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Aufruhr im Kanton Hänisch

Unter dem alten System preußischer Kultusminister zu sein, war ein Vergnügen. Der stand auf seines Daches Zinnen und schaute mit vergnügten Sinnen auf die Heerscharen von gehorsamen Kultus- und Kulturbeamten, die entblößten Hauptes ehrfurchtsvoll die Strahlen der hohen Sonne auffingen und platt auf dem Bauche lagen, wenn die leuchtende Stirn sich verfinsterte. Ganz weit hinten, noch hinter den Küstern und Volksschullehrern, den Augen des Gewaltigen kleine schwache Pünktchen, da standen die Studenten. Individuen also, die noch nicht in die Hierarchie aufgenommen waren, sondern mit mehr oder minder sehnsüchtig geschwellter Brust an der Schwelle harrten.

Das hat sich, wie so manches, geändert. Der Kultusminister des neuen Systems empfängt keine Huldigungsadressen mehr, sondern nur gepfefferte Resolutionen, in denen ihm dringend nahegelegt wird, unverzüglich einem »Fachmanne« Platz zu machen. Und wenn ihm Fackelzüge dargebracht werden, dann nicht in der Absicht, ihn zu ehren, sondern ihm die Bude auszuräuchern. Das hat schon der Sturmgeselle Hoffmann leidvoll erfahren müssen und ist seitdem nicht besser geworden. Wenn der gar nicht stürmische Herr Hänisch, dessen Energie sich, was längst notorisch ist, ausschließlich außeramtlich in Zeitungsartikeln auslebt, eines Tages von dem endlich gefundenen »Fachmanne« schwungkräftig aus dem Allerheiligsten befördert wird, dann werden die rächenden Furien von der »Kreuzzeitung« bis zur »Kölnischen Volkszeitung« triumphierend ihr »Gerichtet!« kreischen, während in Himmelshöhen eine milde Engelsstimme psalmodiert: »Gerettet!«

Am wildesten aber gehaben sich die Studenten. So ist es gekommen: die Letzten sind die Ersten geworden. Der berühmte Rätekongreß vom Dezember 1918 ist ein köstlich geruhsames Idyll neben so einer Sitzung einer Studentenvertretung. Sie sind alle samt und sonders radikale Rückwärts-Revolutionäre. Sie protestieren, daß sie keinen Kaiser mehr haben sollen, daß ein früherer Koofmich Reichskanzler spielen darf, daß man ihnen linksstehende Professoren zu präsentieren wagt, daß man ihnen verwehrt, in den Vorlesungen dieser Professoren Übungen mit Stinkbomben zu veranstalten, daß sie im Gegensatz zu früher ein stattliches Maß von Freiheit und Selbstverwaltung genießen, sie protestieren ... überhaupt, weil das zum Leben gehört.

In Berlin heißt der lebhafteste Förderer des nationalen Aufschwunges in der akademischen Jugend Biertimpel. Das ist beachtenswert. Denn es kommt selten vor, daß der Name des Führers mit dem Sinn der Sache so auffallend zusammenfällt. Spätere Zeiten werden das nicht glauben wollen und Biertimpel für eine Fiktion erklären. Im Jahre 3333, etwa 1100 Jahre nach dem Untergang des Abendlandes, wird der gelehrte Morgan C. Glaubersalz, Professor an der Universität Blackhill-City in Texas (heute noch Prärie mit einer in Uranfängen begriffenen Konservenfabrik) ein dreibändiges Werk erscheinen lassen: »Die Biertimpel-Mythe«. Darin wird auf Grund einwandfreien Materials nachgewiesen werden, daß man es hier nicht mit einer historisch beglaubigten Persönlichkeit zu tun habe, sondern lediglich mit einem Symbol, einer Gottheit der erfrischenden Feuchtigkeit, von den Deutschen verehrt in der kurzen Episode des Kaiserreiches und der noch kürzern der Republik, identisch mit einer andern Naturgottheit, der »deutsche Pichel« genannt, dessen hauptsächlichste Kultstätte sich lange Jahre in München befunden habe.

Aber, wie gesagt, dem armen Kultusminister flitzen die Kabaljensteine durch die Fensterscheiben. Der ganze Kanton ist in Aufruhr. Die Oberlehrer exzedieren teutonisch, die ältesten Professoren läuten Sturm, wenn man ihnen untersagen will, Landesvaters Geburtstag zu feiern. Sagen: »Nu gerade nich!« Und hissen die kaiserliche Flagge.

Was soll Herr Hänisch tun? Die Professoren mag er ruhig mit ihrer Gesinnung selig werden lassen. Da ist nichts mehr zu retten. Aber um die jungen Leute geht es.

Er möge also unter sie gehen und zu ihnen sprechen. Ganz schlicht, wie es noch niemals ein Kultusminister getan hat. So wie jemand spricht, der selbst in allen Miseren der Jugend gesteckt hat. Der selbst mal von der Schule gejagt wurde wegen anrüchiger Gesinnung.

Denn es steht verzweifelt mit dieser Jugend. Ihre Hoffnungen sind verschüttet. Ihre Kraft ist gebrochen, und deshalb gefällt sie sich in Kraftmeierei und läßt sich von der Reaktionaille mißbrauchen. Sie braucht etwas, um sich aufzurichten: Ziele, Ideale!

So etwa müßte Herr Hänisch sprechen. Nicht als Chef der Unterrichtsbehörden, sondern als Verstehender. Vielleicht wird er ausgelacht werden. Vielleicht einer Stuhlbeinoffensive ausgesetzt sein. Versucht muß es werden. Die jetzige Behandlung von oben herab, verbunden mit konsequentem Nichtsehenwollen, ist auf die so Dauer unmöglich. Wie Schweizer Blätter berichten, geht der alte Herr Giolitti jeden Tag in Rom ohne Begleitung und ohne Detektiv spazieren. Trotzdem er die Beschlagnahme aller Kriegsgewinne angekündigt hat. Soviel hat Herr Hänisch nicht auf dem Kerbholz.

Wenn aber auch das nicht hilft, dann möge Herr Hänisch mit gutem Gewissen dem vielberufenen »Fachmanne« weichen. Man wird schon einen finden. Ich schlage Roethe vor. Gustav Roethe, der ist königstreu und bierehrlich. Oder den Professor Plate, der es so gut versteht, aus den Eichenbohlen des Darwinismus niedliche antisemitische Pfeilspitzen für das Feuilleton der »Deutschen Zeitung« zu schneiden.

Diese beiden werden es schon zu demonstrieren wissen, daß die Zeit der Universitäten vorüber ist. Daß die Jugend, die nicht versanden und versimpeln will, weite Umwege zu machen hat um diese Stätten der Wissenschaft. So lange, bis die stolzen Gebäude verfallen sind und Efeu auf den Trümmern wuchert. Ein Bild vielleicht, das manchen traurig stimmen wird, aber dem Auge wohlgefälliger sein wird als das jetzige. Und das Gezwitscher der Vögel über dieser grünen Wüste wird jedenfalls erfreulicher sein als die Deklamationen bemooster Fachkapazitäten wider die neue Zeit. Das Vorwärtsstreben der Menschheit ist nicht an Lehrstühle gebunden und ebensowenig an das Ressort »Wissenschaft, Kunst und Volksbildung«.

Monistische Monatshefte, 1. September 1920


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