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Luther in Worms

Am 18. April 1521 stand Martin Luther in Worms vor Kaiser und Reich. Hätten wir normale Zeitläufte, so würde das ganze evangelische Deutschland diesen Tag feierlich begangen haben. Aber alles ist heute zu Festen ungeeignet, und deshalb muß es bei einem stillen Gedenken bleiben. Und das ist vielleicht gut so; denn wir können es uns nicht erlauben, daß in die Jubelchoräle etwaige Kulturkampffanfaren übereifriger Protestanten sich mischen. Wir wollen nicht noch daran erinnert werden, daß Deutschland nicht nur politisch und sozial, sondern auch religiös gespalten ist. Zudem rollen sich vor unserem geistigen Auge die Bilder jener Tage nicht mehr ab wie die Akte einer Wildenbruch-Historie. Dank der historischen Forschung sind wir nicht mehr geneigt, in der herkömmlichen Weise Licht und Schatten zu verteilen. Für das Entstehen und Weitertreiben jenes Ereignisses, das wir die Reformation nennen, scheint uns nicht mehr eine ungeheure Glaubensinbrunst allein ausschlaggebend zu sein, wir sehen schärfer – die zahlreichen sozialen Ursachen: den Machttrieb des aufsteigenden Bürgertums, die Hoffnung des verelendeten Land- und Stadtproletariats, durch das Evangelium auch des maßlosen Druckes der irdischen Gewalthaber ledig zu werden, den Landhunger der deutschen Fürsten und deren Wunsch, die kaiserlichen Rechte zu schmälern. Es gehört nicht in den Rahmen dieser Betrachtung, darzustellen, wie Luther später diese Wünsche und Sehnsüchte entweder befriedigte oder enttäuschte. Der Luther war 1521 noch der ungebrochene, kompromißlose Mann. Wir wollen ehrlich bekennen, daß wir heute historisches kaum mehr ungetrübt nachempfinden können. Aber ein Wort wie das »Hier steh' ich, ich kann nicht anders! Gott helfe mir! Amen!« schwingt sich, trotzig zugleich und frühlingsjung, durch die Jahrhunderte. Nur wo ein freier Mensch unerschrocken um die heiligen Rechte seiner Persönlichkeit kämpfte, können wir noch Geschichte erleben und wird uns Vergangenes Gegenwart. Ob es der Reformator Luther war, der dem katholischen Monarchen die Stirn bot, ob es der Ketzer Hus war, der mutig den Scheiterhaufen bestieg, ob es der große Papst Gregor war, der als Besiegter sein Haupt im Exil zum Sterben legte ... immer ist es die Treue zur Idee, die die vielen Verwandlungen des Welttheaters überdauert und fernen Enkeln mahnend an die Tore des Herzens pocht.

Berliner Volks-Zeitung, 19. April 1921


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