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Es hat keinen pazifistischen Verein gegeben, der nicht seit dem Beginn der Revolution die Frage zur Debatte gestellt hätte, wie man sich als Pazifist dem Bürgerkriege gegenüber zu verhalten hätte. Man faßte eine Resolution nach der andern, aber jedesmal mit dem Akutwerden neuer innerer Kriegsgefahr nahm das Gefühl überhand, nicht die endgültige Formulierung gefunden zu haben.
Zunächst: in der langen Kette menschlichen Wahnsinns ist der Bürgerkrieg kein besseres oder schlechteres Glied als der Krieg der Staaten. Er ist höchstens grausamer. Denn der Parteimann, der zur Waffe greift, ist fanatisch und gibt keinen Pardon, weil er keinen zu erwarten hat; der Soldat der allgemeinen Wehrpflicht aber ist in seines Herzens tiefstem Grunde wurstig. Der Begriff »Feind«, im Schützengraben etwas ohne letzten Sinn, gewinnt auf der Barrikade einen verhängnisvollen lebendigen Gehalt.
Wir bekämpfen den Bürgerkrieg. Nicht, weil er der Krieg der Angehörigen eines Landes gegeneinander ist (also »die nationale Ehre schändet«), sondern weil wir den Menschenmord für ein untaugliches Mittel zur Lösung auch des geringsten Problems halten. Es ist grausig und schmachvoll, daß ein Mensch den andern tötet. Sind beide Volksgenossen, so unterstreicht das gewiß noch die Sinnlosigkeit des Vorganges, aber ausschlaggebend ist das nicht. Gleichgültig, ob ein Europäer einen Farbigen niederschießt oder umgekehrt. Rasse, Kultur, Sprache, Religion, das alles scheidet das Erdenvolk in viele, viele Teile. Der blaßhäutige Bürger Europas, der mit dem Fieberthermometer unterm Arm auf dem Spitalbett liegt und unter wüsten Träumen in die ewige Nacht sinkt, und der braune Wüstenbewohner, der mit der Kugel im Leibe sich in den weißen Mantel hüllt und schweigend den Tod erwartet ... sie gehen durch einerlei Leid in das eine unabänderliche Schicksal.
Wir Pazifisten haben gegen den Bürgerkrieg ebensowenig ein Rezept wie gegen den Völkerkrieg. Mit entrüsteten Expektorationen oder Wehleidigkeiten ist da nichts getan. Wer an die Menschheit kommen will, muß den Dornenweg von Mensch zu Mensch gehen. Es ist leicht, den Schlagwörterschatz um etliches zu bereichern, aber es ist ungeheuer schwierig, auch nur einen Menschen neuem Denken gefügig zu machen. Also: nicht die Verdammung des Bürgerkrieges ist unsere Aufgabe, sondern die Ausforschung des Nährbodens. Die Ursachen, die den einzelnen zum Desperado machen, müssen aus der Welt. Auch der Völkerkrieg kann nicht erledigt werden ohne die Beseitigung der internationalen Anarchie, die immer wieder die kriegerische Auseinandersetzung ermöglicht.
Die Menschheit krankt an der Gewalt. Der Krieg hat nicht so abschreckend gewirkt, wie wir einst im Felde vielleicht annahmen. Eher hat der Wahn zugenommen, der Maschinengewehre und Bajonette für geeignet hält, gordische Knoten zu lösen. So bitter diese Erkenntnis stimmen mag ... wir haben der ungeheuren Suggestion des Weltkrieges widerstanden, wir werden auch nicht kapitulieren vor den Zuckungen und Krampfanfällen dieser Nachkriegszeit.
Nie wieder Krieg, April 1921