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Carl Rößlers »Pathetischer Hut«
Kammerspiele

Eine Komödie, die mit Lustspieleffekten beginnt und dann nach den Wirkungen der Tragikomödie schielt, ohne den Mut zu einer solchen zu haben und deshalb keines von beiden. Das Beste an diesem Stück, die Konfrontierung des Glückritters mit dem Anbeter der reinen Idee, stammt aus Wedekinds genialem »Marquis von Keith«. Weitere Episoden von malerischem Reiz lieferte die deutsche Wirklichkeit von 1919. Der Rest, das Unbedeutendste, ist von Karl Rößler selber. Und doch wäre es ein ganz amüsantes Stückchen geworden, hätte er sich auf eine Zeitsatire beschränkt. So aber befrachtet er sein freundliches Talent mit Elementen, die der hohen Tragikomödie Wedekind-Strindbergscher Prägung angehören. Und seine Hand ist nicht agil genug, um sich im komplizierten Fädengewirre solcher Marionetten zurechtzufinden.

Der »pathetische Hut«, das ist die Königskrone, jene Kopfbedeckung, die ihrem Träger ein Pathos aufnötigt, dem er nicht immer gewachsen ist. Diese Krone ist bei der riesenhaften deutschen Revolution im Schlosse geblieben, welches ein Jahr später ein Schieber-Sozialist ansehnlichen Formates bewohnt. Mehr auf Wunsch des Autors als durch den Zwang des Schicksals muß dieser Mustergenosse, dem Gesinnung ebenso Manufaktur ist wie die Weiber oder wie Ballen von Baumwolle, dafür sorgen, daß nicht nur der pathetische Hut, sondern auch ein Portefeuille mit gänzlich unpathetischen Kassenscheinen sicher über die Schweizer Grenze kommt. Den Preis für diesen Liebesdienst zahlt die Favoritin des gewesenen Monarchen in Naturalien. Aber diese eine Nacht genügt, um dem starken Manne mit dem unermeßlichen Lebensappetit Seelenblähungen zu verschaffen. Und da auch sonst alles schief geht, wäre die Rutschpartie ein für allemal zu Ende, wenn nicht Allvater Film, die letzte Gottheit, helfend eingriffe ...

Herr Heinz Salfner war in den Kammerspielen der »Bauernfänger mit Hemmungen«; bonapartisches Temperament, saft- und frechheitstrotzende Männlichkeit. Lina Lossen (hochgeborene und tiefgesunkene Gräfin von Bantién) schien sich in der schillernden Favoritinnenhaut nicht ganz heimisch zu fühlen; immerhin wird sie lieber bei Holländer Courtisanen spielen als bei Barnowsky gar nichts. Raul Lange, mit Gustav Landauers Kopf, ein gütig glühender Gottesknecht; Walter Janssen, Maximilian der Letzte, Kind dieser Erde, schwaches Fleisch, doch leicht vom Geiste gestreift. Gülstorff, irrsinnig gewordener Bureaukrat, stellte eine ganz, ganz große Komödienfigur auf die Beine. Hubert Reusch führte die Regie. Den Nachrichter dieses Spiels, der alle Marionetten schließlich verächtlich in den Kasten tut, spielte Paul Graetz; er verkörperte die neue Großmacht Kino, für die wir alle, Fürsten, Conquistadoren, Dirnen, Schelme und Bürger, lediglich Objekte sind, mit einer barocken Mischung von Lächerlichkeit und Dämonie. Am Filme hängt, zum Filme drängt doch alles – – ach, wir Armen ...

Berliner Volks-Zeitung, 3. Februar 1921


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