem täglichen Verdauungsspaziergange ehrfurchtvollst gegrüßt von allen denen, die den innigsten Wunsch hegten, glimpflich davonzukommen.
Das hat sich geändert. Memoiren sind kein Vermächtnis an die Nachwelt mehr, sondern eine sehr weitläufige Empfehlung an die Mitwelt. Ludendorff, Helfferich, Tirpitz. Das schreit aus jeder Zeile: Seht nur, was für ein Kerl ich bin! – Auch Herr Erzberger soll sich mit der Abfassung von Denkwürdigkeiten beschäftigen. Noske hat dieser Strömung natürlich folgen müssen. Das ist interessant. Er hat also noch Ambitionen. Er gibt seine Visitenkarte ab. Warum nicht? Die deutsche Politik ist das Reich der ewigen Wiederkehr. Und dennoch: geht nicht um dieses Buch herum. Es kann sehr lehrreich sein. Vorausgesetzt, daß es wirklich Darstellung gibt und nicht nur eine Statistik von Zeitungsverboten. Aber Herr Noske ist nie ein Schweiger gewesen. Eher ein rhetorisches Maschinengewehr, das mit gewaltigem Geräusch leere Blechhülsen ausspeit. Ach, wenn er nur redselig sein möchte. Dann würden wir erfahren, wie die ihm »untergegebenen« Generale mit ihm umgesprungen sind. Überhaupt, wie das in der Bendlerstraße zugegangen ist. Wir würden auch erfahren, wie groß sein eigenes Sündenkonto ist und was auf das Konto gewisser Parteifreunde kommt, die es heute in tugendhafter Entrüstung ablehnen, mit ihm in einem Atemzuge genannt zu werden.
Wir sind wirklich gespannt.
Nur der Titel ist unglücklich gewählt. Einer billigen Alliteration folgend, nennt Herr Noske sein Buch: »Von Kiel bis Kapp.«
Wir schlagen vor: »Von Pleite zu Pleite!«
Berliner Volks-Zeitung. 23. Juli 1920