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Washington

Im November wird voraussichtlich in Washington jene vom Präsidenten der Vereinigten Staaten einberufene Konferenz beginnen, welche einmal das Problem der Abrüstung behandeln soll, zum anderen aber in den sehr brennenden Fragen des fernen Ostens eine Lösung bringen soll. Wir haben keine Veranlassung, die ganze Veranstaltung anders, als streng nüchtern und ohne jeden Ausdruck von Hoffnung zu besprechen. Die Vorzeichen sind die denkbar ungünstigsten. Wirklich praktische Bedeutung hat die Konferenz nur insoweit, als sie das für Japan sowohl als auch für die Vereinigten Staaten gleich peinliche China-Problem zu untersuchen hat; im übrigen bezweifeln wir, daß selbst in dieser Angelegenheit so etwas wie eine Lösung gefunden wird. Präsident Harding, der Einberufer, fühlt sich als Nur-Amerikaner; persönlich ein kluger und liberaler Mann, mehr Geschäftsmann von amerikanischem Zuschnitt als Politiker, steht er Europa kühl bis ans Herz gegenüber. An die Möglichkeit einer Abrüstung glaubt er nicht; wiederholt hat er seiner Skepsis in dieser Hinsicht öffentlich Ausdruck gegeben; er lehnt gleichfalls einen Eintritt Amerikas in den Völkerbund energisch ab. Für die amerikanische Politik bedeutet die Konferenz nur eine Draperie für eine intime Auseinandersetzung mit Japan. Man hofft, den rührigen kleinen Konkurrenten, vielleicht mit Hilfe europäischer Staatsmänner, für einige Zeit ein wenig lahmzulegen. Japan selbst riecht natürlich den Braten und hat sich lange genug gesträubt – –, aber wer kann heute eine so freundliche Einladung zur Besprechung der brennendsten Fragen ablehnen, ohne dabei seine Reputation zu riskieren?! Also mußte der Japaner in den sauren Apfel beißen, um nicht in den Geruch des Weltfriedensstörers zu kommen. Und Europa, soweit es sich beteiligen darf? Frankreich und England gehen nicht williger und heiterer nach Washington als Japan. England betrachtet die riesenhaften Flottenbauten des so abrüstungsbereit tuenden Vetters über See mit tiefem Mißtrauen; zudem hat die britische Insel an den irischen Sorgen schwer zu tragen, auch die Arbeitslosenfrage ist wichtiger, als die theoretische Diskussion über eine Sache, an die hüben und drüben innerlich niemand recht glauben will. Frankreich aber hat vor Monaten durch Herrn Briand erklären lassen, daß es zu Rüstungseinschränkungen bereit sei, soweit seine Sicherheit es gestatte. Nun ist die Sicherheit einer modernen Großmacht etwas sehr Heikles, wie sie sich in den Köpfen der leitenden Männer malt, vermutlich nur dann gewährleistet, wenn der Staat stark genug ist, jederzeit einige Nachbarn zu verschlingen. Frankreich aber betreibt – natürlich immer nur im Interesse seiner »Sicherheit!« – in Mitteleuropa Prestigepolitik, hält wesentliche Teile von Deutschland besetzt, begönnert Polen und wartet auf einen Herrschaftswechsel in Rußland, um die leichtsinnig gepumpten Milliarden zurückzuholen. So werden die Vertreter der Großmächte zur »Friedenskonferenz« reisen. Eine Neuauflage der beiden Komödien vom Haag, und nicht mehr! Keiner der Beteiligten ist mit dem Herzen dabei, für jeden hat die Sache etliche geheime Nebenzwecke, die eigentlich die Hauptsache sind. Was uns interessiert, ist, daß auch der Imperialismus nicht mehr offene Sprache wagt, sondern nach einer täuschenden Verkleidung sucht. Die Konferenz von Washington ist die Angelegenheit von Imperialisten, die klug genug sind, nach neuen Methoden Ausschau zu halten. Doch nicht die der Völker, die den Frieden suchen.

Nie wieder Krieg, November 1921


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