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Durch die Wilhelmstraße ...

In der Wilhelmstraße hält ein graues Miniaturauto mitten auf dem Fahrdamm. Der Fahrer steigt ab, spuckt dreimal in die Hände und macht sich voll Entdeckerfreude an die Untersuchung. Er findet nichts und ist darob unzufrieden. Denn obgleich besagtes Miniaturauto zum Transport von Ministerialakten bestimmt ist, hat der Motor es versäumt, seinen Defekt vorher schriftlich anzumelden. Und weit unten, am Ende der Straße, wartet mit feuchten Fingern ein vortragender Rat, um an der Hand dieser Akten vor seinem Chef lichtvolle Ausführungen zu machen.

Der Knabe Lenker versinkt in Erwägungen, ob der Instanzenweg zu beschreiten sei. Da hält neben ihm ein anderes Auto, kein Regierungsauto, ein Profanauto mit freundlich grünem Anstrich .... und dessen Chauffeur ruft dem steckengebliebenen Regierungsmanne ein paar aufmunternde Worte zu ..., und im nächsten Augenblick ist das blessierte Fahrzeug an das gesunde gekoppelt, und in munterer Fahrt nähert es sich dem erhabenen Bestimmungsort.

Unter den Zeugen dieser kleinen Szene befanden sich ein paar Unglückliche, deren Angelegenheiten seit etlichen Jahren bei einer Verwaltungsbehörde »schweben«. Sie freuten sich von ganzem Herzen und wünschten dem geringen Vorgang symbolische Bedeutung.

*

Wer kennt nicht das herrliche Bild von Botticelli: aus dem Dunkel eines Orangenhaines tritt die blumenstreuende Göttin, und überall sprießen die kleinen, bunten Geschöpfchen aus der Erde, und die lichten Elfen tanzen dazu.

Haftet dieses anmutige Bild so stark im Gedächtnis des Geheimen Legationsrates Z., der im Auswärtigen Amt als Referent für die neugebildete Republik Botokudien wirkt, daß es selbst in seinen Träumen in absonderlichen Variationen erscheint?

Am 21. März dieses Jahres, 11 Uhr vormittags, war also Geheimrat Z. in jenen kräftigen Schlaf versunken, der als eine unvermeidliche Begleiterscheinung wichtiger Regierungshandlungen anzusehen ist. Da hatte er das folgende seltsame Traumgesicht.

Über ein weites, ödes Feld, das in Karrees eingeteilt war, welche Bezeichnungen führten wie »Steuer«, »Verwaltung«, »Justiz«, ging mit eiligen Schritten eine Gestalt mit schwarzem Talar und Barett und streute mit großem Eifer Saatkörner aus. Und überall, wo ein Körnchen niedergefallen war, da kam schnurstracks ein niedlicher, kleiner Paragraph aus der Erde. Das ging immer so weiter, und der Vorrat wollte kein Ende nehmen.

Die amüsanten kleinen Pflänzchen gediehen prächtig; sie griffen wie Schlinggewächse ineinander und wuchsen bis zur Höhe eines ansehnlichen Stakets. Da erhob sich dumpfes Grollen. Wie dunkle Wetterwolken ballten sich die Menschen vor diesem Gestrüpp zusammen und forderten Durchlaß. Aber die Paragraphen kicherten. Ganz deutlich hörte der Legationsrat, wie sie kicherten.

Da erschütterte ein gewaltiger Angstschrei die Luft. Der fleißige Säemann war gestrauchelt und verfing sich in seinen eigenen Geschöpfen. Und mit grausamer Hast schössen immer neue davon aus dem Boden und umzäunten ihn wie Eisengitter. Und wie sein Geschrei allmählich schwächer wurde, hatten die Menschen Bresche geschlagen ..., und wo sie eindrangen, da verschwand im Nu die Paragraphenplantage, und die Erde leuchtete in den Farben des Frühlings wie buntes Pardelfell ...

Mit Angstschweiß erwachte der Legationsrat. Da nebenan klapperte eine Schreibmaschine und diktierte jemand. Gott sei Dank, es war alles nur ein Traum gewesen!

*

Nein, Frühling, das ist eine Angelegenheit für Meteorologen oder Agronomen. Oder für die Konfektion.

Aber nicht für Amtsstuben.

Berliner Volks-Zeitung, 27. März 1921


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