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Die Wiener Internationale

In Wien hat in der zweiten Hälfte der vergangenen Woche ein Kongreß der sozialistischen Parteien der verschiedenen Länder stattgefunden, die es seinerzeit abgelehnt haben, in der zweiten Internationale aufzugehen, ohne deshalb der Moskauer Internationale beizutreten. Zum Teil sind sie auch von den russischen Machthabern in brüsker Form refüsiert worden. Da sie lange zwischen Amsterdam und Moskau pendelten, hat man für alle diese Gruppen die halb ernste, halb scherzhafte Bezeichnung »Internationale 2 ½« gefunden.

Die Auspizien des Kongresses waren nicht die günstigsten. Wirklich geschlossen kamen nur die Österreicher. Die meisten Delegierten vertraten Parteisplitter, entstanden durch die internen Streitigkeiten über die Bolschewismusfrage. Die deutschen Unabhängigen, bis dahin immerhin ein ganz stattlicher Block, durch ihre Verluste nach links prinzipiell eher gestärkt als geschwächt, kamen unmittelbar aus verlorener Wahlschlacht. Ein Kongreß der Unterlegenen also, ein Kongreß der Splitterparteien und Pufferparteien, die mit Rücksicht auf ihre Mitglieder nicht zur zweiten Internationale zurückwandern können, deren Bestand aber andererseits die ganze Brisanzkraft der kommunistischen Propaganda bedroht. Man darf also annehmen, daß die Teilnehmer, die durchweg im politischen Leben eine geachtete Stellung einnehmen und denen es an Erfahrung nicht mangelt, mit mehr Sorgen als Illusionen die Fahrt nach Wien angetreten haben.

Wenn in diesen wenigen Tagen die Situation der mittleren Gruppen sich wesentlich gebessert hat, so liegt das nicht daran, daß man etwa in Wien das Rezept gefunden hätte, nun alles links und rechts von Longuet und Crispien aufzusaugen, sondern an der Moskauer Zersplitterungstaktik, die durch die jüngste Krise in der V.K.P.D. neuerdings in eigenartiger Weise zutage getreten ist. Obgleich es nachgerade bekannt genug ist, daß die russischen Gewalthaber lieber mit Kemalisten und Enveristen halbpart machen als mit alten Sozialisten, die nicht bedingungslos kuschen, in einer Gemeinschaft zusammenzuarbeiten, bedeutet es doch eine nicht geringe Überraschung, daß man in einer großen Partei sämtliche prominente Persönlichkeiten auf eine Schippe setzte und, ohne eine Instanz zu befragen, einfach aus der Zentrale spedierte – und das in erster Linie wegen der italienischen Serrati-Gruppe. Bei dem außerordentlichen Respekt, der in diesen Kreisen vor Moskau herrscht, ist nicht anzunehmen, daß die Hinausbeförderten in unbotmäßiger Weise ihre Meinung geltend gemacht haben, aber daß eine radikale Atomisierung der Arbeiterbewegung dieser zu dienen geeignet sei, das konnten selbst diese gutgedrillten Geister nicht ohne Widerspruch schlucken. Dieser Vorgang dürfte die Arbeitermassen stutzig machen und unendlich vielen die Frage auf die Lippen legen, ob der berühmte »Wille zur Macht« sich eigentlich nur durch Rausschmeißertätigkeit im eigenen Hause manifestiert. Dazu werden neuerdings Stimmen laut, daß auch in Frankreich ähnliches bevorstehen solle und daß Cachin und andere, die hervorragend beteiligt waren, die alte sozialistische Partei ins kommunistische Lager zu führen, zum Dank für ihre Vermittlertätigkeit bereits unterminiert seien. Verharren die Häupter der dritten Internationale bei dieser Strategie, die einzelnen Gruppen des abendländischen Sozialismus zu dezimieren, so muß das naturgemäß in absehbarer Zeit einen gründlichen Rückschlag geben, von dem die alten im Stiche gelassenen Parteien profitieren dürften, der sich ganz gewiß aber auch in allgemeiner Parteiverdrossenheit überhaupt äußern wird – zum Gaudium der Reaktion aller Länder. Die Rückläufer würden zu einem großen Teil sicherlich den Parteien des rechten Flügels zugute kommen; aber zu übersehen ist nicht, daß auch die Mittelparteien trotz ihrer derzeitigen relativen Schwäche über eine nicht geringe ideologische Anziehungskraft verfügen. Das macht: sie sind hervorgegangen aus den oppositionellen Koterien der Kriegszeit, und wenn man sich erinnert, mit welcher Erbitterung damals, bei uns und anderswo, der Richtungskampf ausgefochten wurde zwischen den »Sozialpatrioten« und den »Zimmerwaldern«, dann wird man es verstehen, daß solche Wunden nicht leicht vernarben und daß die zweite Internationale nicht so bald das Sammelbecken aller nichtbolschewistischen Sozialisten sein wird. Mit Recht wurde z. B. von Hilferding hervorgehoben, daß die Pariser Beschlüsse die Unterschrift Vanderveldes trügen. Das sind Trennungsstriche, die nicht so leicht wegradiert werden können. Zudem sind gewisse Persönlichkeiten der Mittelparteien (Friedrich Adler, Ledebour, Longuet) noch von jener Zeit her von einem Nimbus umgeben, der den Führern der sozialdemokratischen Parteien, die, gewollt oder gezwungen, die Kriegspolitik; ihrer Länder bejaht haben, einfach abgeht. –

Es war ein Akt der Klugheit von den in Wien Versammelten, nicht eigentlich als Internationale sich zu konstituieren, sondern als »Arbeitsgemeinschaft« von internationalen Ausmaßen. Schreitet der kommunistische Zersetzungsprozeß fort, so wird ohne Zweifel bald eine etwas bestimmtere Firmung erfolgen. Scharfe Worte fielen gegen den Imperialismus der Ententemächte. So befürwortete eine von dem Franzosen Mistral begründete Resolution eine Konferenz der drei sozialistischen Parteien Englands, Frankreichs und Deutschlands zur Prüfung der Wiedergutmachungsfrage. Es heißt weiter in der Resolution: »Die übermäßigen, ja unerfüllbaren Forderungen des Ententekapitalismus und der Mißbrauch der durch sie hervorgerufenen Leidenschaften, den die konterrevolutionäre Bourgeoisie Deutschlands betreibt, drohen die Krise zu verschärfen und neuen blutigen Zusammenstoß heraufzubeschwören. Die Entwaffnung der deutschen militärischen Organisationen (Orgesch usw.) entspricht sowohl den Interessen des Proletariats als auch den Erfordernissen des Friedens. Aber die Entwaffnung Deutschlands allein vermag nicht alle Kriegsgefahr zu bannen, wenn ihr nicht die allgemeine Abrüstung in allen Ländern folgt.« Im Anschluß daran wird zu internationalen Kundgebungen aufgefordert »gegen jede gewalttätige Lösung der durch den Krieg aufgeworfenen Probleme, gegen alle Bestimmungen, die das Elend und die Knechtschaft der deutschen Arbeiter in demselben Maße verschärfen müssen, als sie den Arbeitern der andern Länder eine verhängnisvolle Konkurrenz schaffen würden ...« (Für die Demonstrationen ist der 13. März festgesetzt worden.) Und Otto Bauer, der österreichische Führer: »Der Anschluß Deutschösterreichs an Deutschland ist jetzt die Forderung der ganzen Partei, weil unser Land nicht existenzfähig ist. Paris empfiehlt die Donau-Föderation, aber die Völker werden nie freiwillig in den Habsburger Kerker zurückkehren ... Die französischen Genossen dürfen nicht vergessen, daß die Gefahr vor allem der französische Imperialismus ist ... Die Aufgabe unserer französischen Genossen ist es, sich nicht zu fürchten vor der Anklage des Auslands. Die Engländer fürchten nicht die Beschuldigung, als deutschfreundlich zu gelten.« Worauf der Marx-Enkel Longuet antwortete: Frankreich sei heute nicht mehr das Wahrzeichen der Revolution, sondern der Reaktion. – Das sind Signale, die die Staatsmänner der Entente nicht überhören sollten. Wenn in der Resolution Mistral sogar Internationalisierung der Kriegsschulden verlangt wird, so war das allerdings am Vorabend von London wie Harmonie der Sphären und deshalb nicht ganz real, wirft aber in die Reparationsdebatten endlich eine Idee. Vielleicht wird die »Arbeitsgemeinschaft« in Zukunft die Sozialisten der Ententeländer mit stärkerem Impetus zur Fronde gegen den Versailler Vertrag antreiben, als es den oft allzu diplomatischen Gliedern der zweiten Internationale bisher gelungen war, und damit Wesentliches beitragen zur Bildung eines großen demokratischen Blocks gegen die internationale Konterrevolution und gegen die verwüstenden Wirkungen der Friedensverträge überhaupt.

Berliner Volks-Zeitung, 5. März 1921


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