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Draußen, an der Peripherie der Stadt, im grünen Steglitz, hat sich ein neues Theater aufgetan. Ein Theater mehr, so werdet ihr sagen. Es sei willkommen, wenn es die Versprechungen dieses ersten Abends hält. Denn Versprechungen waren es, die diese Vorstellung gab. Wenn auch manches noch ebenso unfertig war, wie das Haus, das, wenn erst der Baugeruch entschwunden, ein ganz passables Komödienhaus wird.
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Unsere Theater wetteifern augenblicklich, Kuriositäten auszugraben. Das ist gewiß lobenswert, und manches Schöne und nur durch mißgünstigen Zufall Verschüttete wird dabei zutage gefördert. Aber der »Timon« gehört nicht dazu, ist überhaupt keine Angelegenheit für die breitere Öffentlichkeit – ausschließlich geeignet für eine Sonderveranstaltung anläßlich eines Anglistenkongresses.
Timon von Athen, der Verschwender, den seine »Freunde« in der Not verlassen, und der in die Wildnis zieht und Götter und Menschen verflucht und nicht einmal durch den Anblick gelben, kalten Goldes sich versucht fühlt, noch einmal mit neuem Reichtum zu den Menschen hinabzusteigen, ist eine Gestalt, die seit zwei Jahrtausenden in der Weltliteratur Bürgerrecht besitzt. Klassische Prägung gab der berühmte Dialog des Lukianos. Während der Blütezeit des englischen Theaters wurde dieser populäre Stoff von einigen der Dramenfabrikanten aufgenommen, die damals die Londoner Bühnen versorgten. Es ist nicht ausgeschlossen, daß William Shakespeare zu dieser Arbeit einen Monolog und einige Dialogstellen geliefert hat. Warum mit diesem flachen, unbedeutenden Werk bis heutigentags sämtliche Shakespeare-Ausgaben belastet werden, mögen die Philologen beantworten, wir anderen begreifen es nicht. Gegen Shakespeares Autorschaft spricht die kleinliche Konzeption, die kindliche Technik und die ebenso kindliche Charakteristik. Das alles erinnert an die Kinderschuhe der elisabethanischen Dramatik. Im »Titus Andronicus«, seinem Erstlingswerk, war Shakespeare freier von diesen Schwächen als in diesem Stück, das seiner letzten Periode angehören müßte.
Welch ein unendlich kläglicher Bursche ist dieser Timon! In seinem Glück eitel, eigensinnig, mit seinem Unverstand fast kokettierend. Und nach seinem wohlverdienten Bankerott würdelos, endlose Monologe weimernd, in einem permanenten Lamento der Eselstritte wegen, die ihm seine Schmarotzer zum Abschied auf den Weg gegeben haben. Der Timon von Athen ist ein seidenes Luxusbürschchen, als Menschenfreund ebenso unbewußt verlogen wie als Menschenfeind. Das ist kein Objekt für eine Tragödie. Seine unglückliche Expedition durch Reichtum und Armut wird mehr Kopfschütteln erregen als Mitleid.
Der Regisseur, Paul Henckels, versuchte die Sache durch Hinzufügung romantisch-märchenhafter Züge schmackhaft zu machen. Dekorationen wie Kostüme hatten einen gewissen zeitlosen Charakter. Die zahlreichen Mitwirkenden waren straff zusammengehalten; teils aus diesem Grunde, teils auch, weil ihre Aufgaben an diesem Abend etwas zu abnorm waren, konnten Persönlichkeiten sich nicht recht entfalten. Man sah keine große Leistung, aber auch keine ganz geringe; gerade den vielen jungen Schauspielern muß zugestanden werden, daß sie mit heiligem Eifer bei der Sache waren. Der Timon des Herrn Klix war häufig unfrei, schien von irgendwelchen unsichtbaren Bändern abhängig zu sein, nur daß diese in keiner Meisterhand zusammenliefen. Am besten ist dieser Timon, wenn in Augenblicken der Verzweiflung Erinnerung an früheren Glanz, dem zeternden Munde zum Trotz, einen flüchtigen Schein von Glück auf die verhärmten Züge zaubert. Sympathisch war der treue Haushofmeister Flavius des Herrn Forsch. Und Karl Ludwig Achaz schmetterte mit heller Stimme den Alkibiades, diesen antiken Kappisten, der am Ende des Stückes auf den Trümmern athenischen Sybaritentums eine Regierung der Ordnung, Freiheit und Tat begründet.
Berliner Volks-Zeitung, 14. Mai 1921