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Am 28. August 1898 veröffentlichte der damalige russische Außenminister Murawiew jenes berühmte Zarenmanifest, in dem Nikolaus, zu jener Zeit vorübergehend unter dem Einfluß des polnischen Pazifisten Johann v. Bloch stehend, die Staaten der Welt zu einer gemeinsamen Konferenz zur Beratung einer Weltabrüstung und eines Weltschiedsgerichts einlud. Mag die Ausführung der Idee selbst eine arg enttäuschende gewesen sein, tausendmal durch alle folgenden Begebenheiten erhärtet stehen noch heute diese Sätze des Manifests:
»Im Namen des Friedens haben große Staaten mächtige Bündnisse geschlossen. Um den Frieden besser zu wahren, haben sie in bisher unbekanntem Grade ihre Militärmacht entwickelt ... Alle ihre Bemühungen haben dennoch nicht das segensreiche Ergebnis des Friedens zeitigen können. Da die finanziellen Lasten eine steigende Richtung verfolgen und die Volkswohlfahrt an ihrer Wurzel treffen, so werden die geistigen und physischen Kräfte der Völker, die Arbeiter und das Kapital, zum großen Teil von ihrer Bestimmung abgelenkt und in unproduktiver Weise aufgezehrt ... Daher entsprechen in dem Maße, wie die Rüstungen einer jeden Macht anwachsen, diese immer weniger und weniger dem Zweck, den sich die betreffende Regierung gesetzt hat ...«
Dieser Appell war der Anstoß zu den beiden Haager Konferenzen, die leider den vollen Beweis erbrachten, daß die großen Staaten ihre Militärmacht nicht steigerten, um den Frieden besser zu wahren. Nicht daran ist das Haager Werk gescheitert, daß die Idee an sich unrichtig gewesen wäre; aber da ein wesentlicher Teil der Mächte, nicht zum wenigsten Deutschland, wo damals gerade die alldeutsche Bewegung aufstieg, an die Ausführung der Idee mit äußerstem Widerstreben heranging, so mußte an diesem inneren Widerspruch das große Unternehmen rettungslos zugrunde gehen. Der internationale Militarismus, damals noch jugendfrisch und in seiner Sünden Maienblüte, hat durch seine Quertreibereien dafür gesorgt, daß die Verhandlungen nichts weiter ergaben als ein peinlich genaues Abbild der europäischen Zerrissenheit.
Als die erste Konferenz feierlich eröffnet wurde, befanden sich unter den Journalisten auf der Kuppelgalerie des Haager Sitzungssaales Bertha v. Suttner und Alfred H. Fried, die nun beide der Rasen deckt. Und noch Jahre später schilderte der gläubige Mann in heißen Worten, wie ihn Schauer der Ehrfurcht vor dem weltgeschichtlichen Moment durchrieselten, und wie ihm jenes Wort Goethes vom Abend bei Valmy unerhört lebendig geworden sei: »Von hier ab und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus, und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen!«
Leicht ist es heute, über solchen Enthusiasmus zu lächeln. Mag auch das Werk vom Haag an der Unzulänglichkeit der Zeitgenossen zerschellt sein, es blieb doch ein großes und ernstes Ultimatum an die Menschheit. Man hat es nicht verstanden. Das andere Ultimatum von 1914 wurde besser begriffen ...
Nun geht aus dem Weißen Hause zu Washington eine zweite Friedensbotschaft an die Welt. Sie ist weit kürzer und wesentlich begrenzter und auch in der Darstellung des bestehenden Zustandes nicht so präzis wie das Manifest Murawiews. Sie ist durch eine deutliche Cäsur geschieden in einen allgemeinen und einen amerikanischen Teil. Der Präsident Harding und sein Staatssekretär Herr Hughes mögen der Gesundung Europas alle guten Wünsche entgegenbringen, aber ob die eine Macht des europäischen Kontinents abrüstet oder die andere ihre Präsenzstärke erhöht, das ist ein Umstand, der sie nur bedingt interessiert. Das Zarenmanifest wollte das Problem zentral fassen, wollte alles aus einem Punkte kurieren. Die Botschaft Hardings spezialisiert. Im Vordergrunde stehen die vitalen Angelegenheiten der Union: das Verhältnis zu England und Japan.
Wir zweifeln nicht daran, daß Europa in Washington eine sekundäre, gleichsam nur dekorative Rolle spielen wird. Deutschland und Rußland sind ausgeschieden aus dem Kreise der Militärmächte; der kontinentale Militarismus wird heute von Frankreich repräsentiert. Und Frankreich hat keine Interessen im fernen Osten, Frankreich strebt nach keiner Beherrschung der Meere, Frankreich ist einzig auf die Niederhaltung Mitteleuropas bedacht. Deshalb werden die emphatischen französischen Hinweise auf die »bedrohte Sicherheit« des Landes ernsthaftem Widerspruch kaum begegnen. Herr Briand hat seinerseits den Ton bereits angegeben, und es müßte schon ein Wunder geschehen, wenn er oder sein Nachfolger im November einen anderen und helleren Akkord anschlagen sollte.
Desto enger aber fühlt sich England bei der Partie. Zwischen Großbritannien und der Union geht ein stiller, aber zäher Kampf um die Präponderanz vor sich. Die beiden einzigen nicht ramponierten Mächte des Weltkrieges stehen sich, nachdem alle anderen in die dritte und vierte Reihe gerückt sind, als Konkurrenten gegenüber. Die Stimmung ist keineswegs freundlich, und die Polarität der Interessen findet ihren Niederschlag in den beiderseitigen Flottenprogrammen. Dennoch tut man gut, sich von den Kriegsphantasien eifriger Broschürenfabrikanten nicht anstecken zu lassen. Die Begabung der angelsächsischen Rasse für den nüchternen politischen Kalkül ist zu entwickelt, um es zu einem Ausgang kommen zu lassen, aus dem für beide Teile vermutlich nicht mehr herauswachsen würde als die soziale Revolution und jedenfalls das Ende der angelsächsischen Herrscherrolle in der Welt. Die Konferenz soll die Aufgabe haben, die ärgsten Auswüchse der Rivalität zu beseitigen und den lästigen, beide Teile störenden und finanziell belastenden Seemilitarismus auf ein vernünftiges Maß zurückführen. Obgleich man sich auf keinen Fall auf Prophezeiungen festlegen soll: diese beiden Starken, die bei aller Verschiedenheit doch in ihrem Wesen eins sind, werden früher oder später den Weg zu einheitlichem Handeln finden ...
Einige Pazifisten nun, die noch immer die Auffassung nicht überwunden haben, daß die größtmögliche Naivität einen integrierenden Bestandteil der pazifistischen Doktrin bilde, haben Hardings Botschaft als große pazifistische Leistung begrüßt. Das ist ein blutiger Irrtum. Letzten Endes ist die ganze Aktion nur ein äußerst geschickter Schachzug zur Mattsetzung Japans. Und bedürfte es noch eines einzigen Beweises dafür, so betrachte man nur, wie Japan sich dreht und windet, wie ein Fisch, den man auf trockenes Land gesetzt hat. Gewiß ist Japan eine höchst beachtenswerte Militärmacht, aber doch wirtschaftlich dermaßen mit den Vereinigten Staaten verfilzt, übrigens auch längst aus der Hochkonjunktur des Kriegsgeschäfts heraus, daß es auch nicht im Traum daran denken kann, seinem besten Kunden die Kehle zuzuschnüren. Aber Japan mit seinen Ambitionen im fernen Osten, mit seiner ansehnlichen Seemacht war immerhin eine nicht zu unterschätzende Drohung. Und in dieser Rolle war es quicklebendig, machte es seine besten Geschäfte. Und nun soll es plötzlich gezwungen werden, die eine Hälfte seines Doppelgesichts aufzugeben. Man versteht Japans Nervosität, versteht die Verärgerung eines Militarismus, dem auf Grund einer Konferenzresolution freundlichst die Aufforderung überreicht wird, seinen ebenso bequemen wie erfolgreichen Demonstrationsposten aufzugeben. Und das schlimmste: den Anstoß zu dieser so lästigen Weltschiedsrichterei gibt die Union, der große Kunde, der große Konkurrent, der große militärische Nebenbuhler.
Aber Japan wird sich fügen müssen, mag der pazifische Teil der Konferenz nun in Washington stattfinden oder in Honolulu oder auf dem Monde. Und das Kompensationsobjekt wird China sein, das ungeheure und ebenso ungeheuer hilflose China, dem man sehr gnädig gestattet hat, an den Teilen der Beratung teilzunehmen, die es selbst betreffen. Die Ärzte gestatten dem Patienten, seiner Sezierung bei lebendigem Leibe beizuwohnen! Und wir fragen: was ist daran pazifistisch, wenn zwei robuste und ausgezeichnet bewaffnete Menschen die Habe eines Wehrlosen aufteilen, ohne sich bei dieser Prozedur vor Neid gegenseitig den Bauch aufzuschlitzen?! Nein, Washington wird nicht Pazifismus bedeuten, sondern nur Imperialismus ... wenn auch mit anderen Mitteln. Auch die großen imperialistischen Staaten haben inzwischen die These Norman Angells schätzen gelernt: daß der Krieg auch für Sieger ein äußerst schlechtes Geschäft bedeutet. Der alte Imperialismus kam auf Dreadnoughts daher. Der neue Imperialismus kennt die natürliche Kraft seiner Wirtschaft, und wie man einst seine Kanonen ausspielte, so wird man in Zukunft alle Mittel des Friedens ausspielen, um das Herrschaftsprinzip, um das es einzig geht, zu wahren und zu festigen. Die Kleinen werden Objekt sein und die Großen werden, die aggressiven Formen der Rivalität als abgelebten Romantizismus ablehnend, friedlich, schiedlich die Haut des Opfers aufteilen. Dem Frieden droht im Zeitalter der Stinnes und Loucheur, wie den Produktionsmitteln der Völker, die Monopolisierung. In Washington wird eine neue Ära beginnen. Der Weltkrieg war der Abtanzball des alten Imperialismus.
Berliner Volks-Zeitung. 22. Juli 1921