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Draußen und Drinnen
Die ewige Krisis

In unserer wechselvollen Zeit scheint die Krise das einzig Bleibende zu sein. Als Aktivum ist zurzeit zu verbuchen, daß der Ministerrat in Paris nicht daran denkt, eine Mobilmachung vor Abschluß der Londoner Verhandlungen eintreten zu lassen. Man tut indessen gut, in diesem Schritt keinen Vorboten kommender Besinnung zu sehen, sondern mehr eine Verbeugung vor England, das zwar Gewaltmaßnahmen gegenüber sich nicht grundsätzlich abgeneigt verhält, das aber deren übertriebene Beschleunigung nicht liebt. Es ist auch nicht zu zweifeln, daß Amerika das seinige tun wird, um das deutsche Anerbieten vor glatter Ablehnung zu bewahren. Immerhin tut man gut, die kritische Einstellung nicht außer acht zu lassen und so wenig wie möglich zu erwarten. Auch wenn Deutschland von der Besetzung des Ruhrgebiets verschont bleibt, so sind die Opfer noch immer ungeheuerlich genug, und jeder neue Zahlungstermin wird die Möglichkeit einer Wiederaufrollung der Krise bedeuten. Dank der Weisheit der Staatsmänner wird die Hysterie noch für lange Zeit ein nicht fortzudenkendes Element im internationalen Leben bleiben.

Graf Bernstorff hat in seiner bedeutsamen Reichstagsrede betont, daß Amerika die europäischen Dinge mehr nach wirtschaftlichen als nach politischen Gesichtspunkten beurteile. Vielleicht wird die deutsche Note, selbst wenn sie von den Alliierten einfach in den Papierkorb geworfen wird, doch ein neues Verhältnis zu Amerika vorbereiten und damit auch eine neue Einstellung der Amerikaner zum Versailler Frieden, dieser ungeheuerlichsten Daumenschraube der Weltwirtschaft. Der » New York Herald« schrieb bereits in diesem Sinne, die Haltung der Alliierten habe die Stimmung der Senatoren verschärft, die überhaupt nichts mit dem Versailler Frieden zu tun haben wollen. Bisher hat alles, was die Entente unternahm, sich wider ihr eigenes Werk gerichtet, auch die Sanktionen werden dem Versailler Vertrag ebenso gefährlich werden wie dem abgeschnürten Deutschland.

So peinvoll für uns Deutsche diese gegenwärtige Wartezeit ist, so wenig dürfen wir zu bloßen Lamentationen und entrüsteten Expektorationen unsere Zuflucht nehmen. Wenn wir wieder zu neuer und (in bescheidenen Grenzen) aktiver Außenpolitik gelangen wollen, dürfen wir unsere Nerven nicht verlieren, sondern wir müssen allen Ernstes untersuchen, was uns in diese verzweifelte Lage gebracht hat. Mit Recht ist in unserem gestrigen Abendblatt auf die militaristischen Spielereien verwiesen worden, die sich unverantwortliche Elemente im deutschen Osten zurzeit gestatten. Nein, mit Militarismus und »starken« Worten ist die deutsche Krankheit nicht zu heilen, und die Besinnung, die der Entente fehlt, war auch in Deutschland in den letzten Monaten leider oft genug abwesend. Das Allerschlimmste, daß der noch immer anhaltende europäische Brand für die Nationalisten gerade gut genug ist, um ihre Parteisuppe warm zu halten. Immer wenn die Situation aufs äußerste gespannt ist und straffste Selbstzucht am Platze wäre, dann kommen die Helfferich und Genossen und machen sich im Parlament, also vor aller Augen, mit gleichem Fug zu schaffen, wie etwa ein andalusischer Kampfstier im Porzellanladen. Es ist ein ungewöhnlich starkes Stück, wenn Herr Professor Hoetzsch, der außerhalb des Reichstags sich immer als vorzüglicher Kenner der außenpolitischen Probleme zeigt, das Gesuch an den Präsidenten Harding mit Roetheschem Bierbankpathos eine » Würdelosigkeit« nennt. Den Vorwurf können allerdings wir auch der deutschen Regierung nicht ersparen, daß ihre Aktivität allzu spät eingesetzt hat, daß die Atempause, die naturgemäß nach dem Londoner Abbruch einsetzen mußte, ungebührliche Dimensionen angenommen hat, und daß Herrn Erzbergers bittere Bemerkung nicht ganz der Begründung entbehrt, Herr Simons habe seine Informationen über den Stand der Dinge sich vermutlich erst auf seinem Schweizer Ferienaufenthalt geholt. Nachdem man wochenlang sich hat treiben lassen, nachdem ein großer Teil der Presse mit gewöhnlicher Unbesonnenheit in kräftigen Worten ihre Wurstigkeit den Sanktionen gegenüber bekundet hat, darf man sich nun nicht wundern, wenn auf dem schaukelnden Regierungsschiffe die Deutschnationalen als Klabautermänner umgehen und die ohnehin nicht ganz wetterfeste Besatzung in Schrecken setzen. Nun ist allerdings Herr Helfferich der Letzte der Letzten, der es sich erlauben darf, Vorlesungen über Staatsweisheit zu halten. Wenn Helfferich mit jener Emphase, die ihn in seinen »großen« Augenblicken auszeichnet, verkündet, daß ebenso wie 1807 auch 1921 die Weltgeschichte nicht zu Ende sei, so ist das natürlich nicht mehr als jener kindliche Revanchestandpunkt, der für einen Schlag sofort anderthalbe zurückgeben muß, wenn er noch weiter an eine göttliche Weltordnung glauben soll. Herr Helfferich selbst wird in der Geschichte des nationalistischen Wahnsinns nicht das letzte Glied bilden, jedenfalls aber eine recht ansehnliche Etappe ...

Auch der erbittertste Gegner wird es Herrn Stresemann nicht abstreiten, daß er alles kann. Folglich kann er auch einmal etwas Vernünftiges sagen. Einigermaßen bedeutungsvoll waren seine Ausführungen über den wirtschaftlichen Ausgleich Deutschlands und Frankreichs und seine Unterstreichung der Worte des Präsidenten Harding über ein Weltclearinghouse, das wieder vernünftige wirtschaftliche Verhältnisse schafft. Harding meinte, es fehle der Welt nicht so sehr an einem politischen Völkerbund, als vielmehr an einer wirtschaftlichen Zentralinstanz. Diese Erkenntnis ist ungemein wichtig; sie berührt sich mit Ideen, die auch in Deutschland bereits Boden gefunden haben (der wirtschaftliche Völkerbund des Grafen Keßler), und zu denen sich auch neuerdings die internationalen Gewerkschaften bekennen. Bei Stresemann hat diese Ideologie natürlich einen Pferdefuß: man spürt ihn deutlich, wenn er den Augenblick feiert, da Stinnes und Loucheur an einem Tische sitzen. Für Stresemanns nurkapitalistisches Denken bedeutet natürlich internationale Produktionsregelung einfach den Zusammenschluß der Monopolherren aller Länder. Das ist nun allerdings eine etwas sonderbare Form des Völkerfrühlings, von der die Werktätigen hüben und drüben nicht besonders erbaut sein werden. Aber bedeutungsvoll ist daran doch, daß die Erkenntnis im Fortschreiten begriffen ist, daß man den Wiederaufbau der Welt nicht betreiben könne, ohne absolut neue politische und wirtschaftliche Methoden, und daß die Arbeit selbst an erster Stelle berufen sei, den Ausschlag zu geben und nicht ihr undankbares Kind – das Geld.

Berliner Volks-Zeitung, 30. April 1921


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